Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 08.06.1984, Az.: 8 U 211/83

Abtretung von Ansprüchen aus einer Lebensversicherung und aus Unfallzusatzversicherungen eines Kaufmanns; Zahlung aus einer Lebensversicherung sowie Unfallzusatzversicherung wegen des Todes des Versicherungsnehmers durch Kopfschuss einer ihm gehörenden Bockbüchsflinte; Verweigerung von Versicherungsleistungen bei Vorliegen eines Selbstmordes

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
08.06.1984
Aktenzeichen
8 U 211/83
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1984, 18714
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:1984:0608.8U211.83.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Hannover - 20.10.1983 - AZ: 2 O 200/83

Fundstelle

  • VersR 1985, 1134-1135 (Volltext mit red. LS)

In dem Rechtsstreit
...
hat der 8. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle
auf die mündliche Verhandlung vom 18. Mai 1984
unter Mitwirkung
der Richter am Oberlandesgericht ... und ...
für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufungen der Beklagten werden das am 25. August 1983 verkündete Teilurteil und das am 20. Oktober 1983 verkündete Schlußurteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Hannover geändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Zwangsvollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 20.000 DM abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Die Entscheidungsbeschwer für die Klägerin betragt 214.184 DM.

Tatbestand

1

Die Klägerin hat sich von dem Kaufmann ... (im folgenden: Versicherungsnehmer) mit schriftlichen Erklärungen vom 25. Januar 1980 zur Sicherung aller bestehenden und künftigen Ansprüche gegen den Versicherungsnehmer selbst oder gegen die Firma ... OHG die gegenwärtigen und künftigen Rechte und Ansprüche aus zwei Versicherungsverträgen abtreten lassen, nämlich aus Lebens- und Unfallzusatzversicherungen des Versicherungsnehmers über jeweils 20.000 und 75.000 DM. Der Beginn des ersten Versicherungsjahres der im Januar 1980 durch Versicherungsscheine dokumentierten Versicherungen war für den 1. Dezember 1979 vereinbart.

2

Die Klägerin fordert unter Berufung auf die Abtretungen Versicherungsleistungen wegen Unfalltodes des Versicherungsnehmers. Dieser ist am Montag, dem 21. Dezember 1982 gegen 8.05 Uhr im Büro der ... oHG ohne Zutun Dritter durch einen Kopfschuß aus dem Kugellauf einer ihm gehörenden Bockbüchsflinte getötet worden. Über seinen Nachlaß ist am 10. März 1983 der Konkurs eröffnet worden (17 N 20/83 AG Hameln).

3

Die Beklagte hat mit der Begründung, der Versicherungsnehmer habe Selbstmord begangen, Leistungen sowohl aus den Lebens- wie aus den Unfallzusatzversicherungen verweigert. Die Klägerin verfolgt die zurückgewiesenen Ansprüche im vorliegenden Rechtsstreit weiter.

4

Sie hat vorgetragen: Der Versicherungsnehmer sei einem Unfall bei Untersuchung seiner Waffe zum Opfer gefallen. Nachdem diese am voraufgegangenen Wochenende in seiner Wohnung aus dem Gewehrschrank gefallen sei, habe er versucht, an den Läufen entlang zu visieren, um etwa entstandene Schäden festzustellen. Dabei müsse ihm entgangen sein, daß beide Läufe geladen und entsichert gewesen seien. Bei dem Kugellauf müsse auch der sogenannte Stecher in Tätigkeit gewesen sein, d.h. eine Vorrichtung, durch welche sich das Abzugsgewicht herabsetzen läßt. Bei seiner Hantierung an der Waffe müsse der Versicherungsnehmer versehentlich den Abzug berührt und dadurch den Schuß aus dem Kugellauf ausgelöst haben. Für eine absichtliche Selbsttötung gebe es kein Motiv, denn im persönlichen und im wirtschaftlichen Bereich habe der Versicherungsnehmer keine akuten Schwierigkeiten gehabt. Insbesondere habe die Geschäftsverbindung zu ihr, der Klägerin, ungestört bestanden. Erst recht sei nicht zu verstehen, weshalb der Versicherungsnehmer sich ausgerechnet wenige Tage vor Weihnachten und in seinem Geschäftsbüro in Gegenwart seines Angestellten ... habe erschießen sollen, zumal der Ablauf der Dreijahresfrist nach §8 ALB, nach welcher Versicherungsschutz aus der Lebensversicherung auch im Falle der Selbsttötung bestanden habe, bevorgestanden habe.

