Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 15.06.1972, Az.: I A 16/72
Anfechtbarkeit von Wahlen zu Kollegialorganen einer Hochschule; Zulässigkeit einer Fortsetzungsfeststellungsklage gegen eine mögliche Ablösung aus einem Kollegialorgan; Fehlendes Rechtsschutzinteresse
Bibliographie
- Gericht
- VG Braunschweig
- Datum
- 15.06.1972
- Aktenzeichen
- I A 16/72
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1972, 14168
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGBRAUN:1972:0615.I.A16.72.0A
Rechtsgrundlage
- § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO
Fundstelle
- DVBl 1973, 47-48 (Volltext mit amtl. LS u. Anm.)
Verfahrensgegenstand
Wahlen zu Kollegialorganen
Die I. Kammer Braunschweig des Verwaltungsgerichts Braunschweig hat
auf die mündliche Verhandlung
vom 15. Juni 1972
durch
Präsident Dr. Stampehl,
Verwaltungsgerichtsräte Dr. Hamann und Kipke sowie
die ehrenamtlichen Verwaltungsrichter Beetz und Wandert
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I.
Die Kläger gehören der Technischen Universität Braunschweig - der Beklagten - als Professoren an. Sie haben Wahlen zu Kollegialorganen der Beklagten angefochten, die am 17. und 18. Januar 1972 auf dar Grundlage des Vorschaltgesetzes für ein Niedersächsisches Gesamthochschulgesetz vom 26. Oktober 1971 (NdsGVBl S. 317) und einer im Vollzug dieses Gesetzes vom Niedersächsischen Kultussinister erlassenen Wahlordnung vom 3. Dezember 1971/4. Januar 1972 (NdsMBl 1971 S. 1448/NdsGVBl 1972, S. 5) durchgeführt werden sind. Mit einer später durch Urteil vom 9. März 1972 - I D 5/72 - bestätigten einstweiligen Anordnung hat die Kammer bestimmt, daß die aus den Wahlen hervorgegangenen Kollegialorgane nicht zusammentreten dürften, da die Wahlordnung in mehrfacher Hinsicht ernstlichen rechtlichen Bedenken begegne und keine den Interessen der Kläger vorgehenden öffentlichen Belangen den Zusammentritt der neugewählten Organe rechtfertigten.
Die Kläger haben am 10. März 1972 Klage erhoben, nachdem ihre Wahleinsprüche abschlägig beschieden worden waren. Durch Verordnung vom 27. April 1972 (NdsGVBl S. 223) änderte der Niedersächsische Kultusminister die Wahlordnung unter anderem in den vom Verwaltungsgericht beanstandeten Punkten und ordnete durch Erlaß vom 3. Mai 1972 an, daß nach der geänderten Wahlordnung Wiederholungswahlen durchzuführen seien. Am 12. Mai 1972 erörterte der Hauptwahlausschuß der Beklagen die aufgrund dieses Erlasses entstandene Lage und erklärte sich damit einverstanden, daß die inzwischen in einstweiligen Anordnungsverfahren eingelegte Berufung zurückgenommen und im Klageverfahren die Hauptsache für erledigt erklärt werde. Die Beklagte hat daraufhin entsprechende Prozeßerklärungen abgegeben. Durch Erlaß vom 16. Mai 1972 ergänzte der Niedersächsische Kultusminister seinen früheren Erlaß durch die ausdrückliche Feststellung, daß die Wahlen zu den Kollegialorganen der Beklagten vom 17. und 18. Januar 1972 "aufgehoben" seien. Die Kläger haben dem Gericht mitgeteilt, daß sie sich von der Gegenseite im Klageverfahren abgegebenen Erledigungserklärung nicht anschlössen.
Sie beantragen,
festzustellen, daß die Wahlen vom 17. und 19. Januar 1972 zu den Kollegialorganen der Technischen Universität Carolo-Wilhelmina in Braunschweig unwirksam gewesen sind.
Sie tragen vor, ein berechtigtes Interesse an einer derartigen Feststellung sei gegeben, da der Niedersächsische Kultusminister sich mit der Absicht trage, die in den Kollegialorganen der Beklagten amtierenden bisherigen Mitglieder, zu denen auch die Kläger gehörten, vor dem Abschluß der Wiederholungswahlen durch im Januar 1972 gewählte, kommissarisch zu bestellende Mitglieder zu ersetzen. Der nunmehr gestellte Feststellungsantrag sei auch im übrigen zulässig, Die Vorschrift des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO, die ausdrücklich nur für eine im Anschluß an eine Anfechtungsklage erhobene Feststellungsklage gelte, sei auf Wahlanfechtungsklagen entsprechend anzuwenden. Eine derartige Analogie sei nach dem Prinzip der Effektivität des Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) und aus Gründen der Prozeßökonomie zwingend geboten. In der Sache selbst müsse die Klage aus den im Urteil des Verwaltungsgerichts vom 9. März 1972 dargelegten Gründen durchdringen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie entgegnet, den Klägern stünde kein berechtigtes Interesse an der von ihnen erstrebten Feststellung zur Seite, da aus den aufgehobenen Wahlen keine rechtlichen Folgerungen mehr gezogen werden könnten.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird Bezug genommen auf die Schriftsätze der Beteiligten sowie auf die sonstigen zur Gerichtsakte eingereichten Unterlagen, ferner auf die beigezogene Gerichtsakte I D 5/72 VG Braunschweig. Sie sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
II.
Die Klage ist unzulässig.
