Oberlandesgericht Braunschweig
Urt. v. 08.11.2007, Az.: 8 U 158/05
Formularmäßige Beschränkung der Haftung auf versicherbare Schäden im Einheitsarchitektenvertrag
Bibliographie
- Gericht
- OLG Braunschweig
- Datum
- 08.11.2007
- Aktenzeichen
- 8 U 158/05
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2007, 53747
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGBS:2007:1108.8U158.05.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Göttingen - 26.07.2005 - AZ: 8 O 486/00
Rechtsgrundlagen
- § 9 Abs. 1 AGBG
- § 307 Abs. 1 BGB
Fundstellen
- BauR 2009, 122-123 (Volltext mit red. LS)
- BauR 2009, 549 (red. Leitsatz)
- IBR 2009, 98 (Volltext mit red. LS u. Anm.)
- MDR 2010, 678
- OLGReport Gerichtsort 2009, 325-326
Redaktioneller Leitsatz
Die Beschränkung der Haftung eines Architekten auf versicherbare Schäden gem. § 5 AVA zum Einheitsarchitektenvertrag ist wegen unangemessener Benachteiligung des Auftraggebers unwirksam, da sie mangels Kenntnis eines durchschnittlichen Auftraggebers von der Versicherbarkeit eines Schadens gegen das Transparenzgebot verstößt.
In dem Rechtsstreit
des Herrn H,
Beklagter und Berufungskläger,
Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte,
gegen
die Wohnungseigentümergemeinschaft, vertreten durch den Verwalter
Klägerin und Berufungsbeklagte,
Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte ,
hat der 8. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Braunschweig durch die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht, die Richterin am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht auf die mündliche Verhandlung vom 11. Oktober 2007 für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung des Beklagten gegen das Schlussurteil des Landgerichts Göttingen vom 26. Juli 2005 - Az. 8 O 486/00 - wird -über den bereits rechtskräftig ausgeurteilten Betrag von 51.129,19€ hinaus - insoweit zurückgewiesen, als der Beklagte zur Zahlung weiterer 63.072,22 € nebst 4% Zinsen seit dem 14.11.2000 verurteilt worden ist.
Die Entscheidung im Übrigen einschließlich derüber die Kosten des Rechtsstreits bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 125% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht zuvor die Klägerin in Höhe von 125% des jeweils zu vollstreckenden Betrages Sicherheit leistet.
Gründe
I. Die Parteien streiten um Ansprüche der Klägerin aus dem Bauvorhaben.
Wegen des Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand des Teil-, Grund- und Endurteils vom 22.10.2002 (Band II Bl. 38 - 43 d. A.) sowie auch hinsichtlich der Anträge erster Instanz auf den Tatbestand des angefochtenen Schlussurteils vom 26.07.2005 (Band III Bl. 26 f. d. A.) Bezug genommen.
Das Landgericht hat den Beklagten zur Zahlung von 144.000,00 € nebst 4% Zinsen seit dem 14.11.2000 verurteilt. Nach Rechtskraft des Grundurteils vom 22.10.2002 sei unter Zugrundelegung des Gutachtens des Sachverständigen Prof. von Mangelbeseitigungskosten i. H. v. 164.000,00€ abzgl. Sowiesokosten i. H. v. 20.000,00 € auszugehen. Der Beklagte sei aufgrund der Feststellungen im Grundurteil mit dem Einwand des Mitverschuldens der Klägerin ausgeschlossen. Soweit sich der Beklagte weiter unter Bezugnahme auf Ziffer 8 seines Architektenvertrages sowie § 5.3 der Allgemeinen Vertragsbestimmungen zum Architektenvertrag (AVA) auf eine Haftungsbegrenzung i. H. v. 100.000,00 DM (= 51.129,19 €) berufe, sei er damit aufgrund verspäteten Vorbringens nach § 296 Abs. 2 ZPO ausgeschlossen.
Gegen dieses Urteil hat der Beklagte mit Schriftsatz vom 09.09.2005, eingegangen bei Gericht als Faxschreiben am gleichen Tage, Berufung eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 08.11.2005, eingegangen bei Gericht am gleichen Tage, begründet, nachdem ihm hierfür die Frist durch Verfügung vom 07.10.2005 bis zum 09.11.2005 verlängert worden war.
