Oberlandesgericht Braunschweig
Urt. v. 25.09.1991, Az.: 3 U 106/90

Anspruch auf Zahlung von Schadensersatz gem. § 836 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch)wegen schuldhafter Verletzung von Verkehrssicherungspflichten; Verletzung des Geschädigten auf Grund des Einsturzes eines mit einem Grundstück verbundenen Werkes; Einhaltung der zuständigen Bediensteten des Landes zum Zwecke der Abwendung der von einem Hochsitz ausgehenden Gefahren die im Verkehr erforderliche Sorgfalt; Fallen des Geschädigten in den Schutzbereich der Verkehrssicherungspflicht, der als "unbefugter" Benutzer einen Hochsitz besteigt; Erfordernis der unmissverständlichen Kenntlichmachung des für Unbefugte bestehenden Zutrittsverbots; Sorgfaltsmaßstab bei Beachtung der allgemeinen Verkehrssicherungspflichten

Bibliographie

Gericht
OLG Braunschweig
Datum
25.09.1991
Aktenzeichen
3 U 106/90
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1991, 16078
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGBS:1991:0925.3U106.90.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Braunschweig - 01.06.1990 - AZ: 1 O 93/90

Redaktioneller Leitsatz

  1. 1.

    Den Besitzer eines Hochsitzes trifft dann die Verpflichtung, zumutbare Maßnahmen gegen ein Besteigen des Hochsitzes durch Unbefugte zu treffen, wenn er nach den gegebenen Umständen damit rechnen muss, dass der Hochsitz ohne solche Maßnahmen von Unbefugten bestiegen wird.

  2. 2.

    Unterlässt der Besitzer danach gebotene und ihm zumutbare Maßnahmen gegen ein unbefugtes Besteigen, so besteht eine Verkehrssicherungspflicht auch gegenüber Unbefugten.

  3. 3.

    Hinsichtlich der vorzunehmenden Maßnahmen im Rahmen der Überprüfung der Standsicherheit ist auf die Umstände des Einzelfalles abzustellen.

  4. 4.

    Eine nähere Überprüfung der Pfosten ist nur dann erforderlich, wenn die genannten Überprüfungsmaßnahmen Anlass zu Zweifeln an der Standfestigkeit des Hochsitzes geben.

In dem Rechtsstreit
hat der 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Braunschweig
auf die mündliche Verhandlung vom 26. August 1991
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ... und
die Richter am Oberlandesgericht ... und ...
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 1. Juni 1990 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Klägerin wird nachgelassen, die Vollstreckung des beklagten Landes wegen der Kosten durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 10.000,- DM abzuwenden, wenn nicht das beklagte Land vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Die Klägerin ist in Höhe von 123.003,11 DM beschwert.

Tatbestand

1

Die Klägerin erbrachte nach ihrem Vorbringen für den bei einem Unfall am 2.11.1988 schwerverletzten Waldarbeiter ... bis zum 31.1.1990 Leistungen im Gesamtbetrag von 230.434,77 DM. Hiervon macht sie einen Teilbetrag von 123.003,11 DM geltend und führt zu ihrer Sachbefugnis aus, sie sei leistungspflichtig gewesen, da der Waldarbeiter Crasser aufgrund der von ihm ausgeübten Tätigkeit bei ihr versichert gewesen sei und es sich um einen Arbeitsunfall gehandelt habe.

2

Das beklagte Land hatte eine Firma ... mit der Durchführung von Waldarbeiten im Staatsforst ... beauftragt. Diese Firma erteilte einer Firma ..., bei der der Waldarbeiter ... angestellt war, den Auftrag, als Subunternehmern einen Jungfichtenbestand im Gebiet des Forstamtes ... zu durchforsten. Diese Arbeiten wurden unter anderem von ... durchgeführt.

3

Am 2.11.1988 arbeiteten die Waldarbeiter ... und ... bei schlechtem Wetter im Revier ... (Abteilung 60) des Forstamtes ....

