Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 25.01.2022, Az.: L 14 U 123/17
Anerkennung weiterer Unfallfolgen auf nervenfachärztlichem Gebiet; Bewilligung einer höheren Verletztenrente; Feststellung einer langanhaltenden depressiven Episode
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 25.01.2022
- Aktenzeichen
- L 14 U 123/17
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2022, 25042
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2022:0125.L14U123.17.00
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Hannover - 02.03.2017 - AZ: S 22 U 176/15
Rechtsgrundlagen
- § 8 Abs. 1 SGB VII
- § 56 SGB VII
- § 212 SGB VII
- § 214 Abs. 3 S. 1 SGB VII
- §§ 547 f. RVO
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 2. März 2017 wird zurückgewiesen.
Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Anerkennung weiterer Unfallfolgen auf nervenfachärztlichem Gebiet sowie um die Bewilligung einer höheren Verletztenrente.
Die im Jahre I. geborene Klägerin war seit Juli 1988 als Aushilfe im Unternehmen des bei der Beklagten versicherten Landwirtes J. in K. beschäftigt.
Am 12. September 1988 erlitt die Klägerin bei der Arbeit einen Unfall, als sie beim Kartoffelroden mit ihren Haaren in die Antriebswelle des Kartoffelroders geriet und sich eine Skalpierungsverletzung des rechtsseitigen Schädels zuzog (Unfallanzeige des Arbeitgebers der Klägerin vom 12. September 1988). Sie wurde daraufhin zur Erstversorgung in die Unfallchirurgische Klinik der Medizinischen Hochschule L. (M.) gebracht und von dort im Anschluss zur plastischen Deckung in die Klinik für Plastische, Hand- und Wiederherstellungschirurgie im Krankenhaus N. verlegt (Durchgangsarztbericht des Prof. Dr. O. vom 15. September 1988). Dort wurde zunächst zur Defektdeckung ein freier Latissimus-dorsi-Lappen (sehr breiter Hautlappen des Rückens) transplantiert (Zwischenbericht des Prof. Dr. P. vom 19. Oktober 1988). Im Anschluss erfolgten diverse Korrektur-Operationen (u.a. Zwischenbericht des Dr. Q. vom 23. Mai 1989). Nach dem Zwischenbericht des Prof. Dr. P. vom 16. November 1989 war die Klägerin ab dem 6. November 1989 wieder arbeitsfähig.
Die R. Landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft, eine Rechtsvorgängerin der Beklagten (im Folgenden: Beklagte), holte die fachchirurgischen Gutachten des Prof. Dr. P. vom 26. Februar 1991 (unter Mitarbeit von Dr. S. und Dr. T.) und vom 1. April 1992 (unter Mitarbeit des Dr. U. und des Dr. V.) ein. In letzterem Gutachten kommt Prof. Dr. P. zu der Einschätzung, dass der Klägerin für die Zeit ab dem 6. November 1989 Verletztenrente auf Dauer zu zahlen ist, wobei die Verletztenrente für die Zeit bis zum 29. Oktober 1991 im Hinblick auf die eingeschätzte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) variiert, für die Zeit ab dem 30. Oktober 1991 auf Dauer nach einer MdE um 25 vom Hundert (v.H.) bemessen wird. Daraufhin erkannte die Beklagte mit Bescheid vom 27. Mai 1992 den Unfall der Klägerin vom 12. September 1988 als Arbeitsunfall an und gewährte ihr für die Zeit ab dem 6. November 1989 Verletztenrente auf Dauer, wobei die von ihr der Verletztenrente zugrunde gelegte MdE für die Zeiträume bis zum 15. Juli 1991 variiert und ab dem 16. Juli 1991 eine MdE um 25 v.H. angenommen wurde. Als Unfallfolgen anerkannte sie darüber hinaus aufgrund des vorgenannten Gutachtens “Zustand nach Skalpierungsverletzung mit Asymmetrie von Gesicht und Schädel, Haarverlust von 2/3 des haartragenden Kopfteils, Weichteilüberschuss im Bereich der ehemaligen Hautinsel des transplantierten Latissimus-dorsi-Lappens, fehlende Augenbraue rechts.“ Die Klägerin hat diesen Bescheid nicht angefochten.
