Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 16.06.2009, Az.: 311 SsBs 49/09
Beweisverwertungsverbot bei einer evident fehlerhaft auf Gefahr im Verzug gestützten Anordnung einer Blutentnahme durch die Polizei
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 16.06.2009
- Aktenzeichen
- 311 SsBs 49/09
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2009, 17652
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2009:0616.311SSBS49.09.0A
Rechtsgrundlagen
- § 1 BtMG
- § 81a Abs. 2 StPO
Fundstellen
- Blutalkohol 2009, 342-344
- NStZ-RR 2010, 274
- NZV 2009, 463-464
- StRR 2009, 282 (red. Leitsatz)
- StV 2009, 518-519
- StraFo 2009, 330-331
- VRA 2009, 154
- VRR 2009, 283
- VRS 2009, 99-101
- ZAP EN-Nr. 651/2009
- zfs 2009, 530-531
Amtlicher Leitsatz
1. Zu den Darstellungsanforderungen der Verfahrensrüge, ein Polizeibeamter habe eine Blutprobenentnahme nach § 81a StPO angeordnet und dabei Gefahr im Verzug zu Unrecht angenommen.
2. Beruht die Annahme von Gefahr von Verzug auf einer evident fehlerhaften Beurteilung, führt die Verletzung von § 81a Abs. 2 StPO zu einem Beweisverwertungsverbot.
Tenor:
1) Die Sache wird auf den Senat übertragen.
2) Das angefochtene Urteil wird aufgehoben. Der Betroffene wird freigesprochen.
3) Die Kosten des Verfahrens sowie die dem Betroffenen entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Landeskasse.
4) Gegen diese Entscheidung ist ein Rechtsmittel nicht gegeben (§ 304 Abs. 4 StPO).
Gründe
I.
Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen fahrlässigen Führens eines Fahrzeugs unter Wirkung berauschender Mittel zu einer Geldbuße von 250 EUR verurteilt. Zugleich hat es ein Fahrverbot von einem Monat unter Anwendung von § 25 Abs. 2a StVG festgesetzt.
Nach den getroffenen Feststellungen befuhr der Betroffene am 28. Februar 2008 um 11:50 Uhr mit einem Kraftfahrzeug öffentliche Straßen in H.. Bei einer Polizeikontrolle stellten die eingesetzten Beamten eine verlangsamte Pupillenreaktion bei Lichteinfall fest, worauf der Betroffene auf Befragen mitteilte, gelegentlich Haschisch zu konsumieren. Ein mit seinem Einverständnis durchgeführter Drogenschnelltest verlief positiv auf THC. Daraufhin ordnete der Zeuge PK K. eine Blutentnahme beim Betroffenen zur Feststellung von Drogen im Blut an. Den Versuch, eine richterliche Entscheidung zu erlangen, unternahm er nicht, da nach seiner Ansicht infolge des damit verbundenen Zeitverzuges das Untersuchungsergebnis verfälscht worden wäre. Die Blutentnahme fand um 12:10 Uhr statt. Die Untersuchung der Blutprobe ergab einen THC-Gehalt von >10 ng/ml Blut.
Das Amtsgericht hat das dazu erstattete Gutachten für verwertbar erachtet, weil zu Recht Gefahr im Verzuge wegen der Gefahr von Beweisverschlechterung gesehen wurde. Da der Betroffene bei genügender Überlegung hätte erkennen können und müssen, dass er unter Drogeneinfluss stehe, habe er sich eines fahrlässigen Ver-stoßes schuldig gemacht. Ausgehend von den Vorgaben im Bußgeldkatalog hat das Amtsgericht die benannten Rechtsfolgen angeordnet.
Gegen dieses Urteil wendet sich der Betroffene mit seiner Rechtsbeschwerde, mit der er ausschließlich die Verwertung des Ergebnisses der Blutprobenuntersuchung angreift.
II.
Die Sache ist gemäß § 80a Abs. 3 OWiG zur Entscheidung auf den Senat übertragen worden. Es war geboten, das Urteil zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung und zur Fortbildung des Rechts nachzuprüfen. Inwieweit von Seiten der Polizei entgegen dem Richtervorbehalt des § 81a StPO angeordnete Blutprobenentnahmen ein Beweisverwertungsverbot zur Folge haben können, hat der Senat bislang nicht entschieden.
