Verwaltungsgericht Stade
Urt. v. 17.12.1997, Az.: 1 A 753/97

Bewilligung der laufenden Kosten für eine Assistenz; Zuständigkeit der Hauptfürsorgestelle für die begleitende Hilfe im Berufsleben; Leistungen an Arbeitgeber aus der Schwerbehinderten-Ausgleichsabgabe; Fördermaßnahmen für die umfassend Hilfe bedingter Nachteile

Bibliographie

Gericht
VG Stade
Datum
17.12.1997
Aktenzeichen
1 A 753/97
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1997, 16547
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGSTADE:1997:1217.1A753.97.0A

Verfahrensgegenstand

Schwerbehindertenrecht

Redaktioneller Leitsatz

  1. 1.

    Die Hauptfürsorgestelle kann im Rahmen ihrer Zuständigkeit für die begleitende Hilfe im Arbeits- und Berufsleben aus den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln auch Geldleistungen an Schwerbehinderte und an Arbeitgeber gewähren. Dabei kann es u.a. um technische Arbeitshilfen, um Leistungen in besonderen behindertenbedingten Lebenslagen und auch um Leistungen bei außergewöhnlichen Belastungen gehen.

  2. 2.

    Ein Anspruch auf Leistungen nach der SchwbAV besteht grundsätzlich nicht uneingeschränkt, zumal die für die anspruchsberechtigten Schwerbehinderten zur Verfügung stehenden Mittel der Höhe nach begrenzt sind. Das Schwerbehindertenrecht hat nicht die Aufgabe, einem Schwerbehinderten in jeder Lebenslage umfassend Hilfe zum Ausgleich behinderungsbedingter Nachteile zu leisten. Vielmehr ist der Gesetzeszweck bereits erreicht, wenn überhaupt Fördermaßnahmen erfolgen, die sich als begleitende Hilfe im Arbeits- und Berufsleben darstellen.

In der Verwaltungsrechtssache hat
die 1. Kammer des Verwaltungsgerichts Stade
auf die mündliche Verhandlung vom 17. Dezember 1997
durch
den Präsidenten des Verwaltungsgerichts Schmidt,
den Richter am Verwaltungsgericht Steffen,
den Richter am Verwaltungsgericht Fahs sowie
die ehrenamtlichen Richter ... und ...
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt die Bewilligung der laufenden Kosten für eine Arbeitsassistenz.

2

Er betreibt eine Praxis als Rechtsanwalt und Notar in ... Wegen einer hochgradigen Sehbehinderung ist ihm ein Grad der Behinderung von 100 zuerkannt worden. Bei Gründung der Kanzlei im Jahre 1983 gewährte das beklagte Amt dem Kläger ein Darlehen in Höhe von 20.000,- DM gemäß § 21 SchwbAV. Des weiteren ist ihm im Jahre 1993 durch das beklagte Amt eine Beihilfe zur behinderungsgerechten Ausstattung eines Arbeitsplatzes bis zur Höhe von 145.342,40 DM gewährt worden. Diese Leistung war zweckgebunden für die Beschaffung eines stationären sowie eines portablen PC-Systems und von Software. Zusätzlich hat der Kläger ein zinsloses Darlehen in Höhe von 153.500,- DM als Wohnungsbauhilfe erhalten. Mit Schreiben vom 29. September 1995 beantragte der Kläger die Übernahme der Kosten, die durch die Einstellung einer Mitarbeiterin als Arbeitsplatzassistentin bzw. Vorlesekraft entstehen, also das laufende Gehalt zuzüglich der Sozialversicherungsabgaben. Zur Begründung verwies der Kläger auf seine hochgradige Sehbehinderung, die die Einstellung dieser Mitarbeiterin zur Ausübung der freiberuflichen Tätigkeit als Rechtsanwalt und Notar erforderlich mache. Das beklagte Amt lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 26. Januar 1996 ab unter Hinweis auf § 31 Abs. 3 Ziffer 2 b des SchwbG i.V.m. § 27 Abs. 1 der Schwerbehinderten-Ausgleichsabgabe-Verordnung (SchwbAV). Hierbei sei berücksichtigt worden, daß der Kläger bereits eine umfangreiche Arbeitsplatzausstattung bewilligt bekommen habe, mit deren Hilfe er in die Lage versetzt worden sei, fast eigenständig zu arbeiten. Eine Vorlesekraft/Arbeitsplatzassistentin sei zwar hilfreich, im Falle des Klägers aber nicht zwingend erforderlich, da in seiner Anwaltskanzlei mehrere Mitarbeiter/Mitarbeiterinnen tätig seien, die ihm ständig zur Verfügung stünden. Eine außergewöhnliche Belastung sei daher nicht zu erkennen. Der Kläger erhob gegen diesen Bescheid mit Schreiben vom 5. Februar 1996 Widerspruch und verwies darauf, daß die in dem angefochtenen Bescheid herangezogenen gesetzlichen Bestimmungen in seinem Fall nicht einschlägig seien, da er die Arbeitsplatzassistentin für seine eigene berufliche Tätigkeit benötige. Zwar sei die technische Ausrüstung seines Arbeitsplatzes sehr hilfreich, eine völlig eigenständige Tätigkeit sei ihm wegen seiner Sehbehinderung gleichwohl nicht möglich. Die Assistentin benötige er zumindest halbtägig.

