Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 29.07.1994, Az.: 7 A 104/92

Erteilung einer Fachkundebescheinigung; Anspruch auf fehlerfreie Neubescheidung; Genehmigung zum Umgang mit sonstigen radioaktiven Stoffen; Betrieb einer Anlage zur Erzeugung ionisierender Strahlen; Ausübung der Heilkunde am Menschen; Nachweis und Besitz der Fachkunde

Bibliographie

Gericht
VG Lüneburg
Datum
29.07.1994
Aktenzeichen
7 A 104/92
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1994, 11100
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGLUENE:1994:0729.7A104.92.0A

Verfahrensgegenstand

Fachkundebescheinigung nach Strahlenschutzverordnung

Prozessführer

Herr Dr. med. ...

Prozessgegner

Ärztekammer ...

Redaktioneller Leitsatz

  1. 1.

    Die Erteilung der Fachkundebescheinigung ist keine die Berufswahl beeinflussende Entscheidung.

  2. 2.

    Eine detaillierte Definition des Begriffs "Fachkunde" ist nicht möglich, denn "Fachkunde" ist kein feststehender Begriff, sondern hängt im Einzelfall jeweils von der Art und dem Umfang des Umgangs mit radioaktiven Stoffen ab.

In der Verwaltungsrechtssache
hat die 7. Kammer des Verwaltungsgerichts Lüneburg
auf die mündliche Verhandlung vom 7. März 1994
durch
den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgericht ...,
die Richterinnen am Verwaltungsgericht ... sowie
die ehrenamtlichen Richter Manfred ... und Hermann ...
für Recht erkannt:

Tenor:

Der Bescheid der Beklagten vom 26. November 1991 und ihr Widerspruchsbescheid vom 10. Mai 1992 werden aufgehoben.

Die Beklagte wird verpflichtet, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.

Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.

Gründe

1

I.

Der Kläger begehrt die Erteilung einer Fachkundebescheinigung nach § 6 Abs. 2 Strahlenschutzverordnung (StrlSchVO).

2

Der Kläger ist niedergelassener Arzt für Radiologie mit Praxis in .... Er war in der Zeit vom 1. April 1984 bis 28. Februar 1991 als Assistenzarzt in der Radiologischen Abteilung des Städtischen Krankenhauses ... beschäftigt. Am 22. August 1991 beantragte er über die Kassenärztliche Vereinigung ... Bezirksstelle ..., die Erteilung einer Fachkundebescheinigung gemäß § 6 Abs. 2 der StrlSchVO für die Anwendungsgebiete "Offene radioaktive Stoffe, Gesamtgebiet (Diagnostik und Therapie)", "Umschlossene radioaktive Stoffe zur interstistiellen und intrakavitären Therapie sowie zur Kontakttherapie und zur Implantation (Strahler) - alle Anwendungsgebiete -" sowie für "Bestrahlungseinrichtungen mit radioaktiven Quellen (Gammabestrahlungseinrichtungen)". Er reichte ein eine Aufstellung über von ihm in der Radiologischen Abteilung des Städtischen Krankenhauses Lüneburg durchgeführte fachspezifische Untersuchungen, eine Bescheinigung des Chefarztes der Radiologischen Abteilung, Privatdozent Dr. med. ..., über Umfang und Zahl von dem Kläger durchgeführter Computer-Tomographien, Teilnahmebescheinigungen an Fortbildungsveranstaltungen der Medizinischen Hochschule ... bezüglich des Erwerbs der Fachkunde im Strahlenschutz beim Umgang mit radioaktiven Stoffen im medizinischen Bereich, des Strahlenschutzes in der Röntgendiagnostik und, eines Grundkurses Strahlenschutz sowie ein umfängliches Zeugnis der Stadt ... über Umfang und zeitliche Erstreckung der Einsätze des Klägers im Bereich der Radiologie, Strahlendiagnostik und Nuklearmedizin. Der Kläger wiederholte seinen Antrag unter dem 04.10.1991, gab da aber als Anwendungsgebiet nur noch an: "Offene radioaktive Stoffe, Gesamtgebiet (Diagnostik und Therapie)".

