Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 06.09.1984, Az.: 17 WF 101/84

Gewährung von Prozesskostenhilfe in Familiensachen; Unterhaltsanspruch eines geschiedenen Ehegatten; Entfallen des Unterhaltsanspruchs durch die Geburt eines nichtehelichen Kindes

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
06.09.1984
Aktenzeichen
17 WF 101/84
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 1984, 16171
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:1984:0906.17WF101.84.0A

Verfahrensgang

vorgehend
AG Lüneburg - 03.04.1984 - AZ: 29 F 58/84

Verfahrensgegenstand

Prozeßkostenhilfe für Unterhaltsklage

Der 17. Zivilsenat - Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Celle hat
am 6. September 1984
beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluß des Amtsgerichts - Familiengerichts - Lüneburg vom 3. April 1984 geändert:

Der Antragstellerin wird Prozeßkostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt ... in ... beigeordnet.

Gründe

1

Die Beschwerde ist begründet. Der Antragstellerin ist für die Klage Prozeßkostenhilfe zu bewilligen, denn die Voraussetzungen des § 114 ZPO liegen vor. Insbesondere hat die Klage hinreichende Aussicht auf Erfolg. Die Antragstellerin ist unterhaltsbedürftig (§ 1602 Abs. 1 BGB). Sie ist zwar volljährig, kann nach ihrem Vortrag im Hinblick auf die Betreuungspflichten gegenüber ihrem Kleinkind einer Erwerbstätigkeit nicht nachgehen. Dieser Umstand ist auch gegenüber dem Antragsgegner, der der Großvater des Kindes ist, zu berücksichtigen. Das folgt aus der wechselseitigen Verpflichtung von Eltern und Kindern zu Beistand und gegenseitiger Rücksichtnahme (§ 1618 a BGB). Ob jedenfalls eine Teilzeittätigkeit erwartet werden und das Kind schon jetzt den Kindergarten besuchen kann, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab und bedarf der näheren Prüfung im Prozeß. Auf die in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze für die Berechtigung eines Ehegatten, wegen der Betreuung und Erziehung gemeinschaftlicher Kinder nicht erwerbstätig zu sein (§§ 1361 Abs. 2, 1570 BGB), wird sich die Antragstellerin allerdings nicht berufen können (vgl. OLG Hamburg FamRZ 1984, 607, 608). Die Anforderungen an eine Erwerbspflicht sind hier strenger zu stellen. Ebenfalls muß der Frage der Leistungsfähigkeit des Antragsgegners im Rechtsstreit noch nachgegangen werden. Ausgehend allein von seinem monatlichen Nettoeinkommen kann er den verlangten Unterhalt aufbringen. Inwieweit das Einkommen im Hinblick auf monatliche Belastungen zu bereinigen ist, kann erst nach näherer Darlegung des Antragsgegners entschieden werden.

2

Der Ansicht von Diederichsen, Eltern brauchten ihrer volljährigen Tochter keinen Unterhalt zu leisten, damit sie ihr nichteheliches Kind betreuen kann (Palandt-Diederichsen, 42. Auflage, § 1601 BGB Anm. 2 a. E.), vermag der Senat nicht zu folgen. Seine Argumentation mit einem Umkehrschluß aus den §§ 1610 Abs. 2, 1570 BGBüberzeugt nicht. § 1610 Abs. 2 BGB regelt nicht die Voraussetzungen des Unterhaltsanspruchs zwischen Verwandten in gerader Linie, sondern in näherer Ausgestaltung des Abs. 1 dieser Vorschrift - das Maß des zu gewährenden Unterhalts. Für einen Umkehrschluß aus § 1570 BGB ist wegen der unterschiedlichen Systematik des Unterhalts zwischen Verwandten einerseits und geschiedenen Ehegatten andererseits kein Raum. Während im Bereich des Verwandtenunterhalts unterhaltsberechtigt ist, wer sich nicht selbst unterhalten kann (§ 1602 Abs. 1 BGB), reicht dies gemäß § 1569 BGB für den Unterhaltsanspruch des geschiedenen Ehegatten nicht aus, vielmehr muß die Bedürftigkeit eine in den nachfolgenden Bestimmungen näher geregelte Ursache haben. Derartige zusätzliche Anforderungen gibt es für den Unterhalt zwischen Verwandten nicht, so daß aus dem Fehlen einer dem § 1570 BGB (bzw. § 1576 BGB) entsprechenden Norm nicht im Wege des Umkehrschlusses gefolgert werden kann, das Vorhandensein eines (hier: nichtehelichen) Kindes sei für den Unterhaltsanspruch seiner Mutter gegenüber ihren Eltern bedeutungslos (so im Ergebnis auch OLG Bremen FamRZ 1984, 84, 85).