5

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, ihr 190.000 DM nebst 8 % Zinsen seit dem 7. Februar 1983 und weitere 24.184 DM nebst 8 % Zinsen seit dem 5. Juli 1983 zu zahlen.

6

Den ursprünglich gestellten Antrag,

die Beklagte zu verurteilen, Auskunft über den Umfang der Überschußbeteiligung aus den Versicherungsverträgen zu erteilen,

7

hat sie in der Hauptsache für erledigt erklärt, nachdem die Beklagte entsprechende Mitteilungen gemacht hatte.

8

Die Beklagte hat dieser Teilerledigungserledigung widersprochen und beantragt,

die Klage abzuweisen.

9

Sie hat erwidert: Der Versicherungsnehmer habe sich vorsätzlich selbst getötet. Deshalb sei sie im Hinblick auf die Selbstmordklausel in §8 ALB leistungsfrei, und ein Unfall, welcher eine Leistungspflicht aus der Unfallzusatzversicherung habe auslösen können, sei nicht geschehen. - Der Versicherungsnehmer müsse den Kugellauf absichtlich abgefeuert haben. Zum einen sei der Abzug durch einen Abzugsbügel gegen unfreiwillige Berührung geschützt. Die zum Auslösen eines Schusses erforderliche Kraft betrage rund 2,2 kg. Daß etwa der Stecher betätigt und die Abzugskraft mit seiner Hilfe verringert gewesen sei, sei lediglich eine Vermutung der Klägerin. Für deren Richtigkeit spreche aber nichts, wenn in Rechnung gestellt werde, daß der Versicherungsnehmer, seit 1976 Inhaber eines Jagdscheins, ein im Umgang mit Waffen erfahrener Jäger gewesen sei, dem eine solche Häufung von elementaren Fehlern, wie er sie nach Darstellung der Klägerin begangen haben müsse, schlechterdings nicht habe unterlaufen können. Für eine absichtliche Selbsttötung spreche weiter, daß der Versicherungsnehmer mit rund 1,6 Mill. DM erheblich überschuldet gewesen sei, wie sich im Nachlaßkonkurs gezeigt habe. Das Motiv seiner Selbsttötung werde darin bestanden haben, seiner Familie zur Befreiung von der Schuldenlast zu verhelfen. Womöglich habe er dabei in Verkennung der Rechtslage den technischen Vertragsbeginn als maßgebend für den Beginn der Dreijahresfrist nach §8 ALB angesehen. Dafür, daß er durch einen vorgetäuschten Unfall erhöhte Versicherungsleistungen angestrebt habe, spreche, daß er sich kurz vor seinem Tode sowohl bei der ... Rentenanstalt in München wie bei der ... in erheblichem Umfang lebens- und unfallversichert habe. - Daß der Versicherungsnehmer sich in Gegenwart seines Angestellten ... erschossen habe, müsse zu seinem Plan gehört haben, mit Hilfe eines unverdächtigen Zeugen einen Unfall vorzutäuschen. Was nämlich der Versicherungsnehmer jenem als Begründung für sein Hantieren an der Waffe angegeben habe, sei offensichtlich unwahr gewesen. Wenn wirklich das Jagdgewehr am voraufgegangenen Wochenende zu Boden gefallen sei, so habe der Versicherungsnehmer eine Sichtkontrolle sogleich nach einem Mißgeschick vornehmen können, anstatt damit bis zum nächsten Werktag zu warten und zu diesem Zweck sein Büro aufzusuchen. Als Sachkenner habe der Versicherungsnehmer zudem genau gewußt, daß die Läufe einer Waffe von so guter Qualität, wie es seine Bockbüchsflinte gewesen sei, durch bloßes Umfallen ohnehin keinen Schaden nehmen könnten. Ohne Abkippen der Läufe sei zudem eine Sichtkontrolle von der Mündung her wenig sinnvoll gewesen. Aus alledem folge, daß sie eine Verpflichtung zur Leistung weder aus den Lebensversicherungen noch aus den Unfallzusatzversicherungen treffe.