3

Die Beklagte lehnte den Antrag, den der Kläger nochmals unter dem 5. November 1991 wiederholt hatte, mit Bescheid vom 26. November 1991 ab mit der Begründung, das Zeugnis der Stadt ... vom 6. Juni 1991 genüge nicht den Anforderungen der "Richtlinie Strahlenschutz in der Medizin", denn nach deren Anlage A 4 solle das Zeugnis Angaben über die Art. der Tätigkeit zum Erwerb der Sachkunde im jeweiligen Anwendungsgebiet aufführen und über die Zahl der Untersuchungen präzise Angaben machen. Im Zeugnis werde zwar bestätigt, daß der Kläger sich 32 Monate in der Nuklearmedizin solide Grundkenntnisse erworben und Lokalisations- und Funktionsuntersuchungen durchgeführt sowie sich besonders mit der in-vitro-Diagnostik befaßt habe, diese Angaben ließen jedoch nicht erkennen, welchen zeitlichen Anteil die nuklearmedizinische Tätigkeit in den 32 Monaten Strahlentherapie ausgemacht habe. Es sei auch nicht erkennbar, weiche Untersuchungen in welchem Umfang erfolgt seien. In Ermangelung dieser Angaben sei eine Beurteilung, ob die Sachkunde bei der diagnostischen Anwendung von offenen radioaktiven Stoffen wirklich erworben sei, nicht möglich. Präzise Angaben seien jedoch im Sinne des Strahlen Schutzes sowohl im Hinblick auf das Personal als auch auf die Patienten zwingend notwendig.

4

Der Kläger erhob Widerspruch im wesentlich mit der Begründung, er sei von der Stadt Lüneburg zum Strahlenschutzbeauftragten im Krankenhaus Lüneburg bestellt gewesen, woraus der Schluß zu ziehen sei, daß er die nötige Fachkunde besitzen müsse. In der Radiologischen Abteilung des Krankenhauses ... sei jeweils die Nuklearmedizin von dem dafür zuständigen Arzt vollständig abgedeckt worden. Dieses habe den Umgang mit offenen und in seinem Fall auch mit umschlossenen radioaktiven Nukliden beinhaltet. Es seien sämtliche typischerweise von einer solchen Abteilung durchgeführten in-vitro- und in-vivo-Untersuchungen von ihm durchgeführt und auch abschließend befundet worden. Da im übrigen die Abteilung, in der er tätig gewesen sei und auf die sich die vorgelegten Zeugnisse bezögen, über alle gängigen apparativen Voraussetzungen zur Durchführung üblicherweise in Schwerpunktkrankenhäusern vorzunehmender nuklearmedizinischer Untersuchungen sowohl in diagnostischer wie auch in therapeutischer Sicht verfügte, seien die Voraussetzungen für die Fachkundebescheinigung erfüllt, auch wenn die von ihm vorgenommenen Untersuchungen nicht im einzelnen zahlenmäßig aufgeführt worden seien.

5

Die von der Beklagten daraufhin eingeschaltete "Ärztliche Stelle Niedersachsen/Bremen nach § 16 Abs. 3 RöV" vertrat die Ansicht, daß die Voraussetzungen zur Erteilung der Bescheinigung nicht gegeben seien, da das Zeugnis nicht, wie es die Richtlinie Strahlenschutz in der Medizin in A 1, 1.1 fordere, nach den Gesichtspunkten der Anlage 4 erstellt sei, es fehlten Angaben über spezielle Tätigkeiten. Zwar setze die Bestellung zum Strahlenschutzbeauftragten die Fachkunde voraus, eine Fachkundebescheinigung besitze der Kläger jedoch nicht. Durch Widerspruchsbescheid vom 18. Mai 1992 wies die Beklagte den Widerspruch zurück, im wesentlichen unter Wiederholung der Begründung des angefochtenen Ausgangsbescheides.

