Verwaltungsgericht Göttingen
Beschl. v. 23.03.1999, Az.: 1 B 1036/99
Zulässigkeit der Anordnung der Teilnahme an einem Nachschulungskurs für auffällig gewordene Fahranfänger
Bibliographie
- Gericht
- VG Göttingen
- Datum
- 23.03.1999
- Aktenzeichen
- 1 B 1036/99
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 1999, 31295
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGGOETT:1999:0323.1B1036.99.0A
Rechtsgrundlagen
- § 80 Abs. 5 VwGO
- § 2 a Abs. 2 StVG a.F.
- § 65 Abs. 2 StVG
Fundstelle
- NVwZ-RR 1999, 502-503 (Volltext mit red. LS)
Verfahrensgegenstand
Entziehung der Fahrerlaubnis
Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO
In der Verwaltungsrechtssache
hat das Verwaltungsgericht Göttingen - 1. Kammer -
am 23. März 1999
beschlossen:
Tenor:
Die aufschiebende Wirkung der Widersprüche des Antragstellers gegen die Bescheide des Antragsgegners vom 03.11.1998 und 16.02.1999 wird angeordnet bzw. wiederhergestellt.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 4.000,00 DM festgesetzt.
Gründe
I.
Der am 01.12.1981 geborene Antragsteller ist Inhaber einer Fahrerlaubnis der Klasse 1 B auf Probe (Ablauf der Probezeit: 01.12.1999). Er begehrt vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutz gegen die von dem Antragsgegner ausgesprochene Anordnung zur Teilnahme an einem Nachschulungskurs für auffällig gewordene Fahranfänger sowie gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis, die der Antragsgegner wegen Nichtbefolgung der Nachschulungsanordnung verfügt hat.
Am Nachmittag des 18.05.1998 beging der Antragsteller nach den Feststellungen der Polizeiinspektion ... in ... einen Verkehrsverstoß, indem er bei unklarer Verkehrslage überholte und dabei einen anderen schädigte. Daraufhin erließ das ... Polizeiverwaltungsamt in ... gegenüber dem Antragsteller einen Bußgeldbescheid, in dem es dem Antragsteller eine Geldbuße in Höhe von 150,00 DM zuzüglich der Verfahrenskosten auferlegte. Als verletzte Vorschriften wurden in dem Bußgeldbescheid angegeben: "5 Abs. III, 1 Abs. II StVO/9 BKAT 1 Abs. IV BKATV". Gegen diesen Bescheid legte der Antragsteller mit Schreiben vom 10.08.1998 Einspruch ein und bat um eine Minderung des Bußgeldes wegen seiner wirtschaftlichen Verhältnisse. Er sei erst 16 Jahre alt und verfüge weder über ein eigenes Einkommen, noch über eine finanzielle Unterstützung. Der Sachbearbeiter des ... Polizeiverwaltungsamtes in ... vermerkte daraufhin in den Akten, dass das Bußgeld aufgrund wirtschaftlicher und finanzieller Verhältnisse gemäß § 28 a StVG reduziert werde und erließ unter dem gleichen Datum einen neuen Bußgeldbescheid, in dem die Geldbuße auf 40,00 DM zuzüglich der Verfahrenskosten festgesetzt wurde. In der Rubrik "Verletzte Vorschriften" des Bescheides waren dieselben Regelungen wie in dem Bescheid vom 28.07.1998 angegeben. § 28 a StVG war nicht aufgeführt. Dieser Bußgeldbescheid erwuchs in Rechtskraft.
Unter dem 12.10.1998 teilte das Kraftfahrt-Bundesamt der zuständigen Fahrerlaubnisbehörde mit, dass der Verkehrsverstoß vom 18.05.1998 in das Verkehrszentralregister eingetragen worden sei.
Mit Bescheid vom 03.11.1998, zugestellt am 06.11.1998, ordnete daraufhin der Antragsgegner auf der Grundlage des § 2 a Abs. 2 StVG a.F. gegenüber dem Antragsteller die Teilnahme an einem Nachschulungskurs für auffällig gewordene Fahranfänger an. Eine entsprechende Teilnahmebestätigung müsse bis zum 03.02.1999 vorgelegt werden. Der Antragsgegner führte zur Begründung seiner Entscheidung an, dass der Verkehrsverstoß vom 18.05.1998 zu einer Eintragung in das Verkehrszentralregister geführt habe. Er wies den Antragsteller weiter darauf hin, dass ihm die Fahrerlaubnis entzogen werde, falls er der Nachschulungsanordnung nicht nachkomme.
Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 01.12.1998, bei dem Antragsgegner eingegangen am 02.12.1998, legte der Antragsteller Widerspruch gegen den Bescheid vom 03.11.1998 ein, den er durch weitere anwaltliche Schreiben vom 07.12.1998 und 25.01.1999 dahingehend begründete, dass gegen ihn lediglich ein Bußgeld in Höhe von 40,00 DM verhängt worden sei, was nicht zu einer Eintragung in das Verkehrszentralregister führen dürfe. Demgemäß lägen auch die Voraussetzungen für eine Nachschulung nicht vor.
