Landgericht Oldenburg
Urt. v. 29.11.1967, Az.: (4) 3 O 182/66
Bestehen des Rechtswegs zum ordentlichen Gericht ; Anspruch auf Grund eines sich nach öffentlichem Recht richtenden besonderen Nutzungsverhältnisses ; Anspruch auf Anschluss an die Schmutzwasserkanalisation
Bibliographie
- Gericht
- LG Oldenburg
- Datum
- 29.11.1967
- Aktenzeichen
- (4) 3 O 182/66
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1967, 11616
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LGOLDBG:1967:1129.4.3O182.66.0A
Rechtsgrundlagen
- § 13 GVG
- § 862 Abs. 1 BGB
- § 858 BGB
Die 4. Zivilkammer des Landgerichts in Oldenburg (Oldb) hat
auf die mündliche Verhandlung vom 8. November 1967
unter Mitwirkung
der Landgerichtsdirektorin ...
des Landgerichtsrats ... und
des Gerichtsassessors ...
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Beklagte wird verurteilt, die von ihr auf den Grundstück der Klägerin an der Bahnlinie Jever-Carolinensiel-Harle - km 0752 bis 0830, Parzelle 227/90, Flur 2, Gemarkung Jever verlegte Schmutzwasserleitung zu entfernen und das Grundstück in seinen bisherigen Zustand zurückzuversetzen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von DM 6.600,- vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Die Klägerin ist Eigentümerin des in der Urteilsformel aufgeführten Grundstücks. Am 1.7.1966 schrieb die beklagte Stadtgemeinde an die Klägerin, sie beantrage, die Verlegung eines Schmutzwasserkanals durch das Grundstück der Klägerin zu gestatten, und bitte darum, zu ihren Gunsten eine entsprechende Grunddienstbarkeit im Grundbuch eintragen zu lassen. Bei den nachfolgenden Verhandlungen lehnte die Klägerin den von der Beklagtem vorgeschlagenen Verlauf der Abwasserleitung quer durch ihr Grundstück mit der Begründung ab, daß dadurch eine spätere Bebauung des Grundstücks stark erschwert würde; die Klägerin schlug statt dessen vor, den Abwasserkanal an ihrer Grundstücksgrenze entlangzuführen. Diesen Standpunkt hielt die Klägerin auch bei einer Besprechung ihres Amtsvorstandes mit dem Stadtkämmerer der Beklagten am Vormittag dem 15.8.1966 aufrecht, bei der ihr mitgeteilt wurde, daß der Abwässerkanal mittlerweile bis zur Grenze ihres Grundstücks herangeführt worden sei. Der Stadtkämmerer der Beklagten versprach, mit dem Wasserwirtschaftsamt in Wilhelmshaven nochmals über die Sache zu verhandeln und sodann schriftlich Stellung zu nehmen.
Am Vormittag des 16.8.1966 stellte die Klägerin fest, daß die Beklagte inzwischen die Schmutzwasserleitung quer durch das Grundstück der Klägerin verlegt hatte; die Arbeiter der von der Beklagten beauftragten Baufirma waren gerade dabei, den ausgehobenen Kanalgraben wieder zu verfüllen. Auf Aufforderung der Klägerin wurden die Arbeiten auf ihrem Grundstück eingestellt, am 19.8.1966 nochmals weitergeführt und auf nochmalige Aufforderung der Klägerin erneut eingestellt. Der weiteren Aufforderung der Klägerin, den ursprünglichen Zustand auf dem Grundstück wiederherzustellen, kam die Beklagte nicht nach. Sie stellte vielmehr Anfang 1967 beim Landkreis Friesland als unterer Wasserbehörde den Antrag auf Feststellung eines Zwangsrechtes nach § 125 Nds. Wassergesetz, über den noch nicht entschieden worden ist.
Die Klägerin begehrt Beseitigung der im Auftrage der Beklagten an ihrem Grundstück vorgenommenen Veränderungen, und zwar in 1. Linie aus dem Gesichtspunkt der verbotenen Eigenmacht.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, die von ihr auf dem Grundstück der Klägerin an der Bahnlinie Jever-Carolinensiel-Harle km 0,752 bis 0,830 Parzelle 227/90, Flur 2, Gemarkung Jever verlegte Schmutzwasserleitung zu entfernen und das Grundstück in seinem bisherigen Zustand zurückzuversetzen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen,
hilfsweise,
ihr nachzulassen, die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil gegen Leistung von Sicherheit abzuwenden.