III.
Die Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zum Freispruch des Betroffenen.
1. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig. Sie ist fristgerecht und in einer den Anforderungen des § 79 Abs. 3 OWiG i.V.m. § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügenden Weise erhoben worden. Zwar ist dem Vorbringen in der Rechtsbeschwerde eine allgemeine Sachrüge nicht zu entnehmen, da der Betroffene sich ausschließlich gegen die vorgenommene Verwertung des Ergebnisses der Blutprobe wendet. Die insoweit erhobene Verfahrensrüge enthält indessen (gerade noch) alle erforderlichen Angaben über die den behaupteten Mangel begründenden Tatsachen. Es werden die Anordnung durch den Polizeibeamten, die daraufhin erfolgte Entnahme der Blutprobe, die Umstände, aufgrund derer der Zeuge PK K. von Gefahr im Verzuge ausging - wobei die Rechtsbeschwerde es unterlässt mitzuteilen, unter dem Einfluss welcher Droge der Betroffene gestanden haben soll, dieser Mangel sich aber nicht auswirkt, weil selbst bei schnellstmöglichem Abbau der Wirkstoffkonzentration im Blut des Betroffenen ein Verfahrensmangel festzustellen ist (s.u.) - ,der Widerspruch des Betroffenen in der Hauptverhandlung gegen die Verwertung des Ergebnisses der Untersuchung (vgl. hierzu OLG Hamburg, NJW 2008, 2597) und die Tatsachen, aus denen sich ein Verwertungsverbot ergeben soll, vorgetragen. Auch der Umstand, dass der Betroffene keine Einwilligung zu einer freiwilligen Blutentnahme erklärt hat, ist Gegenstand des Rechtsbeschwerdevorbringens.
Soweit die Generalstaatsanwaltschaft unter Verweis auf die Beschlüsse des hiesigen 2. Senats für Bußgeldsachen vom 11. Februar 2008 (322 SsBs 25/08) und 13. März 2009 (322 SsBs 26/09) einen ausdrücklichen Widerspruch des Betroffenen gegen die Blutentnahme für erforderlich hält, der Betroffene in seiner Rechtsbeschwerde aber nur vorbringe, er hätte einer freiwilligen Blutentnahme widersprochen, wenn er danach gefragt worden wäre, überspannt sie die Anforderungen an das erforderliche Vorbringen. Dass der Betroffene sich widerstandslos einer polizeilichen Anordnung gebeugt hat, ist nur das, was grundsätzlich von jedem Bürger erwartet wird und hat darüber hinaus keine Aussagekraft (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 12. März 2009, 3 Ss 31/09, bei juris). Dem entsprechend schließt auch lediglich die - ausdrücklich oder sich aus den Umständen ergebende - Einwilligung eines Betroffenen die Notwendigkeit einer Anordnung der Blutentnahme aus und ist ihr Fehlen bei der Rechtsbeschwerdebegründung mit vorzutragen (vgl. Senatsbeschluss vom 16. Juli 2008, 311 SsBs 43/08; vgl. auch OLG Hamburg a.a.O.).
2. Die Rechtsbeschwerde ist unter dem Gesichtspunkt einer Verletzung des § 81a StPO auch begründet.
a. Zu Recht beklagt der Betroffene einen Verstoß gegen § 81a Abs. 2 StPO. Danach steht die Anordnung einer Entnahme von Blutproben nach § 81a Abs. 1 StPO grundsätzlich dem Richter zu, während Ermittlungspersonen nur bei Gefährdung des Untersuchungserfolges durch Verzögerung solche Anordnungen treffen dürfen. Die Einschätzung des Zeugen PK K., der das Amtsgericht ohne dies zu hinterfragen gefolgt ist, dass eine vorherige richterliche Entscheidung wegen des damit verbundenen Zeitverzuges das Untersuchungsergebnis verfälscht hätte, reicht für die Annahme der Gefährdung des Untersuchungserfolges nicht aus. Denn es wäre in der Zeit zwischen dem Vorfall um 11:50 Uhr und der Blutprobenentnahme um 12:10 Uhr, also einem Zeitraum von zwanzig Minuten, ein Leichtes gewesen, jedenfalls telefonisch eine richterliche Anordnung einzuholen, während der Betroffene zu dem die Blutentnahme durchführenden Arzt verbracht worden ist. Der Vorfall fand an einem Donnerstag zur Mittagszeit statt, bei der das hierfür zuständige Amtsgericht H. mit mehreren Richterinnen und Richtern besetzt gewesen sein dürfte. Anhaltspunkte dafür, dass von Seiten der Richterschaft eine entsprechende Anordnung etwa mangels Aktenvorlage abgelehnt oder nur mit erheblicher Verzögerung beschlossen worden wäre, liegen nicht vor. Es handelte sich um einen einfach gelagerten Sachverhalt, bei dem der richtige Betroffene feststand und aufgrund des Drogenschnelltestes hinreichende Gründe für die zu beantragende Anordnung vorgelegen hatten. Insoweit fehlte es an Anhaltspunkten für die Annahme von Gefahr im Verzug (vgl. zu Allem auch OLG Hamm, a.a.O.).