3

Mit Widerspruchsbescheid vom 16. April 1997 wies das beklagte Amt den Widerspruch des Klägers gegen die Entscheidung der Hauptfürsorgestelle als unbegründet zurück. Darin ist u.a. ausgeführt, daß die Notwendigkeit der begehrten Maßnahme nicht gesehen werde. Auch sei zu berücksichtigen, daß der Kläger bereits bei Gründung seiner Kanzlei ein Darlehen in Höhe von 20.000,- DM bekommen habe. Eine Existenzgefährdung seiner Praxis bestehe nicht. Diese wäre aber Voraussetzung für eine Leistung nach § 25 SchwbAV.

4

Am 14. Mai 1997 hat der Kläger Klage erhoben, mit der er geltend macht: Er sei zur Ausübung seiner Tätigkeit als Rechtsanwalt und Notar auf eine Assistentin angewiesen, um sich Akten und juristische Literatur vorlesen zu lassen. Ebenso benötige er eine Begleitung zu gerichtlichen Terminen. Diesen Antrag habe das beklagte Amt ermessensfehlerhaft abgelehnt. Die Vorschrift des § 27 SchwbAV habe der Beklagte überhaupt nicht geprüft. Allein dieser Umstand stelle einen Ermessensfehler dar. Es sei zu berücksichtigen, daß die aufzuwendenden Leistungen für die erforderliche Assistentin dem Kläger als Schwerbehinderten im Vergleich zu Nichtbehinderten unzumutbar belasteten. Auch sei § 25 SchwbAV einschlägig, da nach dieser Vorschrift erforderliche andere Leistungen erbracht werden könnten. Es treffe zwar zu, daß ein Großteil der vorhandenen Literatur heute mit Hilfe technischer Geräte ausgewertet werden könne. Zum Aktenstudium und das Nachschlagen in Kommentaren sei aber nach wie vor eine Hilfskraft unentbehrlich. Dies gelte besonders dann, wenn in Gerichtsterminen schnell etwas nachgeblättert werden müsse. Im übrigen sei darauf hinzuweisen, daß blinden Juristen, die als Arbeitnehmer tätig seien, in der Regel eine Arbeitsassistenz gestellt werde. Selbständige stünden aber Arbeitnehmern insoweit gleich.

5

Der Kläger beantragt,

das beklagte Amt zu verpflichten, über den Antrag des Klägers auf Bewilligung der Kosten für eine Assistenzkraft aus Mitteln der Schwerbehindertenausgleichsabgabe unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden und den Bescheid vom 26. Januar 1996 sowie den Widerspruchsbescheid vom 16. April 1997 aufzuheben.

6

Das beklagte Amt beantragt,

die Klage abzuweisen.