6

Auf den am 22. Mai 1992 zugestellten Widerspruchsbescheid hat der Kläger am 22. Juni 1992 Klage erhoben, mit der er sein Begehren weiterverfolgt. Unter Beweisantritt wiederholt er im wesentlichen seine Widerspruchsbegründung. Ergänzend führt er aus, er sei insgesamt 46 Monate lang nuklearmedizinisch tätig gewesen, die sich zusammensetzten aus 12 Monaten Strahlentherapie und Nuklearmedizin (März 84 bis März 85), 12 Monaten Nuklearmedizin (Januar 87 bis Dezember 87), 6 Monaten Nuklearmedizin mit Unterstellung der gesamten nuklearmedizinischen Labordiagnostik mit Beschaffung (Januar 88 bis Juni 88), 10 Monaten Strahlentherapie und Nuklearmedizin (Juli 88 bis April 89) und weiteren 6 Monaten Nuklearmedizin (August 90 bis Februar 91). Da monatlich in der Abteilung sowohl in der in-vivo- wie auch in der in-vitro-Diagnostik jeweils nicht weniger als 160 bis 180 Patienten untersucht worden seien, ergebe sich eine mehr als ausreichende Anzahl durchgeführter Untersuchungen. Eine Ergänzung des Zeugnisses sei ihm verweigert worden.

7

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide vom 26. November 1991 und 18. Mai 1992 zu verpflichten, dem Kläger eine Fachkundebescheinigung nach § 6 Abs. 2 der Strahlenschutzverordnung zu erteilen.

8

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

9

Sie hält an den angefochtenen Bescheiden fest, wobei sie ausgeht von dem Antrag des Klägers vom 22. August 1991. Sie bemängelt nach wie vor die fehlende Spezifikation der Zeitanteile des Klägers in der Nuklearmedizin und der während dieser Zeit durchgeführten und beurteilten Untersuchungen. Eine Ergänzung des Zeugnisses durch den weiterbildenden Arzt sei unverzichtbar. Die Bestellung zum Strahlenschutzbeauftragten ersetze diesen Mangel nicht, zumal diese an sich voraussetze, daß eine Fachkundebescheinigung vorgelegt werde, deren Ausstellung allein der Beklagten obliege. Durch Erhebung der vom Kläger angebotenen Beweise könnten die Voraussetzungen nicht erfüllt werden.

10

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.

11

II.

Die zulässige Klage ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Die angefochtenen Bescheide verletzen den Kläger in seinen Rechten, er hat Anspruch auf fehlerfreie Neubescheidung.