4

Es regnete fast fortlaufend, zeitweise gab es auch Hagel- und Graupelschauer. Gegen 10.00 Uhr suchten die beiden Waldarbeiter Schutz in der Kanzel eines Hochsitzes, der sich im dortigen Bereich an einer Kreuzung zweier Schneisen befand und im Eigentum und Besitz des beklagten Landes stand. Vor dem Besteigen des Hochsitzes rüttelte der Zeuge Moldehn an der Leiter, um sich zumindest von deren Tragfähigkeit zu überzeugen. Den Aufenthalt in der zum Schutz vor dem schlechten Wetter aufgesuchten Kanzel des Hochsitzes verbanden die Waldarbeiter mit einer Frühstückspause von etwa 1/2 bis 3/4 Stunde. Danach setzten sie ihre Tätigkeit bis etwa 13.30 Uhr fort. Zu dieser Zeit ging ein Hagelschauer nieder. Die beiden Waldarbeiter liefen daraufhin erneut zu dem Hochsitz, um dort Schutz zu suchen und zugleich eine Mittagspause einzulegen. Nachdem ... den Hochsitz über die Leiter bestiegen hatte, folgte ihm .... Als dieser die Kanzel betrat, begann der Hochsitz zu wanken und brach sodann in sich zusammen, so daß Crasser rückwärts die Leiter hinunterstürzte und Teile des Hochsitzes auf ihn fielen. Hierdurch erlitt Crasser eine Querschnittslähmung. Nachträglich stellte sich heraus, daß die vier Stützpfosten unmittelbar an der Erdoberfläche abgebrochen waren und daß mindestens drei Stützen in diesem Bereich morsch waren.

5

Die Klägerin hat geltend gemacht, das beklagte Land habe seine Verkehrssicherungspflicht im Hinblick auf den Zustand des Hochsitzes verletzt. Eine ordnungsmäßige Überprüfung der Stützen habe nicht stattgefunden. Die Verkehrssicherungspflicht habe auch gegenüber dem Geschädigten ... bestanden, selbst wenn dieser den Hochsitz unbefugt bestiegen haben sollte. An dem Hochsitz habe sich - unstreitig - weder ein Verbotsschild noch eine andere Sicherungsmaßnahme zur Verhinderung unbefugten Besteigens befunden.

6

Die Klägerin hat beantragt,

7

das beklagte Land zur Zahlung von 20.718,82 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 30.3.1990 (Rechtshängigkeit) zu verurteilen.

8

Das beklagte Land hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

9

Das beklagte Land hat behauptet, die Standfestigkeit des Hochsitzes sei jährlich überprüft worden, bei einer weiteren Überprüfung etwa eine Woche vor dem Unfall seien keine Funktionsmängel festgestellt worden. Zudem habe gegenüber dem Geschädigten ... keine Verkehrssicherungspflicht bestanden, da dieser die Jagdeinrichtung unbefugt betreten habe.

10

Das Landgericht hat die Klage durch Urteil vom 1.6.1990 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, das beklagte Land sei gegenüber dem Geschädigten nicht verkehrssicherungspflichtig gewesen, da dieser den Hochsitz unbefugt bestiegen habe und deshalb nicht zu dem berechtigten, geschützten Personenkreis gehört habe. Ferner komme es nicht darauf an, ob an dem betreffenden Hochsitz ein Verbotsschild angebracht gewesen sei, da jedenfalls einer erwachsenen Person genügend deutlich sein müsse, daß die nicht bestimmungsgemäße Benutzung fremden Eigentums stets unbefugt sei. Zur Ergänzung der Sachdarstellung wird auf das landgerichtliche Urteil verwiesen.

11

Die Klägerin hat gegen das ihr am 8.6.1990 zugestellte Urteil am 2.7.1990 Berufung eingelegt und das Rechtsmittel nach entsprechender Fristverlängerung am 5.11.1990 begründet.

