Anwaltsgerichtshof Niedersachsen
Urt. v. 05.09.2016, Az.: AGH 17/15 (I 1)

Bibliographie

Gericht
AGH Niedersachsen
Datum
05.09.2016
Aktenzeichen
AGH 17/15 (I 1)
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2016, 43585
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tenor:

Die Berufung wird auf Kosten des Rechtsanwalts verworfen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Rechtsanwalt hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Angewendete Vorschriften: §§ 43, 46 Abs.1 , 46 Abs.2 Nr.1,113, 197 BRAO (in der bis zum 31.12.2015 gültigen Fassung)

Gründe

I.

Die 1. Kammer des Anwaltsgerichts für den Bezirk der Rechtsanwaltskammer ... hat gegen den Rechtsanwalt mit Urteil vom 01.07.2015 eine Geldbuße in Höhe von 500,00 € verhängt. Sie hat ihn schuldig gesprochen, gegen seine Berufspflichten als Rechtsanwalt verstoßen zu haben und seinen Beruf gewissenhaft auszuüben. Gegen dieses Urteil hat der Rechtsanwalt am 07. Juli 2015 schriftlich Berufung eingelegt.

Die Berufung ist gemäß  § 143 BRAO zulässig, hat in der Sache aber keinen Erfolg.

II.

Zu den persönlichen Verhältnissen des Rechtsanwalts hat der Senat Folgendes festgestellt.

Der am ... in ... geborene Rechtsanwalt war bereits nach Absolvieren der zweiten juristischen Staatsprüfung 1991 in ... von 1992 bis 2006 zur Rechtsanwaltschaft zugelassen. Nach Durchlaufen einer Privatinsolvenz wurde er am 25.01.2011 erneut zur Rechtsanwaltschaft zugelassen.

Der Rechtsanwalt ist geschieden. Er hat ein Kind, für welches nach Angaben des Rechtsanwaltes eine Unterhaltspflicht besteht. Über seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse sind keine Einzelheiten bekannt.

III.

Der Senat hat in der Hauptverhandlung vom 05. September 2016 weiter Folgendes festgestellt:

Bereits während seiner Privatinsolvenz hatte der Rechtsanwalt im Jahre 2009 mit Tätigkeitsaufnahme zum 01.01.2010 mit der Firma ..., ..., einen unbefristeten Anstellungsvertrag abgeschlossen. Im Anstellungsvertrag heißt es unter anderem:

§ 1 Abs. 2

„Der Arbeitnehmer wird als kaufmännischer Angestellter beschäftigt. Der Arbeitgeber kann dem Arbeitnehmer zugewiesenen Aufgabenbereich je nach den geschäftlichen Erfordernissen ergänzen oder auch ändern …“

§ 2 Abs. 1

„Die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit beträgt 25 Stunden...“.

Im Zulassungsverfahren zur Rechtsanwaltschaft teilte der Rechtsanwalt mit Schreiben vom 24.09.2010 der Rechtsanwaltskammer zudem mit, dass seine seit dem 01.01.2010 ausgeübte Tätigkeit bei der Firma ... neben der juristischen Beratung der Geschäftsleitung in allen die Geschäftspolitik des Unternehmens betreffenden juristischen Fragestellungen, das Forderungsmanagement einschließlich des Mahnwesens, die Zahlungsüberwachung und die Einleitung gerichtlicher Verfahren umfasse. Am 18.06.2012 hat der Rechtsanwalt im Rahmen seiner Anhörung ergänzend angegeben, dass ihm die Rechtsabteilung der Firma ... übertragen worden sei. Mit Aufhebungsvereinbarung vom 02.07.2015 wurde das Arbeitsverhältnis einvernehmlich mit Wirkung zum selben Tag aufgehoben.

Die Firma ... hat den Rechtsanwalt nicht nur für seine Tätigkeit als solcher freigestellt. Sie hat das „unwiderrufliche Einverständnis“ erklärt, dass eine Tätigkeit als Rechtsanwalt ausgeübt werden könne. Er wird organisatorisch unterstützt. Das Firmenbüro und angestelltes Personal steht bei Bedarf zur Verfügung. Die Firma ... hat dem Rechtsanwalt zugesichert, seine Tätigkeit als Rechtsanwalt uneingeschränkt und weisungsfrei ausüben zu können.

