Verwaltungsgericht Stade
Urt. v. 04.06.1998, Az.: 5 A 429/98
Verlust der Ruhestandsbezüge des Ruhestandsbeamten im Disziplinarverfahren wegen Verweigerung der Reaktivierung durch den Dienstherrn; Verpflichtung eines Ruhestandsbeamten, bei Wiedergenesung seiner erneuten Berufung in das Beamtenverhältnis nachzukommen; Verstoß des Ruhestandsbeamten gegen seine beamtenrechtliche Pflicht zur Rückkehr in den aktiven Dienst
Bibliographie
- Gericht
- VG Stade
- Datum
- 04.06.1998
- Aktenzeichen
- 5 A 429/98
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1998, 20387
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGSTADE:1998:0604.5A429.98.0A
Rechtsgrundlagen
- § 59 Abs. 1 S. 1 NBG
- § 85 Abs. 1 S. 1 NBG
- § 76 Abs. 1 S. 1 NDO
In der Disziplinarsache
hat die Disziplinarkammer bei dem Verwaltungsgericht Stade
aufgrund der Hauptverhandlung am 4. Juni 1998,
an der teilgenommen haben:
Präsident des Verwaltungsgerichts als Vorsitzender,
Richter am Verwaltungsgericht als Berufsrichter,
Steueramtsinspektor als Ehrenamtlicher Richter,
für Recht erkannt:
Tenor:
Der Ruhestandsbeamte ist eines Dienstvergehens schuldig. Ihm wird deshalb das Ruhegehalt aberkannt.
Der Ruhestandsbeamte trägt die Kosten des Verfahrens.
Gründe
I.
Der angeschuldigte Ruhestandsbeamte ist am ... 1947 geboren. Aus seiner ersten, im Jahre 1970 geschlossenen und seit dem 7. Mai 1990 geschiedenen Ehe stammen vier Kinder. Er ist seit dem 14. April 1992 wieder verheiratet.
Nach mehrjährigem Dienst im Bundesgrenzschutz trat der Ruhestandsbeamte zum 1. Oktober 1973 in den mittleren Justizdienst des Landes Niedersachsen ein. Er wurde zuletzt am 23. Juli 1986 zum Justizobersekretär befördert.
Auf seinen Antrag versetzte ihn die Präsidentin des Oberlandesgerichts durch Bescheid vom 12. Oktober 1994 mit Wirkung vom 1. Februar 1995 wegen dauernder Dienstunfähigkeit in den Ruhestand. Die Entscheidung beruhte auf der amtsärztlichen Feststellung, daß der Ruhestandsbeamte an einer psychosomatisch bedingten Schleimhautentzündung des Magen- und des Zwölffingerdarms leide und deswegen auf seinem Dienstposten nicht mehr einsetzbar sei.
Auf Veranlassung des Dienstherrn wurde der Ruhestandsbeamte am 12. Dezember 1996 vom Amtsarzt des Landkreises ... erneut untersucht. In dem Gutachten vom 8. Januar 1997 stellte der Amtsarzt fest, daß der Ruhestandsbeamte wieder dienstfähig sei. Eine ständige ärztliche Behandlung wegen des Magenleides sei nicht mehr erforderlich. Das ursprüngliche Leiden sei nach neuesten medizinischen Erkenntnissen infektionsbedingt und nach wiederholter antibiotischer Behandlung des Ruhestandsbeamten als ausgeheilt zu bezeichnen.
