Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 17.11.2000, Az.: 7 B 5491/00

Abschiebehindernis; Ausreisehindernis; Passlosigkeit

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
17.11.2000
Aktenzeichen
7 B 5491/00
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2000, 41264
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Gründe

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Die Entscheidung ergeht durch den Einzelrichter, dem die Kammer den Rechtsstreit gemäß § 6 Abs. 1 VwGO durch Beschluss vom 16.11.2000 zur Entscheidung übertragen hat.

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Der zulässige Antrag der Antragsteller,

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den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihnen Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG entsprechend dem BSHG zu gewähren,

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bleibt ohne Erfolg.

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Im vorliegenden Fall fehlt es bereits an einem zu regelnden Rechtsverhältnis.

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Zwar hält das Gericht den Vortrag des Antragsgegners, ein Widerspruch gegen den Bescheid vom 20.09.2000 sei nicht eingegangen, so dass dieser Bescheid bestandskräftig geworden sei, für nicht überzeugend. Denn das von den Antragstellern vorgelegte Schreiben der Stadt Bad Salzdetfurth vom 10.10.2000 bezieht sich ausdrücklich auf  einen Widerspruch der Antragsteller gegen den Bescheid vom 20.09.2000 und nennt als Begehren die Umstellung der Leistungen nach § 2 AsylbLG. Offensichtlich geht es in diesem Schreiben nicht um eine Stromnachzahlung. Die genannte Zwischennachricht der Stadt belegt damit, dass tatsächlich auch ein Widerspruch der Antragsteller gegen den Bescheid vom 20.09.2000 bei der Stadt eingegangen ist. Letztendlich kommt es hier aber nicht darauf an, ob der Bescheid vom 20.09.2000 bestandskräftig geworden ist oder nicht. Denn dieser Bescheid regelt lediglich die Hilfegewährung für den Monat Oktober 2000. Für diesen Zeitraum kann der Antragsgegner aber nicht rückwirkend im Wege der einstweiligen Anordnung zu Hilfen verpflichtet werden. Das Gericht erkennt in Verfahren wie dem vorliegenden einen Anordnungsanspruch regelmäßig nur bei einer aktuellen Notlage und nicht für die Vergangenheit an (vgl. Beschlüsse der 7. Kammer vom 25.09.2000 - 7 B 4275/00 - und vom 25.10.2000 - 7 B 5115/00 -). Die aktuelle Notlage dokumentiert sich dabei an dem Eingang bei Gericht - hier ab 07.11.2000. Frühestens von diesem Zeitpunkt an könnte - bei Vorliegen der Voraussetzungen - das Gericht den Antragsgegner zu Leistungen verpflichten. Das Gericht versteht das Antragsbegehren der Antragsteller allerdings auch nur so, dass sie erst ab Antragsstellung und nicht rückwirkend Leistungen nach § 2 AsylbLG begehren. Für eine rückwirkende geltend gemachte Forderung ergeben sich aus der Antragsschrift keine Anhaltspunkte.

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Nach alledem wird damit ein Anspruch ab 07.11.2000 geltend gemacht. Für die Zeit ab November 2000 hat die Stadt S. jedoch unter dem 23.10.2000 einen neuen Bescheid erlassen, gegen den (soweit nach Aktenlage feststellbar) bislang kein Widerspruch erhoben wurde. Auch die Antragsteller selbst behaupten nicht, gegen diesen Bescheid ebenfalls Widerspruch eingelegt zu haben. Mangels eines Widerspruches gibt es derzeit indes kein zu regelndes Rechtsverhältnis zwischen den Antragstellern und dem Antragsgegner.

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Daneben ist der Antrag in der Sache - zumindest hinsichtlich der Antragsteller zu 2.) und 3.) - auch unbegründet.

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Eine einstweilige Anordnung kann das Gericht gem. § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO zur vorläufigen Regelung eines streitigen Rechtsverhältnisses dann erlassen, wenn glaubhaft gemacht ist, dass der geltend gemachte Anspruch gegenüber der Antragsgegnerin besteht und ohne eine vorläufige Regelung wesentliche, in § 123 Abs. 1 Satz 2 näher beschriebene Nachteile zu entstehen drohen (§ 123 Abs. 1 und 3 VwGO iVm § 920 Abs. 2 ZPO).

