Verwaltungsgericht Göttingen
Beschl. v. 18.12.2003, Az.: 1 B 323/03

Untersagung der Haltung jeglicher Art von Fischen in Aquarien im Bereich der Betriebsräume einer Diskothek; Zuständigkeit für die tierschutzrechtliche Anordnung; Schmerzfähigkeit von Fischen

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
18.12.2003
Aktenzeichen
1 B 323/03
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2003, 30273
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGGOETT:2003:1218.1B323.03.0A

Fundstellen

  • NVwZ-RR 2004, 487 (amtl. Leitsatz)
  • NdsVBl 2004, 191-192
  • NuR 2006, 812 (amtl. Leitsatz)
  • ZfW 2005, 32

Verfahrensgegenstand

Fischhaltung in einer Diskothek

Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO

Prozessführer

A.,
vertreten durch die Geschäftsführer B., C.

Prozessgegner

F., G.

In der Verwaltungsrechtssache
hat das Verwaltungsgericht Göttingen -1. Kammer -
am 18. Dezember 2003
beschlossen:

Tenor:

Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

1

Der Antrag nach § 80 Abs.5 VwGO auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 8. September 2003 und den Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung Braunschweig vom 19. November 2003 erhobenen Klage -1 A 316/03 - ist zulässig, aber unbegründet.

2

Der Antragsgegner hat im gesamten Bereich der Betriebsräume der Diskothek (mit Nebenräumen im Kellergeschoss und Erdgeschoss des Gebäudes H. in I.) die Haltung jeglicher Art von Fischen in Aquarien untersagt und die pflegliche anderweitige Umsetzung der dort bislang gehaltenen Fische angeordnet.

3

Die Bezirksregierung Braunschweig hat in dem angefochtenen Widerspruchsbescheid das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Bescheides des Antragsgegners vom 8. September 2003 in einer den Anforderungen des § 80 Abs. 3 VwGO genügenden Weise begründet.

4

Die in materiell-rechtlichter Hinsicht im Rahmen der Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende Interessenabwägung geht zu Lasten der Antragstellerin aus. Nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung sind die Erfolgsaussichten der gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 8. September 2003 und den Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung Braunschweig vom 19. November 2003 erhobenen Klage derzeit als offen anzusehen.

5

Entgegen der Einschätzung der Antragstellerin ist der Bescheid des Antragsgegners vom 8. September 2003 nicht bereits wegen fehlender Zuständigkeit für die tierschutzrechtliche Anordnung rechtswidrig. Mit der aufsichtsbehördlich genehmigten Vereinbarung vom 28. Mai 2003 haben die J. und der Antragsgegner eine Zweckvereinbarung nach § 13 Abs. 4 des Zweckverbandsgesetzes getroffen, wonach mit der Übertragung sämtlicher ordnungsbehördlicher Aufgaben auf dem Gebiet des Tierschutzes der Antragsgegner auch die Zuständigkeit für das Stadtgebiet erlangt hat. Nach § 13 Abs. 6 des Zweckverbandsgesetzes ist die J. durch diese Zweckvereinbarung von ihrer gesetzlichen Pflicht befreit worden, die ihr nach der Zuständigkeitsverordnung für die Ausführung von Bundesgesetzen obliegende Zuständigkeit nach dem Tierschutzgesetz wahrzunehmen. Diese Vereinbarung ist auch ordnungsgemäß bekannt gemacht worden. Soweit der Antragsgegner in seiner Klageerwiderung eine andere Einschätzung vertreten hat (eine reine Aufgabenverlagerung ohne Zuständigkeitsübertragung), vermag dies den oben erwähnten Regelungsgehalt der Vereinbarung nach § 13 Abs. 4 des Zweckverbandsgesetzes nicht zu berühren.

