Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 19.06.1987, Az.: 8 U 177/86

Wahrnehmung rechtlicher Interessen "aus Arbeitsverhältnissen"; Versicherungsschutz betreffend "die Wahrnehmung rechtlicher Interessen vor Sozialgerichten"; Definition des Begriffes "Arbeitsverhältnis"

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
19.06.1987
Aktenzeichen
8 U 177/86
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1987, 16096
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:1987:0619.8U177.86.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Lüneburg - 12.09.1986 - AZ: 8 O 152/86

Redaktioneller Leitsatz

  1. 1.

    Die Wahrnehmung rechtlicher Interessen aus Arbeitsverhältnissen" im Sinne des § 24 Absatz 2b ARB (Allgemeine Bedingungen der Rechtsschutzversicherung) sind eng und entsprechend der Formulierung der Zuständigkeitsbestimmungen des Arbeitsgerichtsgesetzes auszulegen.

  2. 2.

    Arbeitnehmer haben zwar gegebenenfalls tarifvertragliche Ansprüche gegen die gemeinsame Einrichtung, nicht jedoch gegen den Arbeitgeber zum Beispiel auf Leistung seiner Beiträge.

In dem Rechtsstreit
hat der 8. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle
auf die mündliche Verhandlung vom 22. Mai 1987
unter Mitwirkung
der Richter am Oberlandesgericht ..., ... und ...
für Recht erkannt:

Tenor:

Unter Zurückweisung der Anschlußberufung des Klägers wird das am 12. September 1986 verkündete Urteil der 8. Zivilkammer des Landgerichts Lüneburg auf die Berufung der Beklagten teilweise geändert und insgesamt neu gefaßt.

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beschwer des Klägers beträgt 11.094,48 DM.

Tatbestand

1

Der Kläger, der ein Unternehmen für Fugenabdichtung und Bautenschutz betreibt, unterhält bei der Beklagten eine Rechtsschutzversicherung, die u.a. "Firmen-Rechtsschutz" gemäß § 24 ARB "ohne Abs. 3) und 6)" umfaßt. Er begehrt von der Beklagten - im Berufungsrechtszuge erweitert - Rechtsschutzversicherungsleistungen in Form der Freistellung von Kosten für eine arbeitsgerichtliche Streitigkeit. Nach § 24 Abs. 2 b) ARB umfaßt der Versicherungsschutz "die Wahrnehmung rechtlicher Interessen aus Arbeitsverhältnissen".

2

Zu 4 Ca 389/86 Arbeitsgerichte ... ist der Kläger von der ... auf Zahlung rückständiger Beiträge in Anspruch genommen worden. Nach den gemäß § 5 TVG für allgemein verbindlich erklärten Tarifverträgen über das Verfahren über den Urlaub, den Lohnausgleich und die Zusatzversorgung im Baugewerbe (VTV) und über das Verfahren für eine zusätzliche Alters- und Invalidenbeihilfe für technische und kaufmännische Angestellte sowie für Poliere und Schachtmeister des Baugewerbes (VTV-Angestellte) haben die von diesen Tarifverträgen erfaßten Arbeitgeber einen bestimmten Prozentsatz der Bruttolohnsumme ihrer tarifvertragsgebundenen Beschäftigten als Beiträge an die ... abzuführen. Der Kläger hat in dem Arbeitsgerichtsprozeß bestritten, in den Geltungsbereich der genannten Tarifverträge zu fallen. Mit Schreiben vom 16. April 1986 hat die Beklagte die von ihm erbetene Kostendeckungszusage für den Arbeitsgerichtsprozeß mit der Begründung abgelehnt, in dem Rechtsstreit gehe es um kollektives Arbeitsrecht, das nicht in den Leistungsbereich der ARB falle. Gegen die ihn zu Beitragszahlungen an die ... verurteilende Entscheidung des Arbeitsgerichts ... vom 18. September 1986 hat der Kläger Berufung eingelegt, über welche zu 5 Sa 1470/86 vom Landesarbeitsgericht ... noch nicht entschieden worden ist. Auch für das arbeitsgerichtliche Berufungsverfahren begehrte der Kläger von der Beklagten Kostendeckungszusage, die ihm ebenfalls verweigert wurde. Die Kostenrechnungen des Prozeßbevollmächtigten des Klägers im genannten Arbeitsgerichtsprozeß lauten für den ersten Rechtszug über 5.200,68 DM und für den zweiten Rechtszug über 5.893,80 DM.