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Im vorliegenden Fall ist es den Antragstellern nicht gelungen, einen Anordnungsanspruch glaubhaft zu machen.

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Nach § 2 Abs. 1 AsylbLG i.d.F. der Bekanntmachung vom 05.08.1997 (BGBl. I S. 2022) ist das Bundessozialhilfegesetz auf Leistungsberechtigte nur dann entsprechend anzuwenden, wenn diese über eine Dauer von insgesamt 36 Monaten, frühestens beginnend am 01.06.1997, Leistungen nach § 3 AsylbLG erhalten haben und wenn ihre Ausreise zum Einen nicht erfolgen kann und zum Anderen aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden können, weil humanitäre, rechtliche oder persönliche Gründe oder das öffentliche Interesse entgegenstehen.

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Andere als die im Gesetz genannten Voraussetzungen muss ein nach dem Asylbewerberleistungsgesetz Berechtigter nicht erfüllen, um in den Genuss von Leistungen nach § 2 AsylbLG zu kommen.

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Soweit sich der Antragsgegner auf den Erlass des Nieders. MI vom 28.04.2000 - VORIS 27 100 01 00 39 002 - beruft, ist festzustellen, dass dieser nicht die gesetzliche Regelung zu ändern geeignet ist. Soweit in dem Erlass zusätzlich zu den Voraussetzungen des § 2 AsylbLG vorausgesetzt wird, dass der Leistungsberechtigte entweder eine Aufenthaltsgestattung nach § 55 Abs. 1 AsylVfG besitzt oder eine Duldung auf der Grundlage des § 55 Abs. 2 AuslG erhalten haben müsse und zugleich die Tatbestandsvoraussetzungen des § 30 Abs. 3 oder 4 AuslG für die Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis erfüllt sein müssten, ohne dass es auf das Vorliegen eines Regel- oder Ermessensversagungsgrundes ankomme, so ist dies zumindest gesetzeskonform auszulegen und, wo dies nicht geht, unbeachtlich. Die vom Erlassgeber vertretene Ansicht, die gesetzliche Regelung weise als Kompromisslösung Lücken auf, vermag das Gericht nicht zu teilen. Wie im Beschluss der Kammer vom 13.07.2000 -7 B 3044/00 - ausgeführt, knüpft die Neufassung des § 2 AsylbLG nicht mehr an § 30 Abs. 3 AuslG an. Für die Annahme weiterer Voraussetzungen fehlt mithin die Grundlage.

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Gleichwohl erfüllen zumindest die Antragsteller zu 2.) und 4.) nicht die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 AsylbLG.

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Soweit der Antragsteller zu 4.) Leistungen nach § 2 AsylbLG begehrt, erfüllt er bereits nicht die zeitliche Voraussetzung des § 2 Abs. 1 AsylbLG und sein Antrag war schon aus diesem Grund abzulehnen. Denn der Antragsteller zu 4.) wurde erst am 24.02.2000 geboren und kann nach alledem noch keine 36 Monate Leistungen nach dem AsylbLG bezogen haben. Die Fristenregelung des § 2 Abs. 1 AsylbLG gilt auch für minderjährige Kinder, die mit ihren - die zeitliche Voraussetzung des § 2 Abs. 1 AsylbLG erfüllenden - Eltern zusammen leben (so schon VG Hannover, Beschl. v. 17.07.2000 - 7 B 3184/00 -). Dies impliziert bereits der Wortlaut des § 2 Abs. 3 AsylbLG. Soweit es dort heißt, minderjährige Kinder "erhalten Leistungen nach Absatz 1 nur, ...", lässt der Wortlaut des Gesetzes klar erkennen, dass neben den Voraussetzungen des Absatzes 3 für eine Leistungsgewährung nach § 2 Abs. 1 AsylbLG auch die Voraussetzungen dieses Absatzes der Gesetzesregelung erfüllt sein müssen (so auch GK-AsylbLG, Stand März 2000, § 2 Rdnr. 214; Nds. OVG, Beschl. v. 31. Mai 1999 - 4 L 1884/99 -, abgedruckt in GK-AsylbLG, a.a.O., VII zu § 2 Abs. 3 Nr. 1). Es lässt sich auch weder in der Regelung des § 2 Abs. 3 AsylbLG noch in der Anwendung dieser Regelung auf den konkreten Fall ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG erkennen. Vielmehr entspricht es dem Gleichheitsgrundsatz, wenn differenziert nach der Dauer des tatsächlichen Aufenthalts im Bundesgebiet auf jede Person die Fristenregelung des § 2 Abs. 1 AsylbLG gesondert angewandt und damit Ungleiches ungleich behandelt wird.