12

Gemäß § 6 Abs. 2 i.V.m. § 3 Abs. 1 der aufgrund der Ermächtigungen in §§ 10 bis 12, 54 Atomgesetz ergangenen Strahlenschutzverordnung, zur Zeit geltend in der Fassung der Neubekanntmachung vom 30. Juni 1989 (BGBl. I, S. 1321), zuletzt geändert durch Einigungsvertrag vom 31.08.1990 (BGBl. II, S. 889, 1116) - StrlSchVO -, darf die Genehmigung zum Umgang mit sonstigen radioaktiven Stoffen i.S. § 2 Abs. 1 Nr. 2 Atomgesetz - AtG - im Zusammenhang mit der Ausübung der Heilkunde am Menschen nur erteilt werden, wenn der Antragsteller oder der von ihm schriftlich bestelle Strahlenschutzbeauftragte als Arzt. ... approbiert oder ihm die vorübergehende Ausübung des ärztlichen Berufs erlaubt ist und er oder der von ihm bestellte Strahlenschutzbeauftragte die für den Strahlenschutz erforderliche Fachkunde besitzt. Ergänzend dazu bestimmt § 19 Abs. 2 StrlSchVO, daß eine Anlage zur Erzeugung ionisierender Strahlen im Zusammenhang mit der Ausübung der Heilkunde am Menschen nur betrieben werden darf, wenn der Antragsteller oder sein Strahlenschutzbeauftragter die für den Strahlenschutz erforderliche Fachkunde besitzt. Die Fachkunde ist durch eine Bescheinigung, die von der nach Landesrecht zuständigen Stelle auszustellen ist, nachzuweisen (§§ 6 Abs. 2 Satz 2, 19 Abs. 2 Satz 2 StrlSchVO). In Niedersachsen ist als zuständige Stelle durch die Verordnung über die Regelung von Zuständigkeiten im Gewerbe- und Arbeitsschutzrecht sowie in anderen Rechtsgebieten vom 19. Dezember 1990, zuletzt geändert durch Verordnung vom 18. August 1993 (Nds. GVBl., S. 300), gemäß Ziffer 6.2.1 der Anlage 2 zu § 1 der Verordnung die Ärztekammer für die Erteilung der Fachkundebescheinungen nach den §§ 6 Abs. 2, 19 Abs. 2 StrlSchVO zuständig. Die Übertragung dieser Zuständigkeit auf die Ärztekammer ist zulässig, denn nach § 12 des Niedersächsischen Kammergesetzes für die Heilberufe vom 30.05.1980, zuletzt geändert durch Gesetz vom 28. März 1990 (Nds. GVBl. 125), darf das Landesministerium durch Verordnung den Kammern staatliche Aufgaben des Gesundheitswesens zur Erfüllung nach Weisung (Auftragsangelegenheiten) übertragen. Die vorgenannte Zuständigkeitsverordnung bezieht sich in ihrem Einleitungssatz u.a. auf diese gesetzliche Bestimmung. Demnach ist die Beklagte für die Erteilung der begehrten Fachkundebescheinigung zuständig.

13

Inhaltliche Bestimmungen dessen, was an Fachkunde verlangt wird, enthalten weder die Strahlenschutzverordnung noch das oben genannte Kammergesetz, noch - soweit ersichtlich - andere landesrechtliche Bestimmungen. Zwar wird unter Fachkunde allgemein zu verstehen sein "theoretisches Wissen und praktische Erfahrungen bei der Verwendung von nuklear-medizinischen Einrichtungen sowie im Strahlenschutz auf dem jeweiligen Verwendungsgebiet" (Kramer/Zerlett, Strahlenschutzverordnung, 3. Aufl., § 4 Anm. 19). Eine detaillierte Definition, die für sämtliche Bereiche des Umgangs gelten würde, ist jedoch nicht möglich, denn "Fachkunde" ist kein feststehender Begriff, sondern hängt im Einzelfall jeweils von der Art und dem Umfang des Umgangs mit radioaktiven Stoffen ab (Kramer/Zerlett, a.a.O.). Hinweise auf den Umfang der Anforderungen lassen sich allerdings insoweit gewinnen, als die Strahlenschutzverordnung zur Erreichung der in § 1 AtG beschriebenen Zwecke erlassen ist. Ihr Ziel ist in erster Linie, Leben, Gesundheit und Sachgüter vor den Gefahren der Kernenergie und der schädlichen Wirkung ionisierender Strahlen zu schützen und darüber hinaus - durch Kernenergie oder ionisierende Strahlen verursachte Schäden auszugleichen (§ 1 Nr. 2 Atomgesetz, vgl. Kramer/Zerlett, a.a.O., Einführung B 1). Speziell für den Bereich der medizinischen Anwendung enthält § 42 StrlSchVO zusätzliche Regelungen, die geprägt sind vom sog. Minimierungsgebot. Danach dürfen radioaktive Stoffe oder ionisierende Strahlen unmittelbar am Menschen nur angewendet werden, wenn dies aus ärztlicher Indikation geboten ist. Die durch die ärztliche Untersuchung bedingte Strahlenexposition ist so weit einzuschränken, wie dies mit den Erfordernissen der medizinischen Wissenschaft zu vereinbaren ist, dies gilt insbesondere bei bestehender Schwangerschaft. Bei der Behandlung mit radioaktiven Stoffen oder ionisierenden Strahlen muß Dosis und Dosisverteilung den Erfordernissen der medizinischen Wissenschaft entsprechen. Denn der Arzt hat bei Anwendung radioaktiver Stoffe oder ionisierender Strahlen in besonderem Maße den Grundsatz des "primum nil nocere" zu beachten (Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, 1992, § 136 RdNr. 8). Daraus ist herzuleiten, daß ein Arzt, der die Fachkundebescheinigung begehrt, die Gewähr dafür bieten muß, d.h. über die nuklearmedizinischen Kenntnisse und die praktischen Erfahrungen verfügen muß (BayVGH, Urt. v. 30.11.1992 - 22 B 90.445 - Veröffentlichung nicht bekannt), diese Zielsetzungen des Gesetzes und der Verordnung einzuhalten.

