Landgericht Oldenburg
Beschl. v. 22.10.1980, Az.: 5 T 288/80

Beitreibung der Zwangsvollstreckung an einem Grundstück als Reichsheimstätte; Privatrechtliche Forderungen im Verwaltungsvollstreckungsverfahren; Nichtnachprüfbarkeit der Vollstreckbarkeit der Forderung und Zulässigkeit der Zwangsvollstreckung durch Versteigerungsgericht; "Öffentliche Abgaben" im Sinne von § 20 Abs. 3 Reichsheimstättengesetz; Gesetzlich geregelter Fall öffentlich-rechtlicher Geschäftsführung ohne Auftrag

Bibliographie

Gericht
LG Oldenburg
Datum
22.10.1980
Aktenzeichen
5 T 288/80
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 1980, 14515
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGOLDBG:1980:1022.5T288.80.0A

Verfahrensgang

vorgehend
AG Delmenhorst - 07.08.1980

Verfahrensgegenstand

Im Grundbuch von Delmenhorst ... Blatt ... eingetragenes Grundstück

Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde der Gläubigerin vom 22.8.1980 wird der Beschluß des Amtsgerichts Delmenhorst vom 7. August 1980 aufgehoben.

Das Verfahren wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung an das Amtsgericht Delmenhorst zurückverwiesen.

Gründe

1

Die Eigentümer haben das im Tenor genannte Grundstück am 17.7.1979 erworben. Das Grundstück ist eine Reichsheimstätte. Im Grundbuch wurde am 15.1.1980 im Verwaltungszwangsverfahren in Abteilung III unter Nr. 6 eine Sicherungshypothek für die Gläubigerin in Höhe von 7.118,75 DM eingetragen. Diese Eintragung erfolgte aufgrund des vollstreckbaren Antrags der Gläubigerin angegeben, daß die Eigentümer der Gläubigerin Gebühren für die Obdachlosenunterbringung (Miete) vom 1.9.1975 bis 14.6.1979 in Höhe von 7.019,- DM, Pfändungskosten in Höhe von 60,- DM und Lohnpfändungskosten in Höhe von 39,75 DM, das sind zusammen 7.118,75 DM, schulden.

2

Wegen des dinglichen Anspruches aus der Sicherungshypothek betreibt die Gläubigerin die Zwangsvollstreckung des Grundstücks.

3

Nachdem durch Beschluß vom 2. Juli 1980 die Zwangsversteigerung des Grundstückes angeordnet worden ist, hat der Rechtspfleger beim Amtsgericht Delmenhorst durch den angefochtenen Beschluß vom 7. August 1980 die von der Gläubigerin aus dem Anordnungsbeschluß vom 2. Juli 1980 betriebene Zwangsversteigerung gemäß § 16 ZVG aufgehoben. Zur Begründung ist in dem angefochtenen Beschluß ausgeführt, daß die Forderung der Gläubigerin aus der Sicherungshypothek privatrechtlich sei und nicht im Verwaltungszwangsverfahren beigetrieben werden könne. Es sei somit ein vollstreckbarer Titel nicht vorhanden, da aufgrund einer Vollstreckbarkeitsbescheinigung im Verwaltungszwangsverfahren eine Sicherungshypothek für eine bürgerlich-rechtliche Forderung in das Grundbuch nicht habe eingetragen und somit wegen des dinglichen Anspruches auch die Zwangsversteigerung nicht habe angeordnet werden können. Außerdem könne die Zwangsversteigerung gemäß § 20 Abs. 2 Reichsheimstättengesetz erst nach Ablauf von fünf Jahren nach der Eintragung der Sicherungshypothek von der Gläubigerin betrieben werden, da der von den Eigentümern geschuldete Betrag für die Obdachlosenunterbringung keine öffentliche Abgabe im Sinne von § 20 Abs. 3 Reichsheimstättengesetz sei. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den angefochtenen Beschluß (Bl. 21-23 d. A.) verwiesen.

4

Dagegen richtet sich die sofortige Erinnerung der Gläubigerin vom 22.8.1980, auf deren Begründung verwiesen wird.

5

Da der Amtsrichter der sofortigen Erinnerung nicht abgeholfen hat, gilt diese gemäß 11 Abs. 4 RPflG als sofortige Beschwerde gegen die angefochtene Entscheidung.

6

Die sofortige Beschwerde ist gemäß § 793 ZPO zulässig und auch form- und fristgerecht eingelegt worden.

7

Sachlich ist sie begründet und muß zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses führen.

8

Die der Sicherungshypothek zugrundeliegende Forderung der Gläubigerin wegen der Obdachlosenunterbringung der Eigentümer ist aus § 42 Nds. SOG begründet, da sich aus den Ausführungen der Gläubigerin in ihrer Rechtsmittelschrift ergibt, daß die Eigentümer zwangsweise in den von ihnen gemieteten Räumen als Obdachlose untergebracht worden sind und die Gläubigerin deswegen die Mietzahlungen an den Vermieter übernommen hat.