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Zwar haben die Antragsteller zu 1.) bis 3.) demgegenüber nach eigenen Angaben des Antragsgegners schon ab 1995, mithin zwischenzeitlich mehr als drei Jahre lang Leistungen nach dem AsylbLG bezogen, so dass diese Voraussetzung des Gesetzes bei diesen Antragstellern erfüllt ist. Das Gericht hat dabei nicht geprüft, ob die Antragsteller zu 1.) bis 3.) in dieser Zeit möglicherweise zeitweilig reduzierte Leistungen nach § 1 a AsylbLG erhalten haben. Denn das Gericht teilt nicht die im Runderlass des Nds. MI vom 28.04.2000 vertretene Rechtsansicht, wonach Zeiten gekürzter Leistungen nicht bei der Berechnung der Frist des § 2 Abs. 1 AsylbLG zu berücksichtigen sind. Derart eingeschränkte Leistungen sind ebenfalls Leistungen nach § 3 AsylbLG, nur eben im reduzierten Umfang. § 1 a AsylbLG regelt keine gesonderten Leistungen, sondern es wird dort von "Leistungen nach diesem Gesetz" gesprochen. Dass 36 Monate lang ungekürzte Leistungen nach § 3

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AsylbLG gezahlt werden müssen, besagt § 2 Abs. 1 AsylbLG nicht (VG Hannover, Beschl. v. 26.07.2000, - 7 B 2795/00 -; so auch Classen, Asylmagazin 7-8/2000, 31; a.A., Goldmann, ZfF 2000, 121, 125).

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Weiterhin haben die Antragsteller glaubhaft gemacht, dass bei ihnen eine freiwillige Ausreise nicht erfolgen kann, mithin ein (tatsächliches) Ausreisehindernis vorliegt. Denn der Antragsgegner räumt selbst ein, dass die Antragsteller nicht über gültige Reisedokumente verfügen und die im Zusammenhang mit der Rücknahmeerklärung ausgestellten Passersatzpapiere vom Heimatstaat nicht bei einer freiwilligen Ausreise akzeptiert werden. Ob die in § 2 Abs. 1 AsylbLG nach dem Wort "weil" genannten rechtlichen, persönlichen oder humanitären Gründe oder das öffentliche Interesse sich nur auf die Abschiebehindernisse oder zugleich auch auf die Ausreisehindernisse beziehen (so jedenfalls Classen, a.a.O., 32) lässt das Gericht dabei offen. Grammatikalisch wären beide Interpretationen möglich. In diesem Fall kommt es aber letztendlich nicht darauf an. Das Gericht hat in früheren Entscheidungen die Vorschrift allerdings so aufgefasst, dass damit umfassend alle tatsächlichen Ausreisehindernisse erfasst werden. Nach der Interpretation von Classen müsste die Vorschrift einschränkend verstanden werden, weil eben nicht alle tatsächlichen Gründe, sondern nur solche, die in der Vorschrift nach dem Wort "weil" genannt werden, zur Annahme eines Ausreisehindernisses führen würden. Im vorliegenden Fall kommt es aber auf diese Frage nicht an. Verweigert ein Staat aufgrund fehlender Papiere die Einreise, so liegt immer ein rein tatsächliches Hindernis für eine freiwillige Einreise vor. Darüber hinaus ist aus Sicht des Ausländers für ihn deshalb auch gleichzeitig von einem rechtliches Hindernis auszugehen, weil sein Heimatstaat ihm eine Einreise ohne Papiere nicht erlaubt.