Der Beklagte greift das Urteil insofern an, als er zu mehr als 51.129,19 € nebst Zinsen verurteilt worden ist. Zur Begründung führt er aus, dass das Landgericht zu Unrecht den Einwand der Haftungsbegrenzung als verspätet angesehen habe. Bereits mit der Klage sei der Architektenvertrag mit der Regelung der Ziff. 8 und des Hinweises auf die AVA überreicht worden. Im Übrigen habe sich die Klägerin selbst im Laufe des Rechtsstreits mit Schriftsatz vom 28.02.2003 (Band II Bl. 126 ff. d. A.) auf die AVA bezogen und diese auch vorgelegt (Band II Bl. 139 d. A.). Folgerichtig habe er sich bereits mit Schriftsatz vom 17.03.2005 (Band II Bl. 246 f. d. A.) auf die Haftungsbegrenzung, wie sie in § 5.3 der AVA formuliert ist, berufen. Die Klägerin habe daher die Einbeziehung der AVA zu Unrecht bestritten. Auch sei bereits in einem Honorarrechtsstreit - Az. 2 O 270/96 LG Göttingen - festgestellt worden, dass die AVA wirksam Vertragsbestandteil geworden seien. Die entsprechende Regelung in § 5.3. AVA greife auch ein, weil er weder grob fahrlässig noch vorsätzlich seine Pflichten als Architekt verletzt habe. Ferner ist er der Auffassung, dass er sich auch noch nach Erlass des Grundurteils auf die Haftungsbegrenzung berufen könne, weil die Einschränkung der Haftung nicht Gegenstand des Grundurteils gewesen sei.
Im Übrigen rügt der Beklagte die Höhe der vom Landgericht festgestellten Sanierungskosten. Der Sachverständige Prof. habe seinem Gutachten als Kosten für die Beseitigung bereits bestehender Risse und Gebäudeschäden die Ausführungen des Sachverständigen Dipl.-Ing. aus dem selbständigen Beweisverfahren (Az. 2 OH 1/98 LG Göttingen) zugrunde gelegt. Die dortigen Ausführungen seien aber nicht nachvollziehbar und würden unberücksichtigt lassen, dass im Falle der Hebung des Gebäudes die genannten Kosten gerade nicht mehr anfallen würden.
Soweit das Landgericht dem Feststellungsantrag entsprochen hat, hat er die Berufung in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat zurückgenommen.
Im Übrigen beantragt der Beklagte,
das Schlussurteil des Landgerichts Göttingen vom 26.07.2005 - Az. 8 O 486/00 - zu Ziff. 1. dergestalt abzuändern, dass der Beklagte zur Zahlung von nicht mehr als 51.129,19 € nebst 4% Zinsen seit dem 14.11.2000 verurteilt wird.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Unter Verteidigung des landgerichtlichen Urteils ist sie der Auffassung, dass das rechtskräftige Grundurteil den Beklagten hindere, den Einwand der Haftungsbegrenzung noch im Betragsverfahren zu erheben. Im Übrigen sei § 5.3 der AVA nicht wirksam vereinbart worden. Die Voraussetzungen für die eingeschränkte Haftung lägen ebenso nicht vor, weil dem Beklagten bei der Planung und Betreuung des Bauvorhabens grobe Fahrlässigkeit zur Last falle.
Durch Beschluss vom 17. November 2006 hat der Senat eine ergänzende Stellungnahme des Sachverständigen Dipl.-Ing. eingeholt. Auf den Inhalt des Gutachtens vom 04. Mai 2007 (Band III Bl. 124 ff. d. A.) sowie die ergänzende Stellungnahme vom 01. Oktober 2007 (Band III Bl. 192 ff. d. A.) und auf die Erläuterungen des Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung vom 11. Oktober 2007 (Bl. 208 ff. d. A.) wird Bezug genommen. Die Beiakten 2 OH 1/98 Landgericht Göttingen lagen vor und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird imÜbrigen auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
II. Auf das zwischen den Parteien bestehende Rechtsverhältnis finden die Vorschriften vor Geltung des Gesetzes zur Schuldrechtsmodernisierung Anwendung (Art. 229 § 5 EGBGB).