1. ... in ... schloss mit der Firma ... einen Vergleich, wonach er zur Abgeltung eines Schadens einen Betrag in Höhe von 1.200,00 € in Raten an die Gesellschaft zahlen sollte. Im Rahmen seiner vertraglichen Tätigkeit für die GmbH übernahm der Rechtsanwalt die Forderungseinziehung der GmbH. Er schrieb Herrn ...am 05.09.2011 an und kündigte die erste Abbuchung der fälligen Rate von dessen Konto an. Das Schreiben wie auch weiterer Schriftverkehr wurde unter dem Briefkopf der Firma ... geführt. Mit Schreiben vom 20.10.2011 (für die Firma ...) kündigte der Rechtsanwalt als Angestellter der GmbH die mit Herrn ... getroffene Vereinbarung und stellte die Gesamtforderung fällig.

Danach wandte sich der Rechtsanwalt mit Schreiben vom 30.12.2011, diesmal unter Verwendung eines Briefbogens  seiner  Rechtsanwaltskanzlei,  in dieser  Sache  an  Herrn .... Er machte nunmehr als mandatierter Rechtsanwalt die Forderung der Firma ... sowie unter dem Gesichtspunkt des Schadensersatzes Rechtsanwaltsgebühren gegenüber Herrn ... geltend.

Einwendungen des ebenfalls anwaltlich vertretenen Kunden ... wies der Rechtsanwalt mit Schreiben vom 30.01.2012 zurück.

2. Mit Schreiben an den die Gegenseite vertretenen Rechtsanwalt ... in ... vom 25.11.2013 hatte der Rechtsanwalt u.a. mitgeteilt, dass er die Firma ... in der Forderungssache ... vertrete und geltend gemachte Gewährleistungsansprüche zurückweise. Auf die Klage gegen die Firma ... teilte der Rechtsanwalt mit Schriftsatz vom 21.01.2014 dem Amtsgericht ... mit, dass er die beklagte Partei vertrete, die sich gegen die Klage verteidigen werde. Mit weiterem Schriftsatz vom 24.01.2014 beantragte er unter näherer Begründung Klageabweisung.

Darüber hinaus trat er für die Firma ... als Auftraggeberin und beklagte Partei in den Terminen am 01.04.2014 und 24.06.2014 auf.

Schließlich vertrat er die Firma ... im Berufungsverfahren.

Der Rechtsanwalt  hat sich auch in der Hauptverhandlung dahingehend eingelassen, dass sein Tätigwerden als Rechtsanwalt trotz der Vorbefassung mit den Sachverhalten als Angestellter der Firma ... unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes (Beschluss des BVerfG 1. Senat 2. Kammer vom 05.11.2011, AZ: 1 BvR 1523/00, NJW 2002, 503 ff [BVerfG 05.11.2001 - 1 BvR 1523/00]) zulässig sei.

IV.

Die vorstehenden Feststellungen beruhen auf der Einlassung des Rechtsanwalts in der Hauptverhandlung sowie den in der Hauptverhandlung verlesenen Schriftstücken.

V.

Auf Grundlage des festgestellten Sachverhalts hat sich der Rechtsanwalt der Pflichtverletzung nach den  §§ 43, 46 Abs. 1, 46 Abs.2 Nr. 1, 113 Abs. 1 BRAO (in der bis zum 31.12.2015 gültigen Fassung, im Folgenden BRAO a.F.) schuldig gemacht hat.

In Anbetracht der Tatzeitpunkte im Jahre 2011 – 2014 ist auf die Fassung des § 46 BRAO abzustellen, die bis zum 31.12.2015 galt. Es ist nicht auf die BRAO in der ab dem 01.01.2016 gültigen Fassung abzustellen.

Die Rahmenbedingungen für Rechtsanwälte, die neben ihrer rechtsanwaltlichen Tätigkeit gleichzeitig in abhängiger Beschäftigung tätig und dabei nicht bei Rechtsanwälten oder Patentanwälten oder rechts- oder patentanwaltlichen Berufsausübungsgesellschaften angestellt sind,  ist in den §§ 46 ff BRAO in der ab dem 01.01.2016 gültigen Fassung komplett neu geregelt worden. Die ab dem 01.01.2016 gültige Fassung der BRAO wäre auf den vorliegenden Fall anzuwenden, wenn die jetzige Regelung den Rechtsanwalt besser stellen würde als die Fassung der BRAO in der bis zum 31.12.2015 gültigen Form. Dies ist allerdings nicht der Fall, da der Syndikusrechtsanwalt gemäß § 46 Abs. 2 Satz 2 BRAO in der ab dem 01.01.2016 gültigen Fassung zur Ausübung seiner Tätigkeit eine Zulassung gemäß § 46a BRAO in der ab dem 01.01.2016 gültigen Fassung benötigt. Eine solche Zulassung liegt bei dem Rechtsanwalt nicht vor, so dass von vornherein eine Anwendung der §§ 46 ff BRAO in der ab dem 01.01.2016 gültigen Fassung nicht in Frage kommt.

