Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 05.07.1994, Az.: 1 A 1271/93

Untersagung der Fortsetzung eines Handwerksbetriebes; Gebot der Meisterpräsenz im Augenoptikergeschäft; Abgrenzung zwischen wesentlicher Tätigkeit eines Handwerks und unwesentlicher Verrichtung; Überschreiten der Unerheblichkeitsgrenze einer nebenbetrieblichen Tätigkeit im Hinblick auf Arbeitszeit; Begriff der handwerklichen Tätigkeiten untergeordnerter Art; Erfordernis der jederzeitigen Erreichbarkeit ohne Zeitverlust bei überwiegender Abwesenheit des Meisters; Vereinbarkeit des Meisterpräsenzgebots mit Gemeinschaftsrecht; Ermessensspielraum bei Untersagung wegen Verstoßes gegen materielle Vorschriften der Handwerksordnung

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
05.07.1994
Aktenzeichen
1 A 1271/93
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1994, 17165
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGGOETT:1994:0705.1A1271.93.0A

Verfahrensgegenstand

Gewerbeuntersagung

Prozessführer

. ..GmbH,
vertreten durch den Geschäftsführer.

Prozessgegner

Stadt
vertreten durch den Stadtdirektor.

Redaktioneller Leitsatz

  1. 1.

    Wird die Unerheblichkeitsgrenze des § 3 Abs. 2 HwO (Handwerksordnung) bereits bereits aufgrund nicht geringer Arbeitszeit überschritten, so kommt es auf die Frage des Umsatzes nicht mehr an.

  2. 2.

    Werden in einem als Nebenbetrieb geführten Augenoptikergeschäft auch Sehschärfenbestimmungen, Pupillenmessungen sowie spezielle Messungen für Kontaktlinsenanpassungen vorgenommen, so handelt es sich nicht nur um einen Hilfsbetrieb im Sinne des § 3 Abs. 3 HwO (Handwerksordnung).

  3. 3.

    Grundsätzlich ist in jedem Betrieb des Augenoptiker-Handwerks ein eigener Betriebsleiter zu beschäftigen. Eine Ausnahme vom Betriebsprinzip ist allenfalls dann vertretbar, wenn zwischen zwei Betrieben ein enger räumlicher Zusammenhang besteht, der die jederzeitige Erreichbarkeit des Betriebsleiters ohne Zeitverlust gewährleistet; dieser ist dann nicht gegeben, wenn sich die Betriebe in zwei verschiedenen Städten befinden und 9 km voneinander entfernt sind.

  4. 4.

    Verstößt ein Handwerksbetrieb gegen materiellen Vorschriften der Handwerksordnung, so hat die Verwaltungsbehörde die rechtliche Verpflichtung, den Betrieb zu untersagen; für eine abweichende Ermessensentscheidung ist in diesem Fall kein Raum.

Die 1. Kammer des Verwaltungsgerichts Göttingen hat
auf die mündliche Verhandlung vom 5. Juli 1994
durch
den Präsidenten des Verwaltungsgerichts Dr. van Nieuwland,
den Richter am Verwaltungsgericht Dr. Richtberg,
den Richter Dr. Möller sowie
die ehrenamtlichen Richter Brakel und Dr. Czech
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1

Die Klägerin wendet sich mit einer Fortsetzungsfeststellungsklage gegen eine von der Beklagten angeordnete Gewerbeuntersagung für das von der Klägerin bis Anfang 1994 in ... betriebene Augenoptikergeschäft "...".

2

Die Klägerin besitzt in ... ein Augenoptikergeschäft, das als Augenoptikerhandwerk seit 1985 in die Handwerksrolle der Handwerkskammer ... eingetragen ist, 1988 eröffnete sie ein weiteres Geschäft in ... in dem seit Ende 1990 neben den zwei dort beschäftigten Gesellen ein Optikermeister nicht mehr ständig anwesend gewesen ist. Beide Geschäfte wurden seit dieser Zeit durch nur einen Augenoptikermeister geleitet, der sich dienstags und donnerstags jeweils nachmittags in dem Laden in ... und während der übrigen Zeit in ... aufgehalten hat. In dem Geschäft in ... wurden die Kunden bei der Wahl von Brillenfassungen und Brillengläsern beraten, es wurden Sehschärfenbestimmungen (Refraktionierungen) sowie Messungen des Pupillenabstandes durchgeführt und fertige Brillen wurden nach anatomischen und ästhetischen Gesichtspunkten angepaßt. Außerdem wurden Kontaktlinsen vertrieben. Das Einschleifen der Brillengläser und die Herstellung der Brillen einschließlich der Endkontrolle erfolgten ausschließlich in ... wo sich auch die entsprechenden Geräte befinden. Das Geschäft in ... ist von 8.30 bis 12.30 Uhr und von 14.30 bis 18.30 Uhr geöffnet, die Öffnungszeiten in ... waren von 9 bis 12.30 Uhr und von 14.30 bis 18 Uhr. Nach den Angaben der Klägerin werden in ... Jahresumsätze von etwa 600.000 DM erzielt, in ... seien ungefähr 150.000 DM erzielt worden. Die beiden Ladengeschäfte waren etwa 9 km voneinander entfernt.

3

Im April 1992 regte die Handwerkskammer bei der Beklagten an, eine Untersagung des Betriebes in ... auszusprechen. Nach Ansicht der Handwerkskammer erfordere die Eigenart des Augenoptikerhandwerks, das als Gesundheitshandwerk zu den gefahrengeneigten Handwerken gehöre, eine ständige und ganztägige Anwesenheit des Betriebsleiters. Die Handwerkskammer stützte sich dazu vor allem auf ein im Auftrag des Zentralverbandes der Augenoptiker von Prof. Peter Badura im Oktober 1985 erstattetes Rechtsgutachten ("Das handwerksrechtliche Gebot der Meisterpräsenz im Betrieb des Augenoptikers").

4

Mit Bescheid vom 17. November 1992 untersagte die Beklagte der Klägerin unter Anordnung der sofortigen Vollziehung gemäß § 16 Abs. 3 Handwerksordnung - HwO - die Fortführung des Brillen-Shops in ... wegen Verstoßes gegen das für eine selbständige Filiale geltende Gebot der Meisterpräsenz. Die in ... vorgenommenen handwerklichen Arbeiten seien wesentliche Tätigkeiten des Augenoptikerhandwerks. Das Augenoptikerhandwerk sei den sogenannten "gefahrgeneigten" Handwerken zuzuordnen, weil eine unsachgemäße Ausübung gesundheitliche Beeinträchtigungen der Kunden nach sich ziehen könne. An die Präsenz des Betriebsleiters seien daher erhöhte Anforderungen zu steilen, so daß eine Anwesenheit von lediglich zwei Nachmittagen pro Woche nicht genüge. Bei einer solchen Regelung sei nicht gewährleistet, daß der Betriebsleiter jederzeit lenkend und korrigierend in das Betriebsgeschehen eingreifen könne. Unerheblich sei dabei, daß man die Strecke von ... nach ... in relativ kurzer Zeit zurücklegen könne.

5

Die Klägerin legte gegen die Gewerbeuntersagung durch ihren Prozeßbevollmächtigten fristgerecht Widerspruch ein und trug dazu vor, bei dem Geschäft in ... handele es sich um eine unselbständige Filiale. Das Ladengeschäft in ... könne ohne den Betrieb in ... selbständig nicht existieren, weil in ... die wesentliche Tätigkeit des Einschleifens nicht vorgenommen werden könne. Die in ... ausgeübten Tätigkeiten seien nicht handwerklicher Art, sondern bestünden zum Großteil aus Verkaufs- bzw. Handelstätigkeiten. Die Refraktionierung habe nach einer BGH-Entscheidung aus dem Jahre 1972 ohnehin nur in 5 % aller Brillenverkäufe praktische Bedeutung, weil in den übrigen Fällen die Refraktionierung bereits in der augenärztlichen Praxis und dort von nicht besonders geschulten Arzthelferinnen vorgenommen worden sei. Außerdem handele es sich hier um Tätigkeiten, die zum Berufsbild des Augenoptikergesellen gehörten; insoweit seien Geselle und Meister gleichermaßen qualifiziert. Das Berufsbild des Augenoptikers habe sich in den letzten Jahren geändert. So komme beispielsweise eine Bearbeitung von Kontaktlinsen praktisch nicht mehr vor. Das "Berufsbild" im Sinne des § 45 HwO definiere auch nicht die in der Anlage A zur Handwerksordnung aufgelisteten Handwerke, sondern sei lediglich Grundlage für ein geordnetes und einheitliches Meisterprüfungswesen. Aber selbst wenn der Betrieb in ... als selbständige Filiale angesehen würde, bedürfte es einer ständigen Anwesenheit eines Optikermeisters dort nicht. Das Refraktionieren und die Messung der Pupillendistanz seien keine gefahrgeneigten Arbeiten. So habe auch das Bundesverwaltungsgericht im Urteil v. 20. Januar 1966 festgestellt, daß das Refraktionieren durch den Optiker keine nennenswerten Gefahren für die Allgemeinheit zur Folge habe (BVerwGE 23, 150 [BVerwG 26.01.1966 - V C 88/64]). Dem Gebot der Meisterpräsenz werde dadurch ausreichend Rechnung getragen, daß der Kernbereich der handwerklichen Tätigkeiten nämlich, das Einschleifen der Brillengläser bis zur kompletten Herstellung der Brille einschließlich der Endkontrolle unter ständiger Überwachung und Kontrolle des in ... anwesenden Optikermeisters stattfinde. Im übrigen sei eine Residenzpflicht des Meisters im Handwerksrecht nicht vorgesehen. Auch könne im Gegensatz zu anderen gefahrgeneigten Handwerkstätigkeiten, bei denen der Herstellungsvorgang stets der Kontrolle bedürfe, weil am Endprodukt die ordnungsgemäße Herstellung nicht mehr feststellbar sei, im Augenoptikerhandwerk jederzeit überprüft werden, ob die fertige Sehhilfe den Erfordernissen entspreche. Verdeckte oder versteckte Fehler seien nicht zu erwarten. Bestätigt werde dies durch den Entwurf eines weiteren Gesundheitsreformgesetzes, wonach die Vorschrift, daß Hilfsmittel nur von "zugelassenen" Leistungserbringern an Versicherte abgegeben werden dürfen (§ 126 SGB V), entfallen solle.

6

Gleichzeitig mit dem Widerspruch suchte die Klägerin bei Gericht um Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nach. Das Verwaltungsgericht Braunschweig - 1. Kammer Göttingen - gab dem Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO durch Beschluß vom 8. Februar 1993 - 1 B 1310/92 - aufgrund einer allgemeinen Interessenabwägung statt, ohne allerdings eine Prognose über den voraussichtlichen Ausgang des Hauptsacheverfahrens zu treffen.

7

Nachdem die Handwerkskammer ... in einer Stellungnahme darauf hingewiesen hatte, daß die Augenglasbestimmung ein komplizierter und sorgfältig durchzuführender Vorgang sei, bei dem die Anwesenheit eines Meisters unerläßlich sei, wies der Landkreis ... mit Widerspruchsbescheid vom 3. August 1993 - zugestellt am 9. August 1993 - den Widerspruch als unbegründet zurück. Er führte dazu aus, der Betrieb eines Handwerks setze nicht die Ausführung aller zu dem jeweiligen Berufsbild gehörenden Tätigkeiten voraus. Zwar werde die Handwerkstätigkeit in ... nicht in Form einer selbständigen Zweigniederlassung ausgeübt, doch handele es sich auch nicht um eine bloße unselbständige Zweigstelle. Es bestehe eine beachtliche Eigenständigkeit in den Leistungen und Einrichtungen und die handwerklichen Arbeiten könnten direkt an den Kunden erbracht werden, ohne mit dem Hauptbetrieb Rücksprache halten zu müssen. Bei dem Geschäft in ... handele es sich daher um einen handwerklichen Nebenbetrieb i. S. des § 3 Abs. 1 HwO. Für diesen gelte ebenfalls das Gebot der Meisterpräsenz, denn die handwerklichen Tätigkeiten würden - was sich aus dem dort erzielten Umsatz und aus der Tatsache, daß dort zwei Gesellen beschäftigt würden, ergebe - nicht in nur unerheblichem Umfang durchgeführt, und es handele sich auch nicht um einen bloßen Hilfsbetrieb. Es genüge nicht, wenn der Betriebsleiter an nur wenigen Tagen oder Stunden anwesend sei, weil nicht ausgeschlossen werden könne, daß in der Zeit seiner Abwesenheit fehlerhafte Arbeiten ausgeführt würden. Eventuelle Mängel könnten von den Auftraggebern nicht immer erkannt werden. Die Qualifikation der Gesellen ändere nichts an der Notwendigkeit meisterlicher Kontrolle in Handwerksbetrieben. Die Fortsetzung des Betriebes in ... müsse daher untersagt werden, so lange dort nicht ein eigener Betriebsleiter vorhanden oder der Betrieb zeitlich eingeschränkt werde (versetzte Öffnungszeiten beider Betriebe).

8

Am 6. September 1993 hat die Klägerin Klage erhoben, mit der sie ihr bisheriges Vorbringen wiederholt und vertieft. Außerdem weist sie darauf hin, daß das Refraktionieren bei Anwendung herkömmlicher Methoden von jeder ungeschulten Hilfskraft in Wochenendseminaren erlernt werden könne, die von Augenoptikerschulen angeboten würden. Daneben bezieht sich die Klägerin auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom 25. Mai 1993, dem sie entnimmt, daß die Forderung, ein Brillenoptikergeschäft nur in ständiger Anwesenheit eines Augenoptikermeisters zu betreiben, gegen Art. 30 EG-Vertrag verstoße. Nationales Recht stehe daher dem EG-Recht entgegen, so daß das Recht der Europäischen Gemeinschaft gelte.

9

Die Beklagte hat unter dem 30. Juni 1994 mitgeteilt, daß die Klägerin ihren Betrieb in ... am 21. März 1994 abgemeldet hat. Als Datum der Betriebsaufgabe sei der 11. Februar 1994 angegeben worden. In den Geschäftsräumen der Klägerin ... in ... befinde sich nun ein Schuhgeschäft.

10

Die Klägerin erklärte dazu, sie habe ihr Geschäft in wegen erheblicher Umsatzeinbußen schließen müssen, nachdem ihr von den Krankenkassen die Zulassung entzogen worden sei. Zur Begründung werde von den Krankenkassen angeführt, daß die Klägerin in ... nicht über einen ausschließlich dort tätigen Meister verfüge. Im Hinblick auf die bei den Sozialgerichten laufenden Verfahren und auf ein weiteres wettbewerbsrechtliches Verfahren, das beim Landgericht Göttingen anhängig und bis zum rechtskräftigen Abschluß des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens ausgesetzt worden sei, habe sie ein berechtigtes Interesse an der Fortführung des hier laufenden Verfahrens in der Form einer Fortsetzungsfeststellungsklage. Im übrigen beabsichtige sie, alsbald eine neue Filiale in ... zu eröffnen.

11

Die Klägerin beantragt,

festzustellen, daß der Bescheid der Beklagten vom 17. November 1992 i.d.F. des Widerspruchsbescheides des Landkreises ... vom 3. August 1993 rechtswidrig gewesen ist,

12

hilfsweise,

für den Fall, daß das Gericht hinsichtlich des Hauptantrages zu einer für sie negativen Entscheidung kommt, dem Europäischen Gerichtshof gemäß Art. 177 Abs. 2 EG-Vertrag die Frage vorzulegen, ob das hier entscheidungserhebliche Recht gegen Gemeinschaftsrecht verstößt.

13

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

14

Zur Begründung bezieht sie sich auf die angegriffenen Bescheide und ihr Vorbringen im vorläufigen Rechtsschutzverfahren. Ergänzend führt sie aus, das Augenoptikerhandwerk dürfe nicht nur im Sinne eines Herstellungsprozesses verstanden werden. Vielmehr bestehe es ebenso aus der individuellen und verantwortungsbewußten Beratung der Kunden. So sei die eigentliche Anfertigung der Brille in ... nur das Ergebnis der fachkundigen Beratung in .... Im übrigen vertreibe die Klägerin auch Kontaktlinsen, was eine besonders sorgfältige Gewinnung der Fertigungsdaten und ein hohes Maß an handwerklichem Beurteilungsvermögen hinsichtlich des Sitzes und der Verträglichkeit erfordere. Der von der Klägerin angeführte Art. 30 EG-Vertrag sei nicht einschlägig und dementsprechend auch nicht die dazu ergangene EuGH-Entscheidung, weil dort zwischenstaatliche Einfuhrbeschränkungen verboten würden, um die es hier jedoch nicht gehe. Der EuGH spreche außerdem von dem "Verkauf" von Optikartikeln; die Meisterpräsenz werde dagegen für die zeitlich vor dem Verkauf liegenden handwerklichen Tätigkeiten gefordert. Die im selben Urteil getroffene Entscheidung zu Art. 36 EG-Vertrag sei dagegen hier anwendbar, denn darin gehe es um Regelungen für den innerstaatlichen Verkauf und die Feststellung, daß aus Gründen des Gesundheitsschutzes durch nationales Recht bestimmte Qualifikationen gefordert werden dürften.

15

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, das Rechtsgutachten von Prof. Dr. Peter Badura, die Gerichtsakte des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens 1 B 1310/92 sowie die Verwaltungsvorgänge der Beklagten (Beiakten A-C) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

16

Die Klage ist als sogenannte Fortsetzungsfeststellungsklage im Sinne des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO zulässig. Diese Klageart kommt dann in Betracht, wenn sich der Verwaltungsakt vor der gerichtlichen Entscheidung durch Aufhebung oder auf andere Weise erledigt hat. Das ist hier der Fall. Die Klägerin hat ihren Betrieb in ... aufgegeben und das Gewerbe abgemeldet. Die angefochtenen Entscheidungen entfalten daher keine Rechtswirkungen mehr. Das ursprüngliche Anfechtungsbegehren hat sich erledigt (vgl. Kopp, VwGO, 9. Aufl., § 113 Rn. 51).

17

In einem solchen Fall ist es zulässig, die Klage von der Anfechtungsklage auf die Fortsetzungsfeststellungsklage umzustellen (vgl. Kopp, a.a.O., Rn. 56). Das für eine Fortsetzungsfeststellungsklage erforderliche Feststellungsinteresse ist hier gegeben. Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung dargelegt, daß es in den anghängigen sozialgerichtlichen Verfahren entscheidungserheblich darauf ankomme, ob sie verpflichtet sei bzw. verpflichtet gewesen sei, sowohl in ... als auch in ... je einen eigenen Optikermeister zu beschäftigen. Auch der Ausgang des wettbewerbsrechtlichen Verfahrens hänge maßgeblich davon ab, ob die Verfügung der Beklagten rechtmäßig ist oder nicht. Angesichts dieser Sachlage geht die Kammer davon aus, daß die Klägerin ein schutzwürdiges Interesse an der gerichtlichen Entscheidung in dem hier anhängigen Verfahren hinreichend dargetan hat (vgl. Kopp, a.a.O., Rn. 57 ff.).

18

Die Klage ist jedoch nicht begründet. Die angefochtenen Bescheide waren rechtmäßig. Die Beklagte durfte der Klägerin die Fortsetzung ihres Geschäftes in ... nach § 16 Abs. 3 HwO untersagen, denn die nur zeitweise Anwesenheit eines Augenoptikermeisters verstieß gegen das handwerksrechtliche Gebot der Meisterpräsenz.

19

1.

Die handwerksrechtlichen Vorschriften fanden nach § 2 Nr. 3 HwO auf das Geschäft in ... Anwendung. Die Widerspruchsbehörde hat zutreffend ausgeführt, daß es sich insoweit um einen handwerklichen Nebenbetrieb im Sinne des § 3 Abs. 1 HwO gehandelt hat. Hauptbetrieb war das Geschäft in .... Die für das Verhältnis Haupt- und Nebenbetrieb erforderliche Verbundenheit war gegeben, weil beide Geschäfte demselben Rechtssubjekt gehörten. Das Geschäft in ... war außerdem gegenüber dem Geschäft in ... von untergeordneter Bedeutung und konnte allein nicht existieren, weil nur in ... das für das Optikerhandwerk unerläßliche Einschleifen der Brillengläser einschließlich der Endkontrolle durchgeführt wurde und sich auch nur in ... die entsprechenden Geräte befinden.

20

Der Nebenbetrieb in ... stellte für sich betrachtet einen handwerklichen Betrieb im Sinne des § 1 Abs. 2 HwO dar. In ihm wurden wesentliche Tätigkeiten des Augenoptikergewerbes, das in Anlage A zur Handwerksordnung unter Ziff. 89 aufgeführt ist, handwerksmäßig betrieben. Dabei beurteilt sich die Wesentlichkeit bestimmter Verrichtungen nach fachlichen und nicht nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten (Siegert/Musielak, Das Recht des Handwerks, Kommentar zur Handwerksordnung, 2. Aufl. 1984, § 1 Rn. 33). Entscheidend ist, ob zur fachgerechten Ausführung einer einzelnen Tätigkeit, die einem Handwerk zuzurechnen ist, nach den Regeln der Technik wesentliche Kenntnisse und Fertigkeiten beherrscht werden müssen. Außerdem ist de Wesentlichkeit einer handwerklichen Tätigkeit davon abhängig, daß es sich um Verrichtungen und Arbeitsweisen handelt, die den Kernbereich gerade dieses Handwerks ausmachen. Arbeitsvorgänge, die aus der Sicht eines typischen Betriebes des betreffenden Handwerks als untergeordnet und damit als unbedeutend oder unwesentlich erscheinen, können die Annahme eines handwerklichen Betriebes nicht rechtfertigen (vgl. BVerwG, Urt. v. 23.06.1983 - 5 C 37.81 -, GewArch 1984, 96, 98; Urt. v. 03.09.1991 - 1 C 55.88 -, GewArch 1992, 107, 109; OVG Lüneburg, Urt. v. 25.02.1985 - 8 A 18/82 -, GewArch 1985, 230, 231).

21

Für die Abgrenzung zwischen einer wesentlichen Tätigkeit eines Handwerks und unwesentlichen Verrichtungen kann entgegen der Ansicht der Klägerin auf das Berufsbild des betreffenden Handwerks zurückgegriffen werden. Zwar sollen die aufgrund des § 45 Nr. 1 HwO erlassenen Berufsbilder in erster Linie die "Grundlage für ein geordnetes und einheitliches Meisterprüfungswesen" schaffen (so ausdrücklich Hanseat. OLG, Urt. v. 26.09.1991 - 3 U 58/91 -, S. 14). Nach der Rechtsprechung des BVerwG können diese Berufsbilder aber auch zur Beantwortung der Frage mit herangezogen werden, welche Tätigkeiten fachlich zu einem Handwerk gehören, weil sie erläuternde Einzelheiten über das Arbeitsgebiet und die zu dessen Bewältigung benötigten fachlichen Fertigkeiten und Kenntnisse enthalten (BVerwG, Urt. 03.09.1991, a.a.O.; Urt. v. 23.06.1983, a.a.O.). Dabei ist jeweils zu fragen, ob diese Kenntnisse und Fertigkeiten normalerweise durch eine verhältnismäßig kurze Unterweisung vermittelt werden können oder ob sie nur im Rahmen einer umfassenden Berufsausbildung zu erlernen sind (Siegert/Musielak, a.a.O., § 1 Rn. 33). Auf diese Weise wird vermieden, daß eine Entscheidung allein aufgrund des Berufsbildes getroffen wird, so daß die geäußerten Bedenken der Klägerin nicht begründet sind.

22

Die in ... vorgenommenen Tätigkeiten sind nach § 1 Abs. 1 der Verordnung über das Berufsbild der Meisterprüfung für das Augenoptiker-Handwerk vom 9. August 1976 (BGBl. I, S. 2114) dem Augenoptiker-Handwerk zuzurechnen gewesen und für sie mußten die in § 1 Abs. 2 der VO genannten Kenntnisse und Fertigkeiten beherrscht werden. § 1 Abs. 1 der VO führt u.a. namentlich auf:

Anfertigung und Anpassung von Brillen aller Art (§ 1 Nr. 1);

Bestimmung und Auswahl der Brillengläser nach optischen, anatomischen und ästhetischen Gesichtspunkten (§ 1 Nr. 2);

Bestimmung der erforderlichen Maße für Brillen mit Einstärken- und Mehrstärkengläsern (§ 1 Nr. 3);

Messung der Refraktion des Auges (§ 1 Nr. 4);

Prüfung der Sehschärfe (§ 1 Nr. 5);

Auswahl, Bearbeitung und Abgabe von Kontaktlinsen nach ärztlicher Verordnung (§ 1 Nr. 6) ...

23

Bis auf die Anfertigung von Brillen und die Bearbeitung von Kontaktlinsen wurden diese Tätigkeiten in ... verrichtet. Hierbei sind neben Kenntnissen der Augenoptik (§ 1 Abs. 2 Nr. 2 der VO) Kenntnisse der Wirkungsweise und Anwendung von Kontaktlinsen (Abs. 2 Nr. 3), Kenntnisse über die Anatomie und Physiologie des Auges (Abs. 2 Nr. 4), Kenntnisse der Sehfehler (Abs. 2 Nr. 5), Kenntnisse im Ausführen ärztlicher Verordnungen (Abs. 2 Nr. 7), Kenntnisse der Methoden der optischen und subjektiven Refraktionsbestimmung (Abs. 2 Nr. 8) sowie der Meßgeräte zur Bestimmung physikalisch-optischer und technischer Größen (Abs. 2 Nr. 9) erforderlich.

24

Weiterhin ist unter anderem die Beratung der Kunden (Abs. 2 Nr. 17) und das Anwenden der Geräte und optischen Hilfsmittel zur Augenglasbestimmung (Abs. 2 Nr. 22) vorgesehen. Rein quantitativ spricht dies bereits dafür, daß die Grenze unwesentlicher Teiltätigkeiten in dem Ladengeschäft in überschritten war.

25

Der Klägerin ist zwar zuzustimmen, daß das Einschleifen der Brillengläser den Kernbereich des Augenoptiker-Handwerks ausmacht. Doch ist andererseits die korrekte Anfertigung von Brillen nicht denkbar ohne vorherige exakte Messung der Sehschärfe, die sachgerechte Auswahl der Brillengläser und Brillenfassungen und schließlich die individuelle Anpassung. Die Arbeitsvorgänge, die in ... ausgeführt werden, sind demnach nicht völlig untergeordnet und erscheinen nicht als unwesentlich. Im übrigen werden heutzuge häufig von Betrieben des Augenoptiker-Handwerks spezielle Einschleifbetriebe mit der Bearbeitung und Montage der Gläser beauftragt (vgl. dazu Musielak, Zur handwerksrechtlichen Beurteilung der Tätigkeit von Brilleneinschleifbetrieben, GewArch 1992, 401 ff.). Von dem Augenoptiker werden in diesen Fällen alle anderen zur Abgabe einer Brille erforderlichen Arbeitsschritte vollzogen, ohne daß sein Betrieb damit die Eigenschaft als Handwerksbetrieb verlieren würde. Daß bei einem Großteil der Kunden die Sehschärfenbestimmung schon vorher durch den Augenarzt vorgenommen worden ist, führt zu keiner anderen Beurteilung. Denn der Augenoptiker hat selbstverständlich selbst noch einmal exakte Messungen durchzuführen, die teilweise über die Refraktionsbestimmungen durch den Arzt noch hinausgehen (z.B. hinsichtlich des Pupillenabstands).

26

Die Kenntnisse und Fertigkeiten, die für die fachgerechte Ausübung der einzelnen Tätigkeiten erforderlich sind, können nicht in einer kurzen Unterweisungszeit erworben werden, sondern setzten eine mehrjährige Berufsausbildung voraus. Daran ändert auch der Hinweis der Klägerin nichts, wonach das Refraktionieren bei Anwendung herkömmlicher Methoden von einer ungelernten Hilfskraft in Wochenendseminaren erlernt werden könne. Auch wenn das Bedienen der für das Refraktionieren erforderlichen Geräte bzw. Hilfsmittel durch eine relativ kurze Unterweisung beherrscht werden kann, so bedeutet dies nicht, daß damit auch die fachtheoretischen Kenntnisse erworben worden sind, die für eine individuelle, auf die jeweilige Fehlsichtigkeit des Kunden angepaßte Beratung benötigt werden. Daß eben diese Kenntnisse nicht in einer kurzen Anlernzeit erworben werden können, ergibt sich aus der Verordnung über die Berufsausbildung zum Augenoptiker vom 9. April 1976 (BGBl. I, S. 1027 f.), die z.B. als Prüfungsfächer in der Gesellenprüfung nach § 8 in dem Fach Brillenkunde und Brillenanpassung (Abs. 3 Nr. 3) die Kenntnis der verschiedenen Gläsertypen und Brillenfassungen und im Prüfungsfach Technische Mathematik (Abs. 3 Nr. 5) Berechnungen zu Mehrstärkengläsern sowie Berechnungen zur Optik des Auges und der Korrektionsmittel vorschreibt. Auch im Rahmen der Meisterprüfung kommt der Vertiefung fachtheoretischer Kenntnisse erhebliche Bedeutung zu (vgl. § 5 der VO über das Berufsbild, a.a.O.).

27

Diese Maßstäbe haben auch angesichts der fortschreitenden Technisierung im Optikerhandwerk weiter Bestand. Obgleich die genannten Verordnungen zum Berufsbild und zu der Berufsausbildung des Augenoptikers seit etwa 18 Jahren bestehen und in dieser Zeit die Tätigkeiten des Augenoptikers durch den Einsatz technischer Geräte in vielerlei Hinsicht erleichtert worden sind, darf nicht übersehen werden, daß seither auch das Angebot an Brillengläsern und Kontaktlinsen verschiedenster Art erheblich zugenommen hat und deshalb erhöhte theoretische Fachkenntnisse des Augenoptikers erwartet werden können. Dies gilt auch im Hinblick darauf, daß die Abgabe von Brillen nicht an eine ärztliche Verordnung gebunden ist und der Anteil der Kunden, denen Brillen aufgrund einer eigenen Sehschärfenbestimmung durch den Augenoptiker abgegeben werden, gestiegen ist (vgl. Gutachten Prof. Badura, S. 42, der diesen Anteil mit etwa 18 % beziffert, während der BGH im Urteil vom 4. Februar 1972 - I ZR 104/70 -, NJW 1972, 1132 insoweit noch von 5 % ausging). Zwar werden Kontaktlinsen heute entgegen § 1 Abs. 1 Nr. 6 der VO über das Berufsbild nicht mehr von dem Augenoptiker "bearbeitet". Sie können von ihm aber nur dann beanstandungsfrei an den Kunden abgegeben werden, wenn bei der Auswahl eine fachkundige Beratung erfolgt. Eine gute Anpassung setzt nach wie vor exakte Messungen durch den Optiker voraus, damit die Linse neben der richtigen Dioptrienstärke auch die für das jeweilige Auge erforderliche Wölbung erhält.

28

2.

Die Zulassungsvoraussetzungen der Handwerksordnung entfielen für den Betrieb in ... auch nicht deshalb, weil die handwerksmäßigen Tätigkeiten nur in unerheblichem Umfang ausgeübt worden sind oder es sich um einen Hilfsbetrieb gehandelt hat (§ 3 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 und 3 HwO).

29

Nach § 3 Abs. 2 HwO ist eine Tätigkeit unerheblich, wenn sie während eines Jahres den durchschnittlichen Umsatz und die durchschnittliche Arbeitszeit eines ohne Hilfskräfte arbeitenden Betriebes des betreffenden Handwerkszweiges nicht übersteigt. Dabei ist die Unerheblichkeitsgrenze immer absolut und nicht relativ im Verhältnis zum Hauptbetrieb zu sehen (Honig, Handwerksordnung, Kommentar, 1993, § 3 Rn. 24). Die Unerheblichkeitsgrenze war hier bereits aufgrund der Arbeitszeit der beiden in ... tätig gewesenen Gesellen überschritten. Im allgemeinen ist die maßgebliche Arbeitszeit im Sinne des § 3 Abs. 2 HwO schon dann überschritten, wenn im Nebenbetrieb ein einziger Beschäftigter voll tätig ist, denn dessen handwerklichem Arbeitsaufwand ist noch die Zeit hinzuzurechnen, die der Inhaber eines handwerklichen Einmannbetriebes für kaufmännische Tätigkeiten aufwenden muß (Honig, a.a.O., § 3 Rn. 19). Da hier sogar zwei Gesellen eine Vollzeitbeschäftigung ausgeübt haben, ist die Rechtslage eindeutig (vgl. dazu VG Stuttgart, Urt. v. 07.11.1973, GewArch 1974, 120). Es kommt daneben nicht mehr darauf an, ob der für das Geschäft in ... mit 150.000 DM angegebene Jahresumsatz zutreffend ist und ob dieser den Durchschnitts-Jahresumsatz eines Einmannbetriebes der betreffenden Branche nicht übersteigt. Insbesondere muß die Kammer insoweit nicht Zahlen des Statistischen Bundesamtes oder der Handwerkskammern anfordern, denn es ergibt sich zweifelsfrei aus dem Gesetzestext, daß die Unerheblichkeitsgrenze nur dann nicht überschritten ist, wenn beide Voraussetzungen - geringer Umsatz und geringe Arbeitszeit - gleichermaßen erfüllt sind (vgl. auch Honig, a.a.O., § 3 Rn. 18).

30

Auch die Annahme eines Hilfsbetriebes im Sinne des § 3 Abs. 3 HwO scheidet aus. Das Geschäft in ... war kein Hilfsbetrieb im engeren Sinne (§ 3 Abs. 3 Nr. 1 HwO), denn die Arbeiten dort wurden nicht (nur) für den Hauptbetrieb erbracht. Vielmehr wurden Brillen selbst an die Endverbraucher abgegeben, so daß ein Leistungsaustausch mit Dritten stattfand. Es handelte sich auch nicht um einen Hilfsbetrieb im weiteren Sinne (§ 3 Abs. 3 Nr. 2 HwO), denn der Leistungsaustausch überstieg die engen Grenzen des § 3 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. a-d HwO. In ... wurden nicht nur handwerkliche Arbeiten untergeordneter Art ausgeführt, die zur gebrauchsfertigen Überlassung notwendig sind (§ 3 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. a HwO), wie etwa das manuelle Biegen eines Brillenbügels bei Anpassung der fertigen Brille oder Pflege-, Instandsetzungs- und Instandhaltungsarbeiten. Wie bereits dargestellt, wurden auch Sehschärfenbestimmungen, Pupillenmessungen sowie spezielle Messungen für Kontaktlinsenanpassungen vorgenommen, die Voraussetzung für den nachfolgenden Herstellungsprozeß und damit nicht rein untergeordneter Art waren.

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3.

Dadurch, daß der von der Klägerin beschäftigte Betriebsleiter (Meister) die ganz überwiegende Zeit in ... tätig gewesen ist und nur an zwei Nachmittagen in der Woche in anwesend war, verstieß die Klägerin gegen das handwerksrechtliche Gebot der persönlichen Anwesenheit des Betriebsleiters in dem von ihm zu leitenden Betrieb.

32

Juristische Personen und handwerkliche Nebenbetriebe müssen von einem Betreibsleiter geführt werden, der die Voraussetzungen für die Eintragung in die Handwerksrolle erfüllt (§ 7 Abs. 4 Satz 1 und Abs. 5 HwO). Zwar hat der Betriebsleiter, der den Nebenbetrieb in ... mitbetreut hat, die Meisterprüfung abgelegt und erfüllt somit die Voraussetzungen des § 7 Abs. 5 i.V.m. Abs. 1. Aufgrund seiner überwiegenden Abwesenheit war jedoch eine ausreichende Einwirkungsmöglichkeit auf den Nebenbetrieb in ... nicht gewährleistet.

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Die Klägerin weist zutreffend darauf hin, daß eine Residenzpflicht in der Handwerksordnung nicht vorgesehen und es deshalb zulässig ist, Zweigniederlassungen vom Hauptbetrieb aus zu leiten (vgl. Siegert/Musielak, a.a.O., § 6 Rn. 9). Folglich braucht ein Betriebsleiter grundsätzlich nicht ständig in dem von ihm geleiteten Betrieb anwesend zu sein; entscheidend ist, daß er den ihm obliegenden Leitungs- und Überwachungsaufgaben nachkommt (OVG Lüneburg, Urt. v. 15.01.1975 - VII A 94/738 -, GewArch 1975, 232, 233). Voraussetzung hierfür ist jedoch, daß der Betriebsleiter tatsächlich in der Lage ist, die Arbeiten zu überwachen und lenkend oder korrigierend einzugreifen, wenn und so oft dies erforderlich ist. Er muß einen maßgeblichen persönlichen Einfluß auf den tatsächlichen Betriebsablauf nehmen. Dafür muß er zumindest jederzeit ohne erheblichen Zeitverlust erreichbar sein (Siegert/Musielak, a.a.O., § 7 Rn. 19).

34

Da die Entfernung von 9 km zwischen den beiden Geschäften mit dem Pkw regelmäßig in 10 Minuten zurückzulegen gewesen sein dürfte, kann von einem erheblichen Zeitverlust im vorliegenden Fall nicht ohne weiteres nicht gesprochen werden (vgl. dazu auch Honig, a.a.O., §§ 6 Rn. 19; zu einer Entfernung, die nicht ohne Zeitverlust zurückgelegt werden kann, vgl. Schlesw.-Holst. OVG, Urt. v. 27.02.1992 - 3 L 76/92 -, GewArch 1992, 277, 278). Gleichwohl war die prinzipielle Erreichbarkeit des im Hauptbetrieb anwesenden Meisters hier nicht ausreichend, um während der Öffnungszeiten des Geschäfts in ..., die mit den Öffnungszeiten des Geschäfts in ... im wesentlichen übereinstimmten, den dem Betriebsleiter obliegenden Leitungs- und Überwachungsaufgaben in dem gebotenen Umfang nachzukommen. Denn bei gefahrgeneigten Handwerken und bei Gesundheitshandwerken sind besonders hohe Anforderungen an die Präsenz des Betriebsleisters zu stellen (Siegert/Musielak, a.a.O., § 7 Rn. 19 m.w.N.). Gesundheitshandwerke sind solche, die ihre Leistungen überwiegend über die Krankenkassen abwickeln, wozu namentlich Augenoptiker zu rechnen sind (Honig, a.a.O., § 6 Rn. 20). Da unzureichende Handwerkstätigkeit hier weitreichende Folgen haben kann, wird für jede Betriebsstätte ständige Meisterpräsenz verlangt. Dies wird durch entsprechende Rahmenvereinbarungen zwischen den Sozialversicherungsträgern und den betreffenden Handwerksverbänden untermauert (vgl. Honig, a.a.O., § 6 Rn. 20).

35

Unsachgemäße Arbeiten im Augenoptikerhandwerk können Gefahren und Gesundheitsschäden herbeiführen. Dies gilt ohne Zweifel auch für die in ... ausgeführten Tätigkeiten, obgleich dort nicht die eigentliche Herstellung der Brille, insbesondere nicht das Einschleifen der Gläser und die Endkontrolle stattgefunden hat. Die Kammer vermag der Klägerin nicht darin zu folgen, daß die übrigen Tätigkeiten schlechthin ungefährlich sind und etwaige Fehler an den fertigen Brillen von den Auftraggebern ohne weiteres erkannt werden können. Die Behebung eines Sehfehlers setzt nicht nur voraus, daß die Gläser fachmännisch eingeschliffen werden. Gleichermaßen wichtig ist die individuelle Augenglasbestimmung, die exakte Messung der Dioptrienzahl und auch die Wahl des den Erfordernissen des Kunden entsprechenden Brillengestells. So hat eine mangelhafte Beratung bei der Wahl von Brillengläsern und -gestellen sowie eine nicht fachgerechte Anpassung Beschwerden wie Druckgefühl an Ohren und Nase zur Folge. Eine fehlerhafte Bestimmung der Gläserstärke kann neben Kopfschmerzen und Schwindelgefühl zu Gefahren bei der Teilnahme am Straßenverkehr führen und eine falsche Augenvermessung für die Anfertigung von Kontaktlinsen kann neben bloßem Augentränen Beschädigungen der Hornhaut und dgl. mehr zur Folge haben (vgl. Badura, GewA 1992, 201 ff.). Derartige Gefahren bestehen trotz der fortschreitenden Technisierung im Optikerhandwerk nach wie vor. Im übrigen werden insbesondere die Refraktionierungen auch heute noch in den meisten Fällen - so war es auch bei dem Geschäft in ... - nach der herkömmlichen Methode durchgeführt. Meß- und Anpassungsfehler werden zwar häufig von den Brillen- und Kontaktlinsenträgern selbst festgestellt und beanstandet; teilweise wird mangelnder Targekomfort der Sehhilfe jedoch auch als Anfangsschwierigkeit in Kauf genommen, mit der Folge, daß sich das Auge verhältnismäßig schnell an die zu schwache oder zu starke Dioptrienzahl der Gläser gewöhnt und es zu einer Behebung des Fehlers nicht kommt.

36

Die Klägerin kann auch nicht darin gefolgt werden, daß sich die Ungefährlichkeit der Tätigkeit von Augenoptikern, insbesondere der Refraktionsbestimmungen, aus Urteilen der Bundesgerichte zur Bestimmung der Sehschärfe durch Augenoptiker ergebe. Die Gerichte hatten in den konkreten Fällen zu entscheiden, ob die Bestimmung der Sehschärfe durch Optiker der Erlaubnispflicht des Heilpraktikergesetzes zu unterstellen sei (BVerwG, Urt. v. 20.01.1966 - 1 C 73.64 -, NJW 1966, 1187; Urt. v. 04.02.1972 - I ZR 104/70 -, NJW 1972, 1132 [BGH 04.02.1972 - I ZR 104/70]), nach dessen § 1 Abs. 2 Ausübung der Heilkunde jede berufs- oder gewerbsmäßig vorgenommene Tätigkeit zur Feststellung, Heilung oder Linderung von Krankheiten, Leiden oder Körperschäden bei Menschen ist. Das BVerwG (a.a.O.) und ihm folgend der BGH (a.a.O.) haben dies verneint und darauf hingewiesen, daß anderenfalls neben der Sehschärfenbestimmung durch Augenoptiker auch sämtliche anderen Heilberufstätigkeiten, bei denen die bloße Möglichkeit einer Versäumungsgefahr bestünde, der Erlaubnispflicht des Heilpraktikergesetzes hätten unterstellt werden müssen. Auch jedem Apotheker könne es geschehen, daß er Kunden durch Verabreichung eines schmerzstillenden Mittels dazu veranlasse, die notwendige Behandlung ihres eigentlichen Leidens zu verzögern. Deshalb müsse bei der Würdigung der Sehschärfenbestimmung durch Optiker das Ausmaß der etwaigen Gefahren, die damit für die öffentliche Gesundheit verbunden sind, im Vordergrund der Betrachtungen stehen. In diesem Zusammenhang hat das BVerwG ausgeführt, daß die jahrzehntelange Refraktionierung durch Optiker seit Erlaß des Heilpraktikergesetzes keine nennenswerten Gefahren für die Allgemeinheit zur Folge gehabt habe und daß die Gefahr, der ein Kunde des Optikers dadurch ausgesetzt sei, daß durch die Brillenanpassung ein ernstes Augenleiden nicht erkannt und verschlimmert werde, äußerst gering sei (BVerwG, a.a.O.). Die Rechtsprechung ist dabei jedoch stets von einer besonderen handwerklichen Qualifikation der Augenoptiker und von einem hohen Ausbildungsstand der Optikermeister ausgegangen (so auch BSG, Urt. v. 18.09.1973 - 6 RKa 2/72 -, GewArch 1974, 199, 200; OVG Lüneburg, Urt. v. 18.02.1976, - VII A 24/73 -, GewArch 1976, 166, 167). Gefahren und Gesundheitsschäden durch mangelnden Ausgleich der Fehlsichtigkeit infolge unsachgemäßer Ausübung des Augenoptikerhandwerks sind damit keinesfalls ausgeschlossen (so auch OVG Lüneburg, a.a.O.).

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Der Gesetzentwurf eines weiteren Gesundheitsreformgesetzes, auf den sich die Klägerin mit Schriftsatz vom 17. September 1992 berufen hat und wonach die Vorschrift des § 126 SGB V, daß Hilfsmittel nur von zugelassenen Leistungserbringern an Versicherte abgegeben werden dürfen, ersatzlos gestrichen werden soll, ist - jedenfalls bislang - nicht umgesetzt worden. Zwar wurde das SGB V durch Gesetz vom 21. Dezember 1992 (BGBl I, S. 2266) mit Wirkung zum 1. Januar 1993 geändert, doch sieht § 126 Abs. 1 Satz 1 SGB V unverändert die Zulassung der Leistungserbringer vor. Im übrigen hat die Klägerin die Begründung dieses Gesetzesentwurfes selbst u.a. wie folgt zitiert:

"Außerdem sorgen die Regelungen über die Berufsausbildung und die Berufsausübung in ausreichendem Maße dafür, daß Leistungserbringer nur dann ihr Gewerbe betreiben können, wenn sie bestimmte Voraussetzungen erfüllen."

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Angesichts der nicht unerheblichen gesundheitlichen Gefahren, die bei einer unsachgemäßen Auswahl und Fertigung von Sehhilfen entstehen können, hält es die Kammer für unerläßlich, daß in jedem Betrieb des Augenoptiker-Handwerks grundsätzlich ein eigener Betriebsleiter beschäftigt sein muß. Dabei ist auch zu berücksichtigen, daß in einem Augenoptikergeschäft die Arbeiten plötzlich und unvermittelt anfallen können. Der Geschäftsablauf ist schon wegen des täglichen Kundenverkehrs nicht in der Weise voraussehbar und berechenbar, daß sich der Betriebsleiter von vornherein darauf einstellen kann (vgl. dazu Badura, GewArch 1992, 201 ff.). Eine Ausnahme von dem Betriebsprinzip erscheint allenfalls dann vertretbar, wenn zwischen zwei Betrieben ein enger räumlicher Zusammenhang besteht, also etwa wenn sich zwei Betriebe an derselben Straße befinden. Eine solche räumliche Nähe ist hier nicht gegeben, da sich die beiden Filialen in zwei verschiedenen Städten befinden und 9 km entfernt voneinander sind.

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4.

Das Gebot der Meisterpräsenz steht in Einklang mit den Bestimmungen der Art. 30 und 36 EG-Vertrag. Art. 30 EG-Vertrag verbietet mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen sowie alle Maßnahmen gleicher Wirkung zwischen den Mitgliedsstaaten der Europäischen Gemeinschaft. Die Vorschrift steht ebenso wie die nachfolgenden Regelungen der Art. 31 bis 36 EG-Vertrag im Abschnitt über den freien Warenverkehr zwischen den Mitgliedsstaaten. Der Europäische Gerichtshof hat allerdings in seiner Entscheidung vom 25. Mai 1993 ausgeführt, daß Art. 30 EG-Vertrag grundsätzlich auch auf Handelsbeschränkungen im nationalen Recht Anwendung findet (C-271/92). Andererseits hat der Europäische Gerichtshof in derselben Entscheidung in einem zweiten Entscheidungssatz klargestellt, daß es mit Art. 36 EG-Vertrag vereinbar ist, wenn durch nationale Gesetzgebung der Verkauf von Kontaktlinsen und konnexen Produkten im Interesse der Volksgesundheit solchen Personen vorbehalten wird, die die für die Ausübung des Augenoptiker-Berufes notwendigen Voraussetzungen erfüllen. Angesichts dieser Entscheidung, die auch auf den vorliegenden Fall ohne weiteres anwendbar ist, hält die Kammer einen weiteren Klärungsbedarf hinsichtlich der Vereinbarkeit der maßgeblichen handwerksrechtlichen Bestimmungen mit dem Gemeinschaftsrecht nicht für gegeben. Die Kammer sieht daher keine Veranlassung, entsprechend dem Hilfsantrag der Klägerin einen Vorlagebeschluß gemäß Art. 177 Abs. 2 EG-Vertrag zu fassen.

40

5.

Die Beklagte hat schließlich auch nicht ermessensfehlerhaft gehandelt. Daß § 16 Abs. 3 Satz 1 HwO die Untersagung eines rechtswidrig betriebenen Handwerks in das Ermessen der Verwaltungsbehörde stellt und nicht als zwingende Rechtsfolge anordnet, erklärt sich daraus, daß in Fällen, in denen der Gewerbetreibende die Voraussetzungen für die Eintragung in die Handwerksrolle erfüllt, nicht die Betriebsuntersagung, sondern die Eintragung in die Handwerksrolle von Amts wegen in Betracht kommt. In den übrigen Fällen, wenn - wie hier - gegen die materiellen Vorschriften der Handwerksordnung verstoßen wird, hat die Verwaltungsbehörde die rechtliche Verpflichtung, den Betrieb zu untersagen. Für eine abweichende Ermessensentscheidung ist dann kein Raum mehr (vgl. Siegert/Musielak, a.a.O., § 16 Rn. 11). Abgesehen davon war ein gegenüber der Gewerbeuntersagung milderes Mittel hier nicht denkbar, denn die Klägerin hatte erklärt, daß versetzte Öffnungszeiten beider Betriebe oder die Anstellung eines eigenen Betriebsleiters für ... nicht in Frage kämen.

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Als unterliegende Partei hat die Klägerin nach § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Dr. van Nieuwland
RiVG Dr. Richtberg hat Urlaub und ist daher gehindert, seine Unterschrift beizufügen, Dr. van Nieuwland
Dr. Möller