Oberlandesgericht Braunschweig
Beschl. v. 14.10.1998, Az.: 1 UF 164/98
Recht eines Kindes zum Umgang mit dem von der Ausübung der persönlichen Sorge ausgeschlossenen abwesenden Elternteil; Aufnahme des Kontakts zu einer Beratungsstelle zur Anbahnung des Umgangsrechts mit dem Kind; Notwendigkeit beider Elternteile als Identifikationspersonen zum Aufbau einer gesunden Entwicklung eines Kindes
Bibliographie
- Gericht
- OLG Braunschweig
- Datum
- 14.10.1998
- Aktenzeichen
- 1 UF 164/98
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 1998, 29517
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGBS:1998:1014.1UF164.98.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Duderstadt - 10.08.1998 - AZ: 7 X 58/98
Rechtsgrundlagen
- § 1684 Abs. 3 S. 1 BGB
- § 1684 Abs. 3 S. 2 BGB
- § 1684 Abs. 1 BGB
Fundstelle
- FamRZ 1999, 185-186 (Volltext mit red. LS)
Verfahrensgegenstand
die elterlichen Sorge und den Umgang des Kindes mit dem nichtsorgeberechtigten Elternteil für ... wohnhaft bei der Mutter
Sonstige Beteiligte
1. Mutter: ...
2. Vater: ...
3. Jugendamt des Landkreises ... in ... zu ...
In der Familiensache
hat der 1. Familiensenat des Oberlandesgerichts Braunschweig
durch
die Richter am Oberlandesgericht ... und ... und
die Richterin am Oberlandesgericht
am 14. Oktober 1998
beschlossen:
Tenor:
- 1.
Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluß des Amtsgerichts Duderstadt vom 10. August 1998 wird zurückgewiesen.
Die Entscheidung ergeht gerichtgebührenfrei.
Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller die ihm im Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen außergerichtlichen Auslagen zu erstatten.
Geschäftswert des Beschwerdeverfahrens: 2.500 DM.
- 2.
Der Antragsgegnerin wird Prozeßkostenhilfe für das Beschwerdeverfahren gerichtsgebührenfrei versagt.
Gründe
1.
Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg.
Das Amtsgericht hat zu Recht den Parteien zur Forderung des Umgangs des Kindes ... mit seinem Vater im Wege der Anordnung gem. §§ 1684 Abs. 3 S. 2 BGB aufgegeben, Kontakt zu einer Beratungsstelle zur Anbahnung des Umgangsrechts aufzunehmen, und zugleich den Beginn eines vorsichtigen Umgangskontaktes gem. § 1684 Abs. 3 S. 1 BGB angeordnet.
Das nicht mit beiden Elternteilen zusammen lebende Kind hat nach § 1684 Abs. 1 BGB ein Recht zum Umgang mit dem von der Ausübung der persönlichen Sorge ausgeschlossenen, abwesenden Elternteil. Dieses Recht besteht vorrangig im Kindesinteresse, denn dem Kind soll ermöglicht werden, die verwandtschaftlichen Beziehungen aufrecht zu erhalten, zugleich soll dadurch einer Entfremdung vorgebeugt werden und aber auch dem Liebesbedürfnis beider Rechnung getragen werden. Das Kind benötigt zum Aufbau einer gesunden Entwicklung beide Elternteile als Identifikationspersonen, also etwa auch den Vater als männliche Bezugsperson, wenn es im übrigen bei der Mutter aufwachst und von ihr das mütterliche Identifikationsbild erhält.
