Verwaltungsgericht Osnabrück
Urt. v. 16.02.2015, Az.: 5 A 248/14

Dublin III VO; Umdeutung; Zweitantrag

Bibliographie

Gericht
VG Osnabrück
Datum
16.02.2015
Aktenzeichen
5 A 248/14
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2015, 45241
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Sobald auch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge selbst von der Zuständigkeit der deutschen nationalen Behörden zur Prüfung des Asylbegehrens des Asylbewerbers ausgeht, verändert dieser Umstand in maßgeblicher Hinsicht die materiell rechtliche Tragweite der vom Bundesamt getroffenen Entscheidung.

2. Deshalb gebietet es auch der in Art. 19 Abs. 4 GG normierte Grundsatz der Gewährung effektiven Rechtsschutzes, Ziffer 1 des angefochtenen Bescheides aus Klarstellungsgründen aufzuheben, um den durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge durch die von ihm vorgenommene Umdeutung des angefochtenen Bescheides gesetzten Rechtsschein zu beseitigen.

Tatbestand:

Die Kläger sind kosovarische Staatsangehörige und nach eigenen Angaben Angehörige der ethnischen Minderheit der Roma. Sie reisten nach eigenen Angaben am 9.4.2014 in die Bundesrepublik Deutschland und stellten am 7.5.2014 einen Asylantrag.

Am 10.6.2014 wurde ein Übernahmeersuchen nach der Dublin III VO an Schweden gerichtet. Die schwedischen Behörden erklärten mit Schreiben vom 13.6.2014 ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrages gemäß Art. 18 Abs. 1 d Dublin III VO.

Durch Bescheid vom 16.6.2014 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Asylanträge der Kläger als unzulässig ab (Ziffer 1 des Bescheides) und ordnete die Abschiebung nach Schweden an (Ziffer 2 des Bescheides).

Dagegen haben die Kläger am 26 6. 2014 Klage erhoben und gleichzeitig um Gewährung vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutzes nachgesucht. Ihren Antrag auf Anordnung der aufschiebende Wirkung der Klage hat die Kammer durch unanfechtbaren Beschluss vom 7.7.2014 – 5 B 189/14 - abgelehnt. Eine Überstellung der Kläger nach Schweden ist nicht erfolgt.

Mit Schriftsatz vom 21.1.2015 hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Ziffer 2 des angefochtenen Bescheides  wegen des Ablaufs der Überstellungsfrist aufgehoben.

Die Beteiligten haben den Rechtsstreit hinsichtlich Ziffer 2 des angefochtenen Bescheides übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt.

Die Kläger beantragen nunmehr,

Ziffer 1 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 16.6.2014 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Gegen die Aufhebung von Ziffer 1 des angefochtenen Bescheides wendet die Beklagte ein, zwar sei sie nach Ablauf der Überstellungsfrist für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig geworden, dies bedeute jedoch nicht, dass der Bescheid insgesamt aufzuheben sei. Der Asylantrag der Kläger sei, weil sie bereits in Schweden einen Asylantrag gestellt hätten, als Zweitantrag im Sinne von § 71 a AsylVfG anzusehen.

Gründe, die ein Wiederaufgreifen des Asylverfahrens erfordern würden, seien nicht ersichtlich und von den Klägern auch nicht vorgetragen worden.

Im Übrigen sei Ziffer 1 des angefochtenen Bescheides gemäß § 47 Abs. 1 VwVfG in die Ablehnung eines Zweitantrages umzudeuten, weil das Bundesamt einen auf das gleiche Ziel gerichteten Verwaltungsakt in gleicher Form hätte erlassen können. Bei beiden Tenorierung sei das Ziel des Bescheides der Beklagten die Ablehnung einer materiellen Prüfung des Asylantrages. Es sei insbesondere nicht ersichtlich, warum das Gericht nicht selbst über die Frage der Zulässigkeit eines Zweitantrages entscheiden können sollte, die Fakten lägen auf der Hand. Eine Anhörung des Asylbewerbers im Sinne von § 25 AsylVfG fände erst statt, wenn feststünde, dass ein Asylverfahren durchzuführen sei, weil der Antrag zulässig und die Bundesrepublik Deutschland zuständig sei.

Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Bescheides sei der Zeitpunkt der gerichtlichen, nicht der behördlichen Entscheidung. Der Asylantrag sei zurzeit des Bescheiderlasses und auch gegenwärtig mangels Darlegung von Wiederaufgreifensgründen unzulässig. Ungeachtet dessen sei dem Prozessbevollmächtigten der Kläger mit Schreiben vom selben Tage Gelegenheit gegeben worden, Wiederaufnahmegründe vorzutragen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie auf die beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

1. Das Verfahren war hinsichtlich Ziffer 2 des angefochtenen Bescheides (Abschiebungsanordnung) einzustellen, weil die Beteiligten insoweit den Rechtsstreit über einstimmen in der Hauptsache für erledigt erklärt haben.

2. Hinsichtlich Ziffer 1 des angefochtenen Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Feststellung der Unzulässigkeit des Asylantrags) ist die zulässige Klage begründet.

Maßgeblicher Zeitpunkt der Sach- und Rechtslage ist gem. § 77 Abs. 1 AsylVfG derjenige der mündlichen Verhandlung.

a) Es besteht ein Rechtsschutzinteresse der Kläger an der Aufhebung des angefochtenen Bescheides.

Zwar kann sich der Asylbewerber auf die Einhaltung der Kriterien, die nach der Dublin III VO die Zuständigkeit des jeweiligen Mitgliedsstaates  begründen, nach der Rechtsprechung des EuGH (Urteile vom 10.12.2013 –Abdullahi gegen Bundesasylamt,  C-394/12 – und vom 14.11.2013 – Bundesrepublik Deutschland gegen Puid - C 4/11 –) im Rahmen seines Rechtsbehelfs nur mit der Begründung berufen, dass er in seinen Grundrechten verletzt wird (vgl. auch BVerwG, . Beschluss vom 19.03.2014 – 10 B 6/14 -; juris Rn.  5 – 7, Berlit, jurPR-BVerwG 12/14 Anmerkung 3 vom 16.06.2014 zu BVerwG, Beschluss vom 19.03.2014 – juris, OVG Lüneburg, Beschluss vom 06.11.2014 – 13 LA 66/14 -).

Dies gilt aber nicht – mehr –, wenn das beklagte Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - wie hier – selbst davon ausgeht, dass wegen des Ablaufes der Überstellungsfristen die Zuständigkeit der deutschen nationalen Behörden zur Prüfung des Asylverfahrens gegeben ist.

Denn der Asylbewerber hat gemäß Art. 3 Abs. 1 Satz 1 Dublin II VO, Art. 3 Abs. 1 Satz 1 Dublin III VO  bzw. Art. 16a Abs. 1 GG ein subjektiv-öffentliches Recht auf die Durchführung eines ordnungsgemäßen Asylverfahrens.

Allein  durch den Fristablauf im Rahmen des Überstellungsverfahrens wird zwar zur Überzeugung der Kammer auch weiterhin kein subjektives Recht auf Durchführung des Asylverfahrens in Deutschland begründet. Aber durch den Fristablauf wird das Verfahren gleichsam in den Zustand zurückversetzt, in dem es sich bei Antragstellung in Deutschland befunden hat, wenn das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge selbst die Zuständigkeit für die Durchführung des Asylverfahrens übernimmt. Damit lebt die Pflicht des Bundesamtes zur Behandlung des Asylantrages wieder auf.

Dies schließt die Pflicht zur Durchführung eines ordnungsgemäßen Asylverfahrens einschließlich einer Anhörung gem. § 71 a Abs. 2 i.V.m.  § 24 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG in Deutschland ein. Ob von der Anhörung – wovon das Bundesamt offenbar regelmäßig ausgeht – gem. § 71 a Abs. 2 Satz 1 AsylVfG abgesehen werden konnte, kann nicht überprüft werden, weil den Asylbewerbern nicht bekannt war, dass ihr Begehren jetzt als Zweitantrag gewertet werden soll.

