Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 07.02.2017, Az.: 2 A 304/15

inländische Fluchtalternative; Pakistan

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
07.02.2017
Aktenzeichen
2 A 304/15
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2017, 53838
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Alleinstehenden jungen Männern steht in Pakistan in den großen Städten eine inländische Fluchtalternative zur Verfügung.

Tatbestand:

Der am xx.xx.1993 geborene Kläger ist pakistanischer Staatsangehörigkeit und sunnitischer Religionszugehörigkeit. Er lebte vor seiner Ausreise zuletzt in F. und war hier als Rikschafahrer tätig.

Im Mai 2015 reiste er aus seiner Heimat aus und am 5. August 2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Zu seinem hier am 30. Oktober 2015 gestellten Asylantrag wurde der Kläger vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge am 30. November 2015 angehört. Dabei führte er zu seinen Asylgründen wie folgt aus:

Er sei mit seiner Rikscha an einer Bank vorbei gefahren. Da habe er gesehen, dass vier Männer auf zwei Motorrädern eine Frau überfallen hätten, die aus der Bank gekommen sei. Zwei der vier Männer hätten versucht, der Frau ihre Handtasche zu entreißen. Er, der Kläger, sei ausgestiegen um zu helfen. Als er hinzugekommen sei, seien die Männer geflüchtet. Dabei hätten sie aber sein Gesicht gesehen. Sie hätten ihn deshalb zusammengeschlagen. In der Folgezeit sei er von diesen Männern 3- bis 4-mal geschlagen worden wenn sie ihn wiedergesehen hätten. Sie hätten ihn auch mit dem Tode bedroht. Stets hätten die Männer Waffen dabei gehabt. Manchmal sei er auch nur angehalten und bedroht worden. Als sie ihn bedroht hätten und ihn mit dem Tode bedroht hätten, habe er nicht mehr in Pakistan bleiben wollen. Woanders habe er in Pakistan nicht hingehen können. Er sei auch nicht zur Polizei gegangen, da er einen Älteren dorthin hätte mitnehmen müssen, eine solche ältere Person aber nicht gekannt habe.

Mit Bescheid vom 3. Dezember 2015 versagte die Beklagte dem Kläger die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und lehnte seinen Antrag auf Asylanerkennung ab. Ferner versagte sie auch die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus und stellte fest, das Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes nicht vorliegen; gleichzeitig forderte sie den Kläger auf die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach unanfechtbarem Abschluss des Asylverfahrens zu verlassen, wobei sie für den Fall der Nichtbefolgung die Abschiebung nach Pakistan androhte. Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot befristete sie auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung.

Hiergegen hat der Kläger am 21. Dezember 2015 Klage erhoben.

Zu deren Begründung trägt er im Wesentlichen vor, er habe vor einer Bank auf Kunden gewartet. Bei dem Versuch, einer Frau zu helfen, die überfallen worden war, sei er von vier Männern auf Motorrädern zusammengeschlagen worden. Die Männer seien geflüchtet, hätten ihn, dem Kläger, jedoch in den nächsten Tagen immer wieder bedroht, als er als Rikschafahrer in der Stadt unterwegs gewesen sei. Er habe gar nicht erst versucht zur Polizei zu gehen, da solche Banden die Polizei bestechen würden und diese dann nichts unternehme. Die Bande habe gewusst, wo er wohne und wo seine Freunde wohnten. Sein Heimatort gehöre zum Einflussbereich der Taliban.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter entsprechender Aufhebung ihres Bescheides vom 3. Dezember 2015 zu verpflichten, die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen,

hilfsweise,

den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen,

weiter hilfsweise,

festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 bzw. 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes vorliegen.

Die Beklagte tritt dem klägerischen Vorbringen unter Bezugnahme auf den angefochtenen Bescheid vom 3. Dezember 2015 entgegen und beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Kläger ist in mündlicher Verhandlung informatorisch zu seinen Asylgründen angehört worden. Wegen der weiteren Einzelheiten seiner Aussagen wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze, die Verwaltungsvorgänge der Beklagen und die Ausländerakten der Stadt G. Bezug genommen. Diese Unterlagen sind ebenso Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen wie die aus der den Beteiligten mit der Ladung übersandten Liste ersichtlichen Erkenntnismittel.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 3. Dezember 2015 ist rechtmäßig und der Kläger hat die geltend gemachten Ansprüche gegen die Beklagte nicht (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).

Der Kläger hat einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gem. § 3 Abs. 4 AsylG nicht.