Der Umgang fördert somit die Entwicklung des Kindes, seine unberechtigte Vereitelung gefährdet das Kind in höchstem Maße. Wachst ein Kind bei nur einer elterlichen Bezugsperson auf, ohne daß ein Kontakt zum anderen Elternteil hinreichend gegeben ist, reduziert sich bereits sein Erfahrungswissen nur noch auf den Bereich des Sorgeberechtigten. Das Halten eines ständigen Kontaktes ist aber auch deshalb im wohlverstandenen Kindesinteresse, weil dem Kind durch die Betreuung des Umgangsberechtigten zusätzliche Lebenssicherheit vermittelt wird. Wahrend der Umgangszeit kann das Kind den Charakter und das Wesen des anderen Elternteils erfahren und sich mit dessen Lebensverhältnissen vertraut machen, es erfahrt also, hier ist noch ein anderer, auf den ich mich verlassen kann. Dies kann sich insbesondere dann als ausgesprochen wichtig erweisen, wenn der Sorgeberechtigte durch Krankheit oder Tod plötzlich und unvermittelt ausfallt und das Kind dann vorbereitet in den Haushalt des anderen Elternteils überwechseln muß.
Die von den Parteien dargestellte Entwicklung Philips zeigt auf, Daß vorliegend die Mutter den Kontakt ... zu seinem Vater seit Ende 1994 vereitelt hat. Bis 1992 ist Philip im gemeinsamen Haushalt der Eltern aufgewachsen und bis 1994 bestand noch ein relativ intensiver Besuchs- und Betreuungskontakt zum Vater. Erst im zeitlichen Zusammenhang mit der Zuwendung des Vaters zu einer neuen Partnerin wurde der Umgangskontakt durch die Mutter beendet. Hieraus wird deutlich, Daß im Vordergrund der Kontaktversagung eine mangelnde emotionale Verarbeitung des Partnerkonfliktes steht; in Folge des Beziehungsabbruchs trat damit eine Sprachlosigkeit zwischen den Parteien ein, die nach den Erfahrungen des Senats ganz häufig Ursache und Beginn der Umgangsvereitelung ist, vgl. Klenner, Rituale der Umgangsvereitelung bei getrenntlebenden oder geschiedenen Eltern, FamRZ 1995, 1530 ff.
Danach erweist sich die Sprachlosigkeit der Parteien als Wurzel des Umgangshindernisses, deshalb ist die amtsgerichtliche Beratungsanordnung gem. Ziff. I. des angefochtenen Beschlusses ein sachgerechtes Angebot, um die psychisch emotionale Grundlage für den Erfolg der ganz notwendigen Wiederanbahnung der Umgangskontakte zu legen.
Soweit die Mutter dargestellt hat, ... wolle "zur Ruhe kommen" und "lehne von sich aus den Kontakt" zu seinem Vater ab, ist dies auf der Grundlage mütterlicher Beeinflussung lediglich als Resignation, vgl. Klenner, aaO, S. 1531, zu werten, denn die Mutter hat, wie sich aus ihrem Gesamtverhalten ergibt, ... Solidarität im Beziehungskonflikt durch ihr Kontakt ablehnendes Verhalten abgefordert und ihn so in einen Loyalitätskonflikt gestürzt. Von ... kann in seinem Alter nicht erwartet werden, daß er sich trotz der Aussendung negativer Grundeinstellungssignale der Mutter gegen den väterlichen Kontakt gegen die Mutter durchsetzt und sich insofern als "unartig" erweist. Philip ist in seiner ganzen Versorgung abhängig von der Harmonie zwischen der Mutter und ihm und spurt deshalb die Ablehnung der Mutter gegenüber dem früheren Partner und verhalt sich dementsprechend.
Daß ... insoweit nur gegenüber dem mütterlichen Ansinnen "Wohlverhalten" an den Tag legt, wird daraus deutlich, daß er eine kindgerechte Begründung für eine Ablehnung des Vaters nicht geben kann. Dies ist insbesondere aus seiner Anhörung vom 21. Mai 1997 ersichtlich, weil er dort gegenüber der anhörenden Richterin unreflektiert den Vorwurf übermäßigen Alkoholkonsums seitens der Mutter wiedergibt, obwohl er sich nach eigenen Angaben "nicht mehr so recht an alles erinnern kann" und er als beim letzten Kontakt achtjähriger Junge auch gar nicht in der Lage gewesen ist, hier ein zutreffendes Urteil zu finden. Seine gleichwohl detaillierten Angaben zeigen auf, Daß er insoweit nur noch zum Sprachrohr mütterlicher Meinung geworden ist.
Der Umgangsvereitelung ist deshalb zum Wohle des Kindes ganz entschieden entgegen zu treten, wobei allerdings ein vorsichtiger Wiederaufbau der Beziehung geboten ist. Die vom Amtsgericht angeordnete gestufte, einfühlsame Kontaktwiederanbahnung zunächst durch Briefkontakt, später erweitert durch fernmündlichen Kontakt, letztendlich mit dem Ziel, den früher harmonischen Umgang zwischen Vater und Kind wiederzubeleben, erweist sich als richtig. In diesem Sinne hat sich der Vater auch bereits mit Brief vom 30. August 1998 an seinen Sohn gewandt. Dabei hat er Philip altersgerecht angesprochen und ihm einfühlsam bekundet, wie groß sein Interesse an seinem Sohn ist, um ihm deutlich zu machen, wie sehr er ihn liebt. Trotz des Beziehungsstreits der Parteien ist es ihm dabei gelungen, das elterliche Verhältnis gegenüber dem Sohn freundlich und ausgeglichen darzustellen, was insbesondere aus dem aufgetragenen Gruß ersichtlich ist.
Soweit die Mutter eine ablehnende Reaktion Philips bei Empfang des Briefes mit ihrer Beschwerdebegründung vortragt, kann der stereotyp im gesamten Verfahren wiederholte Satz, Philip werde in einen Widerspruch gestürzt, nur so verstanden werden, Daß es der Mutter nicht gelungen ist, Philip die Wichtigkeit des Kontaktes zu seinem Vater für seine spätere Entwicklung zu erklären. Gerade dies muß aber von einer erziehungsgeeigneten Mutter verlangt werden. Die Wohlverhaltensklausel aus § 1684 Abs. 2 BGB, wonach der Personensorgeberechtigte alles zu unterlassen hat, was das Verhältnis des Kindes zum jeweils anderen Elternteil beeinträchtigt, verlangt nämlich über seinen Wortlaut hinausgehend auch eine aktive Forderung des Umgangskontaktes der Gestalt, daß der Personensorgeberechtige im Rahmen der Erfüllung seiner Erziehungsaufgabe auf das Kind mit dem Ziel einwirkt, psychische Widerstände gegen den Umgang mit dem anderen Elternteil abzubauen und eine positive Einstellung zu gewinnen, vgl. Johannsen/Henrich, Eherecht, 3. Aufl., zu § 1684 RdNr. 14 mit weiteren Nachweisen. Zur gebotenen Forderung der Umgangskontakte wird die Antragsgegnerin deshalb ihrem Sohn, den sie bisher in anderer Weise für sich eingenommen hat, auch zu erklären haben, daß sie ihre Meinung nunmehr geändert hat und die Umgangskontakte selbst wünscht. Denn nur so kann sichergestellt werden, Daß Philip entlastet wird und sich auch gegenüber dem Vater öffnen kann, ohne Gefahr zu laufen, an ihm entgegengebrachter Mutterliebe Einbuße erleiden zu müssen.
Die Kostenfolge ergibt sich aus §§ 131 Abs. 3 KostO, 13 a Abs. 1 S. 2 FGG.
2.
Prozeßkostenhilfe war der Antragsgegnerin für das Beschwerdeverfahren zu versagen, denn die von ihr erhobene Beschwerde bot keine hinreichende Aussicht auf Erfolg, wie sich aus den Oben dargestellten Gründen ergibt.
Streitwertbeschluss:
Geschäftswert des Beschwerdeverfahrens: 2.500 DM.