Mit Schreiben vom 11. Juni 2013, Eingang bei der Beklagten am 12. Juni 2013, beantragte die Klägerin eine „Erhöhung des Grades der MdE“: Bei ihr lägen Konzentrationsstörungen, ständige Kopfschmerzen, Durchschlafstörungen sowie eine Depression und eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) vor, welche durch die „Gesichtsdeformierung“ verursacht worden seien. Ihrem Antrag legte die Klägerin den Arztbrief der Psychiaterin W. vom 15. April 2013 bei.
Die Beklagte holte daraufhin das unfallchirurgische Gutachten des Prof. Dr. X. vom 11. September 2013 (unter Mitarbeit des Dr. Y. und des Dr. Z.) ein, wonach sich aus unfallchirurgischer Sicht keine wesentliche Änderung ergeben habe. Die MdE sei weiterhin mit 25 v.H. einzuschätzen. Darüber hinaus holte die Beklagte das neurologisch-psychiatrische Gutachten des Dr. AA. vom 11. Oktober 2014 ein, in welchem dieser Gutachter der Klägerin eine schwere, lang anhaltende depressive Episode ohne psychotische Symptome bescheinigte, welche – so dieser Arzt in seinem Gutachten weiter - nicht auf den Arbeitsunfall vom 12. September 1988 zurückgeführt werden könne. Darüber hinaus bestehe der Verdacht auf eine frühere PTBS. Mangels anzuerkennender Unfallfolgen sei auf neurologischem und psychiatrischem Fachgebiet keine MdE festzustellen. Die narbenbedingten Sensibilitätsstörungen seien bereits bei der Einschätzung der auf fachchirurgischem Gebiet bestehenden Unfallfolgen berücksichtigt worden. Dementsprechend bewertete Prof. Dr. X. in seiner Stellungnahme vom 22. Dezember 2014 die für die Klägerin festzustellende unfallbedingte Gesamt-MdE mit 25 v.H.
Mit Bescheid vom 12. Januar 2015 lehnte die Beklagte daraufhin die Gewährung einer höheren Verletztenrente ab, weil sich die dem Bescheid vom 27. Mai 1992 zugrunde liegenden Verhältnisse nicht wesentlich geändert hätten. Der hiergegen erhobene Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 15. Juni 2015).
Die Klägerin hat gegen diesen ihrer Prozessbevollmächtigten am 10. Juli 2015 zugegangenen Widerspruchsbescheid am 22. Juli 2015 Klage beim Sozialgericht (SG) Hannover erhoben und ihr bisheriges Vorbringen bekräftigt. Sie hat die Ansicht vertreten, ab Antragstellung einen Anspruch auf Verletztenrente nach einer MdE um mindestens 40 v.H. zu haben. Entgegen der Auffassung der Beklagten seien die bei ihr auf nervenfachärztlichem Gebiet bestehenden Gesundheitsstörungen als Unfallfolgen anzuerkennen. Auch leide sie an einer unfallbedingten PTBS.
Demgegenüber hat die Beklagte die angefochtenen Bescheide unter Hinweis auf die beratungsärztliche Stellungnahme des Dr. AA. vom 6. Juli 2016 verteidigt.
Das SG Hannover hat das Gutachten der Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie AB. vom 8. Februar 2016 nebst deren ergänzenden Stellungnahmen vom 14. März und 2. Mai 2016 eingeholt. Diese Sachverständige ist in ihrem Gutachten der Auffassung, dass die Klägerin infolge des Arbeitsunfalls vom 12. September 1988 an einer PTBS und einer lang anhaltenden depressiven Episode leide, welche gemeinsam mit den auf chirurgischem Fachgebiet anerkannten Unfallfolgen eine MdE um 40 v.H. bedingten.
Mit Urteil vom 02. März 2017 hat das SG Hannover die Klage abgewiesen und seine Entscheidung im Wesentlichen damit begründet, dass keine wesentliche Änderung im Sinne des § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) eingetreten sei. Die bei der Klägerin bestehenden psychischen Beschwerden seien entweder nicht unfallabhängig oder hätten schon unmittelbar nach dem Arbeitsunfall vom 12. September 1988 und damit auch zum Zeitpunkt des Erlasses des „Vergleichsbescheides“ vom 27. Mai 1992 vorgelegen. Hier erscheine es sinnvoll, ein Überprüfungsverfahren nach § 44 SGB X durchzuführen, das aufgrund des entsprechenden Antrages der Klägerin im Termin am 2. März 2017 auch schon in die Wege geleitet worden sei.