Mit Bescheid vom 16.02.1999 entzog der Antragsgegner dem Antragsteller auf der Grundlage des § 2 a Abs. 3 StVG a.F. unter Anordnung des Sofortvollzugs die Fahrerlaubnis, da die in der vollziehbaren Anordnung vom 03.11.1998 geforderte Bestätigung über die Teilnahme an einem Nachschulungskurs nicht innerhalb der gesetzten Frist vorgelegt worden sei. Die Anordnung des Sofortvollzugs begründete der Antragsgegner dahingehend, dass sich der Antragsteller ganz offensichtlich der gesetzlich vorgeschriebenen Nachschulung entziehen wolle und mit einer derartigen Einstellung eine Gefahr für die Allgemeinheit darstelle.
Am 19.02.1999 legte der Antragsteller auch gegen den Bescheid vom 16.02.1999 Widerspruch ein. Dieser Widerspruch ist bisher ebensowenig beschieden worden, wie der Widerspruch gegen den Bescheid vom 03.11.1998.
Gleichfalls am 19.02.1999 hat der Antragsteller bei Gericht um die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nachgesucht.
Der Antragsteller trägt vor, die Nachschulungsanordnung habe nicht ergehen dürfen, weil der Verkehrsverstoß vom 18.05.1998 nach den §§ 28, 28 a StVG nicht in das Verkehrszentralregister eingetragen werden dürfe. Insbesondere werde § 28 a StVG, der bei einer Herabsetzung des Regelsatzes einer Geldbuße wegen der wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen für die Eintragung in das Verkehrszentralregister die Maßgeblichkeit des Regelsatzes vorschreibe, nicht anwendbar, weil diese Vorschrift in dem rechtskräftigen Bescheid nicht, wie es vorgeschrieben sei, bei den angewendeten Bußgeldvorschriften aufgeführt werde.
Der Antragsteller beantragt sinngemäß,
die aufschiebende Wirkung seiner Widersprüche gegen die Bescheide des Antragsgegners vom 03.11.1998 und 16.02.1999 anzuordnen bzw. wiederherzustellen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Der Antragsgegner tritt dem Vorbringen des Antragstellers entgegen und verteidigt die erlassenen Verfügungen. Er meint insbesondere, dass wegen des von der Bußgeldbehörde unter Verweis auf die Vorschrift des § 28 a StVG gefertigten Aktenvermerks vom 13.08.1998 kein Zweifel darüber bestehen könne, dass die Geldbuße nur mit Rücksicht auf die wirtschaftlichen Verhältnisse des Antragstellers herabgesetzt worden sei. Es würde einen unnötigen Formalismus darstellen, wenn man in diesem Einzelfall die Wiederholung der Vorschrift des § 28 a StVG im Bußgeldbescheid fordern wollte.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und den beigezogenen Verwaltungsvorgang des Antragsgegners verwiesen. Die Unterlagen sind Gegenstand der Entscheidungsfindung der Kammer gewesen.
II.
Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ist zulässig und begründet.
Die im Rahmen der Entscheidung der Kammer nach § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende Interessenabwägung geht zu Gunsten des Antragstellers aus. Sein privates Suspensivinteresse überwiegt das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Bescheide des Antragsgegners vom 03.11.1998 und 16.02.1999, weil die von dem Antragsteller gegen diese Bescheide eingelegten Rechtsbehelfe in der Hauptsache aller Voraussicht nach Erfolg haben werden. Die Bescheide sind nach der in dem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes vorzunehmenden summarischen Prüfung offensichtlich rechtswidrig.
Der Antragsgegner hat für den Antragsteller auf der Grundlage des § 2 a Abs. 2 StVG a.F. - diese Vorschrift ist nach der Übergangsbestimmung des § 65 Abs. 2 der seit dem 01.01.1999 geltenden Fassung des StVG auf den vorliegenden Fall weiter anwendbar - zu Unrecht die Teilnahme an einem Nachschulungskurs für auffällig gewordene Fahranfänger angeordnet. Die in dieser Vorschrift vorgesehenen Rechtsfolgen dürfen nach ihrem eindeutigen Wortlaut nur an eine rechtskräftige Entscheidung über eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit geknüpft werden, die in das Verkehrszentralregister einzutragen ist, (nicht: eingetragen worden ist). Welche Entscheidungen dies sind, ergibt sich aus §§ 28 Nr. 3 StVG a.F., 13 Abs. 1 Nr. 1 a und b. StVZO a.F. (gleichlautend für das neue Recht: § 28 Abs. 3 Nr. 2 StVG n.F.). Eintragungspflichtig sind danach rechtskräftige Entscheidungen wegen einer Ordnungswidrigkeit nach den §§ 24, 24 a StVG, wenn gegen den Betroffenen ein Fahrverbot nach § 25 StVG angeordnet oder eine Geldbuße von mindestens 80,00 DM festgesetzt ist, soweit § 28 a StVG nichts anderes bestimmt. Der von den Änderungen im Straßenverkehrsrecht unberührt gebliebene § 28 a StVG lautet:
§ 28 a. - Eintragung beim Abweichen vom Bußgeldkatalog -
Wird die Geldbuße wegen einer Ordnungswidrigkeit nach den §§ 24 und 24 a lediglich mit Rücksicht auf die wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen abweichend von dem Regelsatz der Geldbuße festgesetzt, der für die zugrunde liegende Ordnungswidrigkeit im Bußgeldkatalog (§ 26 a) vorgesehen ist, so ist in der Entscheidung dieser Paragraph bei den angewendeten Bußgeldvorschriften aufzuführen, wenn der Regelsatz der Geldbuße
1.