Nach § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländerflüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtstellung der Flüchtlinge (Bundesgesetzblatt 1953 II S. 559, 560), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will. In Anbetracht des Beweisnotstandes, in dem sich ein Asylbewerber in der Regel befindet, ist es notwendig, aber auch hinreichend, wenn er schlüssig und nachvollziehbar ein glaubhaftes Verfolgungsschicksal darlegt, das ihn veranlasst hat, sein Heimatland zu verlassen. Bei erheblichen Widersprüchen oder Steigerungen in Sachvortrag kann dem Asylsuchenden indes nur bei einer überzeugenden Auflösung der Unstimmigkeiten geglaubt werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 23.02.1988 - 9 C 32/87 -; BVerfG, Beschluss vom 29.11.1990 - 2 BvR 1095/90 -, jeweils zitiert nach juris).

An einem derart glaubwürdigen Vortrag zum Verfolgungsschicksal fehlt es vorliegend. Das Gericht konnte - nicht zuletzt auch aufgrund des Ergebnisses der mündlichen Verhandlung - nicht die erforderliche Überzeugung davon gewinnen, dass die vom Kläger im Klageverfahren und nach Anhörung behaupteten Fluchtgründe der Wahrheit entsprechen. Sein Vortrag ist insoweit widersprüchlich, ohne dass der Kläger in der Lage gewesen wäre, diese Steigerung nachvollziehbar zu erklären.

Bei der Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ebenso wie bei seiner informatorischen Anhörung hat der Kläger vorgetragen, er sei zufällig an dem Ereignis mit der überfallenen Frau vorbeigekommen. In seiner Klagebegründung hat er demgegenüber vorgetragen, vor der Bank gewartet zu haben.

Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt ebenso wie bei seiner informatorischen Anhörung vor Gericht hat der Kläger vorgetragen, er sei erst später von den vier Männern bzw. einigen von ihnen geschlagen worden. In seiner Klagebegründung hat er demgegenüber angegeben, während des Versuchs, der Frau zu helfen, geschlagen worden zu sein.

Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt ebenso wie bei seiner informatorischen Anhörung hat der Kläger als Grund dafür, nicht zur Polizei gegangen zu sein angegeben, er habe keinen „Älteren“ gehabt, der ihn begleitet hätte. Demgegenüber hat er in der Klagebegründung angegeben, gar nicht erst versucht zu haben zur Polizei zu gehen, da solche Banden die Polizei bestechen würden.

Diese Widersprüche hat der Kläger nicht aufzuklären vermocht.

Er hat auch nicht zu erklären vermocht, warum er als 22-jähriger nicht alleine zur Polizei hat gehen können. Er hat auch nicht zufriedenstellend darlegen können, warum sein etwa 8 Jahre älterer ältester Bruder nicht als in diesem Sinne „Älterer“ gelten konnte. Sein Einwand, er habe seinen Bruder nicht gefährden wollen, erscheint als Ausflucht. Denn auf der anderen Seite hat sich der Kläger darüber beklagt, dass keiner seiner Brüder ihm geholfen hätte. Dies steht im Übrigen auch im Widerspruch zu der Aussage des Klägers, einen Teil der Ausreisekosten von seinem ältesten Bruder finanziert bekommen zu haben.

Nicht schlüssig nachvollziehbar ist für das Gericht auch, wieso der Kläger 3- bis 4-mal geschlagen worden sein will und darüber hinaus auch bedroht worden sein will, ohne dass die Drohung, ihn zu töten, in die Tat umgesetzt worden ist. Dies bleibt unverständlich, wenn man bedenkt, dass die Täter offensichtlich skrupellos Gewalt anwenden und bewaffnet sind und - jedenfalls nach dem Vortrag des Klägers - von der Polizei nichts zu befürchten hatten. Wären diese Männer so allmächtig gewesen, hätte es für sie ein Einfaches sein müssen, den Kläger zu beseitigen. Dies ist indes nicht geschehen.

Selbst wenn man dem Kläger in seinem Vortrag folgen würde, hätte er einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht, weil ihm eine inländische Fluchtalternative zur Verfügung steht. Insoweit hat die Kammer mit Urteil vom 19. Januar und 26. Mai 2016 (2 A 364/14) wie folgt ausgeführt:

