Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 09.12.2003, Az.: 4 A 4014/01
Schulweg; Schulweglänge; Schülerbeförderung; Sicherheit
Bibliographie
- Gericht
- VG Göttingen
- Datum
- 09.12.2003
- Aktenzeichen
- 4 A 4014/01
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 48312
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 114 Abs 1 SchulG ND
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt von dem Beklagten die Erstattung von Kosten der Schülerbeförderung.
Die am 11.05.1992 geborene Tochter [] des Klägers besuchte im Jahr 2000 den 2. Schuljahrgang der [Grundschule] in []. Für den Schulweg nutzte sie Busse des öffentlichen Nahverkehrs.
Am 28.09.2000 beantragte der Kläger bei dem Beklagten die Erstattung von Kosten der Schülerbeförderung für den Zeitraum vom 25.01.2000 bis zum 23.05.2000 in Höhe von 59,95 DM. Durch Bescheid vom 05.10.2000 lehnte der Beklagte den Antrag mit der Begründung ab, der Schulweg der Tochter des Klägers erreiche nicht die nach seiner Satzung über die Schülerbeförderung notwendige Mindestlänge von 2 km.
Am 19.10.2000 legte der Kläger gegen diesen Bescheid Widerspruch ein. Zur Begründung machte er geltend, der vom Beklagten gemessene Schulweg sei nicht der kürzeste, sichere öffentliche Weg im Sinne der Satzung über die Schülerbeförderung. Im Bereich der [B-Straße]/[C-Straße], die der Schulweg kreuze, verlaufe die Straße im Gefälle, was Autofahrer zu überhöhter Geschwindigkeit verleite. Es handele sich um eine große Kreuzung, die nicht mit einem Fußgängerüberweg versehen sei. Aus Sicherheitsgründen müsse seine Tochter einen Fußgängerüberweg benutzen, der sich nördlich in der [B-Straße] befinde. Bei Benutzung dieses Weges werde die Mindestentfernung überschritten.
Durch Widerspruchsbescheid vom 09.01.2001 (dem Kläger zugestellt am 16.01.2001) wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte er aus, im Rahmen einer Kontrollmessung sei ermittelt worden, dass die Länge des Schulweges gemessen vom Schuleingang der [Grundschule] in der [D-Straße] bis zum Wohnhaus des Klägers 1.871 m betrage. Der beleuchtete und gut einsehbare Kreuzungsbereich [A-Straße]/[B-Straße]/[C-Straße] sei nicht als unsicher einzustufen. Der vom Kläger genannte Fußgängerüberweg werde von Schulkindern kaum benutzt.
Am 13.02.2001 hat der Kläger Klage erhoben. Zur Begründung wiederholt und vertieft er sein Widerspruchsvorbringen.
Der Kläger beantragt,
den Beklagten unter Aufhebung seines Bescheides vom 05.10.2000 und seines Widerspruchsbescheides vom 09.01.2001 zu verpflichten, ihm für den Zeitraum vom 25.01.2000 bis zum 23.05.2000 Kosten der Schülerbeförderung in Höhe von 30,65 Euro zu erstatten.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung bezieht er sich auf seine Ausführungen im Widerspruchsbescheid.
Das Gericht hat das Polizeikommissariat [] um Auskunft zu den Verkehrsverhältnissen im Bereich der Kreuzung [A-Straße]/[B-Straße]/[C-Straße] gebeten. Wegen des genauen Inhalts der Anfrage wird auf Bl. 30, wegen des Inhalts der Antwort wird auf Bl. 32 der Gerichtsakte Bezug genommen. Des Weiteren hat das Gericht Aufzeichnungen über die vom Beklagten im betreffenden Bereich in den Jahren 1999 und 2000 durchgeführten Radarmessungen angefordert; insoweit wird auf Bl. 34 bis 37 der Gerichtsakte Bezug genommen.
Im Rahmen der mündlichen Verhandlung hat das Gericht den streitbefangenen Schulweg einschließlich der Kreuzung [A-Straße]/[B-Straße]/[C-Straße] im Wege der Beweisaufnahme in Augenschein genommen und seine Länge festgestellt. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes nimmt das Gericht Bezug auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den Verwaltungsvorgang des Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, dem Kläger die für die Schülerbeförderung seiner Tochter [] im streitbefangenen Zeitraum entstandenen Kosten zu erstatten.