Erst im Anschluss an eine ordnungsgemäße Anhörung kann das Bundesamt  prüfen, ob es sich um einen Erst- oder um einen Zweitantrag handelt (vgl. VG Würzburg, Urteil vom 27.11.2014 – W 3 K 13.30553 -, juris -).

b) Auch materiell - rechtlich unterliegt Ziffer 2 des angefochtenen Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge der Aufhebung.

aa) Allerdings verkennt die Kammer nicht, dass der angefochtene Bescheid in seiner ursprünglichen Form rechtmäßig war. Wie bereits dargelegt, können die Kläger grundsätzlich den Ablauf der Überstellungsfrist gegen die Rechtmäßigkeit der Feststellung der Unzulässigkeit des Asylantrages durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlingen nicht einwenden.

Durch die zwischenzeitlich mit Schriftsatz des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 21.1.2015 vorgenommene Umdeutung der Feststellung der Unzulässigkeit des Asylantrages in eine Ablehnung eines so genannten Zweitantrages gemäß § 71 a AsylVfG erhält aber Ziffer 1 des angefochtenen Bescheides jedenfalls aus der hier zunächst allein zu bewertenden Sicht des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge eine neue Qualität, weil es jetzt von einer Ablehnung eines Zweitantrages gem. § 71 a AsylVfG ausgeht.

bb) Diese Umdeutung ist allerdings rechtswidrig. Ein fehlerhafter - rechtswidriger oder nichtiger - Verwaltungsakt kann gemäß § 47 Abs. 1 VwVfG in einen anderen Verwaltungsakt umgedeutet werden, wenn er auf das gleiche Ziel gerichtet ist, von der erlassenden Behörde in der geschehenen Verfahrensweise und Form rechtmäßig hätte erlassen werden können und wenn die Voraussetzungen für dessen Erlass erfüllt sind. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sind unter diesen Voraussetzungen sogar die Verwaltungsgerichte im Gerichtsverfahren ermächtigt, fehlerhafte Verwaltungsakte umzudeuten (vgl. BVerwG, Urteil vom 23.11.1999 – 9 C 16/99 -, BVerwGE 110, 111; InfAuslR 2000, 125 zur Umdeutung eines asylrechtlichen Widerrufs in eine Rücknahme ; Urteil vom 24. November 1998 - BVerwG 9 C 53.97 - BVerwGE 108, 30 <35> unter Hinweis auf BVerwGE 80, 96; ferner BVerwG, Beschluss vom 5. Februar 1993 - BVerwG 7 B 107.92 - Buchholz 316 § 45 VwVfG Nr. 23 = NVwZ 1993, 976; Beschluss vom 30. Januar 1992 - BVerwG 2 CB 15.90 - Buchholz 232 § 31 BBG Nr. 56; Beschluss vom 1. Juli 1983 - BVerwG 2 B 176.81 - Buchholz 316 § 47 VwVfG Nr. 4 = NVwZ 1984, 645 und Urteil vom 10. Juni 1981 - BVerwG 8 C 15.81 - BVerwGE 62, 300, 306).

Außerdem dürfen die Rechtsfolgen für den Betroffenen nicht ungünstiger sein (§ 47 Abs. 2 Satz 1 VwVfG).

Das ist hier nicht der Fall.

Sobald auch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge selbst von der Zuständigkeit der deutschen nationalen Behörden zur Prüfung des Asylbegehrens des Asylbewerbers ausgeht, verändert dieser Umstand in maßgeblicher Hinsicht die materiell-rechtliche Tragweite der vom Bundesamt getroffenen Entscheidung.