Die Berufung des Beklagten ist zulässig, sie ist insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet.
Die Berufung ist unbegründet, soweit sich der Beklagte gegen eine Verurteilung über 51.129,19 € hinaus bis zu einem Betrag von 114.201,41 € nebst Zinsen wendet. Der Klägerin steht ein Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von mindestens 114.201,41 € gegen den Beklagten zu. Insoweit war im Wege des Teilurteils, § 302 ZPO, über die Berufung zu entscheiden. Ob die Berufung hinsichtlich des Verteidigung gegen einen darüber hinaus gehenden Betrag Erfolg hat, bedarf noch weiterer Aufklärung. Insofern ist der Rechtsstreit noch nicht zur Entscheidung reif. Im Einzelnen:
1. Es kann dahinstehen, ob sich der Beklagte im Betragsverfahren noch auf die Haftungsbegrenzung nach § 5.3 der AVA berufen kann. Denn die dort formulierte Haftungsbeschränkung wäre jedenfalls wegen Verstoßes gegen § 9 Abs. 1 AGBG unwirksam. Hierzu:
a. Zweifelhaft ist, ob sich der Beklagte auf § 5.3 der AVA im Betragsverfahren noch berufen kann, weil die entsprechende Haftungsbeschränkung nur im Falle leichter Fahrlässigkeit eingreift, dagegen bei Vorsatz und grober Fahrlässigkeit (vgl. § 5.2 AVA) ausscheidet. Damit hängt die Haftungsbegrenzung von der Art des Verschuldens ab. Das Verschulden ist aber bereits im Rahmen der Prüfung der Haftung dem Grunde nach festgestellt worden. Nach dem rechtskräftigen Grundurteil steht das Verschulden des Beklagten schon fest. Denn der Anspruch auf Schadensersatz nach § 635 BGB setzt Verschulden voraus. Daher liegt es nahe, dass die Frage der Haftungsbegrenzung nicht mehr Gegenstand des Betragsverfahrens sein kann.
b. Dies kann letztlich aber dahinstehen, weil die in § 5.3 und § 5.4 AVA formulierten Haftungsbegrenzungen gegen das Transparenzgebot verstoßen und damit nach § 9 Abs. 1 AGBG nichtig sind.
Da es sich bei den AVA um Allgemeine Vertragsbedingungen i. S. d. § 1 Abs. 1 AGBG handelt und diese nach dem Vortrag des Beklagten von ihm nach § 2 Abs. 1 AGBG in das Vertragsverhältnis einbezogen worden sind, unterliegen die Klauseln der Gültigkeitskontrolle. Nach § 9 Abs. 1 AGBG darf eine Klausel den Vertragspartner nicht nach Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Eine solche Benachteiligung wird u. a. dann angenommen, wenn gegen das "Transparenzgebot" verstoßen wird (vgl. BGH NJW 1989, 222, 224 [BGH 24.11.1988 - III ZR 188/87]). Denn Treu und Glauben verpflichten den Verwender von Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die Rechte und Pflichten seines Vertragspartner möglichst klar und durchschaubar darzustellen. Abzustellen ist dabei - ebenso wie bei § 3 AGBG - nicht auf die Erkenntnismöglichkeiten des konkreten Vertragspartners, auch nicht auf das Verständnis eines Fachmanns, insbesondere eines Juristen, der sich eingehend mit den betreffenden AGB beschäftigt hat. Maßgebend sind vielmehr die Verständnismöglichkeiten des typischerweise bei Verträgen der geregelten Art zu erwartenden Durchschnittskunden (vgl. BGH aaO.).