Die Klägerin hat gegen das ihr am 5. April 2017 zugestellte Urteil am 4. Mai 2017 Berufung eingelegt und ihr bisheriges Vorbringen bekräftigt.
Die Klägerin beantragt,
1. das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 2. März 2017 sowie den Bescheid der Beklagten vom 12. Januar 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Juni 2015 aufzuheben,
2. festzustellen, dass die Gesundheitsstörungen „posttraumatische Belastungsstörung, lang anhaltende depressive Episode“ Folgen des Arbeitsunfalls vom 12. September 1988 sind,
3. die Beklagte zu verurteilen,
ihr ab Antragstellung Verletztenrente in Höhe von mindestens 40 v. H. der Vollrente zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung des SG Hannover für zutreffend.
Der Senat hat das Gutachten des Facharztes für Neurologie, Psychiatrie, Psychotherapie, Sozialmedizin und Rehabilitationswesen AC. vom 30. September 2021 eingeholt. Dieser Sachverständige ist der Auffassung, dass bei der Klägerin eine wiederkehrende depressive Störung, derzeit leicht bis mittelschwere depressive Episode, vorliegt. Diese Gesundheitsstörung sei nicht auf den Arbeitsunfall der Klägerin vom 12. September 1988 zurückzuführen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des übrigen Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Prozessakten und der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen, die der Entscheidungsfindung des Senats zugrunde gelegen haben.
Entscheidungsgründe
Die gemäß §§ 143 f. Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Berufung ist nicht begründet. Das Urteil des SG Hannover ist im Ergebnis nicht zu beanstanden. Der Bescheid der Beklagten vom 12. Januar 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Juni 2015 ist rechtmäßig. Weder kann der Senat feststellen, dass die Gesundheitsstörungen „PTBS, lang anhaltende depressive Episode“ Folgen des Arbeitsunfalls der Klägerin vom 12. September 1988 sind, noch hat die Klägerin ab Antragstellung einen Anspruch auf Gewährung einer Verletztenrente nach einer MdE um mehr als 25 v.H.
Der Antrag auf Feststellung der Gesundheitsstörungen „PTBS, lang anhaltende depressive Episode“ als Unfallfolgen ist gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG zulässig, jedoch nicht begründet. Zwar liegt ein Arbeitsunfall am 12. September 1988 unstreitig vor. Neben den bereits mit Bescheid der Beklagten vom 27. Mai 1992 anerkannten Unfallfolgen auf chirurgischem Fachgebiet sind jedoch keine weiteren Gesundheitsstörungen auf nervenfachärztlichem Gebiet als Unfallfolgen anzuerkennen.
Nach den §§ 212, 214 Abs. 3 Satz 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Unfallversicherung - (SGB VII) richtet sich die Anerkennung von Unfallfolgen und eines darauf beruhenden Anspruchs auf Verletztenrente vorliegend nach den Vorschriften der §§ 547 ff. Reichsversicherungsordnung (RVO). Nach § 212 SGB VII ist das SGB VII auf Versicherungsfälle anwendbar, die nach dem Inkrafttreten des SGB VII, d.h. nach dem 1. Januar 1997 eingetreten sind. In Ausnahme hierzu bestimmt § 214 Abs. 3 Satz 1 SGB VII, dass die Vorschriften des SGB VII über Renten auch für Versicherungsfälle gelten, die vor dem 1. Januar 1997 eingetreten sind, wenn die Rentenleistungen nach dem 1. Januar 1997 erstmals festzusetzen sind. Maßgeblich ist, wann materiell-rechtlich der Anspruch entstanden ist, d.h. wann dessen Voraussetzungen erfüllt sind und die Versicherte einen Anspruch auf die Feststellung des Leistungsrechts hat (Bundessozialgericht – BSG -, Urteile vom 26. Oktober 2017 – B 2 U 6/16 R -, Rz. 18 sowie vom 21. September 2010 – B 2 U 3/10 R -, beide in Juris). Danach sind hier die Vorschriften der RVO anzuwenden. Nach der bindenden Feststellung der Beklagten in ihrem Bescheid vom 27. Mai 1992 hat die Klägerin am 12. September 1988 einen Arbeitsunfall erlitten und bezieht aufgrund dieses Arbeitsunfalls seit dem 6. November 1989 und damit seit vor Inkrafttreten des SGB VII am 1. Januar 1997 eine Verletztenrente.
