Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 04.04.2018, Az.: 5 U 9/17

Behandlungsfehler; Sachverständiger; Verjährung

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
04.04.2018
Aktenzeichen
5 U 9/17
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2018, 74497
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
LG - 20.12.2016 - AZ: 3 O 2884/13

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1) Für den Verjährungsbeginn im Arzthaftungsrecht ist es nicht grundsätzlich erforderlich, dass die nicht sachkundige Partei, ihren Verdacht eines arztfehler-haften Verhaltens durch ein Gutachten bestätigt sieht.

2) Ist die Partei in der Lage, den Vorwurf zu formulieren, von dem sie meint, er stelle eine Standardunterschreitung dar, und diente ein Gutachten nur der per-sönlichen Vergewisserung, wird regelmäßig die notwendige Kenntnis Im Sinne des Verjährungsrechts bereits ohne gutachterliche Bestätigung anzunehmen sein.

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das am 20. Dezember 2016 verkündete Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Osnabrück (Aktenzeichen 3 O 2884/13) wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Berufung werden der Klägerin auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Klägerin bleibt nachgelassen, die Zwangsvollstreckung der Beklagten wegen der Kosten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn die Beklagten nicht vor der jeweiligen Vollstreckung Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages geleistet haben.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Die Klägerin, die seit ihrer Geburt am TT.MM 1999 unter einer Erbschen Lähmung leidet, nimmt die Beklagten auf Schmerzensgeld, Schadensersatz und Feststellung zukünftiger Ersatzpflicht im Zusammenhang mit ihrer und der ärztlichen Behandlung ihrer Mutter aus Anlass ihrer Geburt in Anspruch.

Sie hat behauptet, unter der Geburt sei es zu einer Schulterdystokie gekommen, die von den beteiligten Geburtshelfern nicht fachgerecht behandelt worden sei; statt die Dystokie fachgerecht zu lösen, habe die Hebamme an ihrem Kopf gezogen und in dieser Weise den Nervenabriss verursacht. Zudem hat sie gerügt, dass ihre Mutter – insoweit unstreitig – im Aufklärungsgespräch vor der Geburt, das auch die Option einer Kaiserschnittentbindung zum Gegenstand hatte, nicht über das besondere Risiko einer Dystokie im Falle eines vaginalen Entbindungsversuches aufgeklärt worden sei. Schließlich behauptet sie – erstmals im Berufungsrechtszug und zwar nach der ersten mündlichen Verhandlung –, dass die Beklagten postpartale Befunderhebungen mit Blick auf die Erbsche Lähmung unter Verstoß gegen den Facharztstandard versäumt hätten; bei ihr hätte ein MRT und eine Elektromyographie durchgeführt werden müssen.Die Beklagten haben Behandlungsfehler und Aufklärungsversäumnisse bestritten. Sie haben zudem die Einrede der Verjährung erhoben.Wegen der weiteren tatsächlichen Feststellungen und der erstinstanzlichen Anträge wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen.

Das Landgericht hat die Klage nach Einholung eines geburtskundlichen und eines neonatologischen Sachverständigengutachtens abgewiesen. Die Notwendigkeit einer Aufklärung über ein besonderes Dystokierisiko habe nicht bestanden; Behandlungsfehler aus Anlass der Entbindung seien nicht festzustellen; insbesondere könne aus dem Schadensbild, wie es heutigen Tags bei der Klägerin vorliege, nicht sicher darauf zurückgeschlossen werden, dass seinerzeit eine Dystokie bei der Klägerin vorgelegen habe. Es sei auch nicht versäumt worden, einen hinreichend erfahrenen Arzt zur Entbindung hinzuzuziehen. Wie der Sachverständige Prof. Dr. FF festgestellt habe, ergebe sich aus den Behandlungsunterlagen, dass bei der Geburt eine Oberärztin mit anwesend gewesen sei. Weitere Maßnahmen seien insoweit nicht erforderlich gewesen. Wegen der weiteren Begründung wird auf das Urteil verwiesen.

Mit ihrer Berufung greift die Klägerin die Beweiswürdigung des Landgerichts sowie die Feststellungen der gerichtlichen Sachverständigen an. Unter Bezugnahme auf Privatgutachten des Privatgutachters Prof. Dr. Dr. GG zieht sie die Einschätzung des gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. FF in Zweifel, dass bei ihrer Entbindung kein besonderes Dystokierisiko ex ante vorgelegen habe; so meint sie, dass bei korrekter Schätzung ihres Geburtsgewichtes unter Einschluss eines 10-prozentigen Sicherheitaufschlages die Grenze von 4000 g überschritten war, sodass sie zutreffender Weise nicht nur als „großes Kind“, sondern als makrosom hätte eingestuft werden müssen, was wiederum zur Folge gehabt hätte, dass ihre Mutter über ein besonderes Dystokierisiko hätte aufgeklärt werden müssen. Für unzutreffend hält sie in diesem Zusammenhang auch die Annahme des gerichtlichen Sachverständigen, dass keine weiteren Risikofaktoren, die Anlass für eine gesonderte Aufklärung gegeben hätten, vorgelegen hätten, nämlich Übergewicht ihrer Mutter sowie eine auffallende Diskrepanz zwischen ihrem vorgeburtlichen Kopf – und dem Abdomenumfang. Mit Nachdruck wendet sie sich weiterhin gegen die Annahme des Landgerichts, das sich insoweit auf den Sachverständigen Prof. Dr. HH gestützt hat, dass ihre Plexusparese nicht im Zuge der Geburt entstanden sei, sondern auch intrauterin entstanden sein könne. Sie legt in diesem Zusammenhang 2 weitere Stellungnahmen der Privatgutachter Prof. Dr. II und Prof. Dr. JJ vor, auf die wegen der weiteren Einzelheiten verwiesen wird. Auf der Grundlage der Feststellungen von Prof. Dr. JJ erhebt sie zudem den Vorwurf unzureichender postpartale Befunderhebung. Zudem erneuert sie den Vorwurf, die Beklagten hätten einen erfahreneren Arzt zur Geburt hinzuziehen müssen.