14

Näher dargelegt sind die Fachkundeanforderungen in der "Richtlinie für den Strahlenschutz bei Verwendung radioaktiver Stoffe und beim Betrieb von Anlagen zur Erzeugung ionisierender Strahlen und Bestrahlungseinrichtungen mit radioaktiven Quellen in der Medizin" (Richtlinie Strahlenschutz in der Medizin) des Bundesministers des Innern vom 18.10.1979 (GMBl. 1979, 638 f) - im folgenden "Richtlinie 1979" - bzw. in der diese Richtlinie mit Wirkung ab 1. Juni 1993 ersetzenden "Richtlinie Strahlenschutz in der Medizin" vom 14.10.1992 des Bundesministers für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (GMBl. 1992, 991) - "Richtlinie 1992" -. Diese Richtlinien entsprechen zwar vom Regelungsgehalt her einer allgemeinen Verwaltungsvorschrift i.S. Art. 85 Abs. 2 GG, da sie aber nicht von der Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrats erlassen sind, entfalten sie für die Bundesländer keine Bindungswirkung (OVG NW, Urt. v. 22.05.1990 - 5 A 216/88 - MedR 1990, 357-359; BayVGH, a.a.O.). Der Bundesminister "bittet" deshalb jeweils, die Regelungen dieser Richtlinie anzuwenden.

15

Die Beklagte hat sich bei ihren ablehnenden Entscheidungen auf die seinerzeit geltende "Richtlinie 1979" gestützt. Diese bestimmte in Anlage 1 unter A 1.1, daß als Bedingung für den Erwerb der Fachkunde im Strahlenschutz für die Anwendung radioaktiver Stoffe und ionisierender Strahlen direkt am Menschen theoretische Kenntnisse und praktische Erfahrungen in der Anwendung radioaktiver Stoffe und ionisierender Strahlen am Patienten auf dem jeweiligen medizinischen Anwendungsgebiet (= Sachkunde) zu erwerben und nachzuweisen seien, wobei der Erwerb der Sachkunde durch Zeugnisse nach den in der Anlage A 4 zu der Richtlinie niedergelegten Gesichtspunkten nachzuweisen sei. Unter A 1.2 folgt eine eingehende Beschreibung der zu erwerbenden erforderlichen Fachkunde auf den verschiedenen Anwendungsgebieten, nämlich "offene radioaktive Stoffe", "umschlossene radioaktive Stoffe" und "Bestrahlungseinrichtungen mit radioaktiven Quellen". Die Anlage A 4 bestimmte über den Inhalt der Zeugnisse, daß deren Abfassung frei erfolgen könne, sich jedoch nach einzelnen niedergelegten Gesichtspunkten richten solle. Einer der Gesichtspunkte ist in A 4.1.6 beschrieben mit "Angabe der Zeitdauer und Art der Tätigkeit, die zum Erwerb der Sachkunde auf dem jeweiligen Anwendungsgebiet geführt hat, und Darstellung der Anzahl der Anwendungen und Untersuchungen in bezug auf radioaktive Stoffe und ionisierende Strahlen". Die Richtlinie 1992, die teilweise weitergehende Anforderungen an den Erwerb der Fachkunde stellt, ist in Anlage 4 1.6 insoweit wortidentisch. Auf die Ziff. A 4 1.6 stützt sich die Beklagte, wenn sie geltend macht, es fehle in dem vom Kläger vorgelegten Zeugnis die Angabe der Zeitdauer und Art der Tätigkeit auf dem jeweiligen Anwendungsgebiet und Darstellung der Anzahl der Anwendungen und Untersuchungen in bezug auf radioaktive Stoffe und ionisierende Strahlen. In der Tat sind dem Kläger in den genannten Zeugnissen nur Zeiträume mit dem Bemerken, er habe alle anfallenden Anwendungen und Untersuchungen durchgeführt, bestätigt worden, nicht jedoch für einzelne der in der Anlage A 1 unter Ziff. 2 f. beschriebenen Tätigkeiten aufgeschlüsselt und die Zahl der Anwendungen und Untersuchungen nicht beschrieben. Der Kläger hat allerdings in der Klageschrift dazu monatsbezogene Angaben gemacht. Dies genügt der Beklagten aber nach wie vor nicht, weit diese nicht im Zeugnis stehen. Darauf kann die Beklagte sich jedoch nicht stützen.