10

Das Landgericht hat nach Beweisaufnahme durch Anhörung eines Sachverständigen für Schußwaffen mit dem am 25. August. 1983 verkündeten Teilurteil die Beklagte zur Zahlung von 190.000 DM nebst 8 % Zinsen seit dem 5. Juli 1983 verurteilt, die Klage wegen der Zinsmehrforderung abgewiesen und ausgesprochen, daß sich der Auskunftsanspruch in der Hauptsache erledigt habe. Mit dem am 20. Oktober 1983 verkündeten Schlußurteil hat es die Beklagte zur Zahlung weiterer 24.184 DM nebst 8 % Zinsen seit, dem 5. Juli 1983 verurteilt. Der Beklagten ist das Teilurteil am 7. September 1983, das Schlußurteil am 9. November 1983 zugestellt worden. Sie hat Berufung gegen das Teilurteil am 7. Oktober 1983, gegen das Schlußurteil am 6. Dezember 1983 eingelegt. Beide Berufungen hat sie innerhalb der für die erste Berufung verlängerten Frist am 19. Dezember 1983 begründet. Die Berufungssachen sind zu gemeinsamer Verhandlung und Entscheidung verbunden worden.

11

Die Beklagte wiederholt ihre Sachdarstellung aus dem ersten Rechtszug und trägt ergänzend vor: Der Versicherungsnehmer habe Lebensversicherungen nicht nur bei ihr, sondern über 140.000 DM bei der Allianz und über rund 100.000 DM bei der Schweizerischen Rentenanstalt unterhalten. Des weiteren habe er in auffälliger Häufung kurz vor seinem Tod Unfallversicherungen beantragt, nämlich über 500.000 DM bei der ... über 300.000 DM bei der ... Versicherungsgesellschaft auf Gegenseitigkeit und über weitere 500.000 DM bei dem .... Dabei habe er die Antrags fragen nach weiteren Versicherungen oder Anträgen auf Versicherung nicht oder nicht richtig beantwortet. Darin lägen zusätzliche Indizien dafür, daß der Versicherungsnehmer sich mit Selbstmordabsichten getragen habe.

12

Sie beantragt,

unter Änderung der angefochtenen Urteile die Klage abzuweisen.

13

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

14

Sie verteidigt das angefochtene Urteil und wiederholt ihr erstinstanzliches Vorbringen. Sie meint, die Anträge auf Abschluß von Unfallversicherungen besagten deshalb nichts für die Darstellung der Beklagten, weil der Versicherungsnehmer, wenn seinen Anträgen eine Selbstmordabsicht zugrunde gelegen hätte, mit deren Verwirklichung bis zum rechtswirksamen Zustandekommen der Verträge gewartet haben würde.

15

Zur Ergänzung der Sachdarstellung wird im übrigen auf den vorgetragenen Inhalt der in beiden Rechtszügen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen. Der Senat hat von der ... Rentenanstalt sowie von der ...gesellschaft Ablichtungen von Anträgen und Versicherungsscheinen betreffend Lebens- und Unfallversicherungen des Klägers beigezogen (Bl. 174/179 d.A. sowie Bl. 191/194 d.A.), die in der mündlichen Verhandlung mit den Parteien erörtert und in ihrer inhaltlichen Richtigkeit unstreitig gewesen sind. Es ist Beweis erhoben worden durch Anhörung des Schußwaffensachverständigen Kriminalhauptkommissar ... wegen des Beweisergebnisses wird auf die gerichtliche Niederschrift vom 18. Mai 1984 (Bl. 195 bis 197 d.A.) Bezug genommen. Die Todesermittlungsakten 85 Js 66468/82 StA Hannover haben zur Information vorgelegen.

Entscheidungsgründe

16

Die zulässigen Berufungen führen zur Änderung der angefochtenen Urteile und zur Abweisung der Klage, soweit das Landgericht ihr stattgegeben oder - dem Antrag der Klägerin folgend - die Hauptsache für erledigt erklärt hat. Die Beklagte schuldet Leistungen weder aus den Unfallzusatzversicherungen noch aus den Lebensversicherungen. Der Versicherungsnehmer hat keinen Unfall, d.h. keine unfreiwillige Gesundheitsbeschädigung erlitten, sondern hat sich vorsätzlich selbst getötet; daß deshalb auch kein Anspruch auf die Todesfallentschädigung besteht, folgt daraus, daß die Selbsttötung vor Ablauf von drei Jahren nach Vertragsbeginn geschehen ist. Die Überzeugung davon, daß der Versicherungsnehmer Selbstmord begangen hat, gewinnt der Senat aufgrund der Überlegung, daß, wäre der Versicherungsnehmer einem Unfall zum Opfer gefallen, dieser das Resultat einer Kette von Ungereimtheiten wäre, welche in solcher Art und Häufung zwar theoretisch denkbar, hier aber für den Senat ausgeschlossen sind.