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Grundsätzlich kommt es weiterhin nach der Rechtsprechung des Gerichts hinsichtlich des Vorliegens von Ausreisehindernissen - abgesehen von der Frage eines etwaigen Rechtsmissbrauches - nicht darauf an, ob der Ausländer das Ausreisehindernis zu vertreten hat (vgl. etwa Beschl. v. 26.07.2000 - 7 B 2795/00 -, Urt. v. 02.10.2000 - 7 A 3499/00 -; a.A. möglicherweise Classen, a.a.O., 34). Ein etwaiges Verschulden des Ausländers - etwa das Unterlassen eines zumutbaren Antrags auf Ausstellung entsprechender Papiere - kann die die Leistung gewährende Stelle - hier der Antragsgegner - ggf. im Rahmen einer Entscheidung nach § 1 a AsylbLG berücksichtigen. Leistungen nach § 2 AsylbLG in entsprechender Anwendung des BSHG sind nach wie vor Leistungen nach dem AsylbLG und können nach § 1 a dieses Gesetzes eingeschränkt werden (so auch Classen, a.a.O., 34).

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Gleichwohl muss dem Antrag der Erfolg zumindest auch hinsichtlich der Antragsteller zu 2.) und 4.) versagt bleiben. Denn die Antragsteller haben nicht das Vorliegen eines der in § 2 Abs. 1 AsylbLG näher bezeichneten Abschiebehindernisse glaubhaft gemacht. Damit ist bereits ein Anspruch nach § 2 Abs. 1 AsylbLG ausgeschlossen. Die Voraussetzungen, dass keine Ausreise erfolgen kann und dass in der Vorschrift näher bezeichnete Abschiebehindernisse bestehen, müssen nebeneinander vorliegen (vgl. Beschluss vom 13.07.2000 - 7 B 3044/00 - sowie Beschl. v. 17.07.2000 - 7 B 3076/00 -). Während in § 55 AuslG noch von rechtlichen oder tatsächlichen Gründen gesprochen wird, verknüpft § 2 Abs. 1 AsylbLG die tatsächlichen Gründe (Ausreise kann nicht erfolgen) mit den sonstigen Gründen durch das Wort "und".

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Im Beschluss vom 17.07.2000 - 7 B 3076/00 - wurde dazu u.a. zutreffend ausgeführt:

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"Der gegenteiligen Auffassung (vgl. Oestreicher/Schelter/Kunz, BSHG-Kommentar, Stand Oktober 1999, Anhang § 120 Rdnr. 11; Goldmann, a.a.O., S. 126 r.Sp.; auch - entgegen einem Zitat bei Goldmann in Fn. 27 - GK-AsylbLG, a.a.O., Rdnr. 28) ist nicht zu folgen. Soweit diese sich auf den Standpunkt stellt, dass nur eine der Alternativen vorliegen muss, steht dem zunächst der Wortlaut des Gesetzes entgegen. Er verbindet die Voraussetzungen mit dem Wort "und". Allein unter Hinweis auf den Regierungsentwurf des Gesetzes und die Beschlussempfehlung des 14. Ausschusses (BT-Drs. 13/2746 und 13/3720) den Wortlaut des Gesetzes mit der Begründung in sein Gegenteil zu verkehren, dass ein Redaktionsversehen vorliegen müsse, lässt keine anerkannte Regel der Gesetzesauslegung zu. Die Gesetzesmaterialien - in Form der Bundestagsdrucksachen - sind hierzu unergiebig. Zudem lässt sich ebenso gut wenn nicht besser begründen, dass in dem verabschiedeten Gesetzestext beabsichtigt ein "und" anstelle des ursprünglich im Regierungsentwurf enthaltenen "oder" steht. Der Regierungsentwurf fand über einen längeren Zeitraum und trotz einiger Korrekturen in verschiedenen Ausschüssen zunächst keine Mehrheit im Bundesrat. Erst die im Vermittlungsausschuss erarbeitete Fassung wurde verabschiedet. Im Vermittlungsausschuss wurde aber nicht nur hinsichtlich der Alternativen der Ausreise und des Vollzugs aufenthaltsbeendender Maßnahmen aus dem Wort "oder" ein "und". Vielmehr erhöhte der Ausschuss auch die im Regierungsentwurf vorgesehene Fristenregelung für die Anwendung des § 2 AsylbLG von 24 Monaten auf 36 Monate. Jene offenkundige Verschärfung des Regierungsentwurfs dürfte ebenso wie die Korrektur des Wortes "oder" in ein "und" ein bewusstes Zugeständnis an die im Bundesrat vertretenen Länderinteressen gewesen sein.