16

Grundsätzlich bestehen keine Bedenken, wenn die im Sinne §§ 6 Abs. 2 Satz 2, 19 Abs. 2 Satz 2 StrlSchVO zuständige Landesbehörde sich bei den für den Fachkundenachweis zu stellenden Anforderungen an Richtlinien ausrichtet. Die Grundsätze, die das Bundesverfassungsgericht im sogenannten Facharzturteil vom 09.05.1972 (NJW 1972, 1504 ff = BVerfGE 33, 125 ff [BVerfG 25.04.1972 - 1 BvL 14/71]) aufgestellt hat, wonach jedenfalls die die Berufswahl beeinflussenden grundsätzlichen Regelungen durch den Gesetzgeber zu treffen sind und nicht dem Verordnungs- und/oder dem Satzungsgeber autonomer juristischer Personen überlassen bleiben dürfen, greifen vorliegend nicht ein. Die Erteilung der Fachkundebescheinigung ist keine die Berufswahl beeinflussende Entscheidung. Denn die Facharztbezeichnung ist "Arzt für Radiologie", die dem Kläger bereits am 27. Juni 1990 verliehen worden ist. Die Richtlinien "Strahlenschutz in der Medizin" enthalten präventive, der Erfüllung des Zweckes der § 1 AtG und § 42 StrlSchVO dienende Regelungen zum Schütze der Allgemeinheit vor den von der Anwendung radioaktiver Stoffe und ionisierender Strahlen ausgehenden Gefahren unabhängig von der jeweiligen Berufsausübung (OVG Münster, a.a.O.; BayVGH, a.a.O.). Durch Runderlaß vom 15. September 1960 (MBl. S. 1348) hatte der Niedersächsische Minister für Soziales der Beklagten aufgegeben, die Anlagen 1, 3, 4, 6, 7 und 15 der "Richtlinie 1979" bei der Erteilung von Fachkundebescheinigungen gemäß § 6 Abs. 2 StrlSchVO zu beachten. Dies band die Beklagte intern, denn die Erteilung der Fachkundebescheinigung gehört zum übertragenen, der eigenen Entscheidungshoheit entzogenen Wirkungsbereich der Beklagten. Mit Runderlaß vom 2. November 1992 (MBl. S. 1529) hat der inzwischen zuständig gewordene Niedersächsische Minister für Umwelt die "Richtlinie 1992" generell für anzuwendend erklärt, ohne, wie früher, Einschränkungen auf bestimmte Teile der Richtlinie. Die Beklagte ist seit 1980, wie sie unwidersprochen vorgetragen hat, bei der Erteilung von Fachkundebescheinigungen der hier streitigen Art nach den Richtlinien, soweit ihr die Anwendung aufgegeben war, verfahren. Sie ist daher zumindest unter dem Gesichtspunkt der Selbstbindung gegenüber Dritten an diesen Anwendungsumfang gebunden. Allerdings ist sie dabei nicht befugt, auch nicht in Gestalt ständiger Verwaltungspraxis, zusätzliche über den Anforderungskatalog der Richtlinien hinausgehende Anforderungen an den Erwerb der Fachkunde zu stellen. Denn der Behörde ist für die Erteilung der Fachkundebescheinigung kein Ermessen eingeräumt, da nach § 6 Abs. 2 Satz 2 bzw. § 19 Abs. 2 Satz 2 StrlSchVO eine Bescheinigung zu erteilen ist, wenn die Fachkunde nachgewiesen ist. Dies erfordert eine über den Einzelfall der Entscheidung hinausgehende präzise Bestimmung der Anforderungen an den Erwerb der Fachkunde, um zum einen der zuständigen Steile verläßliche Maßstäbe in die Hand zu geben, zum anderen dem den Fachkundenachweis benötigenden Arzt eine Richtschnur dessen zu geben, was er an Fachkunde erwerben und welche Nachweise er erbringen muß.