Dieses zugrunde gelegt sind § 5.3 und § 5.4 der hier im Streit stehenden AVA (in Verbindung mit Ziff. 8 des Einheitsarchitektenvertrages) unwirksam. Denn der durchschnittliche Auftraggeber kann nicht die Art der unter die Haftungsbeschränkung fallenden Schäden erkennen, weil nicht offengelegt ist, welche Schäden "versicherbar" sind. Der Vertragspartner des Architekten kennt die Versicherungsbedingungen nicht; er weiß nicht, welche Schäden versichert sind und welche nicht (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 10.10.1991 - 13 U 190/90 - IBR 1992, 280; Schmalzl/Lauer/Wurm, Haftung des Architekten und Bauunternehmers, 5. Auflage, Rz. 581; Löffelmann/Fleischmann/Ihle, Architektenrecht, 5. Auflage, Rn. 2089).
Soweit sich der Beklagte auf das von ihm angeführte Urteil des Bundesgerichtshofes vom 26.09.1985 (Az. VII ZR 50/84 - Versicherungsrecht 1986, 37), beruft, ist dieses nicht einschlägig. Denn der dortigen Entscheidung lagen die Allgemeinen Vertragsbestimmungen zum Einheitsarchitektenvertrag in der Fassung vom 05. Januar 1976 zugrunde. In diesen war im Gegensatz zu den hier vorgetragenen Allgemeinen Vertragsbestimmungen zum Einheitsarchitektenvertrag in der Fassung von 1985 keine Haftungsbeschränkung für versicherbare Schäden geregelt.
c. Aufgrund der Unwirksamkeit der von dem Beklagten vorgetragenen Haftungsbegrenzung kommt es nicht darauf an, ob diese überhaupt wirksam in den Vertrag einbezogen worden ist.
2. Da der Beklagte uneingeschränkt haftet, hat er den Schaden zumindest i. H. v. 114.201,41€ zu tragen. Dieser errechnet sich entsprechend dem Gutachten des Sachverständigen Prof. vom 05.02.2005 wie folgt:
(1) Nachgründung und Hebung des Gebäudes mit Erka-Pfählen: | 100.674,84 €, |
---|---|
(2) Zulage für Mehrlängen: | 7.878,00 €, |
(3) zusätzliche Baugrunderkundungen: | 603,45 € |
Zwischensumme netto: | 109.156,29 € |
(4) zzgl. 19% MwSt | 20.739,70 € |
Zwischensumme brutto: | 129.895,99 € |
(5) abzgl. Sowiesokosten | 20.000,00 € |
Zwischensumme brutto: | 109.895,99 € |
(6) Umrechnung auf Baupreise 2007 | 114.201,41 € |
Zu den einzelnen Positionen (entsprechend obiger Nummerierung):
(1) - (3): Die Kosten für die Nachgründung und Hebung des Gebäudes, einschließlich der Mehrlängen sowie der durchzuführenden Baugrunderkundungen ergeben sich aus dem Erstgutachten des Sachverständigen Prof.. Sie werden von dem Beklagten auch nicht angegriffen.
(4) Die so ermittelten Nettokosten i. H. v. 109.156,29 € sind um die Mehrwertsteuer zu erhöhen. Hierbei ist von dem inzwischen gültigen Mehrwertsteuersatz von 19% auszugehen. Denn die Höhe des Schadensersatzanspruchs bestimmt sich nach den Kosten zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (vgl. BGH NJW 1996, 2652, 2654 [BGH 12.07.1996 - V ZR 117/95]; MK-Oetker, BGB, 5. Aufl., § 249 Rn. 305 m. w. N.).
(5) Dagegen sind die vom Sachverständigen Prof. ermittelten und im Berufungsverfahren unstreitigen 20.000,00 € als Sowiesokosten In Abzug zu bringen.
(6) Aus dem gleichen Grund wie bei der Pos. (4) sind die Baupreise entsprechend dem Gutachten des Sachverständigen vom 04. Mai 2007 (dort Bl. 4 - Band III Bl. 127 d. A.) auf das Jahr 2007 umzurechnen.
Die Klägerin ist auch nicht gehindert, die erhöhte Position geltend zu machen. Sie hat sich insofern mit Schriftsatz vom 04.06.2007 die Ausführungen des Sachverständigen zu eigen gemacht.
3. Der Zinsanspruch folgt aus § 291 BGB.
III. Die Entscheidung über die Kosten bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.
Die Regelung der vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus§§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.