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Es führt hierzu aus:

8

Es sei einzuräumen, daß auch Selbständigen Schwerbehindertenleistungen nach Maßgabe von § 27 SchwbAV gewährt werden könnten. Im Falle des Klägers fehle es jedoch an der Notwendigkeit einer solchen Maßnahme. Zum einen sei der Arbeitsplatz des Klägers bereits technisch so ausgestattet, daß dem Kläger die Tätigkeit als Rechtsanwalt und Notar trotz der vorhandenen Behinderung möglich sei. Zwar könnten nach § 21 SchwbAV auch weitere Hilfen zur Sicherung der Selbständigkeit gewährt werden, wozu auch laufende Leistungen zählten. Voraussetzung hierfür sei aber in jedem Falle, daß die berufliche Existenz gefährdet sei. Diesen Aspekt habe der Kläger nicht angesprochen, und hierfür sei auch nichts ersichtlich.

9

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten und die vorgelegten Verwaltungsvorgänge ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage hat keinen Erfolg.

11

Der Kläger kann die von ihm begehrte Neubescheidung seines Antrages auf Bewilligung einer Arbeitsplatzassistenz aus Mitteln der Ausgleichsabgabe nicht beanspruchen. Das beklagte Amt hat den Antrag des Klägers zu Recht abgelehnt, weil die Voraussetzungen nach den Bestimmungen der SchwbAV nicht erfüllt sind. Dies ergibt sich aus folgendem:

12

§ 31 SchwbG beschreibt im einzelnen die Aufgaben der Hauptfürsorgestelle. Nach Abs. 3 kann die Hauptfürsorgestelle im Rahmen ihrer Zuständigkeit für die begleitende Hilfe im Arbeits- und Berufsleben aus den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln auch Geldleistungen gewähren. Dabei handelt es sich bei § 31 SchwbG um eine reine Zuständigkeitsregelung, aus der sich jedoch ablesen läßt, zu welchen Zwecken Geldleistungen an Schwerbehinderte gewährt werden können. Im einzelnen sind die Bestimmungen der 2. Verordnung zur Durchführung des Schwerbehindertengesetzes (Schwerbehinderten-Ausgleichsabgabe-Verordnung - SchwbAV -) vom 28. März 1988 (BGBl. I, S. 484) maßgeblich. Nach § 17 SchwbAV können Leistungen zur begleitenden Hilfe im Arbeits- und Berufsleben an Schwerbehinderte und an Arbeitgeber erbracht werden. Dabei kann es u.a. um technische Arbeitshilfen, um Leistungen in besonderen behindertenbedingten Lebenslagen und auch um Leistungen bei außergewöhnlichen Belastungen gehen (§§ 19 ff. SchwbAV). Die Leistungsvoraussetzungen sind in § 18 SchwbAV bestimmt. Dabei gilt zum einen in § 18 Abs. 1 ein Subsidiaritätsprinzip bezüglich Leistungen für denselben Zweck, die von anderen erbracht werden. Darüber hinaus bestimmen § 18 Abs. 2 und 3 SchwbAV folgendes:

"Abs. 2
Leistungen an Schwerbehinderte zur begleitenden Hilfe im Arbeits- und Berufsleben können erbracht werden,

1.
wenn die Eingliederung in das Arbeits- und Berufsleben auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter Berücksichtigung von Art und Schwere der Behinderung auf besondere Schwierigkeiten stößt und durch die Leistungen ermöglicht, erleichtert oder gesichert werden kann und

2.
wenn es dem Schwerbehinderten wegen des behinderungsbedingten Bedarfs nicht zuzumuten ist, die erforderlichen Mittel selbst aufzubringen. In den übrigen Fällen sind seine Einkommensverhältnisse zu berücksichtigen.

Abs. 3
Die Leistungen können als einmalige oder laufende Leistungen erbracht werden. Laufende Leistungen können in der Regel nur befristet erbracht werden. Leistungen können wiederholt erbracht werden."