17

1.

Nach den überzeugenden und von den Parteien auch nicht in Zweifel gezogenen Ausführungen des Schußwaffensachverständigen Seibert kann der Schuß, welcher den Versicherungsnehmer getötet hat, nur dadurch ausgelöst worden sein, daß der Abzug des Kugellaufs betätigt worden ist.

18

a)

... hat bei seinen Untersuchungen sowohl unmittelbar nach dem Tode des Versicherungsnehmers im Rahmen der polizeilichen Ermittlungen als auch zur Vorbereitung seines im zweiten Rechtszug des vorliegenden Rechtsstreits erstatteten Gutachtens den Schloßmechanismus der Waffe für technisch einwandfrei befunden, d.h. ohne mechanische oder durch Abnutzung hervorgerufene Defekte.

19

b)

Nach seiner sachkundigen Beurteilung, welche den Senat überzeugt hat, war es im Dezember 1982 und ist es noch derzeit ausgeschlossen, daß die gespannte Feder, welche letztlich den Schlagbolzen gegen die Zündkapsel der Patrone des Kugellaufs geschnellt und dadurch die Patrone gezündet hat, "von selbst" oder durch eine bloße Erschütterung der Waffe, wie sie etwa beim Aufschlagen des Kolbens auf den Fußboden entsteht, freigesetzt worden ist. Dies gilt nach den Feststellungen des Sachverständigen selbst dann, wenn der sogenannte französische Stecher "eingestochen" ist, mit welchem der Kugellauf versehen ist, d.h. eine Vorrichtung, mit deren Hilfe die Abzugskraft für den Abzug des Kugellaufs zur Vermeidung des Verreißens der Waffe beim Schuß von normalen 2,2 kg auf bis zu rund 0,5 kg herabgesetzt werden kann.

20

c)

Danach steht zweifelsfrei fest, daß der Abzug des Kugellaufs durchgezogen worden ist. Da nach dem übereinstimmenden Vorbringen der Parteien, welches durch das Ermittlungsergebnis bestätigt wird, ein Dritter als Täter nicht in Betracht kommt, muß der Versicherungsnehmer selbst den Abzug betätigt haben.

21

2.

Daß der Versicherungsnehmer dies anders als absichtlich getan haben könnte, ist für den Senat ausgeschlossen.

22

a)

Daß die Abzugskraft von ca. 2,2 kg, welche im nicht "eingestochenen" Zustand zur Auslösung eines Schusses überwunden werden mußte, anders als bewußt und gewollt aufgebracht worden sein könnte, ist eine bestenfalls theoretische Möglichkeit, welche praktisch außer Betracht zu bleiben hat. Zum einen sind beide Abzüge durch den Abzugsbügel gegen unabsichtliche Berührungen geschützt. Eine solche bloße Berührung wäre allenfalls dann denkbar, wenn der Versicherungsnehmer ungezielt, etwa um ein Herabfallen der Waffe zu verhindern, nach dieser gegriffen und dabei mit einem Finger zufällig unter den Abzugsbügel geraten wäre. Auch eine solche Berührung hätte wegen des hohen Abzugsgewichts von ca. 2,2 kg noch nicht zur Auslösung des Schusses geführt. Dazu hätte die zufällige Berührung nicht nur die nötige Kraft besitzen, sondern auch in der Richtung zum Kolben der Waffe hin wirken müssen, denn der Versicherungsnehmer hielt diese mit der Mündung auf seinen Kopf gerichtet. Nun hat aber der kaufmännische Angestellte ..., welcher Zeuge des Todes seines Dienstherrn geworden ist und dessen Aussage im Rahmen der Ermittlungen beide Parteien übereinstimmend vorgetragen haben, eine heftige oder gar unkontrollierte Bewegung des Versicherungsnehmers nicht wahrgenommen, sondern "aus dem Augenwinkel" gesehen, wie jener, auf seinem Bürostuhl sitzend, die Waffe am oberen Laufende hielt, sie an sich heranzog und sich mit dem Kopf vorbeugte, wie um in den Lauf oder an diesem entlang zu sehen.

