Oberlandesgericht Braunschweig
Beschl. v. 30.01.1995, Az.: 2 W 6/95

Zur Ersetzung der Einwilligung eines Elternteils zur Annahme eines Kindes; Anhaltende Verletzung der elterlichen Pflichten gegenüber dem Kind; Unverhältnismäßiger Nachteil durch das Unterbleiben der Adoption

Bibliographie

Gericht
OLG Braunschweig
Datum
30.01.1995
Aktenzeichen
2 W 6/95
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 1995, 15925
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGBS:1995:0130.2W6.95.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Braunschweig: - 20.12.1994 - AZ: 8 T 560/94

Fundstelle

  • FamRZ 1997, 513-514 (Volltext mit red. LS)

Prozessführer

der Frau ...

Prozessgegner

a) den ...

b) den ... beide in einer Pflegestelle befindlich,

durch ihren Vormund, ...

In dem Adoptionsverfahren hat der 2. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Braunschweig
durch
den Vizepräsidenten des Oberlandesgericht ...,
den Richter am Oberlandesgericht ... und
den Richter am Amtsgericht ... am 30 Januar 1995
beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluß des Landgerichts Braunschweig vom 20. Dezember 1994 wird zurückgewiesen.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens der weiteren Beschwerde.

Der Beschwerdewert wird auf 5.000,00 DM festgesetzt.

Gründe

1

Die zulässige sofortige weitere Beschwerde (§§ 27, 29 FGG) ist unbegründet.

2

Das Vormundschaftsgericht kann die verweigerte Einwilligung eines Elternteils zur Annahme eines Kindes ersetzen, wenn der Elternteil seine Pflichten gegenüber dem Kind anhaltend gröblich verletzt hat und wenn das Unterbleiben der Annahme dem Kind zu unverhältnismäßigem Nachteil gereichen würde (§ 1748 Abs. 1 Satz 1 BGB). Das Landgericht hat beide vom Gesetz vorgegebenen Voraussetzungen zu Recht bejaht. Die dazu vom Landgericht nunmehr getroffenen tatsächlichen Feststellungen tragen die Entscheidung.

3

Nach den Feststellungen hat die Beschwerdeführerin ihre Kinder monatelang unzulänglich ernährt und gepflegt und die damals noch nicht ein und drei Jahre alten Kinder für längere Zeit sich selbst überlassen, ohne daß bekannt war, wo sie sich aufhielt. Die Kinder sind dadurch in ihrer Entwicklung zurückgeblieben, untergewichtig, mangelernährt und emotional vernachlässigt gewesen. Darin liegt eine anhaltende grobe Verletzung der Verpflichtungen der Beschwerdeführerin ihren Kindern gegenüber. Es kommt nicht darauf an, ob sie ihre Pflichten auch jetzt wieder in gleicher Weise verletzen würde, wenn die Kinder wieder in ihre Obhut kämen. Das Gesetz stellt entgegen einer früheren Fassung nicht darauf ab, daß der Elternteil seine Pflichten "dauernd verletzt", sondern darauf, ob er sie in der Vergangenheit "anhaltend verletzt hat". Daraus ist der Schluß zu ziehen, daß es nach der jetzigen Gesetzesfassung nicht darauf ankommt, ob auch künftige Pflichtverletzungen zu erwarten sind (OLG Hamm, FamRZ 1976 S. 462; Palandt-Diederichsen, 54. Aufl. 1995, § 1748 BGB Rz, 5). Das Landgericht hatte deshalb nicht noch weitergehende Ermittlungen in dieser Hinsicht anzustellen.

4

Auch die weitere Voraussetzung, daß das Unterbleiben der Annahme den Kindern zu unverhältnismäßigem Nachteil gereichen würde, ist gegeben. Die Entscheidung, ob ein Kind ohne Adoption einen unverhältnismäßigen Nachteil erleiden würde, setzt eine Abwägung des Wohles des Kindes gegenüber den Interessen des sich der Adoption widersetzenden Elternteils - unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit - voraus. Dabei bestimmen sich, wie stets bei Prüfungen nach dem Maßstab der Verhältnismäßigkeit, Art. und Ausmaß des Eingriffs - hier also der Adoption - nach dem Ausmaß des Versagens der Eltern sowie danach, was im Interesse des Kindes geboten ist. Ob das Unterbleiben einer Adoption dem Kind zu unverhältnismäßigem Nachteil gereichen würde, hängt demnach entscheidend auch von der Art. des Verhaltens der Eltern, seiner Dauer und seinen Auswirkungen auf die Entwicklung des Kindes im Einzelfall ab (so BGH, FamRZ 1986, S. 460, 462 zu 3).