12

Die Klägerin trägt vor, der Umstand, daß mindestens drei der vier Stützpfosten morsch gewesen seien, rechtfertige die Annahme, daß eine schuldhafte Verletzung der Verkehrssicherungspflicht vorgelegen habe. Entgegen der Ansicht des Landgerichts falle der Geschädigte Crasser aus dem Schutzbereich der Verkehrssicherungspflicht nicht ohne weiteres deshalb heraus, weil er als "unbefugter" Benutzer den Hochsitz bestiegen habe. Der Bundesgerichtshof habe wiederholt entschieden, daß eine Verkehrssicherungspflicht auch solchen Personen gegenüber bestehe, die ein Grundstück unbefugt betreten, wenn nach den gegebenen Verhältnissen mit einem solchen Verhalten gerechnet werden muß und der Eigentümer zumutbare Maßnahmen hiergegen nicht getroffen habe. In der vorliegenden Sache stelle es keine Überspannung der Verkehrssicherungspflicht dar, wenn man dem beklagten Land zumute, einerseits die vorausschauende Überlegung anzustellen, daß in seinem Auftrag tätige Waldarbeiter im Falle von Unwettern zu ihrem Schutz einen Hochsitz besteigen könnten und deshalb andererseits durch Anbringung eines Warnschildes an dem nicht mehr standfesten Hochsitz oder mittels Anbringung von rot-weißem Plastiktrassierband Vorkehrungen hiergegen zu treffen. Der Verletzte Crasser und der Zeuge ... hätten am 2.11.1988, bevor sie den Hochsitz erstmalig bestiegen, lediglich die Standfestigkeit der Leiter, nicht dagegen auch die Standfestigkeit des gesamten Hochsitzes überprüft. Der jagdausübungsberechtigte Forstamtmann ... habe nach dem Unfall vom 2.11.1988 gegenüber ihren Mitarbeitern Jäger und Lenge erklärt, er könne nicht sagen, ob die Stützen des Hochsitzes genau überprüft worden seien. In jedem Fall sei jedoch die Leiter kontrolliert worden. Genauere Überprüfungen habe man sicherlich nicht vorgenommen, da ja sonst das morsche Holz aufgefallen wäre. Die Klägerin hat die Klage im Berufungsverfahren zunächst auf 41.072,03 DM und sodann auf 123.003,11 DM erhöht.

13

Sie hat zuletzt beantragt,

das angefochtene Urteil abzuändern und das beklagte Land zur Zahlung von 123.003,11 DM zu verurteilen zuzüglich 4 % Zinsen auf 20.718,82 DM seit dem 30.3.1990, auf weitere 20.353,21 DM seit dem 11.12.1990 sowie auf weitere 81.931,08 DM seit dem 27.6.1991.

14

Das beklagte Land beantragt,

die Berufung - auch hinsichtlich des erweiterten Klageantrages - zurückzuweisen.

15

Das beklagte Land erwidert, es sei nicht unstreitig, daß es zum Zusammenbruch des Hochsitzes deshalb gekommen sei, weil mindestens drei der vier Stützpfosten morsch gewesen und nicht mit den vorhandenen Winkeleisen verschraubt gewesen seien. Dies könne einer der Gründe für das Umkippen des Hochsitzes gewesen sein, maßgeblich sei jedoch, daß sich die Waldarbeiter ... und ... etwa durch ein Schaukeln falsch verhalten und dadurch den Hochsitz zum Umstürzen gebracht hätten. Eine Warnpflicht habe nicht bestanden, da es für jeden Erwachsenen klar sei, daß ein Hochsitz für den Benutzer nicht ohne Gefahren sei und daß man auf seine Standfestigkeit nicht blindlings vertrauen dürfe. Eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht habe nicht vorgelegen, da der Hochsitz im Frühjahr der jährlichen Überprüfung unterzogen worden sei und der Jagderlaubnisscheininhaber ... bei einer Untersuchung nur einen Tag vor dem Unfall keine Funktionsmängel festgestellt habe. Die Frühjahrsüberprüfung sei um den 1.4.1988 von dem Jagdausübungsberechtigten ... vorgenommen worden. Dieser habe die Stützen in Augenschein genommen und an den Streben gerüttelt, ferner sei er die Leiter hinaufgestiegen und habe dabei geprüft, ob sie stabil sei. Beim Betreten des Hochsitzes habe er Schunkelbewegungen gemacht, um die Standfestigkeit weiter zu überprüfen. Er habe sich dann auch noch in den Hochsitz hineingesetzt. Bei dieser Überprüfung habe er keinerlei Mängel festgestellt. Eine Haftung aus den §§ 836, 837 BGB bestehe ebensowenig wie eine Haftung aus § 823 BGB gegenüber einer erwachsenen Person, die unbefugt einen Hochsitz besteige und diesen zum Einsturz bringt. Hätte der Arbeitgeber der Waldarbeiter für geeignete Schutzräume Sorge getragen, wäre der Unfall vermieden worden. Schließlich bezweifelt das beklagte Land die Aktivlegitimation der Klägerin. Die Arbeitgeberin des Geschädigten sei zum Zeitpunkt des Unfalls noch nicht als Mitglied der Klägerin aufgenommen gewesen. Zudem habe es sich nicht um einen Arbeitsunfall gehandelt, da der Hochsitz etwa 200 m von dem Arbeitsort des Geschädigten entfernt gewesen sei und das Besteigen des Hochsitzes nicht im Zusammenhang mit der Arbeit gestanden habe. Um sich vor den Unbilden der Witterung zu schützen, habe es ausgereicht, wenn sich die Zeugen unter den Hochsitz gestellt hätten.

