Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 16.10.1979, Az.: 12 UF 85/79

Erwerb einer monatliche Rente in der Ehezeit; Berücksichtigung der Mindestausbildungszeit als ruhegehaltsfähige Dienstzeit

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
16.10.1979
Aktenzeichen
12 UF 85/79
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 1979, 17460
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:1979:1016.12UF85.79.0A

Verfahrensgang

vorgehend
AG Northeim - 20.03.1979 - AZ: 8 F 40/78

Tenor:

Auf die Beschwerde des Niedersächsischen Landesverwaltungsamtes wird das Urteil des Amtsgerichts - Familiengerichts - Northeim vom 20. März 1979 hinsichtlich des Versorgungsausgleichs geändert und wie folgt neu gefaßt:

Auf dem Versicherungskonto Nr. ... der Lehrerin ... bei der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte in ... werden Rentenanwartschaften in der gesetzlichen Rentenversicherung in Höhe von monatlich 184,70 DM, bezogen auf den 28.2.1978, zu Lasten der Beamtenversorgung des Lehrers ... bei dem Niedersächsischen Landesverwaltungsamt zu dem Aktenzeichen ..., begründet.

Die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens tragen der Antragsteller und die Antragsgegnerin je zu 1/2; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Die weitere Beschwerde wird zugelassen.

Gründe

1

I.

Die Beschwerde des Landesverwaltungsamtes ist zulässig.

2

Das Landesverwaltungsamt ist als Träger der Beamtenversorgung Beteiligter am Versorgungsausgleichsverfahren (§53 b Abs. 2 Satz 1 FGG). Hieraus allein folgt allerdings noch nicht die Beschwerdeberechtigung. Voraussetzung ist vielmehr, daß der Beteiligte durch die Entscheidung des Familiengerichts betroffen ist. Das Familiengericht hat von einer Begründung von Rentenanwartschaften zugunsten der Antragsgegnerin gemäß §1587 b Abs. 4 BGB abgesehen und den "schuldrechtlichen Versorgungsausgleich angeordnet". Durch diese Entscheidung ist das Landesverwaltungsamt als Träger der Beamtenversorgung betroffen. Dies ergibt sich aus folgendem:

3

Nach §22 Abs. 2 Beamtenversorgungsgesetz erhält die geschiedene Ehefrau eines verstorbenen Beamten, die im Falle des Fortbestehens der Ehe Witwengeld erhalten hätte, auf Antrag einen Unterhaltsbeitrag insoweit, als sie im Zeitpunkt des Todes des Beamten gegen diesen einen Anspruch auf schuldrechtlichen Versorgungsausgleich nach §1587 g Abs. 1 Satz 1 BGB hatte. Der Unterhaltsbeitrag ist ferner davon abhängig, daß die geschiedene Ehefrau berufs- oder erwerbsunfähig ist oder ein waisengeldberechtigtes Kind zu erziehen oder das 60. Lebensjahr bereits vollendet hat. Wäre dagegen der öffentlich-rechtliche Versorgungsausgleich durchgeführt worden, so bestünde ein Anspruch der geschiedenen Ehefrau auf einen Unterhaltsbeitrag gegen den Träger der Beamtenversorgung nicht. Die für den Fall des schuldrechtlichen Versorgungsausgleichs in der genannten Vorschrift des Beamtengesetzes enthaltene Besserstellung der geschiedenen Ehefrau eines Beamten im Vergleich zu geschiedenen Ehefrauen von Nichtbeamten belastet den Versorgungsträger. Er ist daher durch die Entscheidung des Familiengerichts, das den öffentlich-rechtlichen Versorgungsausgleich verneint und den schuldrechtlichen Versorgungsausgleich angeordnet hat, betroffen. Daraus ergibt sich die Beschwerdebefugnis des Landesverwaltungsamtes.

4

II.

Die Beschwerde ist in der Sache auch begründet.

5

Beide Ehegatten sind als Beamte im Niedersächsischen Staatsdienst tätig. Die Ehefrau hat darüber hinaus in der Ehezeit eine monatliche Rente in der gesetzlichen Rentenversicherung in Höhe von 9,90 DM erworben. Gemäß §1587 b BGB sind zugunsten der geschiedenen Ehefrau Rentenanwartschaften in einer gesetzlichen Rentenversicherung in Höhe der Hälfte des auf die Ehezeit entfallenden Wertunterschiedes der Versorgungsanwartschaften zu Lasten der Beamtenversorgung des geschiedenen Ehemannes zu begründen.

6

1.