5

Die Adoption ist im Interesse der Kinder geboten. Das Landgericht hat - gestutzt auf den Bericht des Jugendamts des Landkreises ... vom 12.10.1994, auf den es Bezug genommen hat - festgestellt, daß die Pflegeeltern, die die Kinder annehmen wollen, menschlich und erzieherisch weit überdurchschnittlich geeignet sind, die Kinder als Eltern zu versorgen und zu betreuen und daß die Kinder in der Vorstellung leben, ihre Pflegeeltern seien ihre natürlichen Eltern. In dem Bericht des Jugendamts vom 12.10.1994, auf den das Landgericht sich zur näheren Konkretisierung bezieht, ist dazu ausgeführt, daß die Pflegeeltern den Kindern sehr viel emotionale Zuwendung, Liebe und Beständigkeit geben, die Kinder in der Pflegefamilie, deren Großfamilie und der dörflichen Gemeinschaft fest integriert sind und eine Losung aus diesen Beziehungen ohne nachhaltige schwere seelische Schaden für die Kinder nicht möglich sei.

6

Das Landgericht hat zwar nicht festgestellt, ob die Pflegeeltern auch dann bereit waren, die Kinder weiter zu versorgen, wenn es nicht zur Adoption käme. In der Rechtsprechung wird teilweise die Auffassung vertreten - in letzter Zeit nur vereinzelt (zuletzt OLG Schleswig NJW-RR 1994 S. 585 f.) - daß dies, abhängig von den tatsächlichen Verhältnissen im einzelnen, ein Grund sein kann, die Ersetzung der Einwilligung zu versagen Dieser Auffassung ist jedenfalls für den hier zu beurteilenden Sachverhalt nicht zu folgen. Die Rücksichtnahme auf das Kindeswohl gebietet es, dem Kind das Aufwachsen in Verhältnissen zu ermöglichen, die der leiblichen Eltern - Kind-Beziehung möglichst nahe kommen. Das ist bei einer Adoption mit größerer Sicherheit gewährleistet als bei Aufrechterhaltung eines bestehenden Dauerpflegeverhältnisses. Die Adoption führt zu einer wesentlich weitergehenden Integrierung des Kindes in den Familienverband als die Übernahme eines Kindes zur Pflege. Das Kind hat Anspruch auf rechtliche Klarheit und Sicherheit seiner Beziehungen zu den Pflegeeltern (vgl. OLG Karlsruhe, FamRZ 1990, S. 94 ff [OLG Karlsruhe 15.09.1989 - 11 W 126/89] m.w.N.; BayObLG, DAV 1990, 381 ff). Jedenfalls bei dem hier zu beurteilenden Sachverhalt müssen die Interessen der Kinder an Sicherheit und Verläßlichkeit bei der erforderlichen Abwägung den Wünschen der Beschwerdeführerin gegenüber den Vorrang haben. Da die Beschwerdeführerin ihre Kinder grob vernachlässigt hatte, mußten diese schon als Kleinkinder im Sommer 1991 in Pflege gegeben werden. Die Verhältnisse der Mutter hatten sich auch in der darauf folgenden Zeit nicht stabilisiert. Die Kinder sind der Beschwerdeführerin dadurch vollständig entfremdet, der damals nicht ein Jahr alten Denise ist die Beschwerdeführerin fremd, der damals etwa drei Jahre alte Andre hat nach den Feststellungen des Landgerichts wohl noch eine schwache Erinnerung an sein früheres Leben, sieht aber ebenfalls seine Pflegeeltern als seine natürlichen Eltern an. Schon Besuchskontakte wurden nach dem vom Landgericht zitierten Bericht die Kinder verunsichern und in ihres jetzt gesicherten, festen emotionalen Beziehung stören, insbesondere den psychisch immer noch labilen Andre, und aus dem Gleichgewicht bringen. Da die Beschwerdeführerin - wie sie bei ihrer Anhörung erklärt hat - anstrebt, die Kinder zu sich zu nehmen, wäre ohne Adoption eine erhebliche Verunsicherung der Kinder zu befürchten. Die Ersetzung ist deshalb auch dann zulässig, wenn ein Elternteil sein Fehlverhalten, das zur Entfremdung der Kinder und Aufnahme in eine Pflegefamilie geführt hat, nunmehr ernstlich einsieht und bereit ist, die Kinder bei sich aufzunehmen (Staudinger-R. Frank, 12. Aufl. 1991, § 1748 BGB Rz. 49).

Streitwertbeschluss:

Die Kostenentscheidung beruht auf § 131 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KostO. Der Beschwerdewert ergibt sich aus § 30 Abs. 3 Satz 2 KostO.

Der Beschwerdewert wird auf 5.000,00 DM festgesetzt.