17

Die Beklagte hat hier - über den Anforderungsumfang der Richtlinien hinaus - jedoch zusätzliche Anforderungen gestellt. Was nach den Richtlinien 1979 bzw. 1992 an Fachkunde zu erwerben ist, ist jeweils in der Anlage 1.2 aufgeführt. Der Erwerb der Sachkunde ist alsdann nach Nr. A 1 1.1 a.E. durch Zeugnisse nachzuweisen. Eindeutig haben demnach die Zeugnisse lediglich Nachweischarakter. Ihr Inhalt hat sich darauf zu beschränken, zu bestätigen bzw. differenziert darzustellen, ob und in welchem Umfang den Anforderungen der Anlage 1.2 genügt worden ist, und sich - Anlage 4.3 - abschießend darüber zu äußern, ob der zu Beurteilende nach Ansicht des oder der Ärzte, bei dem oder denen die Sachkunde im Strahlenschutz erworben wurde, die erforderlichen Kenntnisse und Erfahrungen besitzt. Auch Ziffer 1.6 der Anlage 4 enthält danach nur eine "Sollregelung" bezüglich des Inhalts des Zeugnisses, die Handhabung der Beklagten geht jedoch darüber hinaus, Nach Ziffer 1.6 soll das Zeugnis auch Angaben der Zeitdauer und der Art der Tätigkeit, die zum Erwerb der Sachkunde auf dem Jeweiligen Anwendungsgebiet geführt hat, und Darstellung der Anzahl der Anwendungen und Untersuchungen in bezug auf radioaktive Stoffe und ionisierende Strahlen enthalten. Indern die Beklagte das Fehlen dieser Angaben als Anlaß zur Verweigerung der Fachkundebescheinigung nimmt, legt sie der Anzahl der Anwendungen und Untersuchungen den Charakter von Anforderungen an den Erwerb von Fachkunde bei. Das ist unrichtig. Denn insbesondere eine bestimmte Anzahl der Anwendungen und Untersuchungen ist in dem Katalog der zu erwerbenden Fachkunde in A 1.2 nicht aufgeführt. An keiner steile der "Richtlinien" findet sich dort insoweit eine Vorgabe, daß eine bestimmte Anzahl von Anwendungen und Untersuchungen innerhalb eines bestimmten Zeitraumes durchzuführen sind. Das beruht darauf, daß ohnehin die Sachkunde nur an Institutionen erworben werden kann, die von der nach Landesrecht für die Fachkundebescheinigung zuständigen Stelle anerkannt worden sind. Dies werden grundsätzlich nur solche Krankenhäuser und andere Einrichtungen sein, die die Gewähr dafür bieten, daß sämtliche üblicherweise anfallenden Anwendungsfälle von Behandlungen oder Untersuchungen mit radioaktiven Stoffen und ionisierenden Strahlen in hinreichender Zahl anfallen. Mit der Bestimmung der Mindestzeiträume, in denen der Fachkundebewerber dort tätig gewesen sein muß, ist die Erwartung verbunden, daß dies genügt, die notwendige Erfahrung und Routine zu gewinnen, um die Gewähr des Erwerbs hinreichender Fachkunde zu bieten. Ohne die Festschreibung bestimmter Mindestanzahlen von Anwendungen und Untersuchungen im Anforderungskatalog macht das Verlangen nach einer Angabe dieser Zahlen in einem Zeugnis wenig Sinn, denn mangels entsprechender Vorgaben kann daraus kein maßgeblicher Schluß gezogen werden, ob die Fachkunde gewonnen ist oder nicht. Der Angabe über Anzahl der Anwendungen und Untersuchungen im Zeugnis kann daher nur deklaratorische Bedeutung zukommen. Diese Deklaration kann dann aber auch außerhalb eines Zeugnisses gemacht werden, wie es der Kläger hier im vorliegenden Verfahren auch getan hat.