13

Diese Voraussetzungen sind in der Person des Klägers nicht erfüllt. Dabei kann offenbleiben, welche Anspruchsgrundlage im einzelnen maßgeblich wäre, also ob die §§ 21, 25 oder 27 SchwbAV im Falle des Klägers heranzuziehen wären. Denn die in § 18 SchwbAV genannten Leistungsvoraussetzungen gelten umfassend. Danach ist zu beachten, in welchem Umfange bereits Fördermaßnahmen zur Eingliederung in das Arbeits- und Berufsleben erbracht worden sind. Denn ein Anspruch auf Leistungen nach der SchwbAV besteht grundsätzlich nicht uneingeschränkt, zumal die für die anspruchsberechtigten Schwerbehinderten zur Verfügung stehenden Mittel der Höhe nach begrenzt sind. Im Falle des Klägers sind in der Vergangenheit umfangreiche Fördermaßnahmen erbracht worden, um dem Kläger die Begründung und Aufrechterhaltung seiner Praxis als Rechtsanwalt und Notar zu ermöglichen. Zwar mag es sein, daß weitere Maßnahmen, etwa die Einstellung einer Assistenzkraft, aus der Sicht des Klägers erforderlich sind. Dies begründet jedoch nicht gleichzeitig einen Förderanspruch nach Maßgabe des Schwerbehindertenrechts, wenn - wie hier - die Behörde in der Vergangenheit ihr Ermessen bereits wiederholt und durchaus großzügig zugunsten des Klägers ausgeübt hat. Das Schwerbehindertenrecht hat nämlich nicht die Aufgabe, einem Schwerbehinderten in jeder Lebenslage umfassend Hilfe zum Ausgleich behinderungsbedingter Nachteile zu leisten. Vielmehr ist der Gesetzeszweck bereits erreicht, wenn überhaupt Fördermaßnahmen erfolgen, die sich als begleitende Hilfe im Arbeits- und Berufsleben darstellen. Derartige Leistungen sind aber gegenüber dem Kläger erbracht worden.

14

Darüber hinaus ist die Kammer der Auffassung, daß der Kläger auch die Voraussetzungen des § 18 Abs. 2 Nr. 2 SchwbAV nicht erfüllt. Denn es ist ihm zuzumuten, die erforderlichen Mittel selbst aufzubringen. Der Kläger hat im Termin zur mündlichen Verhandlung geltend gemacht, die Einstellung einer Assistenzkraft verursache Kosten von 30.000,- DM pro Jahr. Dabei ist jedoch nicht berücksichtigt, daß diese Kosten nicht in voller Höhe als behinderungsbedingt anzusehen sind. Denn es ist davon auszugehen, daß die Assistenzkraft neben ihren eigentlichen Aufgaben wie Vorlesen und Begleiten auch allgemeine Tätigkeiten in der Anwaltskanzlei des Klägers übernehmen kann, weil nicht ständig während des Halbtagseinsatzes der Assistenzkraft derartige Hilfeleistungen erforderlich sein dürften, sondern nur von Fall zu Fall. Der Anteil des Arbeitsentgelts, der behinderungsbedingt anfällt, verringert sich dadurch. Es kommt hinzu, daß die Aufwendungen des Klägers für eine Assistenzkraft, soweit sie behinderungsbedingt sind, steuerlich geltend gemacht werden können und damit den finanziellen Aufwand verringern. Daß bei den Einkommensverhältnissen des Klägers, der nach seinen Angaben nach dem letzten Einkommensteuerbescheid 1995 ein zu versteuerndes Einkommen von rund 80.000,- DM hatte, die Aufbringung dieser Mittel nicht zumutbar wäre, ist damit nicht ersichtlich.

15

Aus den vorstehenden Gründen kommt auch ein Anspruch aus § 27 SchwbAV, also eine Leistung bei außergewöhnlichen Belastungen, nicht in Betracht, worauf der Kläger sein Begehren offenbar vorrangig stützt. Auch für § 27 SchwbAV gelten die allgemeinen Leistungsvoraussetzungen des § 18 SchwbAV. Das Erfordernis fehlender Zumutbarkeit ist zudem in § 27 Abs. 2 SchwbAV ausdrücklich aufgeführt.

16

Bei dieser Sach- und Rechtslage war die Klage mit den kostenrechtlichen Nebenentscheidungen aus den §§ 154 Abs. 1, 167 Abs. 2, 188 Satz 2, 708 Nr. 11 ZPO abzuweisen.

17

Gegen dieses Urteil ist die Berufung nur zulässig, wenn sie von dem Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht in Lüneburg zugelassen worden ist.

Schmidt
Steffen
Fahs