Die Kläger begehren die Feststellung, daß die am 17. und 18. Januar 1972 durchgeführten Wahlen zu Kollegialorganen der Beklagten rechtswidrig gewesen seien, nachdem der Niedersächsische Kultusminister und der Hauptwahlausschuß der Beklagten diese Wahlen für gegenstandslos erklärt haben. Der von den Klägern als Fortsetzungsfeststellungsklage verstandene Klageantrag ist jedoch nicht statthaft. Hat sich ein Veraltungsakt erledigt, so kann der Kläger nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO die Feststellung beantragen, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen sei. Diese Vorschrift kommt hier jedoch nicht zum Zuge. Sie ist nicht unmittelbar anzuwenden, da Wahlen zu Kollegialorganen einer Hochschule keine Verwaltungsakte sind (OVG Lüneburg, Beschluß vom 2. Februar 1972 - II OVG B 8/72 - DVBl 1972, 189 (191)[OVG Niedersachsen 02.02.1972 - II B 8/72]). Sie ist auch nicht entsprechen anzuwenden. Denn der Wahlakt ist einem Verwaltungsakt nicht vergleichbar. Bei ihm handelt es sich nicht um eine von einer Behörde gegenüber dem Bürger gesetzte, einen Einzelfall regelnde Maßnahme, sondern um eine vom Wähler ohne staatliche Einflußnahme getroffene Entscheidung der politischen Willensbildung, aus der staatlichen Organe hervorgehen. Diese Unterscheidung wird auch nicht dadurch in Frage gestellt, daß mit den Wahlen Maßnahmen der Wahlorgane einhergehen, die der Vorbereitung und Durchführung der Wahlen dienen. Derartige hoheitliche Maßnahmen regeln nämlich nur das Wahlverfahren und sind deshalb vom eigentlichen Vorgang der Wahl zu trennen (OVG Lüneburg, Beschluß vom 2. Februar 1972 aaO). Hiervon abgesehen, liegt ein weiterer gegen eine analoge Anwendung des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO sprechender Unterschied darin, daß es sich bei dem vorliegenden gerichtlichen Wahlprüfungsverfahren um ein im wesentlichen objektiv gestaltetes Verfahren handelt, das in erster Linie den gesetzmäßigen Ablauf der Wahl und eine dem Willen der Wähler entsprechende Zusammensetzung der Kollegialorgane einer Hochschule sichern soll - insoweit ist die Rechtslage die gleiche wie bei Kommunalwahlen (vgl. OVG Lüneburg, OVGE 23, 429 (431 ff.)) und bei Wahlen zu Organen anderer Körperschaften (vgl. OVG Münster, OVGE 19, 221 (223)) -, während die Vorschrift des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO eine Fortsetzungefeststellungsklage in Anschluß an die Anfechtungsklage eröffnet, die lediglich dem Schutz individueller Rechte dient. In dieser Beziehung unterscheidet sich auch die Wahlanfechtungsklage von der Verpflichtungsklage, für die § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO entsprechend gilt (BVerwG, Urteil vom 30. Oktober 1969 - VIII C 149.67 -, DVBl 1970, 276) und von der allgemeinen Leistungsklage, für die eine analoge Anwendung dieser Vorschrift erwogen wird (so Redecker- v.Oertzen, Komm. zur VwGO, 4. Aufl., Rdnr. 17 zu § 113).
Entgegen der Auffassung der Kläger gebietet auch nicht das aus Art. 19 Abs. 4 GG abzuleitende Prinzip der Effektivität des Rechtsschutzes, die Fortsetzungsfeststellungsklage im vorliegenden Fall zuzulassen. Die Kläger haben den Feststellungsantrag gestellt, um mit einem obsiegenden Urteil einen Eingriff in ihre Rechtsstellung abzuwehren, die sie als noch amtierende Mitglieder in den Kollegialorganen der Beklagten inns-haben. Nach ihrem Vorbringen befürchten sie, daß sie vor dem Abschluß der angeordneten Wiederholungswahlen durch Mitglieder abgelöst werden, die durch die Wahlen vom 17. und 18. Januar 1972 oder durch daran anschließende Wahlen gewählt worden sind und aus diesem Grunde kommissarisch in die Kollegialorgane der Beklagten berufen würden.
Sollte ein derartiger Eingriff in die Rechtsstellung der Kläger erfolgen, so können diese hiergegen gerichtliche Hilfe in Anspruch nehmen. Die Kläger bleiben daher nicht ohne Rechtschutz, wenn sie im vorliegenden Fall ein Sachurteil nicht erlangen. Der Nachteil, daß sie gegen den von ihnen befürchteten Eingriff mit einer neuen Klage vorgehen müssen, rechtfertigt allein noch nicht, die Vorschrift des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO auf einen Fall anzuwenden, auf den sie, wie dargelegt, nicht anwendbar ist. Überdies ist es keineswegs unzweifelhaft, ob die Zulassung der Fortsetzungsfeststellungsklage den Klägern eine späteren Prozeß, der ihre Ablösung in den Kollegialorganen durch andere kommissarisch bestellte Mitglieder beträfe, ersparen würde, da der Streitgegenstand dieses Prozesses ein anderer als der des vorliegenden Verfahrens wäre.
Aus diesen Gründen war die Klage abzuweisen.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, über ihre vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 709 Nr. 4 ZPO.
III.
Gegen dieses Urteil ist die Berufung an das Oberverwaltungsgericht in Lüneburg statthaft. Sie ist innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Urteils beim Verwaltungsgericht in Braunschweig schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb dieser Frist beim Oberverwaltungsgericht eingeht.