Landgericht Stade
Urt. v. 22.01.2020, Az.: 2 O 51/19

Schadenseratzbegehren wegen sittenwidriger Schädigung im sog. "Dieselskandal"; Inverkehrbringen eines PKW mit einer manipulierten Motorsteuerungssoftware

Bibliographie

Gericht
LG Stade
Datum
22.01.2020
Aktenzeichen
2 O 51/19
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2020, 71260
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Schadenseratz gemäß § 826 BGB wg. sittenwidriger Schädigung im sog. "Dieselskandal".

Mit dem Inverkehrbringen des Motors " EA 189" handelte die Beklagte sittenwidrig im Sinne von § 826 BGB.

In dem Rechtsstreit
der XXX
Klägerin
Prozessbevollmächtigte: XXX
XXX
gegen
XXX
Beklagte
Prozessbevollmächtigte: XXX
XXX
hat die 2. Zivilkammer des Landgerichts Stade auf die mündliche Verhandlung vom 11. Dezember 2019 durch den Vorsitzenden Richter am Landgericht XXX
für Recht erkannt:

Tenor:

  1. 1.

    Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 26.500,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 11.04.2019 zu zahlen. Die Verurteilung erfolgt Zug-um-Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs der Marke VW vom Typ Caddy Life, Kombi 2.0 TDI mit der Fahrzeugidentifikationsnummer XXX nebst zwei Fahrzeugschlüsseln, Kfz-Schein, Kfz-Brief und Serviceheft sowie Zahlung eines Nutzungsersatzes in Höhe von 6.168,25 €.

    In Höhe eines Betrages von 579,13 € ist der Rechtsstreit erledigt.

  2. 2.

    Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin die durch die Beauftragung der Prozessbevollmächtigten der Klägerin entstandenen Kosten der vorgerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von 1.108,86 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 11.04.2019 zu zahlen und sie von weiteren 968,88 € freizustellen.

  3. 3.

    Es wird festgestellt, dass der Anspruch aus Ziffer 1.) aus einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung der Beklagten herrührt.

    Die weitergehende Klage wird abgewiesen.

  4. 4.

    Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

  5. 5.

    Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

  6. 6.

    Der Streitwert wird auf 26.500,00 € festgesetzt.

Tatbestand

Die Klägerin erwarb mit Rechnung vom 22.09.2015 des XXX den gebrauchten VW Caddy, 2.0 TDI, mit einer Fahrleistung von 7.100 Kilometern, Erstzulassung Juni 2014, zum Preis von 26.500,00 € brutto. Wegen der Einzelheiten wird auf die Anlage K 1 Bezug genommen. In dem Pkw befindet sich ein Dieselmotor des Typs EA 189, der von der Beklagten hergestellt wurde. In diesem Motor ist eine Software eingebaut, die das Abgasrückführungssystem steuert. Diese erkennt, wenn das Fahrzeug den Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) durchfährt. Hierbei kannte die Software zwei unterschiedliche Betriebsmodi, die die Abgasrückführungen steuern. Im Abgasrückführungsmodus 1, der im NEFZ aktiv war, kam es zu einer höheren Abgasrückführungsrate. Unter Fahrbedingungen, die im normalen Straßenverkehr vorzufinden sind, reduzierte die Software den Umfang der Abgasrückführung dauerhaft auf ein geringeres Maß, der Modus 0. Die Beklagte hat ein Software-Update zur Verfügung gestellt. Nach Aufspielung dieses Updates wird das Fahrzeug nur noch in einem adaptierten Betriebsmodus 1 betrieben, der bisher ausschließlich in Prüfsituationen aktiv war.

Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Zahlung von Schadensersatz.

Die Klägerin behauptet, dass die Beklagte ihr in einer gegen die guten Sitten verstoßenen Art und Weise vorsätzlich Schaden zugefügt habe. Die schädigende Handlung der Beklagten liege in dem Einsatz einer gesetzeswidrigen Softwareprogrammierung. Die schädigende Handlung sei der Beklagten über §§ 31, 831 BGB zuzurechnen. Entweder hätten die Mitarbeiter der Beklagten die Motorsteuerungssoftware selber programmiert oder aber deren Programmierung veranlasst. Jedenfalls hätte die Beklagte im Rahmen ihrer sekundären Darlegungslast aufschlüsseln müssen, inwiefern Maßnahmen ergriffen worden seien, die sie entlasten könnten, was nicht geschehen ist.

Die Klägerin beantragt:

  1. 1.

    Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 26.500,00 € nebst Zinsen in Höhe von 4 % seit dem 22. September 2015 bis zum Eintritt der Rechtshängigkeit sowie in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen. Die Verurteilung erfolgt Zug-um-Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs der Marke VW vom Typ Caddy Life, Kombi 2.0 TDI mit der Fahrzeugidentifikationsnummer XXX nebst zwei Fahrzeugschlüsseln, Kfz-Schein, Kfz-Brief und Serviceheft sowie Zahlung eines Nutzungsersatzes in Höhe von 5.264,81 €.

    In Höhe von 579,13 € wird der Rechtsstreit für erledigt erklärt.

  2. 2.

    Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin Schadensersatz zu zahlen für Schäden, die aus der Ausstattung des Fahrzeugs der Marke VW vom Typ Caddy Life, Kombi 2.0 TDI mit der XXX mit der manipulierten Motorsoftware durch die Beklagte resultieren.

  3. 3.

    Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme der in vorgenannten Klageanträgen genannten Zug-um-Zug-Leistung im Annahmeverzug befindet.

  4. 4.

    Es wird festgestellt, dass der in Antrag zu 1. bezeichnete Anspruch aus einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung der Beklagten herrührt.

  5. 5.

    Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin die durch die Beauftragung der Prozessbevollmächtigten der Klägerin entstandenen Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von 1.108,86 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen und sie von weiteren 968,88 € freizustellen.

  6. 6.

    Es wird festgestellt, dass sich die Forderung des Antrags unter 1. in der Höhe des vom Gericht festgesetzten Anspruchs der Beklagten auf Nutzungsersatz für die von der Klägerin zwischen Rechtshängigkeit der Klage und dem Termin der letzten mündlichen Verhandlung gezogenen Nutzungen erledigt hat.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte behauptet, dass das streitbefangene Fahrzeug technisch sicher sei, hinter keinem Sicherheitsstandard zurückbleibe und mit dem Betrieb keinerlei Gefahren verbunden seien. Das Fahrzeug sei uneingeschränkt gebrauchstauglich. Eine Täuschung der Klägerin liege nicht vor. Auch sei ein Schaden der Klägerin nicht erkennbar. Zudem seien die Ansprüche verjährt. Der Kläger habe seit 2015 Kenntnis von der eingesetzten Software gehabt. Eine Hemmung der Verjährung sei nicht eingetreten, weil der Kläger sich insoweit missbräuchlich verhalten habe.

Wegen des weiteren Sachvortrages wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.

Der PKW hatte eine Gesamtleistung von 65.291 km am Tag der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zum Teil begründet, im übrigen ist sie unbegründet.

Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Rückabwicklung des Kaufvertrages und Zahlung von Schadensersatz aus §826 BGB

Ein Anspruch aus § 826 BGB liegt vor. Die Beklagte hat die Klägerin durch das Inverkehrbringen des streitbefangenen PKW mit der manipulierten Motorsteuerungssoftware getäuscht. Denn indem ein Hersteller ein Fahrzeug in den Verkehr bringt erklärt er konkludent, dieses Fahrzeug sei im Straßenverkehr uneingeschränkt nutzbar was vorliegend ohne nachträgliches Aufspielen eines Softwareupdates nicht der Fall war. Es drohte vielmehr der Widerruf der Typengenehmigung und eine damit einhergehende Stilllegung des PKW. Der in dem Kaufvertragsabschluss liegende Schadenseintritt beim Kläger geht ursächlich auf diese Täuschung der Beklagten zurück. Hierdurch hat er einen Vermögensschaden erlitten, der im Abschluss des Kaufvertrages zu sehen ist (vgl. OLG Celle, Urteil vom 20.11.2019, 7 U 244/18).

Der Schaden entfällt auch nicht durch das nachträgliche Aufspielen eines Software Updates. Denn maßgeblich für die Beurteilung des Schadenseintritts ist der Zeitpunkt des Vertragsabschlusses.

Die Täuschungshandlung der Beklagten ist sittenwidrig im Sinne von §826 BGB. Die besondere Verwerflichkeit liegt darin, dass die Beklagte aus Gründen der Gewinnmaximierung getäuscht und es dabei in Kauf genommen hat, Millionen potentieller Käufer zu schädigen. Zudem muss davon ausgegangen werden, dass die Beklagte in Kenntnis der Tatumstände gehandelt und damit mit Schädigungsvorsatz gehandelt hat. Hierbei erfolgt die Zurechnung über §31 BGB, weil die Vermutung besteht, dass der Vorstand selber bzw. dessen Repräsentanten über den Einsatz der Software entschieden hat. Die Beklagte hat diese Vermutung im Rahmen ihrer sekundären Darlegungslast nicht entkräften können (vgl. OLG Celle a.a.O.)

Damit kann die Klägerin den Ersatz ihres Schadens verlangen, allerdings nur unter Anrechnung einer Nutzungsentschädigung für die von ihr gefahrenen 58.191 km (65.291 km - 7.100 km), wobei von einer Gesamtlaufleistung von 250.000 km auszugehen ist. Die Nutzungsvergütung beträgt danach 0,4 % des Kaufpreises je tausend Kilometer, mithin Bruttokaufpreis von 26.500 € x 0,4% = 106 € x 58,191 tkm = 6.168,25 €, die vom Kaufpreis in Abzug zu bringen sind, sodass ein Zahlbetrag von 20.331,75 € verbleibt. Diesen Betrag kann die Klägerin von der Beklagten ersetzt verlangen.

Der Anspruch ist nicht verjährt. Die Klägerin hat sich der Musterfeststellungsklage in 1/2018 angeschlossen und hat die Anmeldung am 2.7.2019 zurückgenommen, sodass die 3-jährige Verjährungsfrist des §199 Abs.1 BGB gemäß §204 Abs.1 Nr.1a BGB gehemmt war. Die Beklagte kann diese Anmeldung nicht mit Nichtwissen bestreiten, weil sie selber als Partei Einsicht in das Klagregister hat.

Die Beklagte kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass die Anmeldung der Klägerin zum Klageregister missbräuchlich erfolgt sei. Eine Unbilligkeit liegt weder mit der Anmeldung zum Klagregister noch mit der Rücknahme der Anmeldung vor.

Der Zinsanspruch folgt aus § 288 Abs. 1 BGB, der ab Rechtshängigkeit besteht. Für einen weitergehenden Zinsanspruch fehlt es an einem Verzug der Beklagten und an einem entsprechenden Vortrag der Klägerin hierzu.

Infolgedessen war der Klagantrag zu 1.) wie ausgeurteilt begründet.

Der Klagantrag zu 3.) war dagegen unbegründet.

Ein Annahmeverzug konnte nicht festgestellt werden, weil zu den Voraussetzungen der §§293 ff. BGB jeder Sachvortrag fehlt.

Der Klagantrag zu 4.) war begründet. Im Hinblick auf das vorsätzlich sittenwidrige Verhalten der Beklagten gemäß §826 BGB war ein entsprechendes Feststellungsinteresse der Klägerin zu bejahen.

Der Anspruch gemäß Klagantrag zu 5.) im Hinblick auf die vorgerichtlichen Anwaltskosten folgt aus § 286 BGB.

Die Kostenentscheidung erging gemäß § 92 Abs. 2 Ziffer 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.