Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 04.06.1987, Az.: 10 U 32/86
Anwendbarkeit des Rechts der DDR auf Erbfälle; Anwendbarkeit ausländischen Rechts in der BRD
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 04.06.1987
- Aktenzeichen
- 10 U 32/86
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1987, 15243
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:1987:0604.10U32.86.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Hannover - 04.03.1986 - AZ: 14 O 282/85
Rechtsgrundlagen
- Art. 30 EGBGB
- § 399 Abs. 1 S. 2 ZGB
Verfahrensgegenstand
Rückauflassung eines Wohnungseigentums
In dem Rechtsstreitverfahren
hat der 10. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle
auf die mündliche Verhandlung vom 9. April 1987
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ...
sowie die Richter am Oberlandesgericht ... und ...
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das am 4. März 1986 verkündete Urteil der 14. Zivilkammer des Landgerichts Hannover wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagten wird nachgelassen, die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung oder Hinterlegung von 4.000,00 DM abzuwenden, wenn nicht die Klägerin vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet. Die Sicherheit kann durch die selbstschuldnerische Bürgschaft einer deutschen Großbank, öffentlichen Sparkasse oder Volksbank geleistet werden.
Der Wert der Beschwer für die Beklagte beträgt 56.000,00 DM.
Tatbestand
Die Klägerin ist Erbeserbin nach der am 17. April 1983 verstorbenen ... die von ... allein beerbt wurde. ... verstarb am 6. November 1985 in Hannover und wurde von seiner Ehefrau, der Klägerin, allein beerbt.
... war Eigentümerin einer im Wohnungsgrundbuch von ... (Blatt 2412) belegenen Eigentumswohnung; diese hatte sie durch letztwillige Verfügung vom 2. Dezember 1981 der Beklagten als Vermächtnis zugewandt. Frau ... sowie auch ihr Erbe ... waren Bürger der DDR und hatten dort bis zu ihrem Tode ihren gewöhnlichen Aufenthalt.
Nachdem es der Beklagten nicht gelungen war, zu ihren Gunsten einen auf das Vermögen in der Bundesrepublik Deutschland beschränkten Erbschein nach ... zu erhalten, hatte sie beim Vormundschaftsgericht Hannover beantragt, für den damals noch in der DDR lebenden ... einen Abwesenheitspfleger zu bestellen. Dem kam das Vormundschaftsgericht nach, ohne Herrn ... dazu zu hören und bestellte durch Beschluß vom 14. Dezember 1984 den Notar ... aus Hannover zum Abwesenheitspfleger. Dieser erklärte am 19. Dezember 1984 die Auflassung des Wohnungseigentums zu Gunsten der Beklagten, was das Vormundschaftsgericht mit Beschluß vom 1. Februar 1985 genehmigte. Die Beklagte ist auch in das Grundbuch als Eigentümerin eingetragen.
Das Landgericht hat die Beklagte entsprechend dem Antrag der Klägerin zur Rückauflassung des Wohnungseigentums verurteilt, weil die Beklagte als öffentlich-rechtliche Körperschaft für den Erbschaftserwerb gem. §§ 381, 399 des Zivilgesetzbuches der DDR (ZGB) einer staatlichen Genehmigung bedurft hätte, die jedoch unstreitig nicht erteilt worden war.
Mit der Berufung verfolgt die Beklagte ihr auf Abweisung der Klage gerichtetes Prozeßziel weiter. Unter Anwendung der Vorschriften des ZGB hält sie § 399 Abs. 1 Satz 2 für eine verwaltungsrechtliche Vorschrift, der die Vorbehaltsklausel des Art. 30 EGBGB entgegensteht. Sie meint, auch § 9 des Rechtsanwendungsgesetzes der DDR vom 5. Dez. 1975 (GBL I, 748) spreche für die Anwendung des deutschen Rechts. Sie zieht im übrigen in Zweifel, ob die Genehmigung hier wirksam durch eine DDR-Behörde hätte erteilt oder verweigert werden dürfen, oder ob sie nicht durch eine Behörde der Bundesrepublik Deutschland hätte erteilt werden müssen.