achtzig Deutsche Mark oder mehr beträgt und eine geringere Geldbuße festgesetzt wird oder2.
weniger als achtzig Deutsche Mark beträgt und eine Geldbuße von achtzig Deutsche Mark oder mehr festgesetzt wird.In diesen Fällen ist für die Eintragung in das Verkehrszentralregister der im Bußgeldkatalog vorgesehene Regelsatz maßgebend.
Im vorliegenden Fall ergibt sich aus dem beigezogenen Verwaltungsvorgang, dass das Polizeiverwaltungsamt ... als Bußgeldbehörde für den Verkehrsverstoß, den der Antragsteller am 18.05.1998 begangen hat, von einem Bußgeldregelsatz von 150,00 DM ausgegangen ist, diesen aber mit Rücksicht auf die wirtschaftlichen Verhältnisse des Antragstellers auf eine Geldbuße von 40,00 DM herabgesetzt hat. Die rechtliche Grundlage für diese Herabsetzung in Gestalt des § 28 a StVG ist aber lediglich in dem Aktenvermerk des Sachbearbeiters der Bußgeldbehörde vom 13.08.1998, hingegen - entgegen den Erfordernissen des § 28 a StVG - nicht in dem rechtskräftigen Bußgeldbescheid vom selben Tage ausdrücklich benannt worden. Die Kammer sieht den Zweck des in § 28 a StVG enthaltenen Zitiergebotes, zu dem soweit ersichtlich bisher keine obergerichtliche Rechtsprechung ergangen ist, nicht lediglich darin begründet, der Klarheit des Verkehrszentralregisters zu dienen, was u.U. zur Folge hätte, dass sich die von den jeweiligen Eintragungen Betroffenen auf eine Verletzung des Zitiergebotes nicht berufen könnten. Vielmehr ist die Vorschrift nach ihrem eindeutigen Wortlaut derart zu verstehen, dass die Einhaltung des Zitiergebotes eine zwingende - auf Rechtsbehelfe der Betroffenen hin überprüfbare - Voraussetzung für eine Eintragung in das Verkehrszentralregister darstellt.
Da der rechtskräftige Bußgeldbescheid des ... Polizeiverwaltungsamtes vom 13.08.1998 die Vorschrift des § 28 a StVG bei den angewendeten Bußgeldvorschriften nicht aufführt, stellt er i.S.d. § 2 a Abs. 2 StVG a.F. keine Entscheidung dar, die in das Verkehrszentralregister einzutragen ist und kann mithin auch nicht Grundlage der Anordnung einer Teilnahme an einem Nachschulungskurs i.S.d. § 2 a Abs. 2 Nr. 1 StVG a.F. sein.
Ist nach alledem die mit Bescheid des Antragsgegners vom 03.11.1998 verfügte, nach § 2 a Abs. 6 StVG a.F. von Gesetzes wegen sofort vollziehbare Nachschulungsanordnung zu suspendieren, entfällt gleichzeitig die Grundlage für die mit dem weiteren Bescheid des Antragsgegners vom 16.02.1999 unter Anordnung des Sofortvollzugs ausgesprochene und auf § 2 a Abs. 3 StVG a.F. gestützte Fahrerlaubnisentziehungsverfügung.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Bemessung des Streitwertes beruht auf §§ 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 Satz 1 GKG. Nach dem Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (DVBl. 1996, 605, 610, Nrn. 45.1 und 45.9) beträgt der Streitwert in Verfahren, die eine Fahrerlaubnis der Klasse 1 B bzw. eine Nachschulungsanordnung betreffen, jeweils die Hälfte des Auffangwertes von 8.000,00 DM. Danach ist hier insgesamt ein Wert von 8.000,00 DM zugrunde zu legen. Dieser ist im Hinblick auf den lediglich vorläufigen Charakter des gerichtlichen Eilverfahrens wiederum zu halbieren.
Streitwertbeschluss:
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 4.000,00 DM festgesetzt.