Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 27.01.1999, Az.: 2 A 2402/96
Anspruch eines Sozialhilfeempfängers auf Gewährung einmaliger Zuwendungen für die Anschaffung ladenneuer Kleidungsstücks
Bibliographie
- Gericht
- VG Göttingen
- Datum
- 27.01.1999
- Aktenzeichen
- 2 A 2402/96
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1999, 19011
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGGOETT:1999:0127.2A2402.96.0A
Rechtsgrundlagen
- § 1 Abs. 2 BSHG
- § 12 Abs. 1 BSHG
- § 21 Abs. 1 a BSHG
- § 8 BSHG
Verfahrensgegenstand
Hilfe zum Lebensunterhalt (Bekleidung)
Prozessführer
Herr ... ohne festen Wohnsitz,
Prozessgegner
Landkreis Northeim,
vertreten durch den Oberkreisdirektor, Medenheimer Straße 6-8, 37154 Northeim, - 30 03.50.179/96 -,
In der Verwaltungsrechtssache
hat das Verwaltungsgericht Göttingen - 2. Kammer -
ohne mündliche Verhandlung am 27. Januar 1999
durch
die Richterin am Verwaltungsgericht Schneider als Einzelrichterin
für Recht erkannt:
Tenor:
Der mündlich erteilte Bescheid der Stadt Einbeck vom 20.05.1996 in der Fassung des Widerspruchsbescheides des Beklagten vom 30.10.1996 wird aufgehoben und der Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger einmalige Beihilfen zur Beschaffung eines Hemdes, einer Hose, einer Jacke und eines Paares Schuhe in der von ihm hierfür üblicherweise gewährten Höhe zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens; Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe des gegen ihn festzusetzenden Kostenerstattungsbetrages abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Bewilligung einmaliger Beihilfen.
Der nichtsesshafte Kläger beantragte am 20.05.1996 bei der Stadt Einbeck die Gewährung einmaliger Beihilfen zur Beschaffung eines Hemdes, einer Hose, einer Jacke, eines Paares Schuhe und zweier Garnituren Unterwäsche. Dies lehnte die Stadt Einbeck unter Verweis auf die Kleiderkammer des Deutschen Roten Kreuzes in Einbeck am 20.05.1996 mündlich ab. Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch mit der Begründung, auch als Nichtsesshafter habe er unter Berücksichtigung von § 1 Abs. 2 Satz 2 BSHG einen Anspruch auf die beantragten Beihilfen zum Erwerb ladenneuer Kleidung. Die beantragten zwei Garnituren Unterwäsche seien nicht durch den ihm gewährten Tagessätze abgedeckt.
Den Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 30.10.1996 zurück. Zur Begründung führte er aus, aus den Vorschriften des Sozialhilferechts über die Gewährung einmaliger Leistungen lasse sich nicht regelmäßig ein Anspruch auf ladenneue Bekleidung ableiten. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass es einen Markt für Gebrauchtkleidung gebe, sei es dem Kläger durchaus zuzumuten, seinen Bedarf durch guterhaltene Gebrauchtkleidung zu decken.
Hiergegen hat der Kläger am 02.12.1996 Klage erhoben.
Seiner Auffassung nach zählen zwei Garnituren Unterwäsche nicht mehr zur "billigen Unterwäsche", die durch die Tagessätze abgegolten seien. Die Ablehnung der weiteren Bekleidungsbeihilfen in Geld widerspreche der Würde des Menschen und beinhalte eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung mit sesshaften Sozialhilfeempfängern.
Er beantragt sinngemäß,
den mündlichen Bescheid der Stadt Einbeck vom 20.05.1996 in der Fassung des Widerspruchsbescheides des Beklagten vom 30.10.1996 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, ihm einmalige Beihilfen in Geld zur Beschaffung eines Hemdes, einer Hose, einer Jacke, eines Paares Schuhe und zweier Garnituren Unterwäsche zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung beruft er sich im Wesentlichen auf seinen Widerspruchsbescheid vom 30.10.1996.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten und der Stadt Einbeck und den übrigen Inhalt der Gerichtsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist im tenorierten Umfange begründet. Der Bescheid der Stadt Einbeck vom 20.05.1996 in der Fassung des Widerspruchsbescheides des Beklagten vom 30.10.1996 ist teilweise rechtswidrig und verletzt den Kläger insoweit in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Dem Kläger stehen die einmaligen Beihilfen für den Erwerb eines Hemdes, einer Hose, einer Jacke und eines Paar Schuhe gem. § 12 Abs. 1 i.V.m. § 21 Abs. 1 a Nr. 1 BSHG zu. Nach § 12 Abs. 1 BSHG umfasst der notwendige Lebensunterhalt auch Kleidung, für deren Beschaffung von nicht geringem Anschaffungspreis gem. § 21 Abs. 1 a Nr. 1 BSHG einmalige Leistungen zu gewähren sind. Unter Berücksichtigung von § 1 Abs. 2 BSHG, wonach es Aufgabe der Sozialhilfe ist, dem Empfänger der Hilfe die Führung eines Lebens zu ermöglichen, das der Würde des Menschen entspricht, ist der Sozialhilfeträger nicht - mehr - berechtigt, den Bekleidungsbedarf durch gebrauchte Kleidung oder auch durch (laden) neue Bekleidung in Kleiderkammern, z.B. der Wohlfahrtsverbände, zu decken. Dies entspricht auch der ständigen Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg (siehe hierzu Bundessozialhilfegesetz, Lehr- und Praxiskommentar, (LPK - BSHG) 5. Auflage, § 21 Anmerkung 24 mit weiteren Nachweisen). Orientierungspunkt bei § 1 Abs. 2 Satz 1 BSHG ist der Lebensstandard unterer Einkommensschichten, ohne dass dieser in jeglicher Hinsicht zu befriedigen ist. Der Hilfeempfänger soll in der Umgebung von Nichthilfeempfängern ähnlich wie diese leben können. Dabei ist auf die herrschenden Lebensgewohnheiten abzustellen (siehe LPK BSHG § 1 Anmerkung 7 mit weiteren Hinweisen auf Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts). Mittlerweile entspricht es aber auch den Lebensgewohnheiten der Bevölkerungsschichten mit niedrigem Einkommen, sich mit ladenneuer Kleidung zu versorgen. Vor diesem Hintergrund sind einmalige Leistungen für Bekleidung grundsätzlich in Geldform zu erbringen.
Nichts anderes gilt für Nichtsesshafte. Zwar richten sich Art und Maß der Sozialhilfe nach der Besonderheit des Einzelfalls, vor allem nach der Person des Hilfeempfängers, der Art seines Bedarfs und den örtlichen Verhältnissen (§ 1 Abs. 3 BSHG), so dass der Sozialhilfeträger über Form und Maß der Sozialhilfe nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden hat (§ 4 Abs. 2 BSHG). Dabei sind nach § 8 Abs. 1 BSHG neben der persönlichen Hilfe und Geldleistungen auch Sachleistungen zulässig.
Allgemeine Erfahrungssätze, dass Nichtsesshafte in der Regel gebrauchte Kleidung tragen, gibt es nicht. Im Gegenteil spricht eher der Umstand, dass Obdachlose aufgrund ihrer besonderen Lebensumstände ihre Kleidung in kürzerer Zeit abnutzen als normalerweise üblich, dafür, ihnen ladenneue - und damit länger haltbare - Kleidung zu bewilligen. Um die Frage, ob im Einzelfall anders zu entscheiden ist, weil z.B. der Verdacht besteht, der Obdachlose verwende die ihm bewilligte Beihilfe nicht bestimmungsgemäß, geht es hier nicht. In dieser Richtung ist nichts vorgetragen.
Dem Kläger steht kein Anspruch auf eine einmalige Beihilfe für zwei Garnituren Unterwäsche zu. Nach § 21 Abs. 1 a Nr. 1 BSHG werden einmalige Leistungen nicht für die Beschaffung von Bekleidung und Wäsche von geringem Anschaffungspreis gewährt. Hierunter fällt aber die vom Kläger beantragte Unterwäsche. Eine neue Garnitur Unterwäsche kann bereits zu einem Preis von 10,00 bis 15,00 DM erworben werden und ist daher mit dem Regelsatz, bzw. hier den Tagessätzen für Nichtsesshafte abgegolten.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 1 Satz 3, 188 S. 2 VwGO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.