Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 13.04.1973, Az.: III A 157/72
Widerspruch gegen eine nichtbestandene Meisterprüfung im Schornsteinfegerhandwerk
Bibliographie
- Gericht
- VG Braunschweig
- Datum
- 13.04.1973
- Aktenzeichen
- III A 157/72
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1973, 15255
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGBRAUN:1973:0413.III.A157.72.0A
Verfahrensgegenstand
Prüfung
Die III. Kammer Braunschweig des Verwaltungsgerichts Braunschweig hat
auf die mündliche Verhandlung vom 13. April 1973
durch
den Richter am Verwaltungsgericht Dr. König,
den Richter Radke,
den Richter am Verwaltungsgericht Dr. Thiedemann sowie
die ehrenamtlichen Richter Schniotalle und Siuda
für Recht erkannt:
Tenor:
Der Prüfungsentscheid vom 16. Juni 1972 und der Widerspruchsbescheid vom 10. November 1972 werden aufgehoben.
Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.
Gründe
I.
Der Kläger ist Schornsteinfegergeselle und unterzog sich vom 12. bis zum 16. Juni 1972 der Meisterprüfung im Schornsteinfegerhandwerk. Mit Bescheid vom 16. Juni 1972 wurde ihm mitgeteilt, daß er die Meisterprüfung nicht bestanden habe. Der Widerspruch des Klägers wurde durch Widerspruchsbescheid vom 10. November 1972 zurückgewiesen.
Der Kläger hat am 30. November 1972 Klage erhoben. Er trägt vor, er sei in einigen Seilen der Prüfung, unter anderem über den Teil I c 1 bis 3, nämlich lokale Feuerstätten, zentrale Feuerstätten und Gas- und Oelbrenner nicht bzw. nicht richtig geprüft worden. Wenn er korrekt geprüft worden wäre, hätte er die ungenügende Beurteilung in Punkt c vermieden und damit den praktischen Hauptteil und die gesamte Prüfung bestanden.
Der Kläger beantragt,
unter Aufhebung des Bescheides vom 16. Juni 1972 und des Widerspruchsbescheides vom 10. November 1972 seine Meisterprüfung für bestanden zu erklären,
hilfsweise,
die Bescheide aufzuheben, soweit sie die praktische Prüfung für nicht bestanden erklären.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er trägt vor, daß der Kläger in allen Punkten geprüft worden sei und daß die Prüfung als nicht bestanden zu werten sei, weil er in den Teilen I c und f jeweils mit ungenügend bewertet worden sei.
Das Gericht hat Beweis über den Umfang der Prüfung in den genannten Punkten erhoben durch Vernehmung des Fachbeisitzers, Bezirksschornsteinfegermeister Becker. Auf das Vernehmungsprotokoll vom 13. April 1973 wird Bezug genommen.
Im übrigen wird auf die Prüfungsvorgänge, die Widerspruchsakte und die von den Parteien gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
II.
Der Hilfsantrag ist begründet. Die Prüfungsentscheidung ist rechtswidrig zustande gekommen.
"Der beklagte Prüfungsausschuß hat bei der hier umstrittenen Prüfung allgemeine Bewertungsgrundsätze dadurch verletzt, daß von Prüfern Eigenbewertungen auf Teilgebieten vorgenommen worden sind, in denen diese Prüfer keine hinreichende Gelegenheit zur eigenen Urteilsbildung hatten." (OVG Lüneburg, Urteil vom 17.3.1971 in Gew.Arch. 1971 S. 208).
Es hat sich nämlich anläßlich der Vernehmung des Fachbeisitzers Becker ergeben, daß mindestens bei Abnahme der Prüfungsteilgebiete I c 1 bis 3 nur zwei Fachbeisitzer anwesend waren, während alle vier Fachbeisitzer zu diesen Punkten selbständige und zum Teil voneinander abweichende Bewertungen abgegeben haben. Das heißt, es haben zwei Prüfer selbständige Beurteilungen abgegeben, die bei den betreffenden Prüfungsteilen nicht dabei waren. Es handelte sich teils um mündliche Fragen, teils um Tätigkeiten des Klägers, die nur von Anwesenden beurteilt werden können.
Diese Verletzung allgemeiner Bewertungsgrundsätze kann sich auch auf das Ergebnis der Prüfung ausgewirkt haben. Die Kammer ist der Ansicht: Wenn ein Prüfer wertet, dann muß er auch Gelegenheit haben, durch seine Anwesenheit eine sachgerechte Bewertung zu treffen, und es läßt sich hier jedenfalls theoretisch nicht ausschließen, daß die abwesenden Prüfer zu einem wesentlich besseren Ergebnis gekommen wären, wenn sie pflichtgemäß aufgrund eigener Anwesenheit geurteilt hätten.