3

Der Kläger hat vorgetragen:

4

§ 24 Abs. 2 b) ARB umfasse durch die Formulierung "Wahrnehmung rechtlicher Interessen aus Arbeitsverhältnissen" auch den Rechtsschutz für die arbeitsgerichtliche Klage der ... gegen ihn. Die streitigen Beitragsforderungen der ... - zusätzliche Lohnnebenabgaben - hätten ihren unmittelbaren Ursprung in den von ihm mit seinen Arbeitnehmern geschlossenen Arbeitsverträgen, ohne solche stünden der ... keinesfalls Ansprüche gegen ihn zu. Es gehe nicht um kollektives Arbeitsrecht, sondern allein um Beitragsansprüche der ... aufgrund der für allgemein verbindlich erklärten Tarifverträge. Soweit das Bestehen von Arbeitsverhältnissen Voraussetzung für die Geltendmachung von Rechten sei, sei das auch dann durch § 24 Abs. 2 b) ARB gedeckt, wenn solche Rechte dem kollektiven Arbeitsrecht zuzuordnen seien. Im übrigen sei die Bestimmung des § 24 Abs. 2 b ARB unklar, soweit sie offenlasse, ob nur "individualrechtliche" oder auch "kollektive" Ansprüche gemeint seien; solche Unklarheiten gingen gemäß § 5 AGBG zu Lasten der Beklagten.

5

Der Kläger hat - unter Hinweis auf die Inanspruchnahme von Bankkredit - beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, ihn von der Verbindlichkeit gegenüber den ... in ... gemäß deren Kostenrechnung vom 11. Februar 1986 über 5.200,68 DM nebst 8 v.H. Zinsen seit dem 2. Juni 1986 (Klagezustellung) freizustellen.

6

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

7

Sie hat vorgetragen:

8

§ 24 Abs. 2 b) ARB betreffe nur Streitigkeiten im Rahmen individueller Arbeitsverhältnisse; die Inanspruchnahme des Klägers durch die ... beziehe sich aber auf Ansprüche aus dem kollektiven Tarifvertragsrecht. Die Unklarheitenregelung des § 5 AGBG Sei nicht anzuwenden, weil der Begriff "Arbeitsverhältnis", wie ihn auch das ArbGG verwende, klar sei.

9

Durch Urteil vom 12. September 1986 hat die 8. Zivilkammer des Landgerichts Lüneburg der Klage im wesentlichen - ausgenommen die Zinsforderung - stattgegeben. Das Landgericht ist zu dem Ergebnis gelangt, die Abwehr von Beitragsforderungen der ... unter falle dem Versicherungsschutz gemäß § 24 Abs. 2 b) ARB; die von der ... geltend gemachten Ansprüche hätten nämlich ihre Grundlage in den einzelnen, durch die Vorschriften des Tarifvertrages inhaltlich ausgestalteten Arbeitsverträgen des Klägers mit seinen Arbeitnehmern; es gehe um Leistungsansprüche der Arbeitnehmer gegen den Kläger als Arbeitgeber, die tarifvertraglich in der Weise abgesichert seien, daß die Leistung mittelbar über die ... erbracht werde.

10

Gegen dieses ihr am 24. September 1986 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 13. Oktober 1986 Berufung eingelegt; sie hat ihr Rechtsmittel am 5. November 1986 begründet. Der Kläger hat gegen das ihm am 29. September 1986 zugestellte Urteil am 24. April 1987 Anschlußberufung eingelegt und diese zugleich begründet.

11

Die Beklagte trägt - unter Wiederholung ihres erstinstanzlichen Vorbringens - zur Rechtfertigung ihrer Berufung vor:

12

Bei dem Rechtsstreit des Klägers mit der ... handele es sich um einen solchen aus dem kollektiven Arbeitsrecht. § 24 Abs. 2 b) ARB erfasse aber nur Rechtsstreitigkeiten im Rahmen individueller Arbeitsverhältnisse. Kern des arbeitsgerichtlichen Rechtsstreits sei ausschließlich der fachliche Geltungsbereich des VTV und des VTV-Angestellte. Mit individuellen Arbeitsverhältnissen habe der Streit nur mittelbar insoweit etwas zu tun, als deren Vorhandensein Voraussetzung für Beitragsansprüche der ... sei; die Arbeitnehmer des Klägers seien an dem arbeitsgerichtlichen Verfahren nicht beteiligt.