b. Der so festzustellende Verfahrensverstoß führt vorliegend zu einem Beweisverwertungsverbot, also zur Unverwertbarkeit des Ergebnisses der Blutuntersuchung. Zwar führt grundsätzlich nicht jeder Verstoß gegen Verfahrensvorschriften zwingend zu einem Beweisverwertungsverbot. Vielmehr bedarf es nach der vom BVerfG gebilligten Auffassung (ZfS 2009, 46) einer an den Umständen des Einzelfalls sich orientierenden umfassenden Abwägung der widerstreitenden Interessen, wobei das Ergebnis maßgeblich vom Gewicht des in Frage stehenden Verfahrensverstoßes bestimmt wird (vgl. OLG Hamm, a.a.O; NStZ-RR 2009, 185). Insbesondere die willkürliche Annahme von Gefahr im Verzug oder das Vorliegen eines besonders schwer wiegenden Fehlers kann dabei ein Verwertungsverbot nach sich ziehen. So liegt es hier. Die vom Zeugen K. getroffene und von dem Amtsgericht darin folgende Annahme, dass aufgrund der zeitlich zu erwartenden Verzögerung bei Einholung einer richterlichen Anordnung eine Verschlechterung des Untersuchungserfolges zu befürchten ist, ist vorliegend auch bei wohlwollender Betrachtung so evident fehlerhaft, dass ihr Mangel die Zulässigkeit der Verwertung der Blutprobenuntersuchung ausschließt. Denn eine zeitliche Verzögerung war wegen der Möglichkeit, zumindest bis zur Durchführung der Blutentnahme eine richterliche Anordnung per Telefon einzuholen, nahezu ausgeschlossen. Es lag auch nicht etwa die Konstellation vor, dass der Polizeibeamte sich erst an einen Richter im Bereitschaftsdienst wenden musste, was angesichts der zum Vorfallszeitpunkt nicht endgültig geklärten Rechtsfragen das Vorgehen wenigstens nachvollziehbarer gemacht haben könnte (vgl. hierzu OLG Hamm, Beschluss vom 12. März 2009, 3 Ss 31/09 bei juris). Eine dennoch zulässige Verwertbarkeit der Blutuntersuchung wie im vorliegenden Fall dürfte faktisch die Aufhebung des Richtervorbehalts in § 81a Abs. 2 StPO zur Folge haben. Deshalb war auch unter Berücksichtigung der in der Rechtsprechung entwickelten, gegen die Annahme eines Verwertungsverbotes bei Verstoß gegen § 81a Abs. 2 StPO sprechenden Kriterien - Eingriff in die körperliche Integrität des Betroffenen von nur geringer Intensität; nur einfachgesetzlicher Richtervorbehalt; richterlicher Beschluss wäre mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erlangen gewesen; Schutz der Verkehrssicherheit vor unter Drogeneinfluss stehenden Kraftfahrern (vgl. statt vieler OLG Hamm, NStZ-RR 2009, 185) - ein Verwertungsverbot gegeben.
3. Das angefochtene Urteil konnte damit keinen Bestand haben. Da es an einer rechtlich zulässigen Grundlage für den Nachweis einer Fahrt des Betroffenen unter Drogeneinfluss fehlt und nicht ersichtlich ist, dass diese auf andere Weise erlangt werden kann, war der Betroffene durch den Senat gemäß § 79 Abs. 6 OWiG freizusprechen.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 46 OWiG i.V.m. § 467 StPO.