9

Es kann aber dahingestellt bleiben, ob ein Anspruch aus § 42 Nds. SOG, der nach allgemeiner Meinung ein öffentlich rechtlicher Ersatzanspruch aus verwaltungsrechtlicher Geschäftsführung ohne Auftrag ist (vgl. Wolff-Bachhoff, Verwaltungsrecht Band 1, 9. Aufl., Seite 340; Drews-Wacke, Allgemeines Polizeirecht, 8. Aufl., Band 1, Seite 476), im Verwaltungsvollstreckungsverfahren beigetrieben werden kann, da die Prüfung der Vollstreckbarkeit der Forderung der Gläubigerin und die Zulässigkeit der Zwangsvollstreckung im Verwaltungsvollstreckungsverfahren nicht der Beurteilung durch das Versteigerungsgericht unterliegen. Dies folgt einmal aus dem insoweit einschlägigen Artikel 8 Abs. 2 des Gesetzes für das Großherzogtum Oldenburg betreffend die Zwangsvollstreckung wegen Geldforderungen in Verwaltungssachen vom 14. April 1882 (Nds. Gesetz- und Verordnungsblatt, Sonderband III, Seite 34). Danach unterliegt die Vollstreckbarkeit einer Forderung im Verwaltungsvollstreckungsverfahren und die Zulässigkeit der Zwangsvollstreckung nicht der Beurteilung des Gerichts. Damit kämmen dem damaligen Rechtszustand entsprechend nur oder vor allem die ordentlichen Gerichte gemeint sein.

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Zum anderen ist der Grundsatz, daß ein Vollstreckungsbescheid der Verwaltung nicht durch die ordentlichen Gericht nachgeprüft werden kann, ein allgemeines Prinzip des Verwaltungsvollstreckungsrechtes. So bestimmt auch § 51 Abs. 3 der preußischen Verordnung über das Verwaltungszwangsverfahren wegen Betreibung von Geldbeträgen vom 15. November 1899 (Nds. Gesetz- und Verordnungsblatt Sonderband III, Seite 24) in Übereinstimmung mit Artikel 8 Abs. 2 des Oldenburgischen Gesetzes vom 14.4.1882, daß die Vollstreckbarkeit der Forderung und die Zulässigkeit der Zwangsvollstreckung im Verwaltungsvollstreckungsverfahren nicht der Beurteilung des Gerichtes oder Grundbuchamtes unterliegt. Auch in § 52 Abs. 3 Satz 3 des Entwurfes eines Niedersächsischen Verwaltungsvollstreckungsgesetzes ist die Nichtnachprüfbarkeit des Vollstreckungsbescheides der Verwaltung durch die ordentlichen Gerichte geregelt.

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Das Prinzip der Nichtnachprüfbarkeit des Vollstreckungsbescheides durch die ordentlichen Gerichte verstößt dabei nicht gegen den Grundsatz des Artikel 19 Abs. 4 des Grundgesetzes, wonach bei Verletzung von Rechten durch die öffentliche Gewalt der Rechtsweg offen steht. Der jeweilige Schuldner kann vielmehr den Vollstreckungsbescheid als Verwaltungsakt vor den Verwaltungsgerichten anfechten (vgl. Wolff, Verwaltungsrecht, Band 3, 4. Aufl., Seite 396).

12

Im Gegensatz zu dem angefochtenen Beschluß ist daher davon auszugehen, daß ein wirksamer vollstreckbarer Titel den Gläubigerin vorliegt. Das Vollstreckungsgericht mußte den Vollstreckungsbescheid der Gläubigerin als Grundlage der Zwangsversteigerung anerkennen und durfte nicht nachprüfen, ob der Anspruch der Gläubigerin aus § 42 Nds. SOG im Verwaltungsvollstreckungsverfahren beigetrieben werden kann.

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Entgegen der Ansicht in dem angefochtenen Beschluß ist auch nicht davon auszugehen, daß die Gläubigerin gemäß § 20 Abs. 2 zweiter Halbsatz Reichsheimstättengesetz die Zwangsversteigerung erst nach Ablauf von fünf Jahren nach Eintragung der Sicherungshypothek beantragen könne. Dies folgt daraus, daß die Forderung der Gläubigerin aus § 42 Nds. SOG den öffentlichen Abgaben im Sinne von § 20 Abs. 3 Reichsheimstättengesetz gleichzusetzen ist, so daß der Anspruch der Gläubigerin von dem Vollstreckungsschutz des § 20 Abs. 2 Reichsheimstättengesetz ausgenommen ist.