13

Die Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen.

14

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen,

und im Wege der Anschlußberufung,

15

das angefochtene Urteil zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, ihn über den vom Landgericht zuerkannten Freistellungsanspruch hinaus von seiner Verpflichtung freizustellen, den ... in ... gemäß deren Kostenrechnung vom 3. April 1987 5.893,80 DM zu zahlen.

16

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend und trägt - ebenfalls unter Wiederholung seines erstinstanzlichen Vorbringens -, zugleich zur Rechtfertigung seiner Anschlußberufung, ergänzend vor:

17

Bei den Beitragsforderungen der ... handele es sich nicht um Ansprüche aus tarifvertraglichen Vereinbarungen des kollektiven Arbeitsrechts, sondern um Leistungsansprüche seiner Arbeitnehmer gegen ihn, welche die ... für diese geltend mache. Selbst wenn es sich nicht um solche unmittelbaren Leistungsansprüche seiner Arbeitnehmer handeln sollte, würden sie von der ... zumindest auf die individuellen Arbeitsverträge gestützt. Die normativen Vereinbarungen der Tarifverträge seien Bestandteil der individuellen Arbeitsverträge. Die Beiträge an die seien folglich aus diesen Arbeitsverträgen geschuldet.

18

Jedenfalls liege ein Anwendungsfall des § 5 AGBG vor. Wenn bereits eine Kammer des Landgerichts die Auffassung vertrete, daß ein Arbeitsgerichtsprozeß zwischen Arbeitgeber und ... ein Prozeß "aus Arbeitsverhältnissen" sei, ergäben sich bei der Auslegung des § 24 Abs. 2 b) ARB Unklarheiten, die zu Lasten der Beklagten gehen müßten.

19

Die Beklagte beantragt,

die Anschlußberufung zurückzuweisen.

20

Wegen weiterer Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf den vorgetragenen Inhalt ihrer in beiden Rechtszügen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen sowie auf die Akten 4 Ca 389/86 Arbeitsgericht ... = 5 Sa 1470/86 Landesarbeitsgericht ..., auf welche die Parteien sich bezogen haben.

Entscheidungsgründe

21

Die zulässige Berufung der Beklagten, die sich gegen die erstinstanzliche Verurteilung wendet, ist begründet. Die ebenfalls zulässige unselbständige Anschlußberufung des Klägers, mit zulässiger Klageerweiterung (§ 263 ZPO), mit welcher er - mit Rücksicht auf die weitere Entwicklung des Arbeitsgerichtsprozesses - weitergehende Freistellung von Rechtsverfolgungskosten begehrt, ist nicht begründet.

22

Nach § 24 Abs. 2 b) ARB umfaßt der Versicherungsschutz lediglich die Wahrnehmung rechtlicher Interessen "aus Arbeitsverhältnissen", nicht etwa, anders als z.B. nach § 24 Abs. 2 d) ARB im Verhältnis zu Sozialgerichten, ganz allgemein die Wahrnehmung rechtlicher Interessen "vor Arbeitsgerichten". Bei dem arbeitsgerichtlichen Rechtsstreit zwischen der ... und dem Kläger geht es nicht um die Wahrnehmung rechtlicher Interessen des Klägers "aus Arbeitsverhältnissen"; Arbeitsverhältnisse zwischen dem Kläger als Arbeitgeber und der ... als einer gemeinsamen Einrichtung der Tarifvertragsparteien (§ 4 Abs. 2 TVG) bestehen nicht. Der Begriff "Arbeitsverhältnis" ist eindeutig und wird z.B. auch in der Zuständigkeitsregelung des § 2 Abs. 1 ArbGG gebraucht, wenn es um die Beschreibung von Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern geht. Abweichend davon sind z.B. in § 2 Abs. 1 Nr. 5 i.V.m. Nr. 4 b) ArbGG bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitgebern und gemeinsamen Einrichtungen der Tarifvertragsparteien angesprochen, die nicht "aus dem Arbeitsverhältnis herrühren, sondern "mit dem Arbeitsverhältnis in rechtlichem oder unmittelbar wirtschaftlichem Zusammenhang stehen". Daß "die Wahrnehmung rechtlicher Interessen aus Arbeitsverhältnissen" im Sinne des § 24 Abs. 2 b) ARB eng und entsprechend der Formulierung der Zuständigkeitsbestimmungen des Arbeitsgerichtsgestzes auszulegen ist, ist im Schrifttum allgemein anerkannt (vgl. Harbauer, ARB-Kommentar, 2. Aufl., München 1983, § 24 Rn. 32, 34 f.; auch Böhme, ARB-Kommentar, 6. Aufl., Karlsruhe 1985, § 24 Rn. 9).