Die Klägerin beantragt,
unter entsprechender Abänderung des Urteils des Landgerichts Osnabrück vom 20.12.2016, AZ: 3 O 2884/13, zugestellt am 28.12.2016,

1. die Beklagten und Berufungsbeklagte nach den in 1. Instanz zuletzt gestellten Anträgen der Klägerin und Berufungsklägerin zu verurteilen,

2. hilfsweise, den Rechtsstreit unter Aufhebung des landgerichtlichen Urteils zur weiteren Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht Osnabrück zurückzuverweisen.

Die Beklagten beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigen das angefochtene Urteil nach Maßgabe ihrer Berufungserwiderung, auf die zur Vermeidung von Wiederholungen wegen der weiteren Einzelheiten Bezug genommen wird.

Der Senat hat Beweis erhoben durch Anhörung der erstinstanzlich bestellten Sachverständigen Prof. Dr. FF und Prof. Dr. KK. Wegen der Einzelheiten wird auf die Niederschrift der Sitzung vom 14.03.2018 verwiesen.

II.

Die Berufung bleibt ohne Erfolg.

Behandlungsfehler sind nicht festzustellen bzw. etwaige Vorwürfe verjährt. Aufklärungsversäumnisse liegen nicht vor.

Im Einzelnen:

Soweit die Klägerin mit der Berufung rügt, es habe seinerzeit ein erfahrenerer Arzt in der Geburt hinzugezogen werden müssen, hat der Sachverständige Prof. Dr. FF im ersten Rechtszug bereits festgestellt, dass bei der Geburt eine Oberärztin hinzugezogen worden ist und damit den Beklagten nicht vorgeworfen werden kann, insoweit einen Organisationsfehler begangen zu haben (S.10 des Gutachtens vom 08.09.2014). Die Klägerin hat gegen diese Feststellungen im ersten Rechtszug nichts vorgebracht. Worauf die gleichförmig wiederholte Rüge in der Berufungsbegründung weitergehend abzielt, wird nicht deutlich. Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der landgerichtlichen Tatsachenfeststellung sind insoweit jedenfalls nicht aufgetan (§ 529 Abs.1 Nr.1 ZPO).

Nach Ansicht des Senats ist der weitere Vorwurf, man habe bei der Entbindung fehlerhaft am Kopf des Kindes gezogen bzw. eine etwaige Dystokie unzureichend behandelt, verjährt.

Allerdings spricht nach der Beweisaufnahme viel dafür, dass tatsächlich eine Dystokie vorgelegen hat und durch mechanische Gewalt bzw. Zug die Ausreißung oder Zerreißung des Plexus verursacht worden ist, was, so der geburtskundliche Sachverständige Prof.Dr. FF, einen groben Behandlungsfehler darstelle. Denn im Gegensatz zu den Feststellungen im ersten Rechtszug hat der Senat nach den überzeugenden Ausführungen des neonatologischen Sachverständigen KK die Überzeugung gewonnen, dass die Verletzung der Klägerin auf mechanischen Zug während der Entbindung zurückzuführen ist. Insoweit hat der Sachverständige KK die Feststellungen des Sachverständigen HH aus dem 1. Rechtszug im Sinne des klägerischen Vortrags modifiziert, und zwar dahingehend dass Nervausreißungen oder – zerreißungen, wie sie hier bei der Klägerin angesichts des andauernden Schadensbildes vorliegen müssen, immer auf mechanische Gewalt zurück zu führen sind, wenn die Schädigung nicht, anders als hier, mit sonstigen Fehlentwicklungen, die auf eine intrauterine Schädigung hindeuten, vergesellschaftet sind. Ist indessen von einer Nervzerreißung unter der Geburt auszugehen, spricht vieles dafür, dass bei der Geburt der Klägerin eine Schulterdystokie vorgelegen hat, denn die anderen vom Sachverständigen HH im 1. Rechtszug genannten denkbaren sonstigen Konstellationen, in denen unter der Geburt Zug auf den Plexus ausgeübt werden könnte, hat der Sachverständige Prof. Dr. FF für den vorliegenden Fall nach Auswertung der Behandlungsdokumentation in der Sitzung vom 15.03.2018 als fernliegend ausgeschlossen. Für die klägerische These, dass eine Dystokie vorgelegen habe, spricht in diesem Zusammenhang auch der in den Krankenunterlagen aus Anlass der U2 Untersuchung dokumentierte Befund von periorbitalen Blutungen. Wie der Sachverständige FF nachvollziehbar im Termin erläutert hat, können derartige Blutungen im Gesicht des Kindes Folge einer Stauchung sein, die mit dem sogenannten Turtle-Phänomen zu erklären wäre, also dem Festsitzen des ausgetretenen Kopfes in Höhe des kindlichen Halses in Folge der Dystokie. Mit letzter Sicherheit ist indessen beim jetzigen Verfahrensstand nicht festzustellen, ob eine Dystokie als ausschließliche Ursache für die Plexusschädigung der Klägerin in Betracht kommt