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Schließlich greift auch die weitere Begründung der hier abgelehnten Auffassung, dass die Verknüpfung beider Tatbestandsmerkmale "keinen rechten Sinn mache", weil bei Vorliegen der Voraussetzungen einer der beiden Alternativen der Aufenthalt des Leistungsberechtigten faktisch nicht beendet werden könne, nicht durch. Zwar ist es richtig anzunehmen, dass im Falle der Unmöglichkeit der freiwilligen Ausreise auch jede Abschiebung scheitert. Andersherum ist jedoch durchaus der Fall denkbar, dass zwar der Vollzug aufenthaltsbeendender Maßnahmen nicht möglich ist, wohl aber eine freiwillige Rückkehr des Ausländers in das Heimatland. Denkbar ist zum Beispiel der Fall, dass es zwar keine direkte Flugverbindung in das Heimatland des Leistungsberechtigten gibt und daran eine Abschiebung scheitert, wohl aber die Möglichkeit der freiwilligen Rückreise auf dem Landweg oder die Flugreise über einen Drittstaat offensteht. Auch die Fallkonstellation ist in Betracht zu ziehen, in denen eine Abschiebung nicht durchgeführt werden kann, weil die zwangsweise Rückführung eines unverfolgt ausgereisten Ausländers für diesen in dessen Heimatland die konkrete Gefahr der Folter oder Verfolgung entstehen ließe, jener Ausländer aber freiwillig zurückreisen könnte."

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Das Gericht verkennt nicht, dass sich danach in wenigen denkbaren Einzelfällen Härten ergeben können. Nämlich dann, wenn etwa trotz intensiver Bemühungen des Ausländers um Nachweis seiner Staatsangehörigkeit und um Reisedokumente sein Heimatstaat grundlos derartige Papiere verweigert und ihn auch nicht ohne derartige Dokumente einreisen lässt, so dass wegen nur tatsächlicher Ausreisehinderungs- und Abschiebegründe der Ausländer quasi unbegrenzt von der Regelung des § 2 AsylbLG ausgenommen bliebe. Derartige Härten können jedoch nur durch Maßnahmen des Ausländerrechts begegnet werden. In derartigen Einzelfällen wird wohl eine Ermessensverdichtung für die zuständige Ausländerbehörde anzunehmen sein, nunmehr zumindest dem Ausländer eine Aufenthaltsbefugnis nach § 30 AuslG zu erteilen, dank derer der Ausländer dann nicht mehr von § 1 AsylbLG erfasst wäre (vgl. Beschl. v. 13.07.2000 - 7 B 3082/00 -).

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Abschiebehindernisse der in § 2 Abs. 1 AsylbLG genannten Art haben die Antragsteller zu 1.) bis 4.) nicht glaubhaft gemacht. Mit Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 01.03.1995 wurden Abschiebehindernisse nach § 51 Abs. 1 AuslG und § 53 AuslG hinsichtlich der Antragsteller zu 1.) und 2.) verneint. Eine Klage dagegen wies das VG Hannover mit Urteil vom 27.09.1995 - 8 A 1867/95 - zurück. Mit dem Beschluss des Nds. OVG Lüneburg vom 24.10.1995 - 7 L 6616/95 - ist diese Entscheidung rechtskräftig geworden. Dass nunmehr gleichwohl Abschiebehindernisse nach den §§ 51 Abs. 1, 53 AuslG vorliegen, ist nicht ersichtlich und wurde von den Antragstellern selbst nicht behauptet. Ihnen aber hätte es in einem Verfahren nach § 123 VwGO oblegen, etwaige neu eingetretene Abschiebehindernisse glaubhaft zu machen. Entsprechendes gilt für Abschiebehindernisse bei den Antragstellern zu 3.) und 4.).