3

Der Unterhaltsanspruch entfällt nicht nach § 1611 Abs. 1 BGB. Zum einen kann die Geburt eines nichtehelichen Kindes trotz fehlender ausreichender eigener ökonomischer Grundlage der Antragstellerin nicht als ein sittliches Verschulden angelastet werden (s. auch OLG Hamburg a.a.O.). Zum anderen müßte der Antragsgegner selbst dann, wenn von einem sittlichen Verschulden auszugehen wäre, einen Beitrag zum Unterhalt in der Höhe leisten, die der Billigkeit entspricht. Ganz entfallen würde die Unterhaltsverpflichtung nur, wenn die Inanspruchnahme des Antragsgegners grob unbillig wäre. Hierfür fehlt jeder Anhaltspunkt.

4

Nach § 1615 1 Abs. 3 Satz 2 BGB ist zwar der Vater des nichtehelichen Kindes dessen Mutter vor ihren Verwandten unterhaltspflichtig. Seine Unterhaltspflicht endet aber spätestens ein Jahr nach der Entbindung (§ 1615 1 Abs. 2 Satz 3 BGB). Dieser Zeitraum ist abgelaufen, denn das Kind der Antragstellerin wurde am 25.05.1981 geboren.

5

Auf den Unterhaltsanspruch zwischen Verwandten läßt sich die zeitliche Begrenzung des § 1615 1 Abs. 2 Satz 3 BGB nicht übertragen (OLG Frankfurt FamRZ 1982, 732, 733).

6

Der Antragsgegner kann die Antragstellerin nicht auf eine anteilige Unterhaltsverpflichtung seiner geschiedenen Frau verweisen (§ 1606 Abs. 3 Satz 1 BGB). Das Amtsgericht Lüneburg hat auf deren Abänderungsklage hin durch Urteil vom 08.02.1984 - 29 F 326/83 - entschieden, daß ab 06.02.1984 die Verpflichtung entfällt, an die Antragstellerin eine Unterhaltsrente zu zahlen. Dieses Urteil ist offenbar rechtskräftig. Schon vorher war, wie sich aus jenem Verfahren und den vergeblichen Vollstreckungsversuchen der Antragstellerin nach Einstellung der Unterhaltszahlungen seitens ihrer Mutter ergibt, diese nicht leistungsfähig.

7

Angesichts der bisherigen obergerichtlichen Rechtsprechung zum Unterhaltsanspruch einer volljährigen Tochter, die ein nichteheliches Kind hat, gegen ihren Vater (OLG Frankfurt FamRZ 1982, 732; OLG Bremen FamRZ 1984, 84; OLG Hamburg FamRZ 1984, 607) hat die Klage der Antragstellerin hinreichende Aussicht auf Erfolg. Rechtsprechung des BGH - gegen die Urteile der OLG Bremen und Hamburg sind die zugelassenen Revisionen eingelegt worden - steht zu diesem Problemkreis noch aus. In der Literatur ist er - soweit ersichtlich - mit Ausnahme von Diederichsen (s.o.) nicht näher angesprochen. Soweit dort darauf hingewiesen wird, daß es nur auf die eigene Bedürftigkeit des Anspruchstellers ankomme und nicht auf seine Unterhaltsverpflichtungen gegenüber Dritten (Soergel-Lange, 11. Auflage, § 1601 BGB Rdnr. 3, § 1602 BGB Rdnr. 8; Münch. Komm. - Köhler, § 1602 BGB Rdnr. 6), trifft das diesen Fall nicht. Die Antragstellerin macht nicht mit Rücksicht auf ihr Kind einen höheren Unterhaltsanspruch geltend als er ihr eigentlich zusteht. Es geht auch nicht darum, daß sie ihren Vater auf Barunterhalt für sich in Anspruch nimmt, um ihrem Kind im erforderlichen Umfang die Betreuung und Versorgung zukommen lassen zu können. Entscheidend ist vielmehr, ob für sie im Verhältnis zum Antragsgegner unter Berücksichtigung ihrer persönlichen Verhältnisse (vgl. § 1361 Abs. 2 BGB) eine Erwerbsobliegenheit besteht. Das ist gegenwärtig möglicherweise zu verneinen und muß im Verfahren geklärt werden.