Beide Ehepartner haben bisher nicht beantragt, die Mindestausbildungszeit als ruhegehaltsfähige Dienstzeit zu berücksichtigen. Diese Mindestausbildungszeit ist bei der Ermittlung der Gesamtversorgung und des in die Ehezeit fallenden Wertanteils der Versorgung zu berücksichtigen, ohne daß es darauf ankommt, ob von dem Beamten bisher ein Antrag gestellt worden ist, diese Zeit als ruhegehaltsfähige Dienstzeit anzurechnen.

7

Wäre mit dem Ende der Ehezeit der Versorgungsfall eingetreten, so wäre allerdings, solange der Beamte keinen entsprechenden Antrag gestellt hat, für die tatsächlich zu zahlende Versorgung die Mindestausbildungszeit nicht zu berücksichtigen. §12 Beamtenversorgungsgesetz schreibt vor, daß die nach Vollendung des 17. Lebensjahres verbrachte Mindestzeit der außer der allgemeinen Schulbildung vorgeschriebenen Ausbildung einschließlich der Prüfungszeit als ruhegehaltsfähige Dienstzeit berücksichtigt werden kann. Die Berücksichtigung dieser Zeiten erfolgt nicht von Amts wegen, sondern setzt grundsätzlich einen Antrag des Beamten voraus (Kümmel, §12 Beamtenversorgungsgesetz Anm. 2). Außerdem handelt es sich um eine sogenannte Kann-Vorschrift. Über die Berücksichtigung von Ausbildungszeiten ist daher nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden (Kümmel, a.a.O.). Zwar soll nach §49 Abs. 2 Satz 2 Beamtenversorgungsgesetzüber die Frage der Anrechnung der Mindestausbildungszeit als ruhegehaltsfähige Dienstzeit in der Regel bei der Berufung in das Beamtenverhältnis entschieden werden. Eine solche Entscheidung ist aber nur möglich, wenn der Beamte zuvor einen entsprechenden Antrag gestellt hat (Kümmel, §49 Beamtenversorgungsgesetz Anm. 17). Auch steht eine etwaige positive Entscheidung der Behörde unter dem Vorbehalt eines Gleichbleibens der Rechtslage (§49 Abs. 2 Satz 2 2. Halbsatz Beamtenversorgungsgesetz).

8

Bei dieser Rechtslage ist zweifelhaft, ob der eine oder andere der Ehepartner oder beide jemals den Antrag auf Berücksichtigung der Mindestausbildungszeit als ruhegehaltsfähige Dienstzeit stellen werden. Bleibt der geschiedene Ehemann bis zu seinem 65. Lebensjahr im Staatsdienst, erreicht er auch ohne einen solchen Antrag den Höchstsatz von 75 %. Die geschiedene Ehefrau wird allerdings, auch wenn sie bis zu ihrem 65. Lebensjahr im Staatsdienst arbeitet, ohne Berücksichtigung der Mindestausbildungszeiten lediglich einen Höchstsatz von 73 % erreichen. Insoweit enthält die Auskunft des Landesverwaltungsamtes vom 11. September 1978 einen Schreibfehler. Ohne Berücksichtigung der Mindestausbildungszeiten erreicht die geschiedene Ehefrau bis zu ihrem 65. Lebensjahr lediglich 33 ruhegehaltsfähige Dienstjahre. Daraus ergibt sich nicht ein Ruhegehaltssatz von 75 %, sondern ein solcher von 73 % (sie ist erst 1974 in den Staatsdienst eingetreten). Im weiteren Verlauf der Auskunft hat das Landesverwaltungsamt aber bei seiner Berechnung offenbar auch einen Ruhegehaltssatz von 73 % zugrunde gelegt.