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Die fehlenden Reisedokumente der Antragsteller stellen kein rechtliches Abschiebehindernis für die Ausländerbehörde dar. Die deutschen Gesetze - und nur darauf kommt es an - verbieten eine Abschiebung nicht, wenn ein Reisepass nicht vorhanden ist. Aus rechtlichen Gründen ist eine Abschiebung nur unmöglich, wenn eines der in §§ 51 ff. AuslG geregelten Abschiebehindernisse vorliegt (Hailbronner, AuslR, Loseblattwerk Stand Juli 2000; § 55, Rdnr. 8). Das Fehlen von Reisepapieren kann lediglich eine tatsächliche Unmöglichkeit der Abschiebung zur Folge haben (vgl. VG Hannover, Beschl. v. 12.09.2000 - 3 B 4237/00 -; GK-AuslR, Stand Januar 2000, § 55 AuslG, Rdnr. 41 m.w.N.; Renner, AuslG, 7. Aufl.1999, § 55 Rdnr. 8). Dass Reisedokumente vorliegen müssen, stellt nur eine zwischenstaatlich geltende Voraussetzung dar, auf die sich Drittstaaten im Rechtsverkehr mit der Bundesrepublik Deutschland berufen können oder auch davon absehen können (Hailbronner, a.a.O., m.w.N.; a.A.: Nds. OVG Lüneburg, Beschl. v. 19.09.2000 - 4 M 3107/00 -). Der Beschluss des Nds. OVG Lüneburg vom 19.09.2000 überzeugt nicht. Der Einzelrichter vertritt - wie es auch Auffassung der gesamten Kammer ist - die Ansicht, dass die in § 2 Abs. 1 letzter Halbsatz AsylbLG normierten Gründe in Anlehnung an die Bedeutung derselben Begriffe im Ausländerrecht auszulegen sind (so auch GK-AsylbLG, a.a.O., § 2 Rdnr. 32.1; Deibel, ZAR 1998, S. 28, 34). Aufgrund der Nähe des Asylbewerberleistungsgesetzes zum Ausländergesetz erscheint allein ein entsprechendes Verständnis der Begrifflichkeiten sachgerecht (vgl. auch Beschl. v. 12.10.2000 - 7 B 4330/00 -).

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Unter Zugrundelegung dieses Gesetzesverständnisses lässt sich das Fehlen von Passpapieren nicht als rechtlicher Grund einordnen. Vielmehr werden unter rechtlichen Gründen nur die aus einfachem Gesetzesrecht oder Verfassungsrecht sich ergebenden zwingenden Hindernisse einer freiwilligen und erzwungenen Aufenthaltsbeendigung erfasst (vgl. GK-AsylbLG, a.a.O., § 2 Rdnr. 34; Oestreicher/Schelter/Kunz, a.a.O., Anhang zu § 120 Rdnr. 13). Dass hierunter fehlende Passpapiere nicht zu subsumieren sind, ist einhellige Auffassung im Ausländerrecht (vgl. GK-AuslR, Loseblatt Stand Januar 2000, § 55 Rdnrn. 18 ff., Rdnr. 41; Hailbronner, a.a.O., § 55 Rdnr. 18 c); Renner, a.a.O., § 55 Rdnr. 8). Jedes andere Verständnis im Ausländerrecht würde schließlich am Wortlaut der gesetzlichen Regelung des § 55 Abs. 2 und 4 AuslG vorbeigehen, der zwischen rechtlichen und tatsächlichen Gründen unterscheidet.

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Letztlich stellen die den Antragstellern erteilten Duldungen keinen rechtlichen Grund im Sinne des § 2 Abs. 1 AsylbLG dar. Zwar ist eine erteilte Duldung vor der Durchführung einer Abschiebung zu widerrufen. Jedoch liegt dieser verfahrensrechtlichen Vorgabe nicht das Verständnis zugrunde, dass die Duldung selbst ein Abschiebungshindernis darstellt, sondern erschöpft sich ihre Bedeutung darin, dass jeder - materielle - Grund, der zur Duldungserteilung geführt hat, solange er besteht, eine Abschiebung verhindert. Dies lässt sich auch § 56 Abs. 5 AuslG entnehmen. Nur dieser - materielle - Duldungsgrund kann dementsprechend auch unter § 2 Abs. 1 letzter Halbsatz AsylbLG Berücksichtigung finden (auch GK-AsylbLG, a.a.O. Stand Juni 2000, § 2 Rdnr. 29, stellt auf den zugrunde liegenden Duldungsgrund ab). Da eine Duldung gemäß § 55 Abs. 2 und 4 AuslG auch aus tatsächlichen Gründen ausgesprochen werden kann, würden anderenfalls über die Annahme der Duldung als rechtlichem Abschiebungshindernis tatsächliche Gründe den Tatbestand des § 2 Abs. 1 AsylbLG erfüllen, obwohl dieser sich bei seiner - abschließenden - Aufzählung auf humanitäre, rechtliche und persönliche Hinderungsgründe beschränkt.

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Zwar besteht derzeit hinsichtlich der Antragsteller zu 2.) und 4.) ein tatsächliches Abschiebehindernis, weil der Staat Vietnam eigene Staatsangehörige nur unter bestimmten Voraussetzungen, die bei diesen beiden Antragstellern nicht vorliegen, wieder einreisen lässt. Nur rein tatsächliche Abschiebehindernisse erfüllen aber nicht die Voraussetzung des § 2 Abs. 1 AsylbLG.

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Möglicherweise könnte hier allerdings ein zeitweises rechtliches oder zumindest humanitäres Abschiebehindernis hinsichtlich der Antragsteller zu 1.) und 3.) vorliegen, weil derzeit mangels Rückübernahmeerklärungen für die Antragsteller zu 2.) und 4.) sie nur ohne die beiden letztgenannten Antragsteller nach Vietnam abgeschoben werden könnten und damit eine Trennung der Familie erfolgen würde. Sollten die Antragsteller erneut Widerspruch gegen den Bescheid vom 23.10.2000 - oder einen späteren - einlegen, wird der Antragsgegner dies zu prüfen haben. Zwar führt allein eine getrennt zu erfolgende Abschiebung der Antragsteller nicht automatisch zu einem - wegen Art. 6 GG - rechtlichen oder zumindest doch humanitären Abschiebehindernis. Denn den Antragstellern kann durchaus eine vorübergehende Trennung zugemutet werden (vgl. BVerwG, Beschl. v. 03.08.1985 - 1 B 159/83 -, NVwZ 1985, 50 [BVerwG 03.08.1984 - BVerwG 1 B 159.83]; OVG Saarlouis, Beschl. v. 22.10.1998 - 1 V 26/98 - , zit. n. Juris). Aus den Verwaltungsvorgängen ist aber nicht ersichtlich, weshalb für die Antragstellerin zu 2.) noch keine Rückübernahmeerklärung vorliegt, wann ggf. mit ihr zu rechnen ist und ob und wann dem Antrag auf Erteilung einer Rückübernahmeerklärung hinsichtlich des Antragstellers zu 4.) entsprochen wird. Wird die Abschiebung auch der Antragsteller zu 2.) und 4.) in Kürze möglich sein, so dürfte eine vorübergehende Trennung der Familie zumutbar und für die Antragsteller zu 1.) und 3.) kein Abschiebehindernis anzunehmen sein. Sollte jedoch auf unabsehbare Zeit eine Abschiebung der Antragsteller zu 2.) und 4.) nicht möglich sein, so wäre eine Trennung wohl nicht mehr zumutbar und als Ausfluss von Art. 6 GG ein Abschiebehindernis für die Antragsteller zu 1.) und 3.) anzunehmen. Da der Antrag der Antragsteller zu 1.) und 3.) jedoch bereits wegen eines fehlenden Rechtsverhältnisses abzulehnen war, bedarf es in diesem Verfahren keiner abschließenden Klärung dieser Frage mehr.

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.