Mit Schreiben vom 20. Januar 1997 stellte die Präsidentin des Oberlandesgerichts die Wiederherstellung der Dienstfähigkeit fest und teilte dem Ruhestandsbeamten die Absicht mit, ihn erneut in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit zu berufen. Auf Einwendung des Ruhestandsbeamten ersuchte die Präsidentin des Oberlandesgerichts den zuständigen Amtsarzt um ein weiteres Gutachten unter Beiziehung einer fachärztlichen Stellungnahme zu seinem gegenwärtigen Gesundheitszustand. Jener bestätigte im Gutachten vom 25. April 1997 seine Feststellungen vom 8. Januar 1997 über die wiederhergestellte Dienstfähigkeit und führte hierzu aus, der Ruhestandsbeamte sei am 7. März 1997 zusätzlich mit einer Magenspiegelung gastroenterologisch untersucht worden. Dabei sei eine oberflächliche Schleimhautentzündung des Magens und ein kleines, nicht akutes Geschwür im Magenausgang gesehen worden. Histologisch seien eine leichte Gastritis ohne Aktivität sowie eine Schorfnekrose und Granulationsgewebe bestätigt worden. Ein Helikobakter-Nachweis sei negativ verlaufen. Bakterien, die eine Geschwürskrankheit hervorrufen und unterhalten könnten, seien erfolgreich ausgemerzt worden. Der Wiederverwendung stünden aus ärztlicher Sicht keine Hinderungsgründe entgegen.
Mit Schreiben vom 18. Mai 1997 machte der Ruhestandsbeamte geltend, nach dem Urteil seines Privatarztes habe sich sein Gesundheitszustand seit der Zurruhesetzung verschlechtert. Die Präsidentin des Oberlandesgerichts wies die Gegenvorstellungen des Ruhestandsbeamten unter Hinweis auf die zuletzt erhobenen amtsärztlichen Befunde zurück und wies ihn auf seine Pflicht, einer erneuten Berufung in den aktiven Dienst nachzukommen, und die Folgen einer schuldhaften Weigerung hin.
Unter Zurückweisung weiterer, mit Schreiben vom 25. Mai 1997 als "Beschwerde" bezeichneter Einwendungen betreffend seinen Gesundheitszustand forderte die Präsidentin des Oberlandesgerichts den Ruhestandsbeamten nach Zustimmung des Personalrats mit Bescheid vom 20. Juni 1997, zugestellt am 25. Juni 1997, auf, sich am 1. Juli 1997 beim Direktor des Amtsgerichts ... zum Dienstantritt zu melden und die Urkunde über seine Wiederberufung entgegenzunehmen. Auf die Folgen einer schuldhaften Weigerung wurde der Ruhestandsbeamte wiederum hingewiesen. Die sofortige Vollziehung der Entscheidung wurde mit demselben Bescheid angeordnet. Zur Begründung wurde im wesentlichen ausgeführt, die Wiederherstellung der Dienstfähigkeit sei aufgrund der eingeholten amtsärztlichen Gutachten hinreichend festgestellt. Deren Ergebnisse seien nicht zu bezweifeln, es bestehe auch kein Grund, den Gesundheitszustand des Ruhestandsbeamten ein weiteres Mal begutachten zu lassen. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung sei im Interesse der Vermeidung einer ungerechtfertigten Fortzahlung der Versorgungsbezüge geboten.
Hiergegen erhob der Ruhestandsbeamte am 2. Juli 1997 Widerspruch und legte eine Bescheinigung seines Privatarztes Dr. ... vor, nach der seit dem 27. Juni 1997 Arbeitsunfähigkeit bestand und voraussichtlich bis zum 4. Juli 1997 andauern werde.
Bei einer amtsärztlichen Untersuchung am 4. Juli 1997 wurde keine gegenwärtige Dienstunfähigkeit des Ruhestandsbeamten bestätigt.
In der nachfolgenden Zeit reichte der Ruhestandsbeamte für jeweils unterschiedlich lange Zeiträume mehrere privatärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ein und brachte ergänzende histologische Befunde des Diakoniekrankenhauses ... bei.
Den dienstlichen Aufforderungen, sich am 17. Juli 1997 und am 24. Juli 1997 wegen der geltend gemachten gesundheitlichen Beschwerden beim Amtsarzt vorzustellen, kam der Ruhestandsbeamte nicht nach. Erklärungen für diesen Verhalten gab er zu keinem Zeitpunkt ab.
Den Widerspruch gegen den Reaktivierungsbescheid wies die Präsidentin des Oberlandesgerichts mit Bescheid vom 8. April 1998 zurück. Nach amtsärztlicher Auskunft an das Amtsgericht ... vom 9. Juli 1997 könne das Nichterscheinen des Ruhestandsbeamten zum Dienst allenfalls noch bis zum 17. Juli 1997 als krankheitsbedingt entschuldigt werden. Den Aufforderungen, sich am 17. beziehungsweise am 24. Juli 1997 zur Überprüfung der Befunde seines Hausarztes beim Gesundheitsamt ... vorzustellen, sei der Ruhestandsbeamte ohne Angaben von Gründen nicht nachgekommen. Inzwischen habe sich herausgestellt, daß der Ruhestandsbeamte in ... unter der Bezeichnung "W. Imbiß" einen Stand betreibe. Hierfür habe ihm die Stadt am 10. Juni 1997 eine Betriebserlaubnis erteilt. Trotz Krankschreibung sei der Ruhestandsbeamte zu den unterschiedlichsten Tageszeiten bei seiner gewerblichen Tätigkeit beobachtet worden. Auch unter Berücksichtigung der eingereichten Unterlagen sei weiterhin von der Dienstfähigkeit des Ruhestandsbeamten auszugehen. Die mit Rechtsmittelbelehrung versehene Entscheidung wurde dem Ruhestandsbeamten am 16. April 1998 durch Niederlegung zugestellt. Sie wurde durch Ablauf der Klagefrist unanfechtbar.
Inzwischen war gegen den Ruhestandsbeamten das Vorermittlungsverfahren wegen des Verdachtes, schuldhaft gegen seine Verpflichtung zu verstoßen, der erneuten Berufung in das Beamtenverhältnis nachzukommen, eingeleitet worden. Dessen wesentliches Ergebnis teilte der zum Vorermittlungsführer bestellte Direktor des Amtsgerichts ... dem Ruhestandsbeamten durch Schreiben vom 28. Oktober 1997 mit. Hierin wurde u.a. festgestellt, daß der Ruhestandsbeamte, statt pflichtgemäß seiner erneuten Berufung in das Beamtenverhältnis nachzukommen, seit August 1996 in ... ununterbrochen einen Imbißstand betreibe. Den Aufforderungen, sich amtsärztlich auf seinen Gesundheitszustand untersuchen zu lassen, sei er ohne Angabe von Gründen nicht nachgekommen. Das Schreiben wurde dem Ruhestandsbeamten am 29. Oktober 1997 durch Niederlegung zugestellt und unter dem Datum des 5. November 1997 nochmals formlos übersandt. Die hierin ausdrücklich eingeräumte Gelegenheit, sich zu dem wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen zu äußern und weitere Ermittlungen zu beantragen, nahm der Ruhestandsbeamte nicht wahr.
Mit Verfügung vom 27. Januar 1998 leitete die Präsidentin des Oberlandesgerichts aufgrund vorstehenden Sachverhalts gegen den Ruhestandsbeamten das förmliche Disziplinarverfahren ein, sah von einer Untersuchung ab und bestellte Direktor des Amtsgerichts zum Vertreter der Einleitungsbehörde.
Der Ruhestandsbeamte ist disziplinarrechtlich vorbelastet. Gegen ihn wurde wegen Ausübung einer ungenehmigten Nebentätigkeit mit Verfügung vom 11. Januar 1995 eine Geldbuße in Höhe von 500,00 DM verhängt. Sie ist noch nicht vollstreckt.
Seiner rechtsbeständig festgestellten Verpflichtung, der erneuten Berufung in das Beamtenverhältnis zu folgen, kam der Beamte bis zur Hauptverhandlung nicht nach.
II.
In der Anschuldigungsschrift vom 16. Februar 1998, eingegangen bei der Disziplinarkammer am 11. März 1998, wird dem Ruhestandsbeamten nach den im Vorermittlungsverfahren festgestellten Tatsachen und Umständen als Dienstvergehen zur Last gelegt, sich fortgesetzt schuldhaft zu weigern, der erneuten Berufung in das Beamtenverhältnis zu folgen. Sein Verhaltenzeige, daß er unter keinen Umständen bereit sei, in den aktiven Dienst als Justizbeamter zurückzukehren.