Nach § 547 RVO gewährt der Träger der Unfallversicherung nach Eintritt des Arbeitsunfalls nach Maßgabe der Vorschriften der RVO Leistungen, insbesondere Verletztenrente. Die Versicherten haben einen Anspruch auf Feststellung einer Unfallfolge, wenn ein Gesundheitsschaden durch den Gesundheitserstschaden eines Versicherungsfalls rechtlich wesentlich verursacht wird (vgl. BSG, Urteil vom 26. Oktober 2017 – B 2 U 6/16 R -, Rz. 19 m.w.N., Juris). Etwas anderes würde sich im Übrigen auch bei Zugrundelegung der Vorschriften des SGB VII nicht ergeben, da im Hinblick auf die Anerkennung von Unfallfolgen keine Rechtsänderungen zwischen der bis zum 31. Dezember 1996 geltenden RVO und dem ab dem 1. Januar 1997 geltenden Recht des SGB VII festzustellen sind (so auch Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 19. November 2009 – L 2 U 342/06 -, Rz. 31, Juris).
Nachgewiesene Gesundheitsstörungen sind als zusätzliche Folgen des Arbeitsunfalls anzuerkennen, wenn zwischen dem Unfallereignis und ihnen entweder direkt oder vermittelt durch den Gesundheitserstschaden ein Ursachenzusammenhang im Sinne von § 548 RVO besteht (vgl. zur Parallelvorschrift des § 8 Abs. 1 SGB VIIBSG, Urteil vom 09. Mai 2006 - B 2 U 1/05 R -, Juris). Während die geltend gemachte Unfallfolge im Sinne des sogenannten Vollbeweises feststehen, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit belegt sein muss, gilt für die Beurteilung des Kausalzusammenhangs zwischen dem Arbeitsunfall und ihr der Beweismaßstab der hinreichenden Wahrscheinlichkeit. Sie liegt vor, wenn bei vernünftiger Abwägung aller Umstände mehr für als gegen den Ursachenzusammenhang spricht und ernste Zweifel ausscheiden, so dass darauf die richterliche Überzeugung gegründet werden kann (ständige Rechtsprechung, z. B. BSG, Urteile vom 6. April 1989 – 2 RU 69/87 – und vom 2. Februar 1978 – 8 RU 66/77 -, Juris). Die Feststellung des Ursachenzusammenhangs erfolgt nach der im Sozialrecht geltenden Theorie der wesentlichen Bedingung (vgl. BSG, Urteil vom 17. Februar 2009 - B 2 U 18/07 R -, Juris Rz. 12). Danach ist nur diejenige Bedingung rechtlich erheblich, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Eintritt des geltend gemachten Gesundheitsschadens „wesentlich“ beigetragen hat. Nicht jede Gesundheitsstörung, die im naturwissenschaftlichen Sinne durch das Unfallereignis beeinflusst worden ist, ist auch rechtlich dessen Folge, sondern nur diejenige, die „wesentlich“ durch das Ereignis verursacht worden ist. Welche Ursache wesentlich ist und welche nicht, ist aus der Auffassung des praktischen Lebens über die besonderen Beziehungen der Ursache zum Eintritt des Gesundheitsschadens abzuleiten. Gesichtspunkte für die Beurteilung der besonderen Beziehung der Ursache zum Erfolg sind z. B. die Art und das Ausmaß der Einwirkung, die konkurrierenden Ursachen, die gesamte Krankengeschichte und ergänzend der Schutzzweck der Norm. Die bloße Möglichkeit einer Verursachung genügt hingegen nicht (vgl. BSG, Urteil vom 2. April 2009 - B 2 U 29/07 R -, Juris Rz. 16). Dabei ist die Beurteilung der Kausalität im Ergebnis eine Frage der richterlichen Würdigung. Wesentlich verursacht sind die Gesundheitsstörungen, wenn der Unfall gegenüber sonstigen schädigungsfremden Faktoren wie z. B. Vorerkrankungen nach der medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung von überragender Bedeutung für die Entstehung der Gesundheitsstörung war oder zumindest von annähernd gleichwertiger Bedeutung (wesentliche Mitursache).
Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben ist der Senat der Auffassung, dass bei der Klägerin keine weitere Unfallfolge anzuerkennen ist, weil die von ihr auf nervenfachärztlichem Gebiet geltend gemachten Gesundheitsstörungen „PTBS, lang anhaltende depressive Episode“ entweder nicht im Vollbeweis nachgewiesen sind (PTBS) oder nicht mit der im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung notwendigen hinreichenden Wahrscheinlichkeit auf den Arbeitsunfall vom 12. September 1988 zurückgeführt werden können (lang anhaltende depressive Episode). Der Senat stützt seine Entscheidung auf das Gutachten des Nervenarztes AC. vom 30. September 2021. Dieser Sachverständige hat nach umfangreicher ambulanter Untersuchung der Klägerin unter Zuhilfenahme eines Dolmetschers für die kurdische Sprache sowie der vorliegenden Prozess- und Verwaltungsakten für den Senat überzeugend ausgeführt, dass die von der Klägerin als Unfallfolge geltend gemachte PTBS nicht im notwendigen Umfang des Vollbeweises nachgewiesen ist. Zwar erfülle das von der Klägerin geschilderte Unfallereignis vom 12. September 1988 in seiner Eigenart und Schwere unzweifelhaft das für die Annahme einer PTBS geforderte A-Kriterium. Allerdings seien trotz einer Vielzahl von ärztlichen Kontakten in Zusammenhang mit den diversen Hautoperationen der Klägerin nach dem Arbeitsunfall zu keinem Zeitpunkt psychische Beeinträchtigungen dokumentiert. Erst 25 Jahre nach dem Arbeitsunfall habe die Klägerin sich bei der Psychiaterin Bruns in Behandlung gegeben, so dass die nach der herrschenden unfallmedizinischen Auffassung geforderten Brückensymptome einer PTBS bei der Klägerin nicht belegt seien. Darüber hinaus habe die Klägerin im Rahmen der aktuellen Untersuchung auch keine geeigneten PTBS-Symptome (Flashbacks oder Vermeidungsverhalten) beschrieben. Weiterhin habe die Klägerin im Rahmen der Untersuchung nicht die nach einem erlittenen PTBS typische Decrescendo-Entwicklung geschildert, sondern vielmehr einen Crescendoverlauf beschrieben, den sie allerdings mit unfallunabhängigen Ereignissen (Tod des Ehemannes im Jahre 2004 und Auszug aller vier Kinder aus dem gemeinsamen Haus innerhalb eines Jahres) begründet habe. Da auch die Konsistenzprüfung (auffallende Befunde in der Beschwerdevalidierung) Zweifel am Vorliegen einer PTBS begründet hätten, sei diese Erkrankung nicht im Vollbeweis gesichert.
Demgegenüber sei bei der Klägerin eine wiederkehrende depressive Störung, derzeit leicht bis mittelschwere depressive Episode, (im Vollbeweis) zu diagnostizieren. So seien auch in dem zum Arbeitsunfall am 12. September 1988 zeitnächsten vorliegenden Befundbericht der Psychiaterin W. vom 14. Mai 2013 primär depressive Beeinträchtigungen dokumentiert. Auch zum Untersuchungszeitpunkt habe die Klägerin im psychischen Befund durchaus etwas belastet gewirkt. Zwischen dieser nervenärztlichen Erkrankung und dem Arbeitsunfall im Jahre 1988 sei ein Zusammenhang durchaus möglich, jedoch wegen der bereits oben genannten fehlenden Dokumentation von Brückensymptomen über einen Zeitraum von mehr als 2 Jahrzehnten nicht hinreichend wahrscheinlich. Der Senat hält die Einschätzung dieses Sachverständigen für überzeugend, denn sie stimmt mit der herrschenden unfallmedizinischen Meinung überein (vgl. allgemein zu den Grundlagen der Zusammenhangsbeurteilung bei psychischen Störungen Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Aufl., S. 163 ff.). Hiermit übereinstimmend konnte auch Dr. AA. in seinem neurologisch-psychiatrischen Gutachten vom 11. Oktober 2014 für die Klägerin kein PTBS im Vollbeweis feststellen, wobei er die für die Klägerin diagnostizierte depressive Episode – damals als schwere, lang anhaltende depressive Episode eingeschätzt – nicht auf den Arbeitsunfall der Klägerin vom 12. September 1988, sondern auf ihre familiäre Verlustsituation (Tod des Ehemannes, Auszug aller vier Kinder innerhalb eines Jahres aus dem Haus) zurückgeführt hat.
Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht unter Berücksichtigung der von der Psychiaterin AB. in ihrem Gutachten vom 8. Februar 2016 getroffenen Einschätzung, soweit diese Ärztin für die Klägerin eine PTBS und eine lang anhaltende depressive Episode diagnostiziert und diese Erkrankungen auf deren Arbeitsunfall am 12. September 1988 zurückgeführt hat. Insoweit hat der Sachverständige AC. in seinem Gutachten vom 30. September 2021 für den Senat plausibel darauf hingewiesen, dass diese Ärztin bei der Erstellung ihres Gutachtens die herrschende unfallmedizinische Meinung nicht beachtet habe, der Erstellung ihres Gutachtens die aktuellen Leitlinien zur Begutachtung bei Kausalitätsfragen im Sozial-, Zivil- und Verwaltungsrecht (AWMF-Register Nr. 051-029) nicht zugrunde gelegt habe. So gründe deren Einschätzung lediglich auf hypothetischen Annahmen. Die nach den vorgenannten Leitlinien zwingend vorgeschriebene Plausibilitätsprüfung hinsichtlich der von der Klägerin bei der Untersuchung geäußerten Beschwerden habe diese Sachverständige nicht vorgenommen.
Festzuhalten bleibt, dass die von der Klägerin geltend gemachte PTBS nicht im Vollbeweis belegt ist und die bei ihr im Vollbeweis nachgewiesene depressive Episode nicht hinreichend wahrscheinlich auf den Arbeitsunfall vom 12. September 1988 zurückgeführt werden kann. Welche Gründe dazu geführt haben, dass die psychischen Beschwerden der Klägerin in der Vergangenheit möglicherweise nicht ausreichend dokumentiert worden sind, haben – anders als die Klägerin in ihrem Schreiben vom 17. November 2021 offenbar meint – keinen Einfluss auf die vorgenannte Einschätzung.
Hat die Klägerin aus den vorgenannten Gründen keinen Anspruch auf die Feststellung weiterer Unfallfolgen, muss es auch bei der ihr seit dem 16. Juli 1991 bewilligten Verletztenrente nach einer Gesamt-MdE um 25 v.H. bleiben. Zwar ist der Senat entgegen der Auffassung des SG Hannover in seinem angefochtenen Urteil vom 2. März 2017 der Meinung, dass im vorliegenden Rechtsstreit der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch auch nach § 44 SGB X geprüft werden kann, da der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 12. Januar 2015 gemäß § 43 SGB X umgedeutet werden könnte. Allerdings führte eine entsprechende Umdeutung zu keinem anderen Ergebnis, weil vorliegend weder die Voraussetzungen des § 48 SGB X noch die des § 44 SGB X gegeben sind. Ein Anspruch der Klägerin scheitert – wie oben ausgeführt - nach beiden Anspruchsgrundlagen daran, dass für die Klägerin keine weiteren Unfallfolgen auf nervenfachärztlichem Gebiet anzuerkennen sind und die für sie bereits mit Bescheid vom 27. Mai 1992 anerkannten Unfallfolgen keine MdE um mehr als 25 v.H. bedingen: So hat Prof. Dr. X. in seinem fachchirurgischen Gutachten vom 11. September 2013 nach ambulanter Untersuchung der Klägerin noch einmal festgestellt, dass die für die Klägerin auf chirurgischem Fachgebiet anerkannten Unfallfolgen weiterhin mit einer MdE um 25 v.H. (nach § 580 RVO) einzuschätzen sind. Darüber hinaus hat die Klägerin im Hinblick auf die anerkannten Unfallfolgen keine Verschlimmerung behauptet, sondern während des gesamten Verfahrens die Gewährung einer höheren Verletztenrente allein aufgrund der nach ihrer Ansicht zusätzlich anzuerkennenden Unfallfolgen auf nervenfachärztlichem Gebiet verlangt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.