Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 20.08.1984, Az.: 3 OVG A 124/83
Heranziehung zu den Kosten für die Herstellung des Anschlusses an einen Schmutzwasserkanal und einen Regenwasserkanal; Zulässigkeit der Veranschlagung von Kosten für einen Kanalanschluss; Abstufung des "besonderen Beitrags" nach § 6 Abs. 3 S. 5 Kommunalabgabengesetz (KAG) nach Art und Maß der Grundstücksnutzung
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 20.08.1984
- Aktenzeichen
- 3 OVG A 124/83
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 1984, 18918
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:1984:0820.3OVG.A124.83.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Braunschweig - 27.07.1983 - AZ: 3 VG A 669/81
Rechtsgrundlagen
- § 6 Abs. 1 KAG
- § 6 Abs. 3 S. 5 KAG
- § 8 KAG
Verfahrensgegenstand
Kanalbaubeiträgen (Grundstücksanschlußkosten).
Der 3. Senat des Oberverwaltungsgerichts für die Länder Niedersachsen und Schleswig-Holstein in Lüneburg hat
am 20. August 1984
beschlossen:
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Braunschweig - 3. Kammer -vom 27. Juli 1983 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte.
Der Beschluß ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren beträgt 1.047,-- DM.
Gründe
I.
Die Beklagte hat die Klägerin durch Bescheide vom 7. November 1980 zu den Kosten für die Herstellung des Anschlusses an den Schmutzwasserkanal in Höhe von 605,89 DM und für den Regenwasserkanal von 441,89 DM herangezogen. Nach erfolglosem Widerspruchsverfahren hat der Kläger Klage erhoben, der das Verwaltungsgericht durch Urteil vom 27. Juli 1983 mit der Begründung stattgegeben hat, die Regelung im Ortsrecht, daß ein Beitrag in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen verlangt werde, entspreche nicht der landesrechtlichen Ermächtigung.
Gegen diese am 15. August 1983 zugestellte Entscheidung führt die Beklagte Berufung, die am 29. August 1983 eingegangen ist. Sie hält die von ihr getroffene Regelung für allein vertretbar und meint, der im Landesrecht angesprochene besondere Beitrag (§ 6 Abs. 3 Satz 5 KAG) sei im Gegensatz zum allgemeinen Beitrag nicht anders als "in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen für den Einzelanschluß denkbar". Sie beantragt,
das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.
Die Klägerin hat sich im Berufungsverfahren nicht geäußert.
II.
Die Berufung war gemäß Art. 2 § 5 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit (EntlG) vom 21. März 1978 (BGBl. I S. 446) in der Fassung des Gesetzes vom 22. Dezember 1983 (BGBl. I S. 1515) zurückzuweisen, da der Senat sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält.
Das Verwaltungsgericht hat der Klage zu Recht stattgegeben, soweit es um die Kosten der Anschlüsse an die Schmutz- und Regenwasserleitung geht.
Der Landesgesetzgeber hat den Gemeinden - entsprechendes gilt nach § 72 Abs. 1 Nr. 6 NGO für die Samtgemeinden - und Landkreisen vier Möglichkeiten eingeräumt, Kosten zur Deckung des Aufwandes für Grundstücksanschlüsse zu erheben:
- 1.
Die Gebietskörperschaften können im Rahmen ihres satzungsmäßigen Ermessens als Ortsgesetzgeber bestimmen, daß Grundstücksanschlüsse an Abwasserbeseitigungsanlagen Teil der öffentlichen Einrichtung sind. Trifft die Körperschaft in ihrer Satzung diese Bestimmung, bestehen zwei Möglichkeiten zur Abrechnung der Kosten:
- a)
Der Aufwand, der erforderlich ist, um ein Grundstück an Entsorgungsanlagen anzuschließen, kann in die Kosten der Einrichtung einbezogen werden, § 6 Abs. 3 Satz 4 KAG.
- b)
Die Körperschaft hat außerdem die Möglichkeit, "einen besonderen Beitrag zu erheben", § 6 Abs. 3 Satz 5 KAG.
- 2.