23

b)

Auch bei "eingestochenem" Stecher ist jedoch der Schuß nicht unabsichtlich gelöst worden, ganz abgesehen davon, daß der Senat davon überzeugt ist, der Versicherungsnehmer habe den Stecher, wenn er eingestochen gewesen sein sollte, jedenfalls nicht ohne selbstmörderische Absicht betätigt.

24

aa)

Wie der Sachverständige überzeugend erläutert hat, betrug die Abzugskraft bei eingestochenem Stecher bei der derzeitigen Einstellung der zur Veränderung der Abzugskraft dienenden Stellschraube, welche jedoch seit seiner ersten Untersuchung der Waffe nach seinen Ausführungen nicht verändert worden ist, rund 0,7 kg. Auch diese Kraft ist zu groß, als daß sie nach dem oben Gesagten durch eine ungewollte Berührung des Abzugs auf diesen übertragen worden wäre.

25

bb)

Vor allem aber ist es für den Senat ausgeschlossen, daß etwa der Versicherungsnehmer die Mündung einer geladenen, entsicherten und eingestochenen Waffe in die Nähe seines Kopfes geführt und dann auch noch so grob unvorsichtig und kraftvoll im Bereich des Abzugs hantiert hätte, wie es zur Auslösung des Schusses erforderlich gewesen wäre. - Wie unstreitig ist, war der Versicherungsnehmer ein erfahrener Jäger und des Umgangs mit Waffen vollauf kundig. Daß ein solcher Mann seine Waffe beim Verlassen seines Reviers nicht entladen haben sollte, ist schon für sich genommen wenig wahrscheinlich, denn solches widerspräche den Grundregeln sicheren Umganges mit Schußwaffen überhaupt. Noch weniger wahrscheinlich ist es, daß der Versicherungsnehmer die Waffe geladen und entsichert im häuslichen Gewehrschrank aufbewahrt haben sollte; ein so hohes Maß an Sorglosigkeit wäre zumindest sehr ungewöhnlich. Eine weitere, geradezu unbegreifliche Steigerung des Leichtsinns des Versicherungsnehmers müßte aber angenommen werden, wenn dieser die Waffe nicht nur geladen und entsichert, sondern obendrein auch noch "eingestochen" aus dem Revier mitgenommen und zu Haus abgestellt hätte. Diese in ihrer Häufung schon kaum vorstellbaren Fehler worden durch das weitere Verhalten des Versicherungsnehmers noch in den Schatten gestellt, wenn es entsprechend dem Vorbringen der Klägerin nicht von einem bestimmten Tatplan gesteuert war. Der Versicherungsnehmer müßte nach dem "Hinfallen" des Gewehrs am 19. Dezember 1982, wovon er Dziadek berichtet hat, jede Untersuchung der Waffe, wozu als nächstliegendes Kittel das Abkippen der Läufe gehört hätte, unterlassen haben, denn andernfalls hätte er sie sogleich entladen. Er müßte eine Waffe, von welcher er nicht sicher wußte, daß sie ungeladen und ungefährlich war, denn von außen war dies nicht zu erkennen, mit den Mündungen der Läufe in die Nähe seines Kopfes geführt und zugleich den Abzug nicht nur berührt, sondern auch in dessen Bereich mit erheblicher Kraftentfaltung sich betätigt haben. Wenn auch jede mögliche Kombination gröbster menschlicher Fehlleistungen theoretisch denkbar ist, so schließt der Senat sie jedoch für den Versicherungsnehmer aus, der im Umgang mit Waffen erfahren und jagdlich ausgebildet gewesen ist.

26

3.

