Oberlandesgericht Oldenburg
Beschl. v. 29.03.2010, Az.: 5 W 16/10
Streitwert bei Verbindung einer Leistungsklage auf Versicherungsschutz mit einer Feststellungsklage hinsichtlich des Fortbestehens des Versicherungsvertrages
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 29.03.2010
- Aktenzeichen
- 5 W 16/10
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2010, 13942
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGOL:2010:0329.5W16.10.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- OLG Oldenburg - 21.01.2010 - AZ: 13 O 547/09
Rechtsgrundlage
- § 5 ZPO
Fundstellen
- MDR 2010, 990-991
- RVG prof 2011, 1
- VK 2010, 103
- VersR 2010, 1243-1244
- r+s 2010, 488
Amtlicher Leitsatz
1. Erhebt der Versicherungsnehmer in einem Verfahren in demselben Rechtszug neben der Leistungsklage auch Klage auf Feststellung des Fortbestehens eines Berufsunfähigkeitsversicherungsvertrages, so kommt dieser eine eigene wirtschaftliche Bedeutung zu. Die Werte beider Streitgegenstände sind nach § 39 Abs. 1 GKG zusammenzurechnen.
2. Bei der Bemessung des Gebührenstreitwertes für die Festsstellungsklage ist in diesen Fällen ein Abschlag von 80 % vom Wert der Leistungsklage vorzunehmen.
In dem Rechtsstreit
Z... D... H..., ...
Beklagte,
Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte ...
Beschwerdeführer,
gegen
A... R..., ...
Klägerin,
Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte ...
hat der 5. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ..., den Richter am Landgericht ... und den Richter am Oberlandesgericht ...
am 29. März 2010
beschlossen:
Tenor:
Auf die Beschwerde der Prozessbevollmächtigten der Beklagten wird der Streitwertbeschluss des Landgerichts Oldenburg vom 21. Januar 2010 abgeändert.
Der Streitwert für das Verfahren vor dem Landgericht wird auf 111.271,07 € festgesetzt.
Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Die Entscheidung ergeht gebührenfrei. außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
Die Beschwerde der Bevollmächtigten der Beklagten ist gemäß §§ 68 Abs. 1 GKG, 32 Abs. 2 Satz 1 RVG zulässig und hat auch in der Sache teilweise Erfolg.
Die Klägerin behauptet, sie sei wegen einer schweren depressiven Episode mit Burn-Out-Syndrom seit August 2007 nicht mehr in der Lage, ihrer Tätigkeit als Berufsbetreuerin nachzugehen. Aus dem zwischen den Parteien geschlossenen Berufsunfähigkeitsversicherungsvertrag macht sie zum einen mit der Leistungsklage Ansprüche auf Zahlung einer Berufsunfähigkeitsrente und Beitragsbefreiung geltend. Zum anderen begehrt sie die Feststellung, dass der nach Anspruchsanmeldung von der Beklagten erklärte Rücktritt vom Vertrag unwirksam sei. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Der Rücktritt der Beklagten sei wirksam, weil die Klägerin gegen ihre vorvertragliche Anzeigepflicht verstoßen habe, indem sie psychotherapeutische Behandlungen in den Jahren 1999/2000 verschwiegen habe. Der Kausalitätsgegenbeweis nach § 21 VVG a.F. sei der Klägerin nicht gelungen.
Bei der Festsetzung des Streitwertes hat das Landgericht nur auf den Wert der Leistungsklage abgestellt. Eine den Streitwert erhöhende Berücksichtigung des daneben gestellten Feststellungsantrags komme nicht in Betracht, weil das Feststellungsinteresse der Klägerin wirtschaftlich der eingeklagten Forderung entspreche.
Hiergegen wenden sich die Bevollmächtigten der Beklagten zu Recht.
Gemäß § 39 Abs. 1 GKG werden mehrere in einer Klage geltend gemachte Ansprüche prinzipiell zusammengerechnet. Eine wirtschaftliche Identität zwischen dem Feststellungs- und dem Leistungsbegehren, die einer Addition entgegenstehen würde (vgl. Herget in Zöller, ZPO, 28. Aufl., § 5, Rn. 8 m. w. N.), ist unter den konkreten Umständen nicht gegeben.
Soweit das Landgericht darauf abgestellt hat, dass das Feststellungsinteresse der Klägerin wirtschaftlich der eingeklagten Forderung entspreche, hat es verkannt, dass dies nur für den streitgegenständlichen Versicherungsfall zutrifft, nicht hingegen für etwaige künftige Versicherungsfälle, die sich im weiteren Verlauf des Vertrages noch ergeben könnten. Unabhängig davon, ob das Gericht für den zu beurteilenden Versicherungsfall im Rahmen der Leistungsklage die Wirksamkeit des Rücktritts bejaht oder verneint, erwächst seine Auffassung zu dieser präjudiziellen Vorfrage des Leistungsanspruchs nicht in materielle Rechtskraft. Tritt also in der Zeit nach dem Rücktritt erstmals oder, nach zwischenzeitlicher Besserung des Gesundheitszustandes, erneut Berufsunfähigkeit ein, so wäre das dann zur Entscheidung berufene Gericht nicht gehindert, die Frage der Wirksamkeit des Rücktritts gegenteilig zu beurteilen.
Die Klärung, ob der Rücktritt unwirksam war und der Vertrag infolgedessen fortbesteht, lässt sich nur durch eine Feststellungsklage erreichen. Einem entsprechenden Antrag kommt daher eine eigenständige wirtschaftliche Bedeutung zu (vgl. OLG Bamberg VersR 09, 701).
Was die Bemessung des konkreten Feststellungsbegehrens betrifft, so ist an den Streitwert einer auf Leistung gerichteten Klage anzuknüpfen, das heißt an den 3,5 fachen Jahresbetrag der Monatsrente (hier: 1.500,00€) sowie der Prämienfreistellung (hier: 126,77 €). Von dem so errechneten Wert (hier: 68.324,34 €) ist - wegen des bloßen Feststellungsbegehrens - ein Abschlag vorzunehmen.
Bei der Erhebung einer isolierten Klage auf Feststellung des Fortbestands einer Berufsunfähigkeitsversicherung ist dieser Abschlag, sofern der Eintritt der Berufsunfähigkeit geklärt ist mit 20 %, sofern er behauptet aber ungeklärt ist mit 50 %, und sofern er nicht behauptet wird mit 80 % zu bemessen (BGH VersR 05, 959. 01, 601). Letzterer Abschlag ist nach Auffassung des Senats auch dann vorzunehmen, wenn parallel zur Feststellungsklage eine Leistungsklage erhoben ist. Denn das wirtschaftliche Interesse an einem Feststellungsausspruch ist in diesen Fällen hinsichtlich des Versicherungsfalls, aus dem bezifferte Leistungen begehrt werden, bereits durch die Leistungsklage erfasst, während der Feststellungsklage nur für etwaige zukünftige Versicherungsfälle, deren Eintritt gegenwärtig völlig ungewiss ist, wirtschaftliche Bedeutung zukommt (OLG Köln OLGR 06, 62. OLG Saarbrücken VersR 07, 96. OLG Celle VersR 08, 1515. a.A. OLG Bamberg VersR 09, 701).
Demnach ist der Wert des Klageantrages zu 3) mit 13.664,87 € zu veranschlagen.
Insgesamt war der Streitwert für das erstinstanzliche Verfahren somit auf 111.271,07 € festzusetzen.
Der Kostenausspruch beruht auf § 68 Abs. 3 GKG.