Die Beklagte ist der Auffassung, die Klägerin habe die Verlegung des Schmutzwasserkanals durch ihr Grundstück zu dulden. Da zu erwarten sei, daß die Wasserbehörde dem Antrag auf Feststellung eines Zwangsrechtes entsprechen werde, sei das Verhalten der Klägerin rechtsmißbräuchlich. Der Beklagten stehe aber auch ein Notwegerecht an dem Grundstück der Klägerin zu. Die Beklagte behauptet, eine Ableitung der Abwasser durch das betreffende Baugebiet unter Anschluß an das öffentliche Kanalnetz lasse sich in anderer Weise nur mit völlig unwirtschaftlichen und verhältnismäßig hohen Mehraufwendungen durchführen. Eine Verlegung entlang der Grundstücksgrenze der Klägerin sei unmöglich, da dann durch die mehrfache Richtungsänderung des Kanals mit einer wesentlich erhöhten Verstopfungsgefahr zu rechnen sei. Es sei der Klägerin auch zuzumuten, den Kanal auf ihrem Grundstück zu dulden, da die Möglichkeit einer späteren Bebauung des Grundstücks der Klägerin auf Grund seiner Lage und Beschaffenheit zweifelhaft sei.
Die Klägerin weist demgegenüber darauf hin, daß der Abwasserkanal sich bis zur Anschlußstelle hin kürzer über andere Grundstücke verlegen lasse.
Wegen des weiteren Parteivortrages im einzelnen wird auf den Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, auf den Inhalt der im Verfahren 3 O 4/66 gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, den die Parteien auch in diesem Verfahren vorgetragen haben sowie auf den sich bei den Akten befindenden Lageplan verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig. Der Rechtsweg zum ordentlichen Gericht ist nicht ausgeschlossen. Es handelt sich vielmehr bei der vorstehenden Rechtsstreitigkeit um eine solche des bürgerlichen Rechts (§ 13 GVG) und nicht des Verwaltungsrechtes. Rechtsbeziehungen, die das Verlangen der Klägerin als im Rahmen eines Rechtsverhältnisses des öffentlichen Rechts gestellt erscheinen lassen, fehlen. Die Klägerin stellt keinen Anspruch auf Grund eines zwischen ihr und der Beklagten hinsichtlich der Schmutzwasserkanalisation begründeten, sich nach öffentlichem Recht richtenden besonderen Nutzungsverhältnisses (vgl. BGHZ DVBl. 61/736; BGHZ 41, 263, 267) [BGH 16.03.1964 - III ZR 85/63], denn ihr noch unbebautes Grundstück ist bisher nicht an das Kanalnetz der Beklagten angeschlossen. Auch § 125 Nds. WasserG, das der Beklagte die Möglichkeit gibt, Abwässerleitungen über ein fremdes Grundstück zu führen, läßt nicht schon von Gesetzes wegen ein öffentliches Rechtsverhältnis zwischen den Parteien entstehen; die Begründung des in § 125 Nds. WasserG geregelten Zwangsrechtes setzt vielmehr die Feststellung des Zwangsrechtes nach § 129 Nds. WasserG durch die Wasserbehörde voraus (vgl. Rehder, Anm. 1 zu § 125 Nds. WasserG). Auch daraus, daß die Errichtung und Unterhaltung eines Schmutzwasserkanals Erfüllung einer hoheitlichen Aufgabe ist, folgt allein noch nicht, daß die Beklagte durch die Verlegung des Kanals gegenüber der Klägerin in Ausübung hoheitlicher Gewalt unter Begründung eines Verwaltungsrechtsverhältnisses tätig wurde.