Wegen dieser bei dem Versicherungsnehmer vorhandenen Erfahrungen im Umgang mit Waffen hält es der Senat schließlich für in höchstem Maße unwahrscheinlich und deshalb für ausgeschlossen, daß er den Abzug ohne Selbstmordabsicht bewußt betätigt hat, weil er etwa glaubte, die Waffe sei ungeladen. Die Betätigung des Abzuges hätte in diesem Fall nur den Sinn haben können, die Funktion des Abzugsmechanismus zu überprüfen. Für eine derartige Absicht sind Anhaltspunkte aber weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, zumal der Versicherungsnehmer eine wegen des Hinfallens der Waffe für notwendig gehaltene Funktionsprobe sogleich und nicht erst am übernächsten Tag vorgenommen hätte. Gegen eine derartige Absicht spricht auch die Art, in der der Versicherungsnehmer das Gewehr gehalten hat. Bei einer Überprüfung des Abzugsmechanismus hätte es nahegelegen, entweder die Waffe quer vor sich mit zur Seite gerichtetem Lauf zu halten, um unmittelbare Sicht auf den Abzugshebel zu haben, oder aber den Abzugshebel in normaler Haltung mit nach vorn gerichtetem Lauf zu betätigen. Der Versicherungsnehmer hat aber den Lauf auf sich selbst gerichtet und mußte dabei den Abzugshebel nicht seiner normalen Funktion entsprechend zu sich heranziehen, sondern ihn entsprechend der Länge des Laufs und dem Abstand zwischen Mündung und Abzug in einer Entfernung von über 65 cm von sich wegdrücken. Bei dieser Haltung hatte er keine direkte Sicht auf den Abzugsmechanismus, so daß eine Überprüfung zumindest erschwert, wenn nicht gar unmöglich war. Eine nur probeweise Betätigung des Abzugshebels ohne Selbstmordabsicht scheidet deshalb als denkbare Möglichkeit aus.

27

4.

Demnach ist das Verhalten des Versicherungsnehmers unmittelbar vor seinem Tode nichts anderes als eine zwar mit Kaltblütigkeit, aber doch laienhaft in Szene gesetzte Aufführung eines Theaterstücks, über welchem deutlich der Titel "Ein beklagenswerter Unfall" stehen sollte und bei welchem das ungespielte Entsetzen des unfreiwilligen Zuschauers ... als überzeugungskräftiges Beweismittel einkalkuliert gewesen ist. Der Senat kann und braucht den Motiven des Versicherungsnehmers für seine Tat nicht im einzelnen nachzuspüren. Vielmehr genügt die Feststellung, daß die außerhalb des eigentlichen Tatgeschehens liegenden Umstände der Überzeugungsbildung jedenfalls nicht im Wege stehen. Daß der Versicherungsnehmer überschuldet gewesen ist, ist durch die seinem Tod alsbald folgende Eröffnung des Nachlaßkonkurses hinlänglich belegt. Die absolute Höhe der Verbindlichkeiten ist mit 1,6 Mill. DM außer Streit. Wenn auch nach dem, was das Vorstandsmitglied Wölfert der Klägerin vor dem Senat auf Befragen erklärt hat, ein akuter finanzieller Engpaß nicht eingetreten war oder vor der Tür stand, so war doch nach eben dieser Quelle die Kreditgrenze des Versicherungsnehmers "angespannt". Solche Lage konnte bei entsprechender charakterlicher Disposition wohl geeignet sein, in dem Versicherungsnehmer den Entschluß reifen zu lassen, seine Familie durch einen "Unfalltod" aller wirtschaftlichen Sorgen für die Zukunft zu entheben. Ein deutlicher Hinweis, daß solche Überlegungen den Versicherungsnehmer tatsächlich in den Monaten vor seinem Tode bewegt haben, findet sich in der auffälligen Häufung von Anträgen auf Unfallversicherung in den von der Beklagten belegten Folien. Daß der Versicherungsnehmer die Dokumentation und Einlösung dieser Versicherungen nicht abgewartet hat, besagt in diesem Zusammenhang nichts; denn daß jemand eine Selbsttötung zumindest rational erwogen hat, bedeutet nicht, daß es bei solcher zielorientierten Ausrichtung seines Verhaltens bleiben müßte und daß nicht eine Eingebung des Augenblicks die Oberhand gewinnen könnte, zumal der Versicherungsnehmer auch schon durch die bestehenden Versicherungen vorgesorgt zu haben glauben konnte, sofern nur seine Selbsttötung als Unfall erschien.

28

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§91 Abs. 1, 546 Abs. 2, 708 Nr. 10, 711 ZPO.