6

Für die im Rahmen der Interessenabwägung bedeutsamen Frage nach der Rechtmäßigkeit der angegriffenen Bescheide in der Sache beurteilt die Kammer die Erfolgsaussichten der Klage derzeit als offen. Allerdings ist die Antragstellerin darauf hinzuweisen, dass die herrschende Fachmeinung davon ausgeht, dass Fische leidensfähig sind. Bezweifelt wird allerdings eine Schmerzfähigkeit von Fischen (vgl. Lorz/Metzger, Tierschutzgesetz, 5. Auflage 1999, § 1 TierSchG, Rn 25, 41 sowie die in den Verwaltungsvorgängen befindlichen fachlichen Stellungnahmen). Fische verfügen über Organe, die auf Schall- und Druckwellen sowie Lichtimpulse reagieren (Innenohr, Schwimmblase, Seitenlinie, Rezeptoren und Augen). Von daher steht nicht ernsthaft in Zweifel, dass Fischen durch hohe Schall- und Druckwellen und starke Lichtimpulse tierschutzrelevante Leiden zugefügt werden können, d.h. dass es zu Einwirkungen und Beeinträchtigungen des Wohlbefindens kommen kann, die der Wesensart der Fische zuwider laufen, instinktwidrig sind und vom Tier gegenüber seinem Selbst- oder Arterhaltungstrieb als lebensfeindlich empfunden werden. Ob dies allerdings bei dem Seewasseraquarium der Antragstellerin am Aufstellort in der Diskothek der Fall ist, kann nach derzeitiger Aktenlage nicht abschließend und sicher beurteilt werden. Dies dürfte mit Blick auf die in den Verwaltungsvorgängen befindlichen fachlichen Stellungnahmen von der Art der gehaltenen Fische, der erreichten Schallpegel und deren Auswirkung auf das Verhalten der Fische selbst abhängen. Diese Einschätzung gilt gleichermaßen auch für die Lichtimpulse, denen die Fische beim Betrieb der Diskothek ausgesetzt sein werden. Insoweit steht die Behauptung der Antragstellerin, die Fische seien keinen starken Lichtimpulsen ausgesetzt, in Widerspruch zu den mehrmaligen Feststellungen der Bediensteten des Veterinäramtes des Antragsgegners vor Ort. Derzeit fehlt es jedoch an einer gesicherten Grundlage darüber, ob den von der Antragstellerin gehaltenen Fischen durch Geräuschpegel von bis zu 85 dB(A) und durch Lichtimpulse an dem derzeitigen Aufstellort tierschutzrelevante Leiden zugefügt werden. Diese Klärung muss dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben. Das Gericht geht deshalb auch im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzverfahren dem Vortrag des Antragsgegners nicht weiter nach, es sei angeblich schon zu einem Verenden von mehreren Fischen im Aquarium der Antragstellerin wegen der tierschutzwidrigen Haltung gekommen.

7

Ob die streitbefangene Untersagung, jegliche Fische in den gesamten Räumlichkeiten der Antragstellerin zu halten, in diesem Umfang rechtlichen Bestand haben kann, wird ebenfalls der Entscheidung im Hauptsacheverfahren vorbehalten sein. Es ist weder von der Antragstellerin dargetan noch sonst ersichtlich, dass es andere Aufstellorte für das Aquarium im gesamten Bereich der Betriebsräume gibt, an denen tierschutzrelevante Einwirkungen auf die Fische sicher ausgeschlossen werden können und die daneben auch dem Interesse der Antragstellerin, eine Attraktion für die Besucher der Diskothek zu schaffen, genügen könnten.

8

Angesichts dessen nimmt das Gericht eine reine Interessenabwägung vor, die zu Lasten der Antragstellerin ausgeht. Da es als gesichert anzusehen ist, dass Fischen wegen ihrer Schall- und Lichtempfindlichkeit durch eine insoweit nicht artgerechte Haltung zumindest tierschutzrelevante Leiden (wenn nicht sogar Schmerzen und Schäden) zugefügt werden können, überwiegt das öffentliche Interesse am Schutz der Fische vor solchen Einwirkungen das private Interesse der Antragstellerin, bis zur Entscheidung im Klageverfahren von der Umsetzung ihrer Fische verschont zu bleiben. Eine besondere Schutzwürdigkeit der Antragstellerin besteht insoweit nicht, da es ihr lediglich darum geht, eine Attraktion für die Besucher ihrer Diskothek zu schaffen. Dass ihre wirtschaftliche Tätigkeit, geschweige denn die wirtschaftliche Existenz ihres Betriebes von dem Halten von Fischen in den Betriebsräumen abhängen könnte, ist nicht ersichtlich und von der Antragstellerin selbst auch nicht vorgetragen worden. Von daher stellt die Umsetzung der Fische aus der Diskothek für die Antragstellerin auch keine unzumutbare Belastung dar. Eine anderweitige Unterbringung und Versorgung der Fische ist durchaus möglich. Auch kann das Aquarium mit den Fischen vorübergehend an einen anderen Aufstellort verbracht werden.

9

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. [...].

Streitwertbeschluss:

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.000,- Euro festgesetzt.

[D]ie Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 S. 2 GKG. Das Gericht legt in ständiger Rechtsprechung bei einer tierschutzrechtlichen Anordnung den Auffangstreitwert des § 13 Abs. 1 S. 2 GKG zu Grunde, der für das vorläufige Rechtschutzverfahren zu halbieren ist.