Gemäß § 114 Abs. 1 des Nds. Schulgesetzes (NSchG) sind die Landkreise und kreisfreien Städte Träger der Schülerbeförderung. Sie haben (u. a.) die in ihrem Gebiet wohnenden Schülerinnen und Schüler der 1. bis 10. Schuljahrgänge der allgemeinbildenden Schulen unter zumutbaren Bedingungen zur Schule zu befördern oder ihnen oder ihren Erziehungsberechtigten die notwendigen Aufwendungen für den Schulweg zu erstatten. Die Schülerbeförderung gehört zum eigenen Wirkungskreis der Landkreise und kreisfreien Städte (§ 114 Abs. 1 S. 3 NSchG), die die weiteren Voraussetzungen der Beförderungs- oder Erstattungspflicht, insbesondere auch die Mindestentfernung zwischen Wohnung und Schule, von der an die Beförderungs- oder Erstattungspflicht besteht, unter Berücksichtigung der Belastbarkeit der Schülerinnen und Schüler und der Sicherheit des Schulwegs selbst festlegen können (§ 114 Abs. 2 NSchG). Von dieser Ermächtigung hat der Beklagte durch seine am 01.02.1995 in Kraft getretene Satzung über die Schülerbeförderung im Landkreis [] Gebrauch gemacht.
Nach § 1 Abs. 1 i. V. m. § 2 Abs. 1 dieser Satzung haben Schülerinnen und Schüler, die die in § 114 Abs. 1 NSchG genannten Bildungsgänge besuchen und im Landkreis [] wohnen, einen Anspruch auf Beförderung zur Schule und zurück oder auf Erstattung der notwendigen Aufwendungen für den Schulweg, wenn der Schulweg die Mindestentfernung von 2.000 m überschreitet. Maßgebend für die Ermittlung der Mindestentfernung ist der vom Träger der Schülerbeförderung bestimmte kürzeste, sichere öffentliche Weg zwischen der Haustür des Wohngebäudes der Schülerin bzw. des Schülers und dem nächstgelegenen benutzbaren Hauseingang des Schulgebäudes (Schulweg). In besonders begründeten Ausnahmefällen besteht der Anspruch nach § 1 Abs. 2 der Satzung unabhängig von der Mindestentfernung, wenn der Schulweg nach den objektiven Gegebenheiten besonders gefährlich oder nach den örtlichen Gegebenheiten ungeeignet ist.
Der Begriff des „Schulwegs“ ist ein sog. unbestimmter Rechtsbegriff, der aus dem Gesetz heraus nur einheitlich und ohne einen Ermessensspielraum interpretiert werden kann (Littmann in: Seyderhelm/Nagel/Brockmann, NSchG, Stand: September 2002, § 114 Anm. 3). Die vom Beklagten in seiner Satzung getroffene Bestimmung des Schulwegs ist nicht zu beanstanden. Insbesondere berücksichtigt sie hinreichend die Belastbarkeit der Schülerinnen und Schüler. Sie geht davon aus, dass Schülerinnen und Schüler des Primarbereiches für ihren Schulweg in einer Richtung nicht mehr als 50 Minuten aufwenden sollen, und dass bei der Berechnung je 200 m 3 Minuten anzusetzen sind (§ 2 Abs. 4 der Satzung). Für einen Schulweg von 2.000 m haben Schüler des Primarbereichs somit etwa je Richtung 30 Minuten aufzuwenden, was angemessen und schulpflichtigen Kindern zumutbar erscheint. Auch die Benennung der Messpunkte (Haustür bzw. nächstgelegener benutzbarer Hauseingang des Schulgebäudes) hält sich im Rahmen des rechtlich Zulässigen (vgl. OVG Lüneburg, Urt. v. 20.01.1993 - 13 L 3511/92 -, OVGE 43, 363; Littmann, a.a.O.).
Der vom Gericht in Augenschein genommene kürzeste Schulweg zwischen der Haustür des Wohnhauses des Klägers und dem nächstgelegenen Eingang der [Grundschule] folgt in west-südwestlicher Richtung über eine Strecke von etwa 1.150 m dem [A-Straße] und kreuzt dabei die [C-Straße] bzw. die [B-Straße], den [A-Straße] selbst im Bereich der [E-Straße] und die [F-Straße]. Kurz darauf mündet er rechts in die [G-Straße] ein und kreuzt den [H-Straße], die [G-Straße] selbst, den [I-Straße], die [J-Straße] und den [K-Straße] an den entsprechenden Straßenkreuzungen oder -einmündungen. Etwa 30 m hinter der Einmündung des [K-Straße] liegt der Haupteingang zur [Grundschule]. Die Länge des Weges, gemessen von der Tür des Wohnhauses des Klägers bis zum Haupteingang der Schule, beträgt 1.883 m. Zu einem etwa gleichen Wert wäre man gelangt, wenn man nicht, wie das Gericht auf Anregung der Beteiligten, teilweise den südlichen und teilweise den nördlichen Gehweg des [A-Straße] benutzt hätte. Wie sich herausstellte, wäre eine durchgehende Benutzung des südlichen Gehwegs sinnvoller gewesen, weil man dadurch zwei Fahrbahn-Überquerungen vermieden hätte. Auf die vom Kläger aufgeworfene Frage, ob hinsichtlich der Entfernung auf den Eingang des von seiner Tochter seinerzeit tatsächlich besuchten, ebenfalls auf dem Schulgelände gelegenen weiteren Schulgebäudes abzustellen ist, kommt es nicht an, da nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme auch der Weg bis zu diesem Gebäude unter 2.000 m lang ist. Die Länge des vom Kläger bevorzugten Schulwegs, der den Fußgängerüberweg in der [B-Straße] einbezieht, beträgt je nach gewählter Variante 2.072 m bzw. 2.105 m bis zum Haupteingang der Schule.
