Verwaltungsgericht Osnabrück
Urt. v. 06.05.2019, Az.: 7 A 360/17

Abschiebung; Amtsermittlung; Ausweisung; Kindeswohl

Bibliographie

Gericht
VG Osnabrück
Datum
06.05.2019
Aktenzeichen
7 A 360/17
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2019, 69752
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Auch Jugendliche können regelmäßig nicht auf einen Kontakt über "soziale Medien" verwiesen werden. Insbesondere das Kindeswohl kann bei positiver Vater-Kind-Beziehung ein Absehen von der Ausweisung trotz erheblicher Straftaten gebieten. Die Rechte des Kindes sind ein eigenständiger abwägungserheblicher Belang.
Neben einer umfassenden Würdigung der strafrechtlichen Vita und des Verhaltens während und nach der Haft bedarf es einer genügenden Aufklärung der Lebenssituation (auch) des Kindes sowie einer fachlich begründeten Einschätzung der Auswirkungen einer Abschiebung auf das Kindeswohl. Dies obliegt nach dem Amtsermittlungsgrundsatz der Ausländerbehörde bereits im Verwaltungsverfahren.

Tenor:

Der Bescheid der Beklagten vom 07.09.2016 wird aufgehoben.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Der Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger zuvor Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen seine Ausweisung aus Deutschland.

Er wurde am 18.03.1964 in Skopje, Mazedonien (jetzt Nordmazedonien), geboren und reiste erstmals im Frühjahr 1972 mit seinen Eltern in die Bundesrepublik Deutschland ein. Ein am 12.10.1972 gestellter Asylantrag wurde durch Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 15.07.1974 als offensichtlich unbegründet abgelehnt. Die Entscheidung wurde im Juli 1982 bestandskräftig.

Am 24.02.1982 erteilte die Beklagte dem Kläger eine bis zum 26.01.1984 befristete Aufenthaltserlaubnis. Anschließend war der Kläger unbekannten Aufenthaltes und wurde am 27.08.1986 in die damalige Republik Jugoslawien abgeschoben.

In der Folgezeit reiste der Kläger mehrfach unerlaubt ins Bundesgebiet ein und wurde am 19.07.2000, nachdem er wegen unerlaubten Handels mit Betäubungsmitteln zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt worden war, erneut nach Mazedonien abgeschoben. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Ausführungen im angefochtenen Bescheid der Beklagten Bezug genommen.

Anfang September 2001 reiste der Kläger unter Vorlage eines gefälschten griechischen Ausweises unter den Alias-Personalien N. N. in die Bundesrepublik Deutschland ein. In Annahme seiner griechischen Identität wurde ihm durch die Ausländerbehörde des Kreises Steinfurt eine bis zum 09.10.2006 gültige EU-Aufenthaltserlaubnis erteilt.

Im Zuge geführter polizeilicher Ermittlungen wurde er am 28.02.2003 festgenommen, seine Identitätstäuschung festgestellt und schließlich mit Bescheid der Beklagten vom 31.03.2003 unbefristet aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen. Nach Verbüßung seiner Haft reiste der Kläger am 24.08.2003 freiwillig aus dem Bundesgebiet aus. Hinsichtlich der Einzelheiten wird wiederum auf die Ausführungen im angefochtenen Bescheid Bezug genommen.

Am 11.03.2005 heiratete der Kläger in Mazedonien die deutsche Staatsangehörige W.; am 13.07.2005 wurde der gemeinsame Sohn S. geboren.

Auf Antrag des Klägers befristete die Beklagte mit Bescheid vom 01.09.2005 nachträglich die Wirkungen der gegen ihn verfügten Ausweisung und Abschiebung (Einreise und Aufenthaltsverbot) auf den 23.08.2006.

Am 30.08.2006 reiste der Kläger mit einem Visum zum Zwecke der Familienzusammenführung in die Bundesrepublik Deutschland ein. Erstmals am 04.09.2006 wurde ihm eine zunächst bis zum 03.09.2007 befristete Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG erteilt, die in der Folgezeit mehrfach verlängert wurde. Am 21.10.2010 wurde dem Kläger gem.§ 28 Abs. 2 AufenthG eine unbefristete Niederlassungserlaubnis erteilt.

Im Juni 2011 zog der Kläger auf Wunsch seiner Ehefrau aus der gemeinsamen Wohnung aus. Um sich weiterhin um seinen Sohn kümmern zu können, mietete er in der Nähe der vormals gemeinsamen Wohnung eine Unterkunft an.

Am 15.10.2012 wurde gegen ihn wegen des Verdachts des schweren Raubes Hatfbefehl erlassen, er wurde in Untersuchungshaft genommen.

Die Ehe mit Frau W.  wurde rechtskräftig am 29.01.2013 durch Beschluss des Amtsgerichts A-Stadt geschieden.

Der Kläger, der in der Vergangenheit mehrfach strafrechtlich in Erscheinung getreten ist - hinsichtlich der Einzelheiten wird auf den BZRG-Auszug vom 10.08.2017 Bezug genommen -, wurde zuletzt durch Urteil des Landgerichts A-Stadt (XX KLs – XXX Js XXXX/12 – XX/12) vom 12.03.2013 wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Die Strafhaft trat der Kläger am 23.08.2012 in der JVA B-Stadt an. Am 30.04.2014 wurde er in die sozialtherapeutische Abteilung der JVA aufgenommen.

Mit Schreiben der Beklagten vom 25.01.2017 wurde der Kläger zu seiner beabsichtigten Ausweisung angehört. Im Rahmen einer Vorsprache im Februar 2017 teilte der Kläger – seit dem 18.08.2016 Freigänger – mit, er habe seit dem 30.08.2016 mit einer Umschulung zur Fachkraft für Lagerlogistik begonnen; die Ausbildung werde er am 31.07.2018 beenden. Nach der Haft wolle er sich wieder um seinen Sohn S. kümmern, für den er noch mit der Kindesmutter gemeinsam sorgeberechtigt sei. Während der Strafhaft habe er in Absprache mit der Kindesmutter, um eine Traumatisierung des Sohnes zu vermeiden, keinen persönlichen Kontakt zu ihm unterhalten. Eine Wiederaufnahme von Besuchskontakten sei jedoch für das Jahr 2017 geplant. Er habe sich durch die in der Strafhaft absolvierte Therapie – zur Bekämpfung seiner Amphetaminsucht sowie seiner suchtartigen Neigung zum Glücksspiel – verändert und wolle nunmehr ein verantwortungsvoller Vater sein. Er habe in Mazedonien überhaupt keine Perspektive, fühle sich vielmehr als Fremder und wolle daher seinen Lebensmittelpunkt in Deutschland behalten.

Am 03.03.2017 sprach die Ex-Ehefrau des Klägers in der Ausländerbehörde der Beklagten vor. In einem Vermerk vom gleichen Tage ist festgehalten, sie habe „nervös und sichtlich in Panik“ auf die bevorstehende Kontaktaufnahme zwischen dem Kläger und dem gemeinsamen Sohn reagiert. Nach ihrer Mitteilung habe sie bereits am 07.03.2017 einen Termin bei der AWO-Familienberatungsstelle, dort Herrn Hanfland, um sich bezüglich des Umgangs zwischen Vater und Sohn beraten zu lassen.