Die Kammer hat erwogen, ob man die Sache auch anders sehen könnte: Nämlich so, daß man den Fehler nicht in der Abwesenheit der bewertenden Prüfer erblickt (denn die Abwesenheit könnte vielleicht durch §20 der Meisterprüfungsordnung erlaubt sein), sondern in der Bewertung durch die abwesenden Prüfer. In diesem Falle würde der Fehler sich nur dann auf die Prüfung auswirken, wenn die Prüfung besser würde, sobald man die Bewertung der abwesenden Prüfer wegstriche. Im vorliegenden Fall würden aber auch die Wertungen der anwesenden Prüfer allein zu dem Ergebnis "ungenügend" führen.
Die Kammer hat diese Betrachtungsweise aus zwei Gründen nicht gewählt:
Erstens erscheint ihr diese logische Differenzierung doch etwas überspitzt. Auch das OVG Lüneburg hat in dem genannten Urteil diese Differenzierung nicht vorgenommen. Es sagt vielmehr, daß sich die Verletzung allgemeiner Bewertungsgrundsätze " besonders nachteilig" deshalb ausgewirkt habe, weil der teilweise abwesende Prüfer A günstiger bewertet habe als der Durchschnitt. Das heißt "nachteilig" wirkt es sich immer aus, wenn Prüfer bewerten, die nicht dabei waren.
Zweitens hat die Kammer auch Zweifel, ob die Meisterprüfungsordnung es tatsächlich gestattet, daß Teile der Prüfung nur von einzelnen Mitgliedern des Prüfungsausschusses abgenommen werden. §20 Abs. 1 Satz 2 sagt zwar, daß der Vorsitzende mit der Überwachung der Arbeitsprobe zwei Fachbeisitzer beauftragen kann. Nach Satz 3 entscheiden dann aber nicht diese beiden Fachbeisitzer, sondern der Meisterprüfungsausschußüber die Bewertung. Schließlich ist in §20 Abs. 2 der §19 Abs. 9 Satz 2 für anwendbar erklärt und dort heißt es:
"Soweit die anderen Mitglieder des Meisterprüfungsausschusses die Meisterprüfung im Handwerk des Prüflings oder in einem verwandten Handwerk bestanden haben, sollen sie mitwirken."
In diesen Regelungen kann die Kammer keine klare Ermächtigung erkennen, einzelne Teile der Prüfung von nur zwei Fachbeisitzern abnehmen zu lassen. Die Meisterprüfungsordnung der Handwerkskammer kann in Zweifelsfällen nicht zugunsten der verfassenden Behörde (bzw. der Ausschüsse dieser verfassenden Behörde) ausgelegt werden.
Der Schriftsatz der Handwerkskammer vom 18. April 1973 konnte keinen Einfluß auf das Urteil haben: Die Wertung durch Prüfer, die auf dem zu wertenden Teilgebiet gar keine Gelegenheit hatten, sich eine eigene Meinung zu bilden, würde auch dann gegen "allgemeine Bewertungsgrundsätze" verstoßen, wenn dieses Verfahren für den Hauptteil I von der Meisterprüfungsordnung eindeutig zugelassen wäre. Die allgemeinen Bewertungsgrundsätze gehen als zwingende Gebote der Sachlogik der Meisterprüfungsordnung vor.
Der vom Kläger persönlich in der mündlichen Verhandlung gestellte Hauptantrag, die Prüfung für bestanden zu erklären, war unbegründet: Wegen des Beurteilungsspielraumes von Prüfungsausschüssen kann das Gericht - wie der Prozeßbevollmächtigte des Klägers zutreffend erkannt hat - nur die Prüfungsentscheidung aufheben, nicht aber die Prüfung für bestanden erklären.
Die Kammer war jedoch der Meinung, daß nur der Unterabschnitt f wiederholt werden muß.
Die Kostenentscheidung beruht auf §154 Abs. 1, 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO: Der in der Sitzung neu gestellte Hauptantrag wirkt sich auf den Streitwert nach §14 GKG und damit auf die Kosten nicht aus.
III.
Gegen dieses Urteil ist die Berufung an das Oberverwaltungsgericht in Lüneburg statthaft. Sie ist innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Urteils beim Verwaltungsgericht in Braunschweig schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb dieser Frist beim Oberverwaltungsgericht eingeht.
gez. Dr. Thiedemann
gez. Radke