Die Tochter des Klägers war im streitbefangenen Zeitraum nicht darauf angewiesen, einen mehr als 2.000 m langen Schulweg zu nutzen, denn der vom Gericht in Augenschein genommene kürzeste Schulweg, der die Mindestentfernung von 2.000 m unterschreitet, ist sicher i. S. v. § 2 Abs. 1 der Satzung.
Sowohl [A-Straße] als auch [G-Straße] sind innerörtliche Straßen, die fast ausschließlich durch Wohnbebauung hindurchführen und mit breiten Gehwegen und Straßenlampen ausgestattet sind. Wählt man den Gehweg südlich des [A-Straße], so ist außer der [C-Straße] nahezu jede Kreuzung oder Einmündung mit (insgesamt sechs) Fußgängerüberwegen versehen. Die Verkehrsdichte hält sich in Grenzen und es erscheint für eine fast 8-jährige Schülerin, die mit den Verhältnissen des Straßenverkehrs bereits vertraut gemacht worden ist, vertretbar, diesen Schulweg zu benutzen. Dies gilt auch für die Überquerung der [C-Straße]. Zwar befindet sich dort kein Fußgängerüberweg und keine Lichtzeichenanlage. Die Kreuzung ist jedoch übersichtlich und gut einsehbar. Überquert man die Kreuzung im südlichen Bereich, so kann man weit in die [C-Straße] hineinsehen und wird von Autofahrern, die hier bereits seit etwa zweihundert Metern eine Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h einhalten müssen, frühzeitig gesehen. Ein Kind im Alter von nahezu 8 Jahren, das von seinen Eltern hinreichend eingewiesen worden ist, wird auch in der Lage sein, auf Kraftfahrzeuge zu achten, die östlich oder westlich aus dem [A-Straße] in die [C-Straße] einbiegen. Hinzu kommt, dass dieser Weg gegenüber dem vom Kläger bevorzugten - wie bereits erwähnt - den Vorteil hat, dass ein auf der Südseite des [A-Straße] wohnendes Kind die Fahrbahn weniger oft überqueren muss.
Das Gericht sieht auch keinen Anlass zu befürchten, Autofahrer könnten wegen der nördlich der Kreuzung abschüssigen [B-Straße] in nennenswerter Anzahl dazu verleitet werden, die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h zu überschreiten. Nach Auskunft des Polizeikommissariats [] führt die Polizei im Bereich der Kreuzung, die keine Unfallgefahrenstelle sei, nicht zielgerichtet Geschwindigkeitskontrollen durch, da die Höchstgeschwindigkeit hier nicht besonders häufig überschritten werde. Entsprechendes ergibt sich aus den vom Beklagten vorgelegten Messprotokollen. Danach sind in der Zeit vom 31.03.1999 bis zum 21.12.2000 auf der [B-Straße] in Richtung [H-Straße] insgesamt 20 und in Richtung [C-Straße] insgesamt 26 Messungen durchgeführt worden. Den Messprotokollen ist zu entnehmen, dass der überwiegende Anteil der Verstöße im Bereich von Überschreitungen bis 10 km/h lag und es nur in wenigen Einzelfällen zu Überschreitungen von mehr als 15 km/h kam. Den Geschwindigkeitsmessungen lässt sich keinesfalls entnehmen, dass an dieser Stelle überdurchschnittlich oft „gerast“ wird und die Kreuzung daher eine besondere Gefahrenstelle bildet.
Zwar lässt sich der Eintritt von Unfällen im Straßenverkehr und auch an dieser Kreuzung letztlich nicht vollständig ausschließen. Bei einer sorgfältigen Vorbereitung durch die Eltern, wie sie Kindern im Vor- und im Grundschulalter zuteil werden sollte, erscheint es jedoch gewährleistet, dass ein Kind im Alter der Tochter [] des Klägers den Kreuzungsbereich sicher überqueren kann. Ein Anspruch des Klägers auf Erstattung der Kosten für die Schülerbeförderung seiner Tochter [] im Zeitraum vom 25.01.2000 bis zum 23.05.2000 scheidet nach alledem aus.
Das Gericht sieht allerdings Anlass darauf hinzuweisen, dass es die obige Einschätzung für ein etwa sechs bis siebeneinhalb Jahre altes Kind voraussichtlich nicht in gleicher Weise vornehmen würde, da Kinder dieses Alters in ihrem Reifungsprozess im Regelfall noch nicht so weit fortgeschritten sein dürften, dass ein unvertretbares Risiko beim Überqueren der großflächigen, nicht mit Fußgängerüberwegen ausgestatteten Kreuzung mit der notwendigen Sicherheit ausgeschlossen werden könnte.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergeht nach § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.