9

Ob sich aus der Tatsache, daß die Ehe auch eine Versorgungsgemeinschaft ist, für einen der Ehepartner eine Verpflichtung ergeben kann, für den Fall der Scheidung einen Antrag auf Berücksichtigung der Mindestausbildungszeit zu stellen, erscheint fraglich. Einer solchen Verpflichtung würde hier schon entgegenstehen, daß die Berücksichtigung der Mindestausbildungszeiten sich im Ergebnis nachteilig für den anderen geschiedenen Ehepartner auswirkt, da bei beiden Ehegatten die Ausbildungszeiten vor Beginn der Ehezeit liegen. Die Mindestausbildungszeiten sind jedoch unabhängig davon aus einem anderen Grunde in den Versorgungsausgleich mit einzubeziehen. In den Versorgungsausgleich werden nicht nur bereits erworbene Anwartschaften auf eine Versorgung, sondern nach der ausdrücklichen Bestimmung des §1587 BGB auch Aussichten auf eine Versorgung wegen Alters usw. einbezogen. Es soll nicht nur ein dem Grunde und der Höhe nach rechtlich gesicherter Anspruch (Anwartschaft) unter den geschiedenen Eheleuten zum Ausgleich kommen, sondern auch diejenigen Anrechte auf eine Versorgung die noch keinen rechtlich gesicherten Anspruch gewähren, aber bei normaler Entwicklung später zu einer Versorgung führen (Palandt-Diederichsen, 38. Aufl., §1587 Anm. 2). Dazu zählen auch diejenigen Anrechte, bei denen die Entstehung des Anspruchs von einem Antrag des Berechtigten abhängt. Auch ist es unerheblich, daߧ12 Beamtenversorgungsgesetz eine Kann-Vorschrift darstellt, da nach dem normalen Verlauf der Dinge dem Antrag zu entsprechen ist (pflichtgemäßes Ermessen). Nun kann es für die Frage der Berücksichtigung der Mindestausbildungszeiten aber nicht entscheidend darauf ankommen, ob diese in die Ehezeit fallen und dadurch den Ausgleichsanspruch erhöhen oder ob sie vor der Ehezeit liegen und dadurch zu einer Herabminderung des Ausgleichsanspruchs führen. In beiden Fällen ist die Mindeststudienzeit bei der Ermittlung der Gesamtversorgung auch ohne Antrag des Beamten zu berücksichtigen.

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Die Berücksichtigung der Mindestausbildungszeit als ruhegehaltsfähige Dienstzeit steht auch mit dem Sinn des Versorgungsausgleichs in Einklang. Der Beamte hat bereits durch das Studium, das die Voraussetzung für seine spätere Berufstätigkeit als Lehrer war, begonnen, auf eine entsprechende Versorgung hinzuarbeiten. Deswegen sieht §12 Beamtenversorgungsgesetz auch vor, daß diese Zeit auf Antrag berücksichtigt werden kann. Unter dem Gesichtspunkt der Ehe als Versorgungsgemeinschaft - dieser Teilaspekt der Ehe muß bei dem Versorgungsausgleich berücksichtigt werden - sind deswegen auch die durch das Studium erworbenen Anrechte mit einzubeziehen, und zwar unabhängig davon, ob sie in die Ehezeit fallen oder davor liegen.

11

Unter Berücksichtigung der vorstehenden Ausführungen hat der geschiedene Ehemann während der Ehezeit nach der zutreffenden und nachgeprüften Berechnung des Landesverwaltungsamtes Versorgungsanwartschaften in Höhe von 517,60 DM monatlich und die geschiedene Ehefrau solche in Höhe von 138,30 DM monatlich erworben. Den für die Dienstzeit von 1965-1969 erhaltenen Abfindungsbetrag hat sie nicht zurückgezahlt, so daß ihr daraus keine Versorgungsanwartschaft erwachsen ist. Darüber hinaus hat die geschiedene Ehefrau bei der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte eine monatliche Rentenanwartschaft von 9,90 DM in der Ehezeit erworben. Der Differenzbetrag beider Versorgungsanwartschaften beträgt 369,40 DM monatlich. Die Hälfte davon, nämlich 184,70 DM, sind von dem geschiedenen Ehemann auszugleichen.

12

2.

Dieser Ausgleich hat durch Begründung von Rentenanwartschaften in der gesetzlichen Rentenversicherung zu erfolgen. Die Voraussetzungen des §1587 b Abs. 4, unter denen von der Durchführung des Versorgungsausgleichs abgesehen und der Ausgleich in anderer Weise, z.B. durch den schuldrechtlichen Versorgungsausgleich geregelt werden kann, sind nicht gegeben. Nach dieser Bestimmung kann der Versorgungsausgleich in anderer Weise geregelt werden, wenn sich die Übertragung oder Begründung von Rentenanwartschaften in der gesetzlichen Rentenversicherung voraussichtlich nicht zugunsten des Berechtigten auswirken würde oder der Versorgungsausgleich in dieser Form nach den Umständen des Falles unwirtschaftlich wäre. Im vorliegenden Fall würde sich aber die Begründung von Rentenanwartschaften in der gesetzlichen Rentenversicherung zugunsten der geschiedenen Ehefrau auswirken, da sie die kleine Wartezeit von 60 Monaten damit erreicht und durch eine freiwillige Weiterversicherung die Wartezeit von 180 Monaten erlangen kann.