In einem Vermerk der Ausländerbehörde vom 17.05.2017 hinsichtlich eines mit Herrn H. geführten Telefonats ist notiert, dass die Ex-Ehefrau und Kindesmutter nunmehr nach anfänglichen Bedenken den Umgangskontakt zwischen Vater und Sohn befürworte. Ein begleiteter Umgang sei in den Räumen der AWO wöchentlich donnerstags zwischen 17 und 18 Uhr vereinbart worden; die ersten Treffen hätten bereits stattgefunden.

Laut einem weiteren Aktenvermerk vom 15.08.2017 erklärte Herr H. auf erneute telefonische Nachfrage, am 27.04.2017 habe - nach mehreren Einzelgesprächsterminen mit dem Kläger, seiner Ex-Ehefrau und dem Kind S.- das erste gemeinsame Treffen zwischen dem Kläger und seinem Sohn seit dessen Inhaftierung in den Räumen der AWO stattgefunden. Seitdem gebe es wöchentliche Treffen für rund 2 – 2,5 Stunden. Aufgrund der durchweg positiv verlaufenden Termine würden die Kontakte seit dem 15.06.2017 ohne Begleitung eines Mitarbeiters der AWO stattfinden. Man treffe sich zunächst in den Räumlichkeiten der AWO und entscheide dann zusammen, wo man die Zeit verbringe. Das Verhältnis zwischen Vater und Sohn sei sehr innig und vertraut.

Mit Bescheid vom 07.09.2017 wies die Beklagte den Kläger unter Anordnung der sofortigen Vollziehung aus dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland aus und kündigte die Abschiebung nach Mazedonien aus der Haft heraus an. Die Wirkung der Ausweisung und einer etwaigen Abschiebung wurde auf drei Jahre befristet. In den Gründen wurde ausgeführt: Aufgrund der Verurteilung des Klägers durch das Landgericht A-Stadt zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren liege ein besonders schweres Ausweisungsinteresse gemäß § 54 Abs. Nr. 1 AufenthG vor. Auch sei bei ihm von einer Wiederholungsgefahr auszugehen, denn der Kläger sei bereits in der Vergangenheit mehrfach straffällig geworden und habe sich auch durch seine Heirat und die Geburt seines Sohnes nicht von der Begehung weiterer Straftaten abhalten lassen. Zwar sei bei ihm aufgrund der Tatsache, dass er zu seinem Sohn, der die deutsche Staatsangehörigkeit besitze, ein Umgangsrecht pflege, auch ein besonders schweres Bleibeinteresse nach § 55 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG gegeben. Vorliegend überwiege jedoch das Ausweisungsinteresse des Staates das Interesse des Klägers auf einen weiteren Verbleib im Bundesgebiet. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gründe des Bescheides Bezug genommen.

Dagegen hat der Kläger am 02.10.2017 Klage erhoben und zugleich um die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes (7 B 28/17) nachgesucht.

Mit Beschluss der Kammer vom 21.11.2017 wurde die aufschiebende Wirkung der Klage wiederhergestellt. Auf die Gründe des den Beteiligten bekannten Beschlusses wird Bezug genommen.

Zur Begründung seiner Klage macht der Kläger geltend: Die Beklagte habe im Rahmen der von ihr getroffenen Entscheidung, insbesondere zur bestehenden Wiederholungsgefahr nicht ausreichend berücksichtigt, dass er in der Haft, in der sozialtherapeutischen Abteilung der JVA, die Sucht- und Gewaltgruppe sowie die Rückfallpräventionsgruppe erfolgreich besucht habe. Hinsichtlich der Einzelheiten verweist er auf die überreichten Vollzugspläne der sozialtherapeutischen Abteilung der JVA B-Stadt vom 26.09. und 14.12.2017 (Blt. 30-35 und Blt. 57-72 der Gerichtsakte). Aufgrund eines positiven therapeutischen und vollzuglichen Verlaufs habe man eine Aussetzung der Strafrestes zum 2/3 Termin befürwortet. Zugleich werde ein weiterer Verbleib in der Sozialtherapeutischen Abteilung der JVA B-Stadt nicht mehr für erforderlich gehalten und festgestellt, dass er den Anforderungen des offenen Vollzugs genüge (vgl. im Einzelnen Blt. 57--72 der Gerichtsakte).

Weiterhin sei zu berücksichtigen, dass zwischen ihm und seinem Sohn S.eine enge Vater-Sohn-Beziehung bestehe. Dies belege auch eine Bescheinigung der Familienberatungsstelle vom 12.09.2017: Danach bestehe trotz der Kontaktunterbrechung während der Strafhaft eine sehr enge, vertrauensvolle und emotionale Beziehung und Bindung. Die drohende Abschiebung führe danach zu einem absoluten Einbruch der Beziehung zwischen ihm und seinem Sohn. Ein dreijähriges Wiedereinreiseverbot stelle für seinen Sohn eine große Härte dar. Ein erneuter Beziehungsabbruch sei nach der erfolgreichen Wiederaufnahme des Kontaktes nur schwer vermittelbar und mache die bereits geleistete Arbeit zunichte. Für S.sei eine solche Beziehungszerrüttung „herzzerreißend“ (im Einzelnen Blt. 27, 28 der Gerichtsakte).

Der Kläger beantragt,

die Beklagte zu verpflichten, ihren Bescheid vom 07.09.2017 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt unter Bezugnahme auf die Gründe des angefochtenen Bescheides,

die Klage abzuweisen.

Ergänzend führt sie aus: Aus dem Vollzugsplan der JVA B-Stadt vom 14.12.2017 ergebe sich zwar, dass der Kläger sich angesichts der durchgeführten Therapien in der Strafhaft positiv verändert habe. Zwar habe es hinsichtlich seiner Spielsucht einen Rückfall während der Strafhaft und der Zeit seines Freigangs gegeben, dies sei jedoch therapeutisch wohl in Einzelsitzungen aufgearbeitet worden. Dennoch biete die getroffene fachliche Einschätzung keine hinreichende Sicherheit dafür, dass eine aktuelle Wiederholungsgefahr ausgeschlossen werden könne. Denn es werde außer Acht gelassen, dass der Kläger während seines Strafvollzuges in einem geschützten, abgeschlossenen Raum gelebt habe, in dem er nicht den Einflüssen des Alltags ausgesetzt gewesen sei. Was die Beziehung zu seinem Sohn angehe, so sei einzugestehen, dass die dreijährige Trennung die Vater-Sohn-Beziehung sicherlich belasten werde. Allerdings sei unberücksichtigt geblieben, dass der Sohn des Klägers mittlerweile ein Alter erreicht habe, in dem er die Trennung – eher als ein Kleinkind – auch emotional verkraften werde, zumal er auch über elektronischen Medien die Beziehung fortführen könne.

Durch Beschluss des Landgerichts A-Stadt vom 09.05.2018 wurde die Vollstreckung des Restes der nach Verbüßung von 2/3 noch nicht vollstreckten Freiheitsstrafe aus dem Urteil des Landgerichts A-Stadt vom 12.03.2013 zur Bewährung ausgesetzt; die Bewährungszeit wurde auf vier Jahre festgesetzt. Am 15.05.2018 erfolgte die Entlassung des Klägers aus der Strafhaft.