Denn die Entscheidung im Dublin-Verfahren betrifft allein die Frage, welcher Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylbegehrens zuständig ist. Dagegen muss im Rahmen der Prüfung eines Zweitantrages gem. § 71a Abs. 1 AsylVfG festgestellt werden, ob seit der Beendigung des Asylverfahrens in einem anderen Mitgliedstaat Gründe für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG eingetreten sind, es muss damit eine Beurteilung des inhaltlichen Vortrags des Asylbewerbers erfolgen. Darüber hinaus müssen gem. §§ 71a Abs. 2, 24 Abs. 2 AsylVfG auch die nationalen Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG geprüft werden. Eine inhaltliche Ablehnung des Asylbegehrens ist zudem für den Antragsteller ungünstiger als der bloße Verweis auf das Verfahren in einem anderen Mitgliedstaat.

Damit würde aber der Bescheid ganz andere Rechtswirkungen erhalten, die in dem ursprünglichen Ausgangsbescheid keine Rolle gespielt haben und somit auch darin nicht enthalten waren.

Deshalb scheitert  die vom Bundesamt vorgenommene Umdeutung der Ziffer 1 des Bescheides bereits an der Zielgleichheit des Umdeutungsergebnisses.

cc) Allerdings verkennt die Kammer nicht, dass grundsätzlich eine nicht zulässige Umdeutung des Verwaltungsaktes lediglich dazu führt, dass der – inzwischen durch Fristablauf objektiv rechtswidrige - Verwaltungsakt in seinem ursprünglichen Regelungsgehalt bestehen bleibt und damit auch mit seinem ursprünglichen Regelungsgehalt Prüfungsgegenstand im verwaltungsgerichtlichen Verfahren bliebe. Dies hätte zur Folge, dass die Kläger gegen den Bescheid nicht geltend machen könnten, wegen des Fristablaufs in ihren subjektiven Rechten verletzt zu sein (s.o.).

Diese fehlende Verletzung von subjektiven Rechten der Kläger hat der EuGH in seinen oben genannten Entscheidungen allerdings damit begründet, dass die entsprechenden Vorschriften der Dublin II bzw. Dublin III VO allein die Zuständigkeiten zwischen den Mitgliedstaaten regeln sollen. Dadurch, dass jetzt – nach Ablauf der Überstellungsfrist – aber die Zuständigkeit der deutschen Behörden unstreitig und auch nach Auffassung der Beklagten gegeben ist, entfällt der Sinn und Zweck dieser (Zuständigkeits-) Regelung.

Dementsprechend versucht das beklagte Bundesamt für Migration und Flüchtlinge – im Ergebnis erfolglos – Ziffer 1 des angefochtenen Bescheides in die Ablehnung eines Zweitantrages gemäß § 71 a AsylVfG umzudeuten mit der Folge, dass dann nur noch über die Durchführung eines dritten (?) Asylverfahrens bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 VwVfG bzw. allein über das Vorliegen von nationalen Abschiebungshindernissen gemäß § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG zu entscheiden wäre und fordert die Asylbewerber schriftlich auf, Wiederaufgreifensgründe im Sinne des § 51 VwVfG vorzutragen. Der Kammer erschließt sich in diesem Zusammenhang bereits nicht, ab welchem Zeitpunkt die Beklagte davon ausgehen will, dass die dreimonatige Frist des § 51 Abs. 3 VwVfG zum Vorbringen neuer Tatsachen durch die Asylbewerber beginnen soll und in welchem Rahmen das Verschuldenserfordernis des § 51 Abs. 2 VwVfG geprüft werden soll. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass die Kläger jedenfalls bis zum Erhalt des Schriftsatzes der Beklagten vom 21.01.2015 davon ausgehen mussten, dass Streitgegenstand im vorliegenden Fall auch aus der Sicht der Beklagten allein ihre Überstellung nach Schweden war.

Deshalb gebietet es auch der in Art. 19 Abs. 4 GG normierte Grundsatz der Gewährung effektiven Rechtsschutzes,  Ziffer 1 des angefochtenen Bescheides aus Klarstellungsgründen aufzuheben, um den durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge  durch die von ihm vorgenommene Umdeutung des angefochtenen Bescheides gesetzten Rechtsschein zu beseitigen.