16

Der Senat hat durch den Berichterstatter als Einzelrichter gemäß dem Beweisbeschluß vom 24.4.1991 (Bl. 150 f d.A.) Beweis erhoben durch Vernehmung von acht Zeugen. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 13.5.1991 (Bl. 159 f d.A.) Bezug genommen. Wegen des weiteren berufungsinstanzlichen Sachverhalts wird auf den sonstigen vorgetragenen Inhalt der von den Parteien im zweiten Rechtszug gewechselten Schriftsätze verwiesen.

Entscheidungsgründe

17

Die Berufung ist zulässig, aber sachlich nicht gerechtfertigt.

18

Der Senat neigt zu der Auffassung, daß die Klägerin aktivlegitimiert ist. Die Sachbefugnis der Klägerin kann jedoch letztlich dahingestellt bleiben, weil nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme bewiesen ist, daß das beklagte Land zum Zwecke der Abwendung der von dem fraglichen Hochsitz ausgehenden Gefahren die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beobachtet hat (§ 836 Abs. 1 S. 2 BGB), mithin eine Ersatzpflicht auch dann nicht in Betracht kommt, wenn die Klägerin gegenüber dem Geschädigten oder Dritten ersatzpflichtig ist.

19

Für die Aktivlegitimation der Klägerin spricht, daß die Ersatzpflicht gegenüber einer kraft Gesetzes oder kraft Satzung versicherten Person bereits mit der tatsächlichen Ausübung einer unter Versicherungsschutz stehenden Tätigkeit beginnt und von der Mitgliedschaft des Unternehmers in der Berufsgenossenschaft unabhängig ist (Lauterbach, Unfallversicherung, 3. Aufl., § 659 RVO Anm. 3). Nach § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO sind in der Unfallversicherung gegen Arbeitsunfall unter anderem die aufgrund eines Arbeitsverhältnisses Beschäftigten versichert. Gemäß § 548 Abs. 1 S. 1 RVO ist ein Arbeitsunfall ein Unfall, den ein Versicherter bei einer der unter anderem in § 539 RVO genannten Tätigkeiten erleidet, wobei nach § 548 Abs. 3 RVO ein verbotswidriges Handeln die Annahme eines Arbeitsunfalls nicht ausschließt. Dies gilt selbst dann, wenn bei einem nicht verbotswidrigen Handeln der Arbeitsunfall gar nicht eingetreten wäre (Gesamtkommentar Sozialversicherung, Band 6, § 548 RVO Seite 26/5 m.N.). Demnach schließt das unbefugte Besteigen des Hochsitzes durch den Geschädigten, selbst wenn darin ein verbotswidriges Handeln im Sinne des § 548 Abs. 3 RVO zu sehen sein sollte, die Annahme eines Arbeitsunfalls nicht aus. Ferner dürfte ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit des Geschädigten als Waldarbeiter und dem Unfall nicht deshalb zu verneinen sein, weil der Versicherte zum Zeitpunkt des Unfalls nicht für den Betrieb arbeitete. Denn die Arbeitsunterbrechung beruhte auf einem Hagelschauer und damit auf einem für Waldarbeiter typischen Arbeitshindernis; die Unterbrechung erfolgte zudem in der Absicht, sich vor dem Hagel zu schützen, um nach Beendigung des Schauers die Tätigkeit fortsetzen zu können. Demnach standen die Arbeitsunterbrechung und das Aufsuchen des Hochsitzes in einem unmittelbaren Bezug zu der beruflichen Tätigkeit des Geschädigten.

20

Jedenfalls stehen der Klägerin gegen das beklagte Land keine Ersatzansprüche zu. Der Senat teilt allerdings nicht die auf die Entscheidung des OLG Stuttgart VersR 1977, 384 gestützte Auffassung des Landgerichts, daß das beklagte Land schon deshalb nicht hafte, weil der Geschädigte den Hochsitz unbefugt bestieg. Zwar ist der Besitzer eines Hochsitzes gegenüber unbefugten Dritten grundsätzlich nicht verpflichtet, den Hochsitz in einem Zustand zu unterhalten, daß er von diesen gefahrlos bestiegen und benutzt werden kann. Dagegen trifft ihn die Verpflichtung, zumutbare Maßnahmen gegen ein Besteigen des Hochsitzes durch Unbefugte zu treffen, wenn er nach den gegebenen Umständen damit rechnen muß, daß der Hochsitz ohne solche Maßnahmen von Unbefugten bestiegen wird. Unterläßt der Besitzer danach gebotene und ihm zumutbare Maßnahmen gegen ein unbefugtes Besteigen, so besteht eine Verkehrssicherungspflicht auch gegenüber Unbefugten. Der Senat stützt sich insoweit auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 19.1.1965, abgedruckt in VersR 1965, 515, deren erster Leitsatz wie folgt lautet: "Eine Verkehrssicherungspflicht besteht auch solchen Personen gegenüber, die ein mit Gefahrenquellen versehenes Grundstück unbefugt betreten, wenn nach den gegebenen Umständen mit dem Betreten des Grundstücks durch Unbefugte gerechnet werden muß und der Eigentümer die ihm zumutbaren Maßnahmen hiergegen nicht getroffen hat."

21

In der vorliegenden Sache hätte daher das beklagte Land, um eine Haftung von vornherein auszuschließen, das für Unbefugte bestehende Zutrittsverbot unmißverständlich kenntlich machen müssen. Dies hätte geschehen können durch gut sichtbar angebrachte, aussagekräftige Schilder und/oder durch die Anbringung von Zugangserschwerungen, wie beispielsweise eine Umzäunung oder einer verschließbaren Tür vor der Kanzel des Hochsitzes. Zu solchen Maßnahmen bestand den Umständen nach besondere Veranlassung, da sich der Hochsitz in der Nähe einer Kreuzung zweier Schneisen befand und für Wanderer gut sichtbar sowie leicht erreichbar war und es der Lebenserfahrung entspricht, daß Hochsitze jedenfalls dann, wenn sie weder mit einem Verbotsschild noch mit einer Zugangserschwerung versehen sind, von Unbefugten gelegentlich bestiegen werden. Da das beklagte Land solche Maßnahmen nicht traf, hat, war es auch gegenüber den Waldarbeitern ... und ... verkehrssicherungspflichtig. Anspruchsnorm ist § 836 Abs. 1 S. 1 BGB, da der Geschädigte ... durch den Einsturz eines mit dem Grundstück verbundenen Werkes verletzt wurde.

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Gleichwohl tritt die Ersatzpflicht hier nicht ein, weil nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme bewiesen ist, daß die zuständigen Bediensteten des beklagten Landes zum Zwecke der Abwendung der von dem Hochsitz ausgehenden Gefahren die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beobachteten (§ 836 Abs. 1 S. 2 BGB). Nach § 5 Abs. 2 der Unfallverhütungsvorschriften für die Jagd müssen bauliche Jagdeinrichtungen - zu denen auch die Jagdhochsitze gehören - stets, insbesondere im Frühjahr überprüft und in einwandfreiem Zustand erhalten werden. Welche Maßnahmen im Rahmen der Überprüfung der Standsicherheit vorzunehmen sind, ist in der genannten Vorschrift nicht geregelt. Demnach ist auf die Umstände des Einzelfalles abzustellen. Nach Auffassung des Senats ist es im Regelfall ausreichend, daß der Prüfende den Hochsitz besteigt, dabei auf der Leiter wippt und in der Kanzel durch Verlagerung seines Körpergewichts die Standfestigkeit überprüft; ferner ist der Hochsitz in Augenschein zu nehmen. Eine nähere Überprüfung der Pfosten ist nur dann erforderlich, wenn die genannten Überprüfungsmaßnahmen Anlaß zu Zweifeln an der Standfestigkeit des Hochsitzes geben. Zweifel können sich beispielsweise aus überdurchschnittlich starken Schwingungen der Kanzel oder starken Absplitterungen und Verfärbungen der Pfosten insbesondere im bodennahen Bereich ergeben. In solchen Fällen muß das Holz der Pfosten insbesondere im Bodenbereich, da es dort durch Feuchtigkeit besonders gefährdet ist, zusätzlich überprüft werden, indem etwa mit einem Nagel oder einem anderen Werkzeug in das Holz hineingestochen wird, um dessen Festigkeit beziehungsweise den von ihm ausgehenden Widerstand festzustellen. Zu solchen weitergehenden Überprüfungsmaßnahmen, die unstreitig nicht stattgefunden haben, bestand in der vorliegenden Sache keine Veranlassung, da der für die Überprüfung des Hochsitzes zuständige Forstamtmann ... bei der von ihm in der letzten Märzwoche 1988 durchgeführten Überprüfung keine Mängel bemerkte. Der Zeuge hat glaubhaft angegeben, er habe den fraglichen Hochsitz bestiegen, auf der Leiter gewippt und oben Schunkelbewegungen gemacht. Er habe keine Mängel bemerkt. Ferner habe er den Hochsitz in Augenschein genommen. In den Bereichen, in denen die Pfosten in den Boden eingetreten seien, habe sich normaler leichter Grasbewuchs befunden. Daß drei Pfosten morsch gewesen seien, sei von außen nicht zu sehen gewesen. Da Mängel weder sichtbar waren noch Geräusche oder ungewöhnliche Schwingungsbewegungen auf Mängel hinwiesen, durfte der Zeuge ... von der Standsicherheit des Hochsitzes ausgehen, zumal nach seinen weiteren glaubhaften Angaben der Hochsitz mit einem Alter von etwa zwölf Jahren nicht besonders alt war und man morsche Pfosten wie bei dem fraglichen Hochsitz nur relativ selten antrifft.