23

Es folgt auch daraus, daß der Versicherungsschutz betreffend "die Wahrnehmung rechtlicher Interessen vor Sozialgerichten ..." erkennbar auf jenem Rechtsgebiet weitergeht und daß die ARB selbst an anderen Stellen weitere Fassungen enthält wie "im Zusammenhang mit" und "aus dem Bereich" (vgl. z.B. § 4 Abs. 1 a), b), c), e), f), i) k), m), n), q), r) ARB), die auch bei der Umschreibung des Versicherungsschutzes auf arbeitsrechtlichem Gebiet gewählt worden wären, wenn nicht die enge Begrenzung auf die Wahrnehmung rechtlicher Interessen "aus Arbeitsverhältnissen" gewollt wäre.

24

Daß es sich bei den Beitragsforderungen der ... etwa um Leistungsansprüche einzelner Arbeitnehmer gegen den Kläger handelt oder sonstwie um Ansprüche aus Arbeitsverhältnissen, läßt sich nicht mit den normativen Wirkungen der Tarifverträge begründen. Durch die Allgemeinverbindlicherklärung entfalten zwar Tarifverträge hinsichtlich einzelner Bestimmungen normative Wirkungen zwischen den tarifgebundenen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, so daß z.B. in bezug auf Lohnbestimmungen bereits bestehende Einzelarbeitsverträge modifiziert werden können. Das bedeutet aber nichts für vom Arbeitgeber an eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien zu zahlende Beiträge, weil die Beitragspflicht des Arbeitgebers nicht zum Inhalt der einzelnen Arbeitsverträge wird, sondern sich vielmehr unmittelbar aus dem Tarifvertrag ergibt. Die Arbeitnehmer haben zwar gegebenenfalls tarifvertragliche Ansprüche gegen die gemeinsame Einrichtung, nicht jedoch gegen den Arbeitgeber z.B. auf Leistung seiner Beiträge. Der Beitragsanspruch steht allein hier der ... gegen den Kläger zu, die ihn mit Rücksicht auf tarifvertragliche Regelungen geltend macht, aber dies nicht "aus Arbeitsverhältnissen", sondern lediglich mit Rücksicht auf eine bestimmte Anzahl von Arbeitnehmern und Angestellten des Klägers.

25

Da die Formulierung "aus Arbeitsverhältnissen" allgemein verständlich ist, der Sprache des Arbeitsgerichtsgesetzes entspricht und ohne weiteres einer klaren und eindeutigen Auslegung zugänglich ist, ist für eine Anwendung des § 5 AGBG kein Raum. Abweichende juristische Überlegungen, z.B. der Vorinstanz, machen die klare und eindeutige Bestimmung des § 24 Abs. 2 b) ARB nicht zu einer unklaren Regelung im Sinne des § 5 AGBG.

26

Da es nach allem in dem Arbeitsgerichtsprozeß 4 Ca 389/86 Arbeitsgericht ... = 5 Sa 1470/86 Landesarbeitsgericht ... nicht um die Wahrnehmung rechtlicher Interessen des Klägers "aus Arbeitsverhältnissen" im Sinne des § 24 Abs. 2 b) ARB geht, mußte das angefochtene Urteil unter Zurückweisung der Anschlußberufung des Klägers auf die Berufung der Beklagten mit dem Ergebnis der vollen Klageabweisung geändert werden.

27

Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 91 und 97 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus den §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO. Dabei sieht der Senat keine Veranlassung zu einer Revisionszulassung. Angesichts des klaren und eindeutigen Wortlauts der Bestimmung des § 24 Abs. 2 b) ARB, der Auslegungsschwierigkeiten nicht bereitet und der in Rechtsprechung und Schrifttum zu abweichenden Auffassungen nicht geführt hat, fehlt es an einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache.

Streitwertbeschluss:

Die Beschwer des Klägers beträgt 11.094,48 DM.

Die Festsetzung der Beschwer des Klägers erfolgt im Hinblick auf § 546 Abs. 2 Satz 1 ZPO.