„Nach § 3e Abs. 1 AsylG wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er (1.) in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung, wobei die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 QRL zu beachten ist (BVerwG, U.v. 5.5.2009 – 10 C 21/08 – juris), oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylVfG hat und (2.) sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt. Damit wird die Nachrangigkeit des Schutzes verdeutlicht. Der Drittausländer muss am Zufluchtsort jedoch eine ausreichende Lebensgrundlage vorfinden d.h. es muss zumindest (in faktischer Hinsicht) das Existenzminimum gewährleistet sein, was er unter persönlich zumutbaren Bemühungen sichern können muss. Dies gilt auch, wenn im Herkunftsgebiet die Lebensverhältnisse gleichermaßen schlecht sind. Unerheblich ist, ob eine Gefährdung am Herkunftsort in gleicher Weise besteht. Darüber hinaus ist auch erforderlich, dass das Zufluchtsgebiet für den Drittausländer erreichbar ist (BT-Drs. 16/5065 S. 185; BVerwG, U.v. 29.5.2008 – 10 C 11/07 – juris). Nach § 3e Abs. 2 AsylVfG sind bei der Prüfung der Frage, ob ein Teil des Herkunftslandes die Voraussetzungen nach § 3e Abs. 1 AsylVfG erfüllt, die dortigen allgemeinen Gegebenheiten und die persönlichen Umstände des Ausländers gemäß Art. 4 QRL zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag zu berücksichtigen. Zu diesem Zweck sind genaue und aktuelle Informationen aus relevanten Quellen, wie etwa des UNHCR oder des EASO einzuholen. § 3e Abs. 2 AsylVfG setzt den neugefassten Art. 8 QRL um und enthält auch inhaltliche Änderungen gegenüber der bisherigen Rechtslage. So muss das Zufluchtsgebiet für den Betroffenen auch erreichbar sein, wofür eine Reihe von Kriterien festgelegt wurde. Im Gegensatz zur bisherigen Rechtslage kann nicht mehr davon ausgegangen werden, dass praktische, in der Regel vorübergehende Rückkehrhindernisse wie etwa unterbrochene Verkehrsverbindungen in das Zufluchtsgebiet für die Annahme einer internen Schutzmöglichkeit unschädlich sind. Danach ist interner Schutz nur dann gegeben, wenn im Zeitpunkt der Entscheidung eine tatsächliche Möglichkeit zur Einreise in das in Betracht kommende Zufluchtsgebiet besteht (BT-Drs. 17/13063 S. 20).

Unter Berücksichtigung obiger Vorgaben und Grundsätze ist davon auszugehen, dass der Kläger in anderen Teilen Pakistans, insbesondere in den größeren Städten, eine interne Schutzmöglichkeit i.S.v. § 3e AsylVfG finden kann. In den Städten Pakistans – vor allem in den Großstädten Rawalpindi, Lahore, Karachi, Peshawar oder Multan – leben potentiell Verfolgte aufgrund der dortigen Anonymität sicherer als auf dem Lande. Selbst Personen, die wegen Mordes von der Polizei gesucht werden, könnten in einer Stadt, die weit genug von ihrem Heimatort entfernt liegt, unbehelligt leben (vgl. Nr. II.3 des Lageberichts des Auswärtigen Amtes vom 23. Juli 2015, S. 21). Angesichts der hohen Bevölkerungszahl in Pakistan und mehrerer Millionenstädte, ist nicht ersichtlich, dass der Vater des Klägers die Mittel hätte diesen in seiner ganzen Heimatprovinz und/oder gar landesweit ausfindig zu machen und zu verfolgen. Letztlich hat der Kläger selbst im verwaltungsgerichtlichen Verfahren angegeben und belegt, dass das pakistanische Meldewesen überaus defizitär ist und keine Grundlage für Nachforschungen nach Personen bietet.

In den Großstädten und in anderen Landesteilen kann der Kläger als erwachsener junger Mann ohne eigene Kinder auch ein ausreichendes Einkommen finden (vgl. Wagner an VG Karlsruhe vom 9. November 2011; UNHCR vom 14. Mai 2012). Dies gilt zumal der Kläger gebildet und in der Lage ist, Auto zu fahren. Zwar ist das Leben in den Großstädten teuer, allerdings haben viele Menschen kleine Geschäfte oder Kleinstunternehmen. Es gibt aufgrund der großen Bevölkerung viele Möglichkeiten für Geschäfte auf kleiner Basis (vgl. zum Ganzen auch: VG Augsburg, U. v. 30.03.2015 -Au 3 K 14.30437- juris Rn. 51-53; VG Regensburg, U.v. 9.1.2015 – RN 3 K 14.30674 – juris Rn. 23; U.v. 10.12.2013 – RN 3 K 13.30374 – juris Rn. 31 jeweils unter Bezugnahme auf die Auskunft des Bundesasylamts der Republik Österreich vom Juni 2013, Pakistan 2013, S. 76; VG Düsseldorf, U. v. 02.09.2015 -14 K 6662/14.A-, Vnb.). Es kann somit vom Kläger erwartet werden, dass er sich in einem dieser Landesteile niederlässt.“

Diese Entscheidung und die sie tragenden Erwägungen sind durch Beschluss des Nds. Oberverwaltungsgerichts vom 12. Oktober 2016 (11 LA 137/16) bestätigt worden.

Hinsichtlich der Verfügungspunkte 3 bis 6 des Bescheides der Beklagten vom 3. Dezember 2015 (subsidiärer Schutzstatus, Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes, Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung sowie gesetzliches Einreise- und Aufenthaltsverbot) stellt das Gericht gemäß § 77 Abs. 2 AsylG fest, dass es insoweit der zutreffenden Begründung der Beklagten in dem angegriffenen Bescheid folgt.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83 b AsylG.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit stützt sich auf §§ 167 VwGO i.V.m. 708 Nr. 11, 711 ZPO.