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Ob der Zeuge ... seiner Überprüfungspflicht mit der einmaligen Überprüfung Ende März 1988 genügte, kann dahingestellt bleiben. Denn aufgrund der Bekundungen der Zeugen ... und ... ist davon auszugehen, daß der Hochsitz bis zu seinem Einsturz keinen Anlaß zu Zweifeln an seiner Standsicherheit gab, so daß anzunehmen ist, daß weitere Überprüfungen durch den Zeugen Roloff mit den Maßnahmen, die er bei der Prüfung Ende März 1988 ergriffen hatte, nicht zur Aufdeckung der tatsächlich bestehenden Mängel geführt hätte. Der Zeuge Vollmer hat bekundet, er habe den Hochsitz seit dem 1.4.1988 etwa fünfmal bestiegen, letztmalig am Abend vor dem Unfall. An jenem Abend habe er zunächst unten stehend an der Leiter gerüttelt, dann die Leiter etwa zur Hälfte bestiegen und erneut daran gerüttelt. Es seien ihm keinerlei Besonderheiten aufgefallen. Im Hochsitz habe er dann ruhig gesessen, weil sich auf der Schneise Wild befunden habe, das sonst verjagt worden wäre. Der Zeuge ... hat ausgesagt, er und der Geschädigte hätten den Hochsitz vor dem ersten Besteigen angesehen. Der Hochsitz habe einen festen Eindruck gemacht. Daraufhin seien sie hinaufgestiegen. Als sie auf der Leiter gestanden hätten, entweder einer von ihnen oder auch beide, hätten sie gerüttelt und gewackelt, um die Standfestigkeit des Hochsitzes zu überprüfen. Aus diesen Aussagen und aus dem wiederholten Besteigen des Hochsitzes durch den Zeugen ... sowie dem zweimaligen Besteigen durch die Zeugen ... und ... ist zu folgern, daß alle diese Zeugen keinen Anlaß sahen, an der Standsicherheit des Hochsitzes zu zweifeln. Dies spricht dafür, daß der Hochsitz trotz des morschen Holzes keine besonderen Auffälligkeiten zeigte, so daß auch für den Zeugen Roloff bei weiteren Überprüfungen kein Anlaß zu Zweifeln an der Standsicherheit und mithin kein Grund zu einer Überprüfung des Inneren der Pfosten bestanden hätte. Das Unterlassen weiterer Überprüfungen durch den Zeugen ... in dem Umfang, in dem er die Überprüfung Ende März 1988 durchgeführt hatte, war demnach nicht ursächlich dafür, daß die bestehenden Mängel nicht bemerkt wurden. Zu weitergehenden Überprüfungen bestand für den Zeugen ... mangels Anzeichen für fehlende Standsicherheit bei Einhaltung der verkehrserforderlichen Sorgfalt kein Anlaß.

24

Da eine Schadensersatzpflicht aus § 836 BGB entfällt, kann das beklagte Land eine solche Pflicht auch nicht aus § 823 Abs. 1 BGB treffen. Denn für die Beachtung der allgemeinen Verkehrssicherungspflichten gelten keine strengeren Sorgfaltsmaßstäbe als im Rahmen der Haftung aus § 836 BGB (BGH DB 1985, 1786, 1787), der einen speziellen Fall der allgemeinen Verkehrssicherungspflichten regelt (BGH NJW 1985, 1076).

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Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711, 546 Abs. 2 S. 1 ZPO.

Streitwertbeschluss:

Die Klägerin ist in Höhe von 123.003,11 DM beschwert.