Oberlandesgericht Oldenburg
Beschl. v. 29.09.1998, Az.: 1 Ws 452/98

Anforderungen an die Verweisung an ein höheres Gericht vor Beginn der Beweisaufnahme

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
29.09.1998
Aktenzeichen
1 Ws 452/98
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 1998, 28730
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGOL:1998:0929.1WS452.98.0A

Amtlicher Leitsatz

Die Verweisung an ein höheres Gericht vor Beginn der Beweisaufnahme ist nur bei offenkundig fehlender ausreichender Strafgewalt des niederen Gerichts zulässig.

Gründe

1

Grundsätzlich bindet eine nach § 270 StPO ausgesprochene Verweisung das höhere Gericht zwar auch dann, wenn der Verweisungsbeschluss auf einer falschen Rechtsanwendung beruht. Diese Bindungswirkung entfällt jedoch dann, wenn der Verweisungsbeschluss offensichtlich gesetzeswidrig ist, weil das Gericht sich bei der Auslegung und Anwendung einer Zuständigkeitsnorm so weit von dem sie beherrschenden verfassungsrechtlichen Grundsatz des gesetzlichen Richters entfernt hat, dass sie nicht mehr zu rechtfertigen ist (BVerfGE 29, 45, 49) [BVerfG 30.06.1970 - 2 BvR 48/70]. Das ist hier der Fall.

2

Eine Verweisung nach § 270 StPO vor Durchführung der Beweisaufnahme ist lediglich dann zulässig, wenn bereits die Verlesung des Anklagesatzes ergibt, dass das Verfahren versehentlich vor dem Gericht niederer Ordnung eröffnet worden ist und von vornherein die Zuständigkeit eines Gerichts höherer Ordnung gegeben ist. So war die Sachlage hier jedoch nicht. Das Schöffengericht war keineswegs von vornherein daran gehindert, den Angeklagten wegen schweren räuberischen Diebstahls zu verurteilen. Denn das der Verweisung zugrunde gelegte gesetzliche Mindestmaß von fünf Jahren Freiheitsstrafe gilt nur für den Regelfall, während der Strafrahmen für minder schwere Fälle zwischen einem und fünf Jahren beträgt, also überwiegend im Bereich der dem Amtsgericht zustehenden Strafgewalt liegt.

3

In einem solchen Fall darf das Gericht niederer Ordnung nach einhelliger Rechtssprechung erst dann nach § 270 StPO verweisen, wenn es auf Grund der Beweisaufnahme zu der sicheren Überzeugung gelangt ist, dass der Angeklagte schuldig ist und zudem eine die Strafgewalt des Gerichts übersteigende Rechtsfolge angezeigt ist. Solange das nicht der Fall ist, fehlt es an einer ausreichenden Grundlage für eine Verweisungsentscheidung. Eine dennoch erfolgte Verweisung beruht auf Hypothesen und Spekulationen über Art und Umfang der erweisbaren Taten und des den Angeklagten deswegen treffenden Schuldvorwurfs und verletzt deshalb in nicht hinnehmbarer Weise den Anspruch des Angeklagten auf den gesetzlichen Richter (OLG Zweibrücken NStZ-RR 1998, 280 [OLG Zweibrücken 12.05.1998 - 1 AR 30/98]; MDR 1992, 178; OLG Frankfurt StV 1996, 533; OLG Karlsruhe NStZ 1990, 100 [OLG Karlsruhe 24.08.1989 - 2 AR 21/89]; OLG Düsseldorf NStZ 1986, 426; LG Berlin StV 1996, 16; Kleinknecht/Meyer-Goßner StPO 43. Auflage § 270 Rn. 10; LR/Gollwitzer 24. Auflage § 270 Rn. 19).