Der Vertreter der Einleitungsbehörde beantragt,
dem Ruhestandsbeamten das Ruhegehalt abzuerkennen.
Der Beamte läßt sich auf die Vorwürfe nicht ein.
III.
Der für die disziplinarrechtliche Beurteilung maßgebliche Sachverhalt wird von dem Ruhestandsbeamten nicht bestritten. Es steht fest, daß der Ruhestandsbeamte unanfechtbar verpflichtet ist, seiner erneuten Berufung in das Beamtenverhältnis nachzukommen, die Erfüllung dieser Pflicht jedoch bis auf den heutigen Tag verweigert. Beachtliche Gründe, die ihn daran hindern könnten, bestehen nicht.
Bei Würdigung dieses Sachverhalts verstößt der Ruhestandsbeamte gegen seine beamtenrechtliche Pflicht zur Rückkehr in den aktiven Dienst nach § 59 Abs. 1 Satz 1 NBG und begeht damit ein Dienstvergehen im Sinne des § 85 Abs. 1 Satz 1 NBG. Das andauernde pflichtwidrige Verhalten ist weder gerechtfertigt noch entschuldigt. Dem Ruhestandsbeamten ist genau bekannt, daß er dem Verlangen des Dienstherrn, sich reaktivieren zu lassen, nachzukommen hat und daß die von ihm ursprünglich geltend gemachten gesundheitlichen Gründe dieser Pflicht nicht entgegenstehen. Hierüber ist der Ruhestandsbeamte von der Disziplinarkammer in dem Verfahren wegen Verlustes seiner Ruhestandsbezüge durch Beschluß vom 20. Februar 1998 - 5 A 1596/97 - und von der 3. Kammer des Verwaltungsgerichts Stade in dem Verfahren wegen vorläufigen Rechtsschutzes gegen die Reaktivierungsverfügung durch Beschluß vom 20. April 1998 - 3 B 522/98 - eingehend belehrt worden. Er setzt sich über die in den Beschlußgründen enthaltenen unmißverständlichen Hinweise, daß ihm keine Berechtigung zusteht, sich der erneuten Berufung in das Beamtenverhältnis zu entziehen, fortdauernd hinweg und verweigert auch angesichts der Unanfechtbarkeit des Reaktivierungsbescheides die pflichtschuldige Mitwirkung bei seiner erneuten Berufung in das Beamtenverhältnis. Das Handeln des Ruhestandsbeamten beruht nach allen Umständen auf Vorsatz.
Die Disziplinarkammer sieht im Hinblick auf den persönlichen Einsatz des Ruhestandsbeamten bei der Ausübung seiner nachhaltigen gewerblichen Tätigkeit als Betreiber eines Imbißstandes keinen Anlaß, von Amts wegen Ermittlungen über seinen Gesundheitszustand anzuordnen.
IV.
Der Ruhestandsbeamte ist nach § 85 Abs. 1 Satz 1 NBG eines Dienstvergehens schuldig. Es kommt nur die Verhängung der Höchstmaßnahme in Betracht. Seine vorsätzliche beharrliche Weigerung, sich erneut in das Beamtenverhältnis berufen zu lassen, wiegt derart schwer, daß die Kammer jede mildere Maßnahme als unangemessen erachtet (vgl. BVerwG, Urt. v. 29.06.1995 - 1 D 67.92 -, Buchholz 232 § 77 BBG Nr. 5 = DokBer B 1995, 329).
Die Voraussetzungen, unter denen dem Ruhestandsbeamten nach § 76 Abs. 1 Satz 1 NDO ein Unterhaltsbeitrag bewilligt werden kann, sind nicht gegeben. Die Bewilligung hängt unter anderem davon ab, daß der Verurteilte nach seiner wirtschaftlichen Lage der Unterstützung bedarf. Ein solches Bedürfnis kann im Hinblick auf die seit August 1996 entfaltete gewerbliche Tätigkeit des Ruhestandsbeamten nicht festgestellt werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 113 Abs. 1 NDO.