Hat sich die Körperschaft in ihrer Satzung dafür entschieden, daß die Grundstücksanschlüssenicht Teil der öffentlichen Einrichtung sind, bestehen gleichfalls zwei Möglichkeiten, aufgrund einer Satzungsregelung Aufwendungen für Grundstücksanschlüsse zu verlangen. Ihr steht in diesem Fall ein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch zu, der sie berechtigt, die Kosten für die Grundstücksanschlüsse
- a)
in der im Einzelfall tatsächlich entstandenen Höhe
- b)
oder aber nach Einheitssätzen
geltend zu machen (§ 8 Satz 1 KAG).
Welche Möglichkeit eine Körperschaft wählt, muß in der Satzung festgelegt werden ("Die Satzungmuß den ... die Abgabe begründenden Tatbestand ... bestimmen ").
Macht eine Körperschaft von der unter 1.a) genannten Möglichkeit Gebrauch, ist der Aufwand für die Herstellung der Anschlußleitungen beitragsfähiger Aufwand im Sinne des § 6 Abs. 1 KAG. Das hat zur Folge: Die Veranschlagung (Schätzung) des Investitionsbedarfs erstreckt sich auch auf den Aufwand für die Anschlußleitungen. Der Gesamtaufwand ist nach einem Vorteilsmaßstab - nicht nach der Kostenverursachung - umzulegen, der das Maß und bei erheblichen Unterschieden im Gemeindegebiet auch die Art der Grundstücksnutzung berücksichtigt. Zuwendungen Dritter (Landes- und Bundeszuschüsse) dienen, sofern nichts anderes bestimmt ist, der Minderung des gesamten Aufwandes einschließlich desjenigen für die Herstellung der Grundstücksanschlüsse (§ 6 Abs. 5 Satz 5 KAG). Wenn die Einrichtung erfahrungsgemäß auch von der Allgemeinheit oder von der Gebietskörperschaft, selbst in Anspruch genommen wird, bleibt bei der Ermittlung des Beitrages ein dem besonderen Vorteil der Allgemeinheit oder der Körperschaft entsprechender Teil des Aufwandes außer Ansatz (§ 6 Abs. 5 Satz 4 KAG).
Erhebt die Gebietskörperschaft einen besonderen Beitrag nach § 6 Abs. 3 Satz 5 KAG, erstreckt sich die Veranschlagung (Schätzung) nur auf den Investitionsbedarf der Anschlußleitungen im Gemeinde-(Kreis)Gebiet; insoweit handelt es sich um eine Art der Kostenspaltung für eine Teileinrichtung nach § 5 Abs. 2 KAG. Die Verteilung des so ermittelten Aufwandes hat nach einem Vorteilsmaßstab - nicht nach der Kostenverursachung - zu erfolgen, wobei Gruppen von Beitragspflichtigen mit annähernd gleichem Vorteil zusammengefaßt werden können, § 6 Abs. 5 Satz 1 und 2 KAG. Bei der Wahl eines Verteilungsmaßstabes wird in diesem Fall zu berücksichtigen sein, in welchem Umfang die öffentliche Einrichtung über den Anschluß erfahrungsgemäß in Anspruch genommen werden kann und sich deshalb vorteilhaft für das Grundstück auswirkt (anläge- bzw. nutzungsbezogener Vorteilsbegriff). Es ist deshalb ein Maßstab zu wählen, der einen Rückschluß auf die erfahrungsgemäß zu erwartende Inanspruchnahme der Entwässerungsanlage zuläßt. Mangels anderer geeigneter Kriterien bietet sich dafür die Ausnutzbarkeit des jeweiligen Grundstücks an, weil erfahrungsgemäß davon ausgegangen werden kann, daß von einem baulich oder gewerblich stärker ausnutzbaren Grundstück aus die vorhandene öffentliche Anlage auch in größerem Umfang in Anspruch genommen wird. Das hat zur Folge, daß auch der "besondere Beitrag" nach § 6 Abs. 3 Satz 5 KAG nach Art und Maß der Grundstücksnutzung abzustufen sein wird, d.h. regelmäßig nach dem auch für den allgemeinen Beitrag zulässigen Verteilungsmaßstab.