Am 16.06.2018 bestand er vor der IHK A-Stadt seine Prüfung zur Fachkraft für Lagerlogistik und wurde am 02.07.2018 von der Firma N. als gewerblicher Mitarbeiter im Bereich Lager/Fahrer eingestellt. Nach Ablauf der Probezeit wurde das Arbeitsverhältnis zum 01.01.2019 unbefristet fortgeführt. Im Januar 2019 wurde ihm seitens des Arbeitgebers eine „Engagementzulage“ gezahlt.

Aus einem Schreiben der Familienberatungsstelle vom 09.05.2018 (Blt. 106 der Gerichtsakte) ist zu entnehmen, dass der Kläger - noch während eines Urlaubs in der Strafhaft - in der Zeit vom 09.05. bis 11.05.2018 mit seinem Sohn an einer Vater-Sohn-Kanu-Freizeit teilnahm.

In einer Stellungnahme der Familienberatungsstelle vom 09.10.2018 wird zudem festgehalten, der letzte Umgang im Rahmen der Beratungsstelle sei am 06.05.2018 erfolgt. Danach hätten seit dem 27.04.2017 insgesamt 37 Umgänge stattgefunden. Seit der Haftentlassung habe sich der Umgang zwischen dem Kläger und seinem Sohn komplett verselbständigt. Eine Abschiebung des Klägers bedeute eine gravierende Belastung der Vater-Sohn-Beziehung. Für das Kindeswohl sei die Fortführung der Beziehung von großer Bedeutung (im Einzelnen Blt. 118/119 der Gerichtsakte).

Die Kammer hat den Kläger in der mündlichen Verhandlung persönlich sowie Herrn H. von der Familienberatungsstelle als Auskunftsperson gehört. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Niederschrift vom 06.05.2019 verwiesen.

Wegen des weiteren Vortrags der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze, wegen des Sachverhalts im Übrigen wird auf die Gerichtsakten (auch des Verfahrens 7 B 28/17) sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist begründet.

Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 07.09.2017 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten; er ist daher aufzuheben (§ 113 Abs. 1 VwGO).

Die Ausweisung des Klägers beurteilt sich nach den §§ 53 bis 55 AufenthG. Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (vgl. BVerwG, Urt. v. 22.02.2017 - 1 C 3.16 -, juris Rn. 18).

Nach § 53 Abs. 1 AufenthG wird ein Ausländer ausgewiesen, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt. Die Feststellung, dass der Aufenthalt eines Ausländers die in § 53 Abs. 1 AufenthG bezeichneten Schutzgüter gefährdet, bedarf regelmäßig in Würdigung bisheriger Vorkommnisse einer Prognose zur Wiederholungsgefahr.

Dem gegenüber zu stellen sind die in § 55 AufenthG normierten und gewichteten Bleibeinteressen. § 53 Absatz 1 AufenthG verlangt anschließend eine Abwägung sämtlicher den konkreten Fall prägenden Umstände jeweils entsprechend ihrem Gewicht im Rahmen einer umfassenden Verhältnismäßigkeitsprüfung insbesondere unter Berücksichtigung der in § 53 Abs. 2 AufenthG niedergelegten Umstände, mit der Folge, dass eine Ausweisung nur in Betracht kommt, wenn das Ausweisungsinteresse das Bleibeinteresse überwiegt.

Die von der Beklagten verfügte Ausweisung des Klägers ist nach der von der Kammer zu treffenden Abwägungsentscheidung unverhältnismäßig und daher rechtswidrig. Nach Auswertung sämtlicher Umstände des Einzelfalles, insbesondere unter Berücksichtigung der vom Kläger geltend gemachten persönlichen Bindungen im Bundesgebiet und der Folgen der Ausweisung für seinen im Bundesgebiet lebenden Sohn steht nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung zur Überzeugung der Kammer fest, dass das gravierende öffentliche Interesse an der Ausweisung des Klägers hinter den Bleibeinteressen zurückzustehen hat.

Die Kammer hat bereits im vorläufigen Rechtsschutzverfahren (7 B 28/17) festgestellt, dass die Beklagte angesichts der Verurteilung des Klägers wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung durch das Landgericht A-Stadt am 12.03.2013 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren zutreffend zur Annahme eines besonders schwer wiegenden Ausweisungsinteresses gemäß § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG gelangt ist und dass auch die übrigen vom Kläger begangenen Verurteilungen aus den Jahren 1985 bis 2003 ein zusätzliches, wenngleich dahinter zurücktretendes Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG begründen (vgl. im Einzelnen Beschluss der Kammer vom 21.11.2017)

Auch bei Verwirklichung eines Tatbestands nach § 54 AufenthG bedarf es stets der Feststellung, dass die vom Ausländer ausgehende Gefahr im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt fortbesteht (BVerwG, Urt. v. 22.02.2017 - 1 C 3.16 -, a.a.O., Rn. 26). Für die dem Gericht obliegende Beurteilung, ob nach dem Verhalten des Ausländers damit zu rechnen ist, dass er erneut die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet, bedarf es einer Prognose, bei der der Grad der Wahrscheinlichkeit neuer Verfehlungen und Art und Ausmaß möglicher Schäden zu ermitteln und zueinander in Bezug zu setzen sind. An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist. Bei der insoweit zu treffenden Prognose ist nicht allein auf das Strafurteil und die dem Urteil zugrundeliegende Straftat abzustellen. Einzubeziehen sind vielmehr die Gesamtpersönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt des Gerichts (vgl. BVerwG, Urt. v. 04.10.2012 - 1 C 13.11 -, juris Rn. 12 und 18).

Gemessen hieran teilt die Kammer die von der Beklagten getroffene Gefahrenprognose, der Kläger werde mit hoher Wahrscheinlichkeit auch in Zukunft Straftaten begehen und es sei eine erhebliche Wiederholungsgefahr gegeben, zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt nicht. Bereits im Verfahren 7 B 28/17 hat die Kammer in ihrem Beschluss vom 21.11.2017 ausgeführt:

„…Bereits insoweit stellt sich der in eine für die einzelfallbezogene Gewichtung des Ausweisungsinteresses maßgebenden Prognose der Wiederholungsgefahr von Straftaten einzustellende Sachverhalt wesentlich differenzierter und komplexer dar, als es die Ausführungen des angegriffenen Bescheids erahnen lassen. Dies gilt auch bezüglich der Einbeziehung der im Verwaltungsverfahren eingeholten fachlichen Einschätzungen der Justizvollzugsanstalt vom 16.2.2017 nebst Einzeltherapiebericht vom 15.2.2017 und deren Verlaufsbericht vom 26.9.2017.

Der Antragsteller war nach Aktenlage am 15.10.2012 in Untersuchungshaft genommen worden, verbüßte ausweislich der Änderungsmitteilung der JVA vom 22.2.2013 bis zum 21.2.2013 zunächst eine Rest-Ersatzfreiheitsstrafe und ab dem 23.8.2013 die durch Strafurteil vom 12.3.2013 verhängte Freiheitsstrafe von acht Jahren mit einer 2/3-Vollstreckung zum 15.5.2018 und einem Haftende zum 15.1.2021 (Vollstreckungsblatt zur Änderungsmitteilung der JVA vom 25.9.2013). Am 30.4.2014 wurde der Kläger in die sozialtherapeutische Abteilung der JVA aufgenommen.