Sie beantragt,
unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen, hilfsweise Vollstreckungsnachlaß.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angefochtene Urteil.
Wegen des übrigen Parteivorbringens wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.
Beide Parteien gehen in der Berufungsinstanz zutreffend davon aus, daß die Erblasserin ... nach den Gesetzen der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) beerbt wurde. Die Beklagte zieht auch nicht in Zweifel, daß gemäß § 381 Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit § 399 Abs. 1 Satz 2 ZGB für den Erwerb des Vermächtnisses eine staatliche Genehmigung erforderlich gewesen wäre. Dabei hält die Beklagte § 399 Abs. 1 Satz 2 ZGB für eine verwaltungsrechtliche Vorschrift, die deshalb für Erbfälle dieser Art. nicht anwendbar sei, weil dem der ordre publik der Bundesrepublik Deutschland gemäß Art. 30 EGBGB entgegenstehe.
Dieser Einwand greift nicht durch. Art. 30 EGBGB bestimmt, daß die Anwendung eines ausländischen Gesetzes ausgeschlossen ist, wenn die Anwendung gegen die guten Sitten oder gegen den Zweck eines deutschen Gesetzes verstoßen würde. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist dafür als Maßstab zu nehmen, ob das Ergebnis der Anwendung des ausländischen Rechts zu den Grundgedanken der deutschen Regelung und der in ihnen liegenden Gerechtigkeitsvorstellungen in so starkem Widerspruch steht, daß es für uns für untragbar gehalten wird (BGHZ 50, S. 376, 75 [BGH 17.09.1968 - IV ZB 501/68], S. 32). Abzustellen ist immer darauf, ob das Ergebnis der Rechtsanwendung im konkreten Fall in untragbarem Widerspruch zu grundlegenden deutschen Gerechtigkeitsvorstellungen stünde (Palandt-Heldrich Art. 30 EGBGB Anm. 2). Dabei ist bei der Anwendung des Art. 30 EGBGB große Zurückhaltung geboten, denn der deutsche Richter darf sich nicht zum Sittenrichter über fremdes Recht aufwerfen (Palandt aaO). Die Beklagte bemängelt, es seien keine Gründe ersichtlich, sie gegenüber Privatpersonen aus ideologischen Gründen schlechter zu stellen. Nach den im ZGB niedergelegten Grundsätzen des sozialistischen Zivilrechts haben Betriebe und Organisationen (vgl. dazu §§ 10 ff. ZGB) eine grundsätzlich andere Stellung im verfassungsmäßigen Aufbau der dortigen staatlichen Ordnung. Der Genehmigungsvorbehalt des § 399 Abs. 1 Satz 2 ZGB dient in der DDR nicht der Diskriminierung von Kirchen, sondern muß als allgemeines Instrument der staatlichen Lenkungsfunktion verstanden werden. Staatliche Lenkungsfunktionen sind - wenn man z. B. an das gesetzliche Vorkaufsrecht der Gemeinden nach dem Bundesbaugesetz denkt und weitergeht bis zur Fusionskontrolle - auch dem deutschen Recht nicht fremd. Da die Kirche als Organisation in der DDR nicht grundsätzlich vom Eigentumsrecht ausgeschlossen ist, kann im § 399 ZGB kein Verstoß gegen Art. 30 EGBGB erblickt werden.
Auch der Hinweis der Beklagten auf § 9 des Rechtsanwendungsgesetzes vom 5. Dez. 1975 (RAG) geht fehl. Zu prüfen ist hier nicht das Recht am Grundstück, sondern die Frage, ob ein Vermächtnis wirksam entstanden ist.
Letzlich impliziert auch die Anwendung des Rechts der DDR die Tatsache, daß die nach § 399 ZGB zu erteilende Genehmigung von der zuständigen DDR-Behörde erteilt werden muß.
Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 97, 708 Ziff. 10 und 711 ZPO.
Streitwertbeschluss:
Der Wert der Beschwer für die Beklagte beträgt 56.000,00 DM.