13

Die Begründung von Rentenanwartschaften ist im vorliegenden Fall aber auch nicht unwirtschaftlich. Zwar erhält die geschiedene Ehefrau bei einem schuldrechtlichen Versorgungsausgleich nach der Scheidung über §22 Abs. 2 Beamtenversorgungsgesetz einen Schutz für den Fall des Todes des Ausgleichsverpflichteten. Diese für sie günstig ausgestaltete Regelung (Unterhaltsbeitrag auch dann, wenn der verstorbene Beamte noch kein Ruhegehalt bekam (Kümmel, §22 Beamtenversorgungsgesetz Anm. 28.2); Unterhaltsbeitrag nach dem Tode des Beamten, wenn ein Kind zu erziehen ist) bietet gegenüber der Begründung von Rentenanwartschaften in der gesetzlichen Rentenversicherung andersartige Vorteile. Auf der anderen Seite ist aber zu beachten, daß die Begründung von Rentenanwartschaften - auch wenn daraus wegen der nicht erfüllten Wartezeit von 180 Monaten kein Altersruhegeld erworben wird - der Frau eine Sicherheit für den Fall bietet, daß sie selbst erwerbsunfähig wird. Im vorliegenden Fall hat die Antragsgegnerin die für ein Ruhegehalt nach dem Beamtenversorgungsrecht erforderliche Zeit von 5 Dienstjahren (§4 Abs. 1 Beamtenversorgungsgesetz) noch nicht erfüllt, zumal sie in der Zeit vom 20.2.1974 bis 28.2.1978 nur halbtags tätig war (vgl. die Auskunft des Landesverwaltungsamtes vom 11.9.1978). Die Begründung einer Rentenanwartschaft in der gesetzlichen Rentenversicherung gibt ihr den erforderlichen Schutz für den Fall einer Erwerbsunfähigkeit. Zudem führt auch nach Erreichen einer Dienstzeit von 5 Jahren eine Rentenanwartschaft in der gesetzlichen Rentenversicherung bei einer Erwerbsunfähigkeit dazu, daß zu dem geringen Ruhegehalt die Rente aus der Rentenversicherung hinzutritt. Schließlich hat die Antragsgegnerin die Möglichkeit, sich freiwillig weiterzuversichern und so die Wartezeit von 180 Monaten für das Altersruhegeld zu erreichen. Sie erhält nämlich durch die durch diese Entscheidung erfolgte Begründung von Rentenanwartschaften aus dem Versorgungsausgleich gemäß §83 a Abs. 5 AVG Wartezeiten in Höhe von 110 Monaten (184,70 : (21.608 × 0,0000125)), so daß sie zusammen mit ihren eigenen Zeiten 116 Monate hat. Damit sind die Voraussetzungen des §10 Abs. 1 a AVG erfüllt; sie kann sich freiwillig weiterversichern. Zwar heißt es bei Maier (Versorgungsausgleich in der Rentenversicherung, §1587 b BGB Anm. 4, S. 123), daß zu der erforderlichen Versicherungszeit von 60 Kalendermonaten im Sinne des §10 Abs. 1 a AVG nicht die Monate rechnen, die sich über die Wartezeitregelung des §83 a Abs. 5 AVG bei dem Ausgleichsberechtigten aus der Übertragung und Begründung von Rentenanwartschaften ergeben. Die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte hat jedoch auf Anfrage mitgeteilt, daß diese Auffassung von den Rentenversicherungsträgern nicht mehr geteilt werde; vielmehr lasse §10 Abs. 1 a AVG auch eine weitere freiwillige Versicherung zur Erlangung der für das Altersruhegeld erforderlichen Wartezeit zu, wenn die Wartezeit von 60 Kalendermonaten auf dem Weg über den Versorgungsausgleich erlangt werde.

14

Unter diesen Umständen kann die Begründung von Rentenanwartschaften nicht als für die Antragsgegnerin unwirtschaftlich angesehen werden. Darauf, ob die geschiedenen Ehegatten oder einer von ihnen das Erfordernis der Unwirtschaftlichkeit als erfüllt ansieht, kommt es nicht an. Die Begründung von Rentenanwartschaften in der gesetzlichen Rentenversicherung ist nicht bereits dann unwirtschaftlich, wenn einer der geschiedenen Ehegatten diese oder jene Regelung für wirtschaftlich günstiger ansieht. Im übrigen hat die geschiedene Ehefrau inzwischen auch erklärt, daß sie den öffentlich-rechtlichen Versorgungsausgleich wünsche.

15

Der Senat läßt die weitere Beschwerde zu, da sowohl die Frage der Beschwerdebefugnis des Landesverwaltungsamtes als auch das Problem der Berücksichtigung der Mindestausbildungszeiten ohne Antragstellung und die Beurteilung der Unwirtschaftlichkeit des Versorgungsausgleichs grundsätzliche Bedeutung haben.

16

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des §93 a ZPO für das Beschwerdeverfahren.