Hat die Gebietskörperschaft die Grundstücksanschlüsse nicht in die öffentliche Anlage einbezogen, bleibt ihr nur die Möglichkeit, die Kosten für den Anschluß nach § 8 KAG zu verlangen. Vorauszuschicken ist, daß es sich - anders als bei den beiden zunächst genannten Möglichkeiten - bei diesem Anspruch nicht um eine Abgabe im Sinne des § 1 Abs. 1 KAG handelt, sondern um eine öffentlich-rechtliche Entgeltleistung besonderer Art. Deshalb ist der Ersatzanspruch nach § 8 KAG auch keine öffentliche Abgabe im Sinne des § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Er fällt auch nicht unter den Begriff der Kosten im Sinne dieser Bestimmung. Das hat zur Folge, daß Widerspruch und Klage gegen einen derartigen Bescheid aufschiebende Wirkung haben (§ 80 Abs. 1 VwGO). Die Ermittlung des in § 8 KAG zunächst genannten Ersatzanspruchs "in der tatsächlich entstandenen Höhe" bereitet keine besonderen Schwierigkeiten. Die Berechnung des Aufwandes und der Kosten in der tatsächlich geleisteten Höhe ist auf jeden einzelnen Anschluß zu beziehen. Die Körperschaft darf von einem Grundtückseigentümer nur den Betrag verlangen, den sie für die Anschlußleitung gerade dieses Grundstücks ausgegeben hat.
Zur Berechnung der Kosten nach Einheitssätzen hat der Senat im Urteil vom 26. Juli 1984 - 3 OVG A 171/83 - ausgeführt: Aus dem Umstand, daß § 8 KAG den schon vor Inkrafttreten des Gesetzes von der Rechtsprechung anerkannten Erstattungsanspruch aus Gründen der Rechtssicherheit und -klarheit nur besonders normiert und um die Möglichkeit der Abrechnung "nach Einheitssätzen" ergänzt habe, ergebe sich, daß nach dem Willen des Landesgesetzgebers der Anspruch auf Erstattung der Kosten für Grundstücksanschlüsse an den tatsächlich entstandenen Kosten auszurichten sei. Die Vorschrift gestatte zwar eine Pauschalierung dieser Kosten, um die Verwaltungsarbeit der erhebenden Körperschaft zu verringern, die bei Errechnung der genauen tatsächlichen Kosten enstehen würden. Grundlage für die Bildung der Einheitssätze sei aber wie bei der vom Landesgesetzgeber in erster Linie vorgesehenen Berechnung nach den tatsächlichen Kosten der für den einzelnen Grundstücksanschluß entstandene Aufwand. Schon dadurch verbiete sich eine zu weitgehende Pauschalierung. Da die Höhe der Kosten für den Grundstücksanschluß im wesentlichen von der Entfernung zwischen dem Hauptsammler und dem auf dem Grundstück liegenden Prüfschacht abhänge, die gerade im ländlichen Raum häufig stark differiere, dränge sich die Notwendigkeit auf, jedenfalls nach der Länge der Anschlußleitung zu unterscheiden und allenfalls Fälle mit verhältnismäßig geringen Unterschieden nach dem gleichen Einheitssatz zu veranlagen. Auch in diesem Falle bliebe den Gemeinden noch eine erhebliche Berechnungsarbeit erspart, wenn sie die Erstattung der Kosten für Grundstücksanschlüsse wenigstens nach der Länge der Anschlußleitungen abstuften. An diesen Erwägungen, die mit den Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts zum Erschließungsbeitragsrecht übereinstimmen (BVerwGE 30, 207[BVerwG 06.09.1968 - BVerwG IV C 96.66] = KStZ 1969, 140), ist festzuhalten. Auch die Erläuterungen von Bauernfeind -Zimmermann, KAG für das Land Nordrhein-Westfalen, 2. Aufl. 1979, § 10 RdNr. 11, gehen davon aus, daß in der Satzung ein bestimmter D-Mark-Betrag je lfd. Meter Anschlußleitung zu nennen sei.
