Oberlandesgericht Oldenburg
Beschl. v. 26.04.2018, Az.: 4 UF 44/18
Begriff der unzumutbaren Härte i.S. von § 1565 Abs. 2 BGB; Voraussetzungen der Scheidung der Ehe vor Ablauf des Trennungsjahres
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 26.04.2018
- Aktenzeichen
- 4 UF 44/18
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2018, 53337
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Oldenburg (Oldb.) - 13.02.2018 - AZ: 73 F 93/17 S
Rechtsgrundlage
- § 1565 Abs. 2 BGB
Redaktioneller Leitsatz
Eine Scheidung vor Ablauf des Trennungsjahres erfordert, dass die Fortsetzung der Ehe für den Antragsteller aus Gründen, die in der Person des anderen Ehegatten liegen, eine unzumutbare Härte darstellt. Dabei kommt es nicht auf die Zumutbarkeit des weiteren ehelichen Zusammenlebens, also die Zumutbarkeit der Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der häuslichen Gemeinschaft an, sondern die unzumutbare Härte muss sich auf die Aufrechterhaltung des formellen Ehebandes beziehen. Dies ist bei schweren Beleidigungen, groben Ehrverletzungen und demütigenden Ehrverletzungen in Verbindung mit Tätlichkeiten zu bejahen.
Tenor:
Der Senat beabsichtigt, ohne mündliche Verhandlung gemäß § 68 Abs.3 FamFG die Beschwerde des Antragstellers als unbegründet zurückzuweisen.
Der Antrag des Antragsgegners vom 23.04.2018 auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe wird zurückgewiesen.
Es besteht Gelegenheit zur Stellungnahme zu diesem Hinweisbeschluss und Entscheidung über die Aufrechterhaltung der Beschwerden unter Kostengesichtspunkten binnen zwei Wochen nach Zustellung des Beschlusses.
Gründe
Der Senat lässt sich bei seiner Absicht nach § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG zu verfahren, von folgenden Überlegungen leiten:
Eine mündliche Verhandlung hat bereits in erster Instanz stattgefunden. Weitere Erkenntnisse sind nicht zu erwarten.
Die Beteiligten sind verheiratet. Sie leben jedenfalls seit dem 23.09.2017 voneinander getrennt. Das Amtsgericht -Familiengericht- Oldenburg hat die Ehe der Beteiligten auf Antrag der Antragstellerin mit Beschluss vom 13.02.2018 vor Ablauf des Trennungsjahres geschieden und die Folgesache Versorgungsausgleich abgetrennt. Zur Begründung ist ausgeführt worden, die Fortsetzung der Ehe würde für die Antragstellerin aus Gründen, die in der Person des Antragstellers liegen, eine unzumutbare Härte bedeuten. Nach Anhörung der Beteiligten und Vernehmung zweier Kinder der Beteiligten ist das Amtsgericht -Familiengericht- zu der Überzeugung gelangt, der Antragsgegner habe seine Ehefrau wiederholt beleidigt und sie zum Teil tätlich angegriffen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der angefochtenen Entscheidung verwiesen.
Hiergegen wendet sich der Antragsgegner mit seiner Beschwerde, mit der er geltend macht, die Ehe sei zu Unrecht vor Ablauf des Trennungsjahres geschieden worden. Die Würdigung der Angaben der beiden vernommenen Zeugen sei nicht fehlerfrei. Es fehle die notwendige Beschreibung eines mit Leben gefüllten Sachverhaltes. Keiner der Zeugen habe Tätlichkeiten nach konkretem Inhalt und Ausmaß beschrieben. Hinsichtlich der bekundeten Beleidung stütze sich das Familiengericht auf eine wörtliche Übersetzung der in türkischer Sprache geäußerten Bekundungen, statt eine "kulturelle" Übersetzung vorzunehmen. Eine "kulturelle" Übersetzung nehme den angeblichen Beleidigungen deutlich an Schärfe.
Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist unbegründet. Der Ausspruch der Ehescheidung ist zu Recht erfolgt. Die Voraussetzungen eines Scheidungsgrundes gemäß § 1565 Abs. 2 BGB liegen vor. Diese Vorschrift lässt die Scheidung einer Ehe - unter der Voraussetzung, dass die Ehe im Sinne von § 1565 Abs. 1 BGB gescheitert ist (vgl.: BGH, Urteil vom 05.11.1980 - IV b ZR 538/80 - NJW 1981, 449 ff. [BGH 05.11.1980 - IVb ZR 538/80]) - auch vor einer einjährigen Trennung zu, wenn die Fortsetzung der Ehe für den Antragsteller aus Gründen, die in der Person des anderen Ehegatten liegen, eine unzumutbare Härte darstellt. Dabei kommt es nicht auf die Zumutbarkeit des weiteren ehelichen Zusammenlebens, also die Zumutbarkeit der Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der häuslichen Gemeinschaft an, sondern die unzumutbare Härte muss sich auf die Aufrechterhaltung des formellen Ehebandes beziehen (BGH, Urteil vom 05.11.1980, a. a. O., S. 450). Unter Berücksichtigung der hierzu entwickelten Anwendungsfälle (Palandt-Brudermüller, BGB, 77. Auflage § 1565 Rdn. 10, 11) sind hier schwere Beleidigungen, grobe Ehrverletzungen und demütigende Ehrverletzungen i.V. mit Tätlichkeiten zu bejahen. Die Antragstellerin hat im Rahmen ihrer Anhörung beschrieben, dass ihr Ehemann sie immer wieder geschlagen und gekniffen habe. Nach 26 Jahre Ehe ertrage sie das nicht mehr; sie sei psychisch kaputt. In Übereinstimmung mit diesen Angaben hat der Sohn der Beteiligten als Zeuge bekundet, dass es zuletzt am 23.09.2017 einen Streit zwischen ihm und seinem Vater gegeben habe. Der 25-jährige Sohn schildert dazu, dass er von seinem Vater eine Ohrfeige erhalten habe; der Vater sei wie immer sehr aggressiv gewesen. Seine Mutter habe den Streit zu schlichten versucht, woraufhin sie von dem Vater geschüttelt worden sei. Zuletzt habe die Antragstellerin die Polizei verständigt, die aber erst eingetroffen sei, als der Vater bereits weg gewesen sei. Die Mutter habe einen Krisenanfall erlitten, so dass ein Rettungswagen habe verständigt werden müssen. Auf Frage zu weiteren Vorfällen konnte der Zeuge bekunden, dass der Vater die Antragstellerin und seine zwei Schwestern geschlagen habe. Des Weiteren habe er seine Mutter mehrfach beleidigt, indem er äußerte: "Ich ficke die Vagina Deiner Mutter, ich ficke Dein Blut" etc. Zusammenfassend hat der Zeuge seinen Vater als "Pascha" beschrieben. Es musste gemacht werden, was er sagte. Wurden seine Befehle nicht ausgeführt, folgten zunächst Beleidigungen, dann sei er zu Gewalttätigkeiten übergegangen.
Die Bekundungen des Zeugen decken sich mit den Angaben seiner Schwester. Auch sie hat berichtet, dass der Vater seine Mutter am 23.09./24.09.2017 geschüttelt habe. Es sei ein heftiges Schütteln gewesen. Die Nachbarn seien dazugekommen, um zu Schlichten. Zuletzt seien die Polizei und die Johanniter erschienen. In der Vergangenheit sei ihr Vater sowohl ihr wie auch der Mutter gegenüber gewalttätig geworden. Teilweise habe sie dies so gesehen, teilweise habe sie bei ihrer Mutter blaue Flecke bemerkt. Die vom Zeugen bekundeten Beleidigungen habe sie auch mehrfach gehört.
Das Amtsgericht -Familiengericht- hält diese Angaben der Zeugen und der Antragstellerin für glaubhaft. Der Senat folgt dem. Es erscheint lebensfremd, dass sich die Antragstellerin und ihre beiden als Zeugen vernommene Kinder zusammengefunden haben, um den Antragsgegner mit unberechtigten Vorwürfen zu überhäufen. Der Vorfall vom 23.09./24.09.2017 führte dazu, dass Nachbarn, die Polizei und ein Rettungswagen vor Ort waren. All das spricht dafür, dass sich das Geschehen so zugetragen hat, wie vom Amtsgericht-Familiengericht- angenommen. Vor dem Hintergrund dieses Vorfalles bestehen auch keine Zweifel daran, dass der Antragsgegner in der Vergangenheit seine Ehefrau beleidigt hat und ihr gegenüber tätlich geworden ist. Es ist typisch für Gewalttätigkeiten in der Ehe, dass jahrelang Demütigungen und Tätlichkeiten eines Ehepartners ausgehalten werden, bis zu dem Punkt, in dem dies nicht mehr gelingt. Dies hat die Antragstellerin überzeugend so geäußert, dass sie das 26 Jahre ausgehalten habe, sie es aber nicht mehr ertrage. Sie sei psychisch kaputt.
Soweit mit der Beschwerde versucht wird, durch eine "kulturelle" Übersetzung die Beleidigungen zu relativieren, kann dem nicht gefolgt werden. Die Reaktion der Antragstellerin auf die Vorfälle vom 23.09./24.09.2017, die den Einsatz eines Rettungswagens notwendig machten, verdeutlichen, wie stark die Antragstellerin durch das Verhalten ihres Ehemannes belastet worden ist. Sowohl die Kinder als auch die Antragstellerin haben die Äußerungen als tief verletzende Beleidigungen aufgefasst. Ein Übersetzungsproblem kann hierfür sicherlich nicht ursächlich gemacht werden. Der Antragsgegner hat durch sein Verhalten die Grundlage eines weiteren Zusammenlebens der Eheleute zerstört. Das Trennungsjahr muss deshalb nicht abgewartet werden, um die Ehe zu scheiden. Die Beschwerde ist zurückzuweisen.
Aus den vorstehenden Gründen ist dem Antragsgegner auch Verfahrenskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren zu versagen.