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Für die Auslegung der Vorschrift des § 20 Abs. 3 Reichsheimstättengesetz dahingehend, daß der Anspruch der Gläubigerin aus § 42 Nds. SOG als öffentliche Abgabe im Sinne der Vorschrift anzusehen ist, spricht zunächst der Wortlaut des Gesetzes. Es ist insoweit allgemein anerkannt, daß mit "öffentlichen Abgaben" im Sinne von § 20 Abs. 3 Reichsheimstättengesetz alle zur Bestreitung des öffentlichen Aufwandes von den öffentlichen Verbänden kraft ihrer Finanzhoheit erhobenen Geldmittel bezeichnet werden. Dazu gehören nicht nur die allgemeinen Abgaben, die Steuern, sondern auch die besonderen Abgaben, die Gebühren und Beiträge (vgl. Kammergericht JFG 7 Nr. 76, Seite 382, Seite 384; OLG Köln, RPfl 1967, Seite 14 mit zustimmender Anmerkung von Stöber; OLG Hamm, RPfl 1975, Seite 366 = MDR 1976, Seite 150 = OLGZ 1975, Seite 419 = Juristisches Büro 1975, Seite 1385 Zeller, ZVG, 10 Aufl., Rz. 33 (3) zu § 15 ZVG; Wormit-Ehrenforth, Kommentar zum Reichsheimstättengesetz, Anm. 6 zu § 20 Reichsheimstättengesetz).

15

Begrifflich ist der Anspruch der Gläubigerin aus §§ 42 Nds. SOG zwar keine Gebühr. Der Begriff der Gebühr ist aber nicht zu eng zu fassen. Gebühren können vielmehr sowohl dadurch entstehen, daß Personen eine behördliche Tätigkeit in ihrem Interesse in Anspruch nehmen, wie auch dadurch, daß einzelne Mitglieder des öffentlichen Verbandes eine behördliche Tätigkeit durch ihr Verhalten hervorrufen (vgl. Kammergericht, a.a.O.). Geht man von diesem Gebührenbegriff aus, so fällt auch der Anspruch der Gläubigerin aus § 42 Nds. SOG auf Ersatz der Kosten durch die Obdachlosenunterbringung der Schuldner unter die Gebühren, da die Schuldner als Gemeindemitglieder die Tätigkeit der Gläubigerin durch ihr Verhalten hervorgerufen haben.

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Für die Auslegung der Vorschrift des § 20 Abs. 3 Reichsheimstättengesetz dahingehend, daß unter den Begriff öffentliche Abgaben auch der Anspruch der Gläubigerin aus § 42 Nds. SOG fällt, spricht auch der Sinn und Zweck der Vorschrift. Aus den Ausführungen der Gesetzesbegründung geht insoweit hervor, daß der Gesetzgeber durch die Vorschrift des § 20 Reichsheimstättengesetz lediglich verhindern wollte, daß die Heimstätter infolge persönlicher Schulden, die er nach Erwerb der Heimstätte übernommen hat, seine Scholle verloren ginge. Forderungen gegenüber, die ein öffentlicher Verband kraft seiner Finanzhoheit gegenüber dem Heimstätter geltend macht, soll dieser gesetzliche Schutz versagen, zwar nicht etwa deshalb, weil die Vollstreckung wegen solcher Forderungen niemals zu einem Verlust der Heimstätte führen kann, sondern darum, weil es dem Gesetzgeber nicht als angebracht erschien, dem Heimstätter auch diesen Forderungen gegenüber einen besonderen Schutz zu gewähren (vgl. Kammergericht, a.a.O., Seite 385). Der Schutz der öffentlichen Verbände bezüglich der Abgaben ist daher höher gestellt als der dem Heimstätter wegen seiner Heimstätte zu gewährende Schutz. Es ist aber nicht ersichtlich, warum der Gesetzgeber nur die Forderungen wegen allgemeiner Abgaben und nicht auch die aus Gebühren und Beiträgen besonders sichern wollte. Vielmehr ist davon auszugehen, daß der öffentliche Verband, der die Heimstätten selbst an bedürftige Bürger vergibt, allgemein alle öffentlich-rechtlichen Forderungen gegenüber dem Heimstätter sichern wollte. Daraus folgt, daß auch der Anspruch aus § 42 Nds. SOG, der, wie vorstehend erörtert, ein gesetzlich geregelter Fall öffentlich-rechtlicher Geschäftsführung ohne Auftrag ist, nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift des § 20 Abs. 3 Reichsheimstättengesetz unter den Begriff öffentlicher Abgaben im Sinne dieser Vorschrift fällt.

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Nach alledem war der angefochtene Beschluß aufzuheben und das Verfahren zur erneuten Behandlung und Entscheidung an das Amtsgericht Delmenhorst zurückzuverweisen, da die Anordnung der Zwangsversteigerung des Grundstückes zu Recht erfolgt ist.