§ 46 BRAO a.F. i.V.m. § 3 BORA stellt zunächst klar, welcher Personenkreis von dem sogenannten „Syndikusproblem“ berührt wird. Nach § 46 BRAO a.F. ist als Syndikusanwalt der Rechtsanwalt anzusehen, der zu einem nichtanwaltlichen Arbeitgeber in einem ständigen Dienst- oder in einem ähnlichen ständigen Beschäftigungsverhältnis steht und seine Arbeitszeit und Arbeitskraft dem Arbeitgeber zur Verfügung stellen muss (Feuerich / Weyland BRAO 8. Auflage 2012 § 46 RN 1). Damit werden zur Rechtsanwaltschaft zugelassene Personen erfasst, die neben der freien oder angestellten rechtsanwaltlichen Tätigkeit gleichzeitig auf Grund Dienstvertrages gegen eine feste Vergütung bei einem Unternehmen als ständige Rechtsberater tätig sind (vgl. BT-Drucks. 3/120 S.77).

Zunächst handelt es sich bei der Firma ... um einen nichtanwaltlichen Arbeitgeber, zu dem der Rechtsanwalt auf Grund des Anstellungsvertrages aus dem Jahre 2009 in einem ständigen Dienstverhältnis stand und dem er nach eigener Einlassung des Rechtsanwalts regelmäßig Rechtsrat erteilte.

Dabei kam es dem Gesetzgeber nicht darauf an, dass ein Rechtsanwalt möglichen Interessenkonflikten zwischen seinen Berufspflichten und seinen sonstigen eigenen wirtschaftlichen Interessen tatsächlich ausgesetzt ist. Maßgebend ist vielmehr, ob der Rechtsanwalt bei seiner Tätigkeit generell in der Lage ist, in persönlicher Unabhängigkeit seinen Berufspflichten Genüge zu tun oder ob allein rechtlich die denkbare Möglichkeit besteht, dass er über diese Unabhängigkeit nicht uneingeschränkt verfügt, weil er gleichzeitig in einem Beschäftigungsverhältnis im Sinne des § 46 Abs. 1 BRAO a.F. tätig wird, das sachliche Weisungen durch einen nichtanwaltlichen Arbeitgeber an ihn grundsätzlich zulässt. Auf die Frage, ob Weisungen, die die Unabhängigkeit berühren könnten, tatsächlich vorliegen, kommt es damit nicht an (Feuerich / Weyland BRAO 8. Auflage 2012 § 46 RN 2). Dementsprechend ist im Ergebnis unerheblich, ob die Firma ... dem Rechtsanwalt mit Schreiben vom 15.01.2014 bestätigt, dass er keinen sonstigen Weisungen außerhalb des „normalen“ Mandatsverhältnisses unterliegt. Auf die Frage, ob diese Aussage jederzeit einseitig von der Firma ... widerrufen werden könnte, kommt es damit im Ergebnis ebenfalls nicht an. Der Gesetzgeber hat aus Gründen der Rechtssicherheit und Beweisbarkeit einen rein formellen Standpunkt eingenommen und nur darauf abgestellt, ob generell rechtlich eine Weisungsgebundenheit oder persönliche Unabhängigkeit besteht (BGH NJW 1999, 1715 [BGH 25.02.1999 - IX ZR 384/97]). Allerdings ist vor dem Hintergrund der gebotenen verfassungskonformen, an Art. 12 GG ausgerichteten einschränkenden Auslegung des § 46 BRAO a.F. unter „ständigem Dienst- oder sonstigen Beschäftigungsverhältnis“ nur eine solche Vertragsbeziehung zu verstehen, bei der tatsächlich eine Interessenkollision entstehen kann (BVerfG NJW 2002, 503 [BVerfG 05.11.2001 - 1 BvR 1523/00]).  Es muss zu besorgen sein, dass die Weisung- und Richtlinienkompetenz des Arbeitgebers des Zweitberufs in die später ausgeübte anwaltliche Tätigkeit hineinwirkt. Dabei sollen die Tätigkeitsverbote nach § 46 Abs. 2 und Abs. 3 BRAO a.F. aber auch gerade einen Funktionswechsel in beide Richtungen – sowohl von dem juristischen Berater zum Rechtsanwalt als auch vom Anwalt zum juristischen Berater – für den Fall der Vorbefassung in der jeweils anderen Funktion verhindern (Feuerich / Weyland BRAO 8. Auflage 2012 § 46 RN 23). Rechtsbesorgend tätig wird der Rechtsanwalt im Sinne des § 46 Abs. 2 Nr. 1 BRAO a.F. dann, wenn er als Syndikus eine Tätigkeit ausgeübt hat, die das Ziel verfolgte und geeignet war, Rechte zu verwirklichen oder Rechtsverhältnisse zu gestalten (Feuerich / Weyland BRAO 8. Auflage 2012 § 46 RN 26).

1. In Bezug auf den Kunden der Firma ... ... schrieb der Rechtsanwalt zunächst auf dem Briefbogen der Firma ... am 05.09.2011 an Herrn ... und kündigte mit Schreiben vom 20.10.2011 unter dem Briefbogen der Firma ... die mit Herrn ... getroffene Vereinbarung. Danach wandte sich der Rechtsanwalt mit Schreiben vom 30.12.2011 (Bl. 5 d.A.), diesmal unter Verwendung eines Briefbogens  seiner  Rechtsanwaltskanzlei,  in dieser  Sache  an  Herrn .... Er machte nunmehr als mandatierter Rechtsanwalt die Forderung der Firma ... sowie unter dem Gesichtspunkt des Schadensersatzes Rechtsanwaltsgebühren gegenüber Herrn ... geltend. Damit hat ist er gemäß § 46 Abs. 2 Nr. 1 BRAO a.F. als Rechtsanwalt in derselben Angelegenheit tätig geworden, in der er bereits zuvor rechtsbesorgend für seinen Arbeitgeber tätig war.

Der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 05.11.2011 (NJW 2002, 503 ff) lag ein völlig anders gelagerter Sachverhalt als der vorliegende zu Grunde. Dort hatten Rechtsanwälte, die in einer Sozietät tätig waren, die Mitglieder des örtlichen Mietervereins gegen ein von dem Mieterverein zu entrichtendes fixes Entgelt rechtlich beraten. Die Rechtsanwälte wurden von der zuständigen Rechtsanwaltskammer aufgefordert, künftig Mitglieder des Mietervereins nicht mehr als Rechtsanwälte zu vertreten. Das hat das Bundesverfassungsgericht beanstandet, da die Rechtsanwälte nicht den Mieterverein beraten, sondern dessen Mitgliedern seitens des Vereins bewusst Rechtsanwälte als unabhängige Berater zur Verfügung gestellt werden.

2. In Bezug auf den Kunden ... ist der Rechtsanwalt für die Firma ... als Rechtsanwalt sowohl vor dem Amtsgericht ... als auch dem Landgericht ... aufgetreten und hat damit gegen § 46 Abs. 1 BRAO a.F. verstoßen.

Im Ergebnis hat der Rechtsanwalt damit gegen §§ 43, 46 Abs.2 Nr.1 sowie 46 Abs.1, 113 BRAO a.F. i.V.m. § 3 BORA verstoßen.

VI.

Bei der Strafzumessung wegen des geschilderten Standesvergehens war zu berücksichtigen, dass die gleichzeitige Verhängung der anwaltsgerichtlichen Maßnahmen eines Verweises und einer Geldbuße in Höhe von € 500,00 ausdrücklich gemäß § 114 II BRAO vorgesehen ist. Die Koppelung von Verweis und Geldbuße als selbstständige und drittschwerste Maßnahme soll insbesondere dann in Betracht kommen, wenn eine erhebliche Pflichtverletzungen vorliegt (Feuerich / Weyland § 114 Rn 17). Dies kann im vorliegenden Fall angenommen werden, da der Rechtsanwalt in dem seine Zulassung begründenden Schreiben der Rechtsanwaltskammer für den Oberlandesgerichtsbezirk ... vom 25.01.2011 vor dem Hintergrund seiner Tätigkeit bei der Firma ... nochmals ausdrücklich über den Inhalt des § 45 Abs. 1 Nr.4 BRAO a.F. sowie des § 46 BRAO a.F. informiert wurde. Die Tatsache, dass der Rechtsanwalt sein Handeln zumindest im 1. Fall durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gedeckt sah, ist bei der Höhe der Geldbuße berücksichtigt worden.

VII.

Gemäß § 145 Abs.2 BRAO war die Revision nicht zuzulassen, da nicht über Berufspflichten von grundsätzlicher Bedeutung in Anbetracht der Neufassung der §§ 46 ff BRAO a.F. entschieden wurde.

Die Kostenentscheidung ergeht gemäß § 197 Abs.2 S. 1 BRAO.