Die Parteien haben, wie die zwischen ihnen gewechselte Korrespondenz ergibt, über die Benutzung des Grundstücks der Klägerin allein auf zivilrechtlicher Grundlage verhandelt; gedacht war dabei vor allem an die Begründung einer Grunddienstbarkeit. Diese Verhandlungen wurden auch noch in dem Zeitpunkt geführt, als die Beklagte den Schmutzwasserkanal auf dem Grundstück der Klägerin verlegen ließ. Wollte die Beklagte bei dieser Sachlage gegenüber der Klägerin auf hoheitlichem Wege, so vor allem durch Verwaltungsakt, vorgehen, hätte sie dieses klar zum Ausdruck bringen müssen (vgl. LG Essen, JR 51/404; Staudinger-Seuffert 11. Aufl. Anm. 15 zu § 858 BGB). Da dieses nicht geschehen ist, sind ihr Verhalten und die daraus sich ergebenden Ansprüche nur nach bürgerlichem Recht zu beurteilen.
Die Klage ist auch in sachlicher Hinsicht begründet. Die Klägerin kann nach § 862 Abs. 1 BGB die Beseitigung der Schmutzwasserleitung verlangen, die die Beklagte widerrechtlich, d.h. ohne Willen der Klägerin (§ 858 BGB) auf dem von der Klägerin besessenen Grundstück errichtet hat. Zur Beseitigung der Besitzstörung gehört auch, daß das von der Klägerin besessene Grundstück in seinen ursprünglichen Zustand zurückversetzt wird.
Demgegenüber kann die Beklagte Einwendungen aus materiellem Recht, aus denen sich das Recht zum Besitz ergäbe, gem. § 863 BGB nicht geltend machen. Daß das Gesetz die Störung gestatte, ihr Vorgehen also nicht verbotene Eigenmacht darstelle, kann die Beklagte weder durch Behauptung eines Notwegerechtes nach § 917 BGB dartun, zumal da sie nicht Eigentümerin eines benachbarten Grundstücks ist, noch aus dem Zwangsrecht des § 125 Nds. WasserG herleiten, das erst mit seiner Feststellung durch die Wasserbehörde (§ 129 Nds. WasserG) zur Entstehung kommt, im Zeitpunkt der Besitzstörung durch die Beklagte, in welchem nicht einmal von der Beklagten der Antrag auf Feststellung bei der Wasserbehörde gestellt worden war, also nicht bestanden hat.
Die Beklagte kann sich ferner nicht darauf berufen, daß das Verhalten der Klägerin rechtsmißbräuchlich sei. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob das Verfahren vor der Wasserbehörde zur Feststellung eines Zwangsrechtes der Beklagten nach § 125 Nds. WasserG führen wird. Der Einrede der Arglist, nämlich, daß rechtsmißbräuchlich handelt, wer fordert, was zugleich zurückzuerstatten ist, findet im Rahmen der Besitzschutzvorschriften seine Einschränkung durch den Zweck des Besitzschutzes, Eingriffen in den Besitz ohne Titel zu begegnen; diesen Zweck macht vor allem die Vorschrift des § 864 Abs. 2 BGB deutlich. Wenn die Klägerin gleichwohl, ohne sich dabei auf einen rechtskräftigen Titel oder auf einen rechtswirksamen Verwaltungsakt bzw. ihr von Gesetzes wegen zustehende Befugnisse stützen zu können, in den Besitz der Klägerin eingreift, kann sie dem darauf von der Klägerin erhobenen Anspruch auf Beseitigung der Besitzstörung nicht die Einrede der Arglist entgegensetzen. Dazu genügt auch nicht, daß sie möglicherweise in der Lage ist, noch einen derartigen Titel zu erlangen. Der Klaganspruch der Klägerin erlischt vielmehr erst, wenn ein Recht der Beklagten auf Inanspruchnahme des Grundstücks der Klägerin rechtskräftig festgestellt worden ist (§ 864 Abs. 2 BGB).
Ob der Klaganspruch auch aus Eigentum begründet ist, ist hier nicht zu untersuchen, denn die Klägerin hat diesen Anspruch, nachdem ihr durch Aussetzungsbeschluß die Auffassung des Gerichts von der Vorgreiflichkeit des Erzwingungsverfahrens gegenüber diesem Anspruch bekannt gegeben worden war, ausdrücklich zurückgestellt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 710 ZPO. Der Antrag der Beklagten, ihr nachzulassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung abzuwenden, ist dadurch gegenstandlos geworden (§ 713 Abs. 2 ZPO).