Die ausführlichen fachlichen Einschätzungen der JVA vom 16.2. und 26.9.2017, auf die wegen der Einzelheiten ebenso wie auf den Einzeltherapiebericht vom 15.2.2017 Bezug genommen wird, geben einen ausgeprägt positiven Vollzugs- und Therapieverlauf wieder, bezüglich dessen als alleinige Einschränkung ein Ende des Jahres 2016 zum (vorübergehenden) Widerruf der Eignung für die Gewährung unbegleiteter Ausgänge genommener Vorfall angeführt wird. Dazu wird angegeben, der Antragsteller habe durch sein Verhalten gezeigt, dass er einen Rückfall im Hinblick auf die vorhandene Spielproblematik gehabt und er sich in seinem Verhalten nicht absprachefähig gezeigt habe. Dieser Rückfall sei in der durchgehend geführten Einzeltherapie - „bislang 72 Sitzungen“ - unter zuverlässiger Beteiligung des Antragstellers aufgearbeitet worden, wozu der Einzeltherapeut dahingehend wiedergegeben wird, der Antragsteller sei deutlich selbstverantwortlicher geworden, habe seine Selbstregulation deutlich verbessert und gehe bewusst und bodenständig mit dem Thema Verantwortungsübernahme um. Einen Vorfall zum Thema Spielen sowie das Thema Abschiebung/Ausweisung habe er in den letzten Monaten gut bearbeiten und daran reifen können. Der Antragsteller befindet sich ausweislich dieser fachlichen Einschätzungen in der Endphase des therapeutischen Prozesses und er wird für fähig erklärt, ein prosoziales Leben in der Gesellschaft zu führen. Mit dem zur Integration in das Berufsleben erhaltenen Bildungsgutschein der Agentur für Arbeit und der im Wege des Freigangs seit dem 29.8.2016 absolvierten Umschulungsmaßnahme im Bereich Lager und Logistik hat der Antragsteller danach bei guten Rückmeldungen auch den ersten Schritt zur Integration in das Arbeitsleben erfolgreich abgeschlossen. Diese Bewertung wird gestützt durch die das Verhalten des Antragstellers uneingeschränkt positiv beurteilenden Stellungnahmen des Berufsbildungs- und Technologiezentrums - BTZ - des Handwerks vom 9.2. und 26.9.2017 und der Zwischenzeugnisse der Firma W. vom 9.2. und 18.9.2017.

Diese fachlichen Einschätzungen sind nach Auffassung der Kammer bei der Prognose der Wiederholungsgefahr von Straftaten und der einzelfallbezogenen Gewichtung des Ausweisungsinteresses einzubeziehen...

Diese dargestellte positive Entwicklung des Klägers wird durch den ausführlichen Vollzugsplan der JVA B-Stadt vom 14.12.2017, auf den wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird, fortgeschrieben. In der fachlichen Einschätzung der sozialtherapeutischen Abteilung der JVA, in die der Kläger am 30.04.2014 aufgenommen worden war, wird zusammenfassend festgestellt, dass der therapeutische Prozess bei weiterhin positivem Verlauf zum 2/3 Termin abgeschlossen sein werde. Es bestehe die Einschätzung, dass die Möglichkeiten der Behandlung ausgeschöpft und von einem weiteren Verbleib in der sozialtherapeutischen Abteilung keine weiteren Verhaltensänderungen zu erwarten seien. Aufgrund des dargestellten positiven therapeutischen und vollzuglichen Verlaufs werde eine Aussetzung des Strafrestes zum 2/3 Termin befürwortet.

Insbesondere aufgrund dieser positiven fachlichen Stellungnahme wurde durch Beschluss des Landgerichts A-Stadt vom 09.05.2018 die Vollstreckung des Restes der nach Verbüßung von 2/3 noch nicht vollstreckten Freiheitsstrafe aus dem Urteil des Landgerichts A-Stadt vom 12.03.2013 zur Bewährung ausgesetzt; die Bewährungszeit wurde auf vier Jahre festgesetzt. Am 15.05.2018 wurde der Kläger aus der Strafhaft entlassen.

Auch die in der Strafhaft begonnene berufliche Umschulung schloss der Kläger in der Folgezeit erfolgreich ab: Am 16.06.2018 bestand er vor der IHK A-Stadt-Emsland seine Abschlussprüfung zur Fachkraft für Lagerlogistik und nahm am 02.07.2018 bei der Fa. N. als gewerblicher Mitarbeiter im Bereich Fahrer/Logistik eine Tätigkeit auf. Das Arbeitsverhältnis wurde nach erfolgreichem Abschluss der Probezeit zum 01.01.2019 als unbefristetes Arbeitsverhältnis fortgeführt. Laut der Gehaltsabrechnung für Januar 2019 wurde ihm eine „Engagementzulage“ gezahlt.

Mit dieser positiven persönlichen Entwicklung des Klägers stimmig einher geht die Wiederaufnahme der schon vor der Strafhaft existierenden engen Vater-Sohn-Beziehung. Nach den Ausführungen des Herrn H. von der Familienberatungsstelle in der mündlichen Verhandlung konnten die ersten Umgangskontakte schon im April 2017 begleitet in den Räumen der Familienberatungsstelle durchgeführt werden. Schon nach vier Monaten war eine weitere Verselbständigung der Kontakte möglich: Zum Geburtstag von S., im Juli 2017, konnte eine Begegnung außerhalb der Räume der Familienberatungsstelle im Einvernehmen mit der Kindesmutter stattfinden. Bereits ab August 2017 wurde der Umgang weitgehend „der Regie der Eltern“ überlassen. Die Familienberatungsstelle fungierte noch als Übergangsort für die Treffen zwischen Vater und Sohn, weiterhin wurden daneben Elterngespräche durch Herrn H. begleitet. Am 06.05.2018 fand der letzte Umgang in der Familienberatungsstelle statt. In den letzten Tagen der Haft des Klägers, während seines Hafturlaubs, nahmen Vater und Sohn am Himmelfahrtswochenende (09.-11.05.2018) an einer gemeinsamen Kanu-Freizeit teil. Nach der Haftentlassung hat sich der Kontakt zwischen Vater und Sohn komplett verselbständigt; das gemeinsame Sorgerecht wird zwischen der Kindesmutter und dem Kläger in enger Absprache und kooperativ ausgeübt. Beiden Elternteilen ist das Wohlergehen ihres Sohnes ein Anliegen. Dieser Eindruck wurde der Kammer vor allem aus den Schilderungen des Herrn H. zur Bewältigung einer schwierigen schulischen Mobbingsituation, der sich S.im letzten Schuljahr ausgesetzt sah, vermittelt. Beide Eltern begleiten ihren Sohn gemeinsam nach dem vorgenommenen Schulwechsel engmaschig.

Damit befindet sich der Kläger derzeit sowohl beruflich wie auch persönlich in einer völlig veränderten Lebenssituation als noch in den Jahren 2011 bis 2013, in denen seine Ehe zerbrach, er sich damit konfrontiert sah, den Kontakt zu seinem Sohn zu verlieren, er arbeitslos war und seine Suchtproblematik noch nicht aufgearbeitet hatte, was im Oktober 2012 schließlich zur Begehung der im März 2013 durch das Landgericht A-Stadt abgeurteilten Straftaten führte.

Soweit die Beklagte in der mündlichen Verhandlung zur Annahme einer auch zum jetzigen Zeitpunkt existierenden Wiederholungsgefahr ausgeführt hat, dem Kläger werde hinsichtlich seiner Spielsucht nicht bescheinigt, „geheilt“ zu sein, er sei damit nach der Haftentlassung jederzeit rückfallgefährdet, zumal ihm im strafgerichtlichen Verfahren im Jahre 2013 gutachterlich auch eine „Persönlichkeitsstörung“ attestiert worden sei, weist die Kammer zunächst darauf hin, dass „Spielsucht nicht heilbar ist“, sodass eine entsprechende Bescheinigung nicht erwartet werden kann. Man kann sie nur zum Stillstand bringen; ein „kontrolliertes Spielen“ ist ebenso wie ein „kontrolliertes Trinken“ bei einem Alkoholabhängigen nicht möglich (vgl. auch Julius Krieg; Suchtexperte und Leiter der Psychosozialen Beratung und Behandlung im Caritasveband der Diözese Passau, https://www.pnp.de/nachrichten/bayern/203066_Spielsucht-ist-nicht-heilbar.html). Die vorliegenden fachlichen Stellungnahmen verhalten sich hier ausdrücklich positiv. Zu der von der Beklagten angenommenen Persönlichkeitsstörung sowie zur Frage einer etwaigen Kausalität zwischen den vom Kläger begangenen Straftaten und seiner Suchterkrankung hat sich die Kammer bereits im vorläufigen Rechtsschutzverfahrens auf die Feststellungen der 10. Großen Strafkammer des Landgerichts A-Stadt im Urteil vom 12.03.2013 gestützt:

„So führte der Sachverständige laut vorgenanntem Strafurteil im Strafverfahren überzeugend und nachvollziehbar aus, „dass es sich bei dem Angeklagten um eine durchschnittlich intelligente Persönlichkeit mit erheblicher narzisstischer Anspruchshaltung sowie antisozialen und zugleich depressiven Persönlichkeitsanteilen handelt“, dessen Persönlichkeit dadurch geprägt ist, „dass er sich oft sozial unbehaglich fühlt, aus seinem Lebensalltag ausbrechen will und seine Psychostimulationenabhängigkeit sowie seine Spielsucht ein Ventil sind, um sich treiben zu lassen, so dass erste Merkmale einer Depravation seiner Persönlichkeit zu erkennen sind“. Nach Überzeugung der Strafkammer fehlte es indes an einem symptomatischen Zusammenhang zwischen der Suchterkrankung und den Straftaten, da der Antragsteller sie weder zur Befriedigung seiner Spielsucht noch seiner Amphetaminabhängigkeit beging, sondern allein, „um sich eine behagliche Wohnung einzurichten und sich zugleich die Gesellschaft seines Sohnes zu erhalten...“

Somit hat die Strafkammer schon vor der Inhaftierung des Klägers und der Aufnahme seiner therapeutischen Behandlung während der Zeit seiner Strafhaft die von ihr zu beurteilenden, als schwere räuberische Erpressung gewürdigten Lebenssachverhalte gerade nicht einer Beschaffungskriminalität zur Ermöglichung eines Amphetaminkonsums oder der Spielsucht zugeordnet. Nach Antritt der Strafhaft am 23.08.2013 wurde bereits im November 2013 eine sozialtherapeutische Behandlung des Klägers zur Verringerung seiner Gefährlichkeit befürwortet. Im Vollzugsplan der JVA B-Stadt vom 14.12.2017 findet sich unter II. 2. a) folgende Begründung (Blt. 63 der Gerichtsakte): „Da die Suchtproblematiken als nicht ursächlich für die Straffälligkeit angesehen werden können, ist die Durchführung einer sozialtherapeutischen Maßnahme notwendig. Als Behandlungsdauer erscheint ein mittellanger Zeitraum von zwei bis drei Jahren als ausreichend.“

In der sozialtherapeutischen Abteilung hat der Kläger laut dem genannten Vollzugsplan an Gruppentherapien (Sucht- und Gewaltgruppe sowie Rückfallpräventionsgruppe für Gewaltstraftäter) erfolgreich teilgenommen sowie insgesamt 72 Einzeltherapien (Stand: Dezember 2017) erhalten, in denen er „einen hilfreicheren und realistischeren Umgang mit sich und ein besseres Risikobewusstsein erarbeitet“ hat. Es wird die fachliche Einschätzung getroffen (S. 66 unten, Gerichtsakte), „dass die Möglichkeiten der Behandlung ausgeschöpft und von einem weiteren Verbleib in der Sozialtherapeutischen Abteilung keine weiteren Verhaltensänderungen zu erwarten sind.“ Dementsprechend erfolgte schließlich die Haftentlassung des Klägers zum 2/3 Zeitpunkt.

Durch die in der Strafhaft erfolgte therapeutische Aufarbeitung der beim Kläger bestandenen Suchtproblematik ist zur Überzeugung der Kammer – auch nach dem in der mündlichen Verhandlung gewonnenen Eindruck von der Persönlichkeit des Klägers - eine deutliche Zäsur in seinem Leben eingetreten. Dem Kläger ist nach den Ausführungen im Vollzugsplan vom 14.2.2017 eindringlich vor Augen geführt worden, wohin ihn die Spielsucht und der Amphetaminmissbrauch geführt haben. In diversen Einzelgesprächen hat er seine Lebensgeschichte aufgearbeitet und gelernt, mit Druck umzugehen. Bei ihm wurde bereits im April 2016 die Eignung für die Gewährung von unbegleiteten Ausgängen und am 18.08.2016 für die Gewährung von Freigang festgestellt, sodass er seine Ausbildung bei der Fa. W. zur Fachkraft für Lagerlogistik aufnehmen und schließlich erfolgreich beenden konnte. Auch ein am 12.12.2016 erfolgter Rückfall im Hinblick auf die vorhandene Spielproblematik führte nicht zur Aufhebung des gewährten Freigangs, vielmehr wurden ergänzende Weisungen ausgesprochen und es erfolgte in den Folgemonaten eine intensive Auseinandersetzung im Rahmen der Einzeltherapie damit. Knapp ein Jahr später wurde das Überprüfungsverfahren für die Gewährung von Urlaub und offenem Vollzug eingeleitet und schließlich im Januar 2018 die Verlegung in den offenen Vollzug festgestellt. Damit war der Grundstein für die vorzeitige Haftentlassung gelegt.

Der positiven fachlichen Einschätzung der JVA und ihrer Therapeuten aus der Sozialtherapeutischen Abteilung ist die Beklagte im Übrigen weder vor Erlass ihres Bescheides noch während des gerichtlichen Verfahrens durch Einholung einer fachlichen Stellungnahme ihres Gesundheitsamtes begegnet, sodass die Kammer auch aus diesem Grunde den fachlich nicht näher substantiierten Einwendungen der Beklagten anhand der vorgelegten fachlichen Stellungnahmen nicht zu folgen vermag.

Soweit die Beklagte darüber hinaus geltend gemacht hat, der „Sohn des Klägers“ bzw. die „Aufrechterhaltung der Beziehung zu diesem“ sei Antrieb für die von ihm begangene schwere räuberische Erpressung im Jahre 2012 gewesen, führt auch dieser Einwand aus Sicht der Kammer im entscheidungserheblichen Zeitpunkt nicht zur Annahme einer Wiederholungsgefahr. Der Beklagten ist, soweit sie die innige Vater-Sohn-Beziehung anspricht und diese als Motivation für die Begehung der genannten Straftaten ansieht, für die Vergangenheit beizupflichten. Allerdings vermag die Kammer für die zum jetzigen Zeitpunkt anzustellende Prognose die Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts allein aus diesem Grunde nicht festzustellen. Denn der Kläger befand sich – wie oben bereits ausgeführt wurde – im Oktober 2012 in einer völlig anderen, ungewissen Lebenssituation: Seine Ehefrau hatte ihn der gemeinsamen Wohnung verwiesen, ob und wie er den Kontakt zu seinem Sohn – auch angesichts seiner Arbeitslosigkeit – weiter aufrecht halten sollte, war nicht geklärt und er hatte seine Suchtproblematik nicht behandelt. Damals bestimmte den Kläger die Angst, seinen Sohn zu verlieren, dies beherrschte seine Gedanken. Heute verfügt er – frei von Verlustängsten - über einen regelmäßigen, gesicherten Kontakt zu seinem Sohn, auch im Einverständnis und in Absprache mit seiner Ex-Ehefrau, hat ein regelmäßiges Einkommen, verfügt über eine Wohnung und hat zudem seine Suchtproblematik in der Strafhaft aufgearbeitet. Darüber hinaus ist vom Kläger in der mündlichen Verhandlung eindrücklich dargelegt worden, dass ihm aus heutiger Sicht klar sei, dass für die Beziehung zu seinem Sohn materielle Dinge keine Rolle spielten, vielmehr die Zuwendung zu seinem Sohn wichtig sei, die er ihm uneingeschränkt zuteilwerden lasse. Aus Sicht der Kammer ist es dem Kläger auch sehr wohl bewusst, dass seinem Sohn und ihm eine sog. „letzte Chance“ eingeräumt ist und er diese Beziehung durch eine erneute Straftat wieder aufs Spiel setzen würde, sodass insoweit „Verlustängste“ die künftige Rechtstreue des Klägers maßgeblich fördern.

Dem Kläger steht zudem ein schwerwiegendes Bleibeinteresse i. S. v. § 55 Abs. 2 AufenthG zur Seite. Die Voraussetzungen der in § 55 Abs. 2 Nr. 3 und 5 AufenthG geregelten Tatbestände liegen vor. Das Bleibeinteresse des Ausländers im Sinne von § 53 Absatz 1 AufenthG wiegt insbesondere schwer, wenn der Ausländer sein Personensorgerecht für einen im Bundesgebiet rechtmäßig sich aufhaltenden ledigen Minderjährigen oder sein Umgangsrecht mit diesem ausübt (§ 55 Abs. 2 Nr. 3 AufenthG) oder die Belange oder das Wohl eines Kindes zu berücksichtigen sind beziehungsweise ist (§ 55 Abs. 2 Nr. 5 AufenthG).

Ein schwerwiegendes Bleibeinteresse des Klägers nach § 55 Abs. 2 Nr. 3 AufenthG ist hier gegeben. Der jetzt fast 14-jährige Sohn des Klägers besitzt die deutsche Staatsangehörigkeit, der Kläger ist für ihn gemeinsam mit der Kindesmutter sorgeberechtigt. Eine verantwortliche Eltern-Kind-Beziehung kann nur im Bundesgebiet gelebt werden. Aus demselben Grund steht dem Kläger auch ein schwerwiegendes Bleibeinteresse nach der Auffangvorschrift des § 55 Abs. 2 Nr. 5 AufenthG zur Seite.

Schon im vorläufigen Rechtsschutzverfahren hat die Kammer ausgehend von der einschlägigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 6 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 GG (BVerfG, B. v.08.12.2005 (2 BvR 1001/04, juris) wie aber auch nach Art. 8 EMRK (BVerfG, B. v. 23.01.2006 - 2 BvR 1935/05 -; B. v. 23.10.2006 - 2 BvR 1797/06 -; B. v. 29.03.2007 - 2 BvR 1977/06 -; B. v. 01.12.2008 - 2 BvR 1830/08 -; B. v. 09.01.2009 - 2 BvR 1064/08 -; B. v. 17.05.2011 - 2 BvR 1367/10 -;B. v. 05.06.2013 - 2 BvR 586/13 -; B. v. 17.12.2013 - 1 BvL 6/10 -; juris) deutlich gemacht, dass die sog. Bleibeinteressen des Klägers, insbesondere aber das Wohl des Kindes, nämlich des damals 12-jährigen, jetzt fast 14-jährigen Sohnes, aus der Sicht des Kindes einer einzelfallbezogenen umfassenden Prüfung im Klageverfahren zu unterziehen und schließlich in die Gesamtabwägung mit einzubeziehen seien. Bereits damals wurde festgestellt:

„Der Antragsteller hat seine Beziehung zu seinem Sohn unter Einbeziehung seiner geschiedenen Frau am 21.2.2017 persönlich gegenüber der Antragsgegnerin wie auch schriftlich unter dem 22. und 27.2. und 6.3.2017 im Anhörungsverfahren dargelegt. Mit der Antrags- und Klageschrift hat der Antragsteller ein an das Gericht adressiertes Schreiben der Mutter des Kindes datierend vom 22.9.2017 eingereicht, worin diese sich unter Schilderung der aus ihrer Sicht uneingeschränkt positiven Entwicklung der Vater-Sohn-Beziehung einlässt und sich für deren Fortführung und einen Verbleib des Antragstellers in der Bundesrepublik Deutschland einsetzt.

Demgegenüber findet sich in den beigezogenen Verwaltungsvorgängen ein Vermerk vom 3.3.2017, wonach die „ohnehin nervös wirkende“ Mutter auf die Vater-Sohn-Beziehung angesprochen „sichtlich in Panik“ geriet. Sie sei aufgeregt im Büro umhergelaufen, habe von sich aus negative Geschehnisse aus ihrer Ehe erzählt und sei immer wieder in Tränen ausgebrochen. Sie sei mit der Situation sichtlich überfordert gewesen. Die Mutter wolle „eigentlich nicht, dass zwischen Vater und Sohn der persönliche Kontakt wiederhergestellt wird. Da der Sohn aber diesen persönlichen Kontakt unbedingt möchte“ wolle sie „auch ihrem Sohn nicht den Vater vorenthalten“ und wolle sich am 7.3.2017 bei der AWO beraten lassen.

Ausweislich weiteren Vermerks vom 17.5.2017 erklärte die Familienberatungsstelle indes, die Mutter befürworte nach anfänglichen Bedenken den Umgangskontakt zwischen Vater und Sohn. Ein begleitender Umgang in den Räumen der Familienberatungsstelle sei wöchentlich für eine Stunde vereinbart und die ersten Treffen zwischen Vater und Sohn hätten bereits stattgefunden. Trotz mehrjähriger „Kontaktpause“ hätten die beiden die Treffen „außergewöhnlich konstruktiv gestalten“ können und hätten „z.B. sofort gemeinsame Gesprächsthemen gefunden“. Laut Vermerk vom 15.8.2017 gab die Familienberatungsstelle an, Vater und Sohn träfen sich jede Woche für 2 - 2,5 Stunden. Aufgrund der „durchweg positiv verlaufenden Termine“ fänden die Treffen seit dem 15.6.2017 ohne Begleitung der Familienberatungsstelle statt. Das Verhältnis von Vater und Sohn sei „sehr innig und vertraut“. Auf die mit der Antrags- und Klage-schrift beigebrachte Stellungnahme der Familienberatungsstelle vom 12.9.2017, wonach eine dreijährige Trennung von Vater und Sohn unter „Abwägung insbesondere der Bindungsfaktoren und der kooperativen Elternbeziehung … eine soziale Härte“ darstelle; insbesondere wegen der Einzelheiten zu den familiären Beziehungen wird auf diese Stellungnahme wie auch auf die diesbezüglichen Ausführungen in der fachlichen Einschätzung der JVA vom 26.9.2017 (Blatt 34 f der Gerichtsakte) Bezug genommen. Weder die Stellungnahme der Familienberatungsstelle noch die Einschätzungen der JVA lassen einen tragfähigen Anhaltspunkt erkennen, den Vortrag des Antragstellers zu seiner Beziehung zu seinem Sohn und deren Entwicklung in Frage zu stellen, wie sie für eine Bestätigung der von der Antragsgegnerin zur Mutter festgehaltenen Beobachtungen nichts ergeben, vielmehr ein in jeder Hinsicht konstruktives Zusammenwirken der Eltern mit Blick auf das Wohl des gemeinsamen Sohnes beschreiben.

Die Feststellungen des Strafurteils vom 12.3.2013 belegen für die Zeit vor seiner Inhaftierung eine ausgeprägte emotionale Bindung des Antragstellers an seinen Sohn, wovon auch der angefochtene Bescheid ausgegangen sein will. Nach dem Strafurteil kam es infolge der Spielsucht und ihrer Begleiterscheinungen in den Jahren 2008 bis 2011 zu einer krisenhaften Zuspitzung, so dass dem Kläger von seiner Frau der Zutritt zur ehelichen Wohnung verwehrt und ihm die Wohnungsschlüssel abgenommen wurden. Trotz seiner suchtbedingt geänderten Lebensführung brachte der Antragsteller seinen Sohn weiterhin zum Kindergarten bzw. zur Schule und holte ihn dort ab. Schließlich mietete er trotz fehlender finanzieller Mittel unweit der Wohnung seiner Frau eine weitere Wohnung an, die er an therapiefreien Wochenenden mit seinem Sohn bei dessen Wochenendbesuchen bewohnen und die er entsprechend wohnlich ausstatten wollte. Gerade in dem Ziel, sich die finanziellen Mittel für diese Wohnung zu beschaffen, sah die Strafkammer das wesentliche Motiv des Antragstellers für die drei Überfälle auf Spielhallen. Nach Aktenlage ist daher von einer bereits vor der Haft bestehenden starken emotionalen Bindung von Vater und Sohn auszugehen, die von beiden auch nach der Trennung der Eheleute im Rahmen der verbliebenen Möglichkeiten intensiv gelebt wurde und für den Antragsteller von solchem Gewicht erschien, dass es ihm zur Motivation für die Begehung von schweren Straftaten gereichte.

Soweit der Bescheid davon ausgeht, ab der Inhaftierung habe der Antragsteller keinen persönlichen Kontakt zu seinem Sohn gehabt und habe erst nach seiner Anhörung zur beabsichtigten Ausweisung den Umgangskontakt forciert und die Mutter habe sich erstmals am 12.2.2017 bei der Familienberatungsstelle wegen eines eventuellen künftigen Umgangskontakts gemeldet, und hieraus ableitet, es sei „nicht ersichtlich, warum ausgerechnet jetzt der persönliche Kontakt zu Ihrem Sohn wieder wichtig ist“, hält die Antragsgegnerin dem Antragsteller in der Sache vor, die Beziehung zu seinem Sohn mit Blick auf eine drohende Ausweisung ausländerrechtlich zu instrumentalisieren. Demgegenüber will die Antragsgegnerin allerdings bei ihrer Abwägung berücksichtigt haben, dass der Antragsteller bis zu seiner Inhaftierung zu seinem Sohn „ein inniges Verhältnis“ gehabt habe, ohne die notwendige Auseinandersetzung mit der Gegenläufigkeit beider Gesichtspunkte erkennen zu lassen. Auch ist der fachlichen Einschätzung der JVA vom 26.9.2017 zu entnehmen, dass der Antragsteller seit der Aufnahme in der Sozialtherapie am 30.4.2014 den Wunsch nach Kontakten zu seinem Sohn geäußert hat, was zu Beginn der Therapie sehr kritisch gesehen worden sei. In der Folgezeit habe der Antragsteller die Dringlichkeit dieses Wunsches immer wieder sehr deutlich gemacht, doch sei es ihm gelungen, den durch die Kindesmutter mitgeteilten Kontakt ausschließlich über Briefe zu akzeptieren. Erst nachdem die Kindesmutter sich mit der Anbahnung begleiteter Kontakte bei der Familienberatungsstelle einverstanden erklärt habe, seien erste persönliche Kontakte durchgeführt worden. Dies bestätigt nicht nur den Vortrag des Antragstellers und der Kindesmutter zur einvernehmlichen, aber auf Wunsch der Kindesmutter beruhenden Aussetzung des persönlichen Kontakts, vielmehr spricht dies auch gegen die Wertung der Antragsgegnerin, es sei nicht ersichtlich, warum „ausrechnet jetzt“ der persönliche Kontakt zu seinem Sohn wieder wichtig werde, denn der Antragsteller hat sein Anliegen im Rahmen seiner eingeschränkten Möglichkeiten bereits frühzeitig während der Haft verfolgt, ohne dass insoweit ein konkreter Bezug zum späteren Verwaltungsverfahren der Antragsgegnerin erkennbar würde. Als Auslöser seines Wunsches dürfte jedenfalls die erfolgte Anhörung zur beabsichtigten Ausweisung ausscheiden.

Angesichts der eine gewachsene Vater-Sohn-Beziehung belastenden mehr als vierjährigen Trennung während der Haftzeit und dem bereits als gelungen geschilderten Wiederaufgreifen einer von der Familienberatungsstelle im Schreiben vom 12.9.2017 als sehr eng, vertrauensvoll und emotional beschriebenen Beziehung teilt die Kammer deren Befürchtung, dass die von der Antragsgegnerin verfügte dreijährige Trennung, in deren Folge der am Beginn seiner Pubertät stehende zwölfjährige Sohn seinen Vater erst im fünfzehnten Lebensjahr zurück erhalten könnte, „einen absoluten Einbruch der Beziehung“ befürchten lässt, weil ein erneuter Beziehungsabbruch einem Zwölfjährigen nach der „über die Maßen erfolgreichen Wiederaufnahme der Beziehung“ nur schwer vermittelbar sei, für diesen „herzzerreißend“ sei und das Erreichte zunichte machen würde. Bereits für die Dauer des Hauptsacheverfahrens sind daher erhebliche Beeinträchtigungen insbesondere des Kindeswohls und damit grundrechtlich geschützten Rechtsgüter verbunden….“

Hieran anknüpfend kommt die Kammer insbesondere nach den fachkundigen Ausführungen des Herrn H. von der Familienberatungsstelle A-Stadt zu dem Ergebnis, dass die von der Beklagten verfügte Ausweisung zu einer unverhältnismäßigen Beeinträchtigung des Kindeswohls und damit zu einer Grundrechtsverletzung des Sohnes des Klägers führt. Bereits in einem ersten Gespräch mit dem damals 11-12 jährigen S., welches er zur Vorbereitung des ersten gemeinsamen Treffens zwischen Vater und Sohn nach der Inhaftierung geführt habe, sei sofort klar geworden, dass dieser eine ganz große Sehnsucht nach seinem Vater hatte, weshalb zeitnah, im April 2017 bereits mit dem ersten begleiteten Treffen habe begonnen werden können. Eindrücklich beschrieb Herr H. das erste gemeinsame Treffen: Es sei von einer sehr starken Emotionalität und einer sehr fokussierten Vater-Kind-Beziehung – insbesondere von Seiten S. – gekennzeichnet gewesen. Das Kind habe sich atypisch nicht für die Attraktivität des Begegnungsraumes interessiert, Vater und Sohn seien ausschließlich mit sich selbst beschäftigt gewesen. Diese starke Emotionalität habe sich wie ein roter Faden durch den begleiteten Umgang gezogen, bereits nach vier Monaten hätten sich die Kontakte verselbständigt, sodass schon zum Geburtstag von S., im Juli 2017 eine erste Begegnung außerhalb der Räume der AWO stattgefunden habe. Bereits ab August 2017 habe man von Seiten der Beratungsstelle „die Regie an die Eltern abgegeben“. Die Familienberatungsstelle habe in der Folgezeit nur noch als Übergabeort fungiert und es seien Elterngespräche begleitet worden. Diese Ausführungen des Herrn H. belegen, dass die schon vor der Inhaftierung des Klägers bestandene innige Vater-Sohn-Beziehung - nach einer bedingt durch die Strafhaft im Einvernehmen mit der Kindesmutter erfolgten dreijährigen Unterbrechung - erfolgreich wiederaufgenommen wurde und dass der Kläger in den vergangenen zwei Jahren - gemeinsam mit der Kindesmutter - für S.erneut zu einer wichtigen Bezugsperson geworden ist, die aus seinem Leben nicht mehr wegzudenken ist, ohne dass S.erneut Schaden nehmen würde. Zu dieser Einschätzung ist die Kammer nicht nur deshalb gelangt, weil Herr H. in seiner letzten fachlichen Stellungnahme vom 09.10.2018 (Blt. 112/113 der Gerichtsakte) dargelegt hat:

„Für S., der seinen Vater sehr liebt, würde eine solche Trennung, um es emotional auszudrücken, „herzzerreißend“ sein. Unter Abwägung insbesondere der Beziehungsfaktoren und der kooperativen Elternbeziehung stellt meines Erachtens eine Abschiebung von Herrn A. eine soziale Härte dar. Die fortgesetzte Vater-Sohn-Beziehung hat aus meiner Sicht eine große Bedeutung für das Kindeswohl von S..“

Herr H. hat in der mündlichen Verhandlung zudem darauf hingewiesen, dass sich S.im vergangenen Schuljahr in einer schweren Phase befunden hat, da er von einer schulischen Mobbingsituation betroffen gewesen sei, die in diesem Schuljahr schließlich zu einem Schulwechsel geführt habe. Er wiederhole jetzt die 7. Klasse und werde vom Kläger und seiner Mutter gemeinsam unterstützt. Beide Elternteile gingen – nach anfänglichen Vorbehalten der Kindemutter – nunmehr sehr kooperativ miteinander um und übten das Sorgerecht in enger Absprache gemeinsam aus. Für die Kammer ist es daher nachvollziehbar und plausibel, wenn Herr H. danach – entgegen der Auffassung der Beklagten - zu der Einschätzung gelangt, dass es für S.auch in Ansehung seines Alters als Jugendlicher in einer Phase solch besonderer Bedeutung sehr wichtig sei, dass die Vater-Sohn-Beziehung fortgeführt werde und es daher aus fachlicher Sicht auch sein persönlicher Wunsch sei, dass „dem Kind der Vater in Deutschland erhalten bleibe“.

Angesichts dieser Ausführungen teilt die Kammer die Ausführungen der Beklagten, der Sohn des Klägers könne in Anbetracht seines fortgeschrittenen Alters im Falle einer Ausweisung des Klägers auch über die sozialen Medien den Kontakt zu seinem Vater aufrechterhalten, nicht. Vielmehr ist sie davon überzeugt, dass es für S.gerade jetzt nach den traumatischen Mobbingerfahrungen, die zu einem Schulwechsel geführt haben, in der ohnehin schwierigen Lebensphase der Pubertät wichtig ist, eine familiäre Konstante (Vater und Mutter) in seinem Leben zu haben. Ein erneuter Abbruch der gerade erst wiederhergestellten Vater-Sohn-Beziehung würde das Kind aus Sicht der Kammer unabweisbar belasten und damit zu einer gravierenden Kindeswohlgefährdung führen. Dieser Gesichtspunkt ist seitens der Beklagten im angefochtenen Bescheid nicht ansatzweise geprüft worden.

Ausgehend hiervon kommt die Kammer im vorliegenden Fall nach einer intensiven Abwägung der festgestellten und in den §§ 54, 55 AufenthG vom Gesetzgeber vertypten Ausweisungs- und Bleibeinteressen nach einer umfassenden Würdigung des Einzelfalles zu einem erheblichen Überwiegen des Bleibeinteresses. Bei der im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung erforderlichen Abwägung hat das öffentliche Interesse an einer Aufenthaltsbeendigung hinter den persönlichen Interessen des Klägers und seines Sohnes an einem weiteren Verbleib des Klägers im Bundesgebiet zurückzutreten. Insbesondere unter Berücksichtigung von Art. 6 GG, Art 8 EMRK – insofern kann auf die obigen Ausführungen zur Vater-Sohn-Beziehung Bezug genommen werden - überwiegen bei einer Gesamtwürdigung aller Umstände, namentlich auch unter Berücksichtigung der aus Sicht der Kammer vom Kläger zum jetzigen Zeitpunkt ausgehenden, nach erfolgreichem Therapieverlauf als gering eingestuften Wiederholungsgefahr bezüglich der Begehung weiterer Straftaten, die Bleibeinteressen deutlich. Dabei hat die Kammer neben der veränderten persönlichen Situation auch die nunmehrige berufliche Integration des Klägers in den Blick genommen. Auch insoweit kann auf die vorherigen Ausführungen Bezug genommen werden. Eine Ausweisung aus generalpräventiven Gründen (vgl. Pressemitteilung des BVerwG Nr. 35/2019 v. 9.5.2019 – 1 C 21.18 -, juris) kommt in Anbetracht sämtlicher Umstände des Einzelfalles vorliegend ohnehin nicht in Betracht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Gründe für eine Zulassung der Berufung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3, 4 i.V.m. § 124a Abs. 1 Satz 1 VwGO) liegen nicht vor.

Beschluss

In derselben Verwaltungsrechtssache hat das Verwaltungsgericht Osnabrück - 7. Kammer - am 22. Mai 2019 beschlossen:

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5.000,00 € festgesetzt.

Gründe

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Ziffer 8.2 des Streitwertkatalogs