Unter Berücksichtigung dieser Erwägungen erweist sich die von der Beklagten getroffene Regelung als fehlerhaft. Nachdem die Beklagte in § 1 Abs. 5 ihrer Entwässerungssatzung vom 26. November 1974 bestimmt hat, daß zu den öffentlichen Entwässerungsanlagen auch die Leitungen vom Entwässerungshauptkanal bis zur Grundstücksgrenze gehören, hat sie in § 2 Abs. 2 der Abgabensatzung vom gleichen Tage bestimmt:
"Für die Grundstücksanschlüsse (Anschlußkanäle) von der Straßenleitung bis zur Grundstücksgrenze wird ein gesonderter Beitrag erhoben. Dieser Beitrag wird in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen festgesetzt (Wirklichkeitsmaßstab) ..."
Die Beklagte hat damit neben den vier vom Landesgesetzgeber vorgesehenen Möglichkeiten eine fünfte Variante geschaffen: Sie hat die Möglichkeiten nach 1.b) und 2.a) miteinander kombiniert. Dafür fehlte ihr die rechtliche Befugnis. Nach § 1 Abs. 1 sind die Gebietskörperschaften nur berechtigt, "nach Maßgabe dieses Gesetzes" Abgaben zu erheben. Diese Vorschrift begrenzt die Befugnisse der Gebietskörperschaften nicht nur in sachlicher Hinsicht; es läßt ihnen unter dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit und der Gesetzmäßigkeit der Abgabenerhebung auch keinen Spielraum zur Findung weiterer Möglichkeiten, zumal wenn berücksichtigt wird, daß bereits die Voraussetzungen und Rechtsfolgen der gesetzlich zugelassenen vier Möglichkeiten nicht unerheblich voneinander differieren. Wollte die Beklagte das Ziel einer Erstattung der im Einzelfall anfallenden tatsächlichen Kosten erreichen, konnte sie dies nur unter den in § 8 KAG beschriebenen Voraussetzungen tun; dazu gehörte, daß die Anschlußleitung nicht zuvor zum Bestandteil der öffentlichen Anlage bestimmt worden war. Waren hingegen - wie geschehen - die Grundstücksanschlüsse Teil der öffentlichen Anlage, konnte die Beklagte, wie sie insoweit richtig erkannt hat, nur einen Beitrag erheben. Der dafür in § 2 Abs. 2 vorgesehene Maßstab ist jedoch fehlerhaft, weil er ausschließlich, wie der Hinweis auf den Wirklichkeitsmaßstab verdeutlicht, an den Gesichtspunkt der Kostenverursachung anknüpft, die vom Gesetz geforderten Vorteilserwägungen aber gänzlich außer acht läßt. Wenn es auch im Ermessen einer Gebietskörperschaft steht, welchen von mehreren an sich möglichen Wahrscheinlichkeitsmaßstäben sie der Beitragsveranlagung zugrunde legen will, so ist doch als Mindestanforderung zu verlangen, daß sie wenigstens eine Abwägung unter den an sich denkbaren Verteilungsmaßstäben trifft und eine Regelung wählt, die unterschiedliche Nutzungsarten der vorteilhabenden Grundstücke berücksichtigt. Davon kann bei der hier getroffenen Regelung nicht mehr ausgegangen werden.
Die Berufung war daher zurückzuweisen.
Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens beruht auf Art. 2 § 5 Abs. 4 EntlG, § 154 Abs. 2 VwGO, der Ausspruch über ihre vorläufige Vollstreckbarkeit auf Art. 2 § 5 Abs. 4 EntlG,§ 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 Satz 1 und 713 ZPO.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des Art. 2 § 5 Abs. 4 EntlG, § 132 Abs. 2 VwGO nicht gegeben sind.
Rechtsmittelbelehrung
Die Nichtzulassung der Revision kann innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Beschlusses [...] angefochten werden (§ 132 VwGO, Art. 2 § 5 Abs. 2 des Gesetzes 31. März 1978 BGBl. I 446 - in der Passung vom 22. Dezember 1983, BGBl. I S. 1515).
...
Schoof
Schnuhr