Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 26.10.2000, Az.: 7 A 4283/00
Angemessenheit; Ausgabe; Bedarfsberechnung; Einkommen; Einkommensminderung; Glasbruchversicherung; Glasversicherung; Hausratversicherung; Sozialhilfe; Versicherungsbeitrag
Bibliographie
- Gericht
- VG Hannover
- Datum
- 26.10.2000
- Aktenzeichen
- 7 A 4283/00
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2000, 41927
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 76 Abs 2 Nr 3 BSHG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Ein Beitrag zur Glasversicherung ist keine vom Einkommen absetzbare Ausgabe i.S.d. § 76 Abs. 2 Nr. 3 BSHG, auch nicht bei Familien mit Kleinkindern
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Berücksichtigung von Beiträgen für eine Glasversicherung bei der Berechnung seiner Hilfe zum Lebensunterhalt.
Der Kläger und seine Familie erhält von der Beklagten seit Jahren Hilfe zum Lebensunterhalt. Als Einkünfte bezieht der Kläger lediglich Kindergeld.
Der Kläger hat seit 1981 eine Glasversicherung. Soweit feststellbar, hat die Beklagte erst durch ein Schreiben des jetzigen Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 20.10.1997 davon erfahren, dass der Kläger eine Hausrats- und eine Privathaftpflichtversicherung abgeschlossen hat. Von einer Glasversicherung war in diesem Schreiben noch nicht die Rede. Die beiden genannten Versicherungen wurden nach Vorlage entsprechender Rechnungen erstmalig von der Beklagten im Januar 1999 einkommensmindernd berücksichtigt. Die Beklagte unterrichte in diesem Zusammenhang den jetzigen Prozessbevollmächtigten des Klägers davon, dass eine Glasversicherung nicht einkommensmindernd berücksichtigt werden könne. Gleichwohl legte der Kläger im Januar 2000 eine Beitragsrechnung für eine Glasversicherung über 105,00 DM Jahresbetrag, fällig im Januar 2000, der Beklagten vor.
Mit Bescheid vom 09.03.2000 lehnte die Beklagte die Berücksichtigung des Beitrages für die Glasversicherung bei der Bedarfsberechnung ab. Zur Begründung führte sie aus, eine Glasversicherung möge zwar wünschenswert sein, jedoch nicht notwendig. Darüber hinaus sei der Versicherungsbeitrag unangemessen hoch.
Der gegen diesen Bescheid erhobene Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 08.08.2000, zugestellt am 14.08.2000, zurück.
Der Kläger hat am 08.09.2000 Klage erhoben.
Er trägt vor: Die Glasversicherung bestehe seit 1981 und könne nicht ohne weiteres gekündigt werden. Auch habe der Beklagte während des gesamten Zeitraumes des Bezugs von Sozialhilfeleistungen die Versicherungsbeiträge stets anerkannt und erstattet. Aus welchen Gründen die Glasversicherung nun nicht mehr für notwendig erachtet werde, könne nicht nachvollzogen werden. Die Versicherung sei auch für die Beklagte günstig. In einem Schadensfalle brauche der Kläger bei der Beklagten keine Beihilfe für die Ersatzbeschaffung zu beantragen. Im Haushalt des Klägers lebten drei kleine Kinder, so dass eine Glasversicherung von daher besonders notwendig sei. Auch hafte der Kläger für Glasschäden laut Mietvertrag am Fensterglas der Mietwohnung.
Der Kläger beantragt wörtlich,
den Bescheid vom 09.03.2000 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.08.2000 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, antragsgemäß dem Kläger die Beitragskosten für die Glasversicherung zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie erwidert: Der Vortrag des Klägers, dass die Glasversicherung bereits seit Jahren von der Beklagten übernommen worden sei, treffe nicht zu. Im Übrigen würde sich daraus für die Zukunft keine Dauerwirkung herleiten lassen. Aus dem ihr überlassenen Vertrag der Versicherung ergebe sich auch nicht, dass die Versicherung nicht kündbar sei. Sie könne vielmehr drei Monate zum Ablauf eines Kalenderjahres gekündigt werden. Da seit Februar 1999 dem Kläger bekannt gewesen sei, dass die Glasversicherung nicht berücksichtigt werde, hätte zum 01.01.2000 ohne weiteres eine Kündigung erfolgen können. Gründe dafür, dass eine Glasversicherung beim Kläger notwendig sei, seien nicht ersichtlich.
Alle Beteiligten stimmten sowohl der Übertragung der Sache zur Entscheidung auf den Einzelrichter als auch eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zu.
Die Kammer hat die Sache mit Beschluss vom 24.10.2000 auf den Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.
Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Entscheidung ergeht durch den Einzelrichter, dem die Kammer die Sache zur Entscheidung gemäß § 6 VwGO übertragen hat.
Im Einverständnis der Beteiligten ergeht gemäß § 101 Abs. 2 VwGO weiterhin die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung.
Das Gericht versteht das klägerische Begehren dahingehend, dass der Kläger die Beklagte verpflichtet wissen will, bei der Bedarfsberechnung für den Monat Januar 2000 den Versicherungsbeitrag von 105,00 DM einkommensmindernd zu berücksichtigen,
Die so verstandene Klage ist zulässig, jedoch unbegründet.
Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, dass die von ihm abgeschlossene Glasversicherung gemäß § 76 Abs. 2 Nr. 3 BSHG von seinem Einkommen (Kindergeld) abgesetzt wird. Nach der genannten Vorschrift sind von dem Einkommen Beiträge zu privaten Versicherungen abzusetzen, wenn diese Beiträge gesetzlich vorgeschrieben oder nach Grund und Höhe angemessen sind.
Eine Glas- bzw. Glasbruchversicherung ist nicht gesetzlich vorgeschrieben. Eine derartige Versicherung ist auch dem Grunde nach nicht angemessen. Bei der Frage der "Angemessenheit" ist von den objektiven Verhältnissen, d.h. von den bei einer Durchschnittsfamilie ähnlicher Art üblichen und notwendigen Vorkehrungen gegen Risiken des täglichen Lebens, und von den subjektiven Verhältnissen, insbesondere von der Lebenssituation des Hilfesuchenden auszugehen (Schellhorn, Jirasek, Seipp, BSHG, 15. Aufl. 1997, § 76 Rdnr. 38). Es muss sich also um in der arbeitenden Bevölkerung übliche Versicherungsbeiträge handeln, die in vernünftiger Weise ein Risiko absichern, bei dessen Eintritt die weitere Lebensführung außerordentlich belastet wäre (Brühl, in LPK-BSHG, 5. Aufl. 1998, § 76 Rdnr. 28).
Dies ist bei der hier in Rede stehenden Versicherung nicht der Fall. Im Gegensatz zu einer Hausratversicherung, die mittlerweile allgemein üblich und verbreitet ist, ist der zusätzliche Schutz durch eine Glasversicherung, die einen Eigenschaden abdeckt, nicht allgemein in der arbeitenden Bevölkerung üblich. In der Regel erreicht auch die durch eine Glasversicherung abgedeckte Schadenshöhe kein Niveau, bei dessen Eintritt die weitere Lebensführung außerordentlich belastet wäre.
Dass die Sachlage bei dem Kläger ausnahmsweise anders zu sehen ist, hat er nicht vorgetragen.
Es mag zwar durchaus sein, dass - wenn kleine Kinder im Haushalt leben - die Gefahr eines Schadenseintritts höher ist als in Familien ohne Kinder. Dies ist aber nicht nur bei dem Kläger so, sondern trifft auf alle Familien mit kleinen Kindern zu. Es ist durchaus zuzumuten, dass kleine Kinder eben entsprechend beaufsichtigt bzw. Gefahrenquellen beseitigt werden (z.B. dadurch, dass bestimmte Sachen aus Glas außerhalb der Reichweite von kleinen Kindern aufbewahrt werden).
Nach den dem Gericht überlassenen Auszügen aus den Verwaltungsvorgängen der Beklagten hat die Beklagte in der Vergangenheit zuvor die Glasversicherung nicht als angemessen anerkannt und von den Einkünften abgesetzt. Im Übrigen hätte der Kläger seit dem Schreiben der Beklagten vom 10.02.1999 an seinen jetzigen Prozessbevollmächtigten jedenfalls nicht mehr darauf vertrauen können, dass in Zukunft derartige Versicherungsbeiträge anerkannt und vom Einkommen abgesetzt werden. Nach der dem Gericht vorgelegten Kopie des Versicherungsvertrages wurde die Versicherung zwar ab 19.01.1981 geschlossen und zwar auf die Dauer von fünf Jahren. Nach Ablauf der Versicherungsdauer verlängerte sich die Versicherung stillschweigend von Jahr zu Jahr, wenn sie nicht spätestens drei Monate vor Ablauf schriftlich gekündigt wird. Der Kläger hätte damit nach Erhalt des Schreibens vom 10.02.1999 problemlos die Glasversicherung zum Ablauf des Jahres 1999 kündigen können.
Im Übrigen wird gemäß § 117 Abs. 5 VwGO auf die zutreffende Begründung im Widerspruchsbescheid vom 08.08.2000 der Beklagten Bezug genommen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 Satz 1 ZPO.