18

Dem Klagebegehren kann jedoch nicht in dem Sinne entsprochen werden, daß die Beklagte zur Erteilung der Fachkundebescheinigung verpflichtet wird, denn insoweit ist die Sache nicht spruchreif, die Beklagte ist dahin zu verpflichten, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden (§ 113 Abs. 5 VwGO). Denn zum einen hat die Beklagte offensichtlich bisher nicht geprüft, ob im übrigen die Voraussetzungen für die Fachkundebescheinigung erfüllt sind, wenn es des Nachweises der Anzahl der Anwendungen und Untersuchungen nicht bedarf. Da ihr insoweit ein gerichtlicher Überprüfung nicht zugänglicher Beurteilungsspielraum zusteht (vgl. BVerwG, Urt. v. 07.11.1985 - DVBl. 1986, 565, 566), kann das Gericht nicht anstelle der Behörde entscheiden. Hinzu kommt noch folgendes: Gegenüber der Richtlinie 1979 enthält die Richtlinie 1992 insoweit eine zusätzliche Voraussetzung für die Erteilung der Fachkundebescheinigung, als nunmehr in Anlage 1 Ziffer 1.3 Satz 2 neben den vorzulegenden Zeugnissen ein erfolgreich abgelegtes Fachgespräch, das die für den Strahlenschutz erforderliche Fachkunde zum Gegenstand hat, verlangt wird. Zum Zeitpunkt der hier allein maßgeblichen mündlichen Verhandlung galt diese Richtlinie für die Beklagte aufgrund des obengenannten Runderlasses vom 2. November 1992 bereits. Denn grundsätzlich beurteilen sich Verpflichtungsklagen, wenn sich das sachliche Recht nach der Behördenentscheidung ändert, nach dem sich zur Zeit der gerichtlichen Entscheidung für den Streitfall Geltung zumessenden Recht (BVerwG, ständige Rechtsprechung seit Urteil v. 26.04.1966, BVerwGE 29, 304, 305[BVerwG 26.04.1968 - VI C 104/63]; vgl. Kopp, VwGO, 9. Aufl., § 113 Rdnr, 99 m.w.Nachw.). Dies gilt selbst im Berufszulassungs- und -prüfungsrecht (vgl. dazu BVerwG, Urteil v. 07.11.1985, a.a.O.; BayVGH, Urteil v. 27.04.1981, DVBl. 1981, 1158, 1159). Mangels hier angeordneter Übergangsregelung, wonach etwa bereits anhängige Verfahren zum Erwerb der Fachkundebescheinigung nach der früheren Richtlinienlage zu entscheiden sind, ist nunmehr die Entscheidung auf der Basis der "Richtlinie 1992" zu treffen. Dies erfordert eine neuerliche Beurteilung durch die Beklagte, ob die Voraussetzungen erfüllt sind, und bedarf des Fachgespräches.

19

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Kammer sah keinen Anlaß, hier die Kosten gemäß § 155 VwGO zu quoteln, da die Beklagte in dem hier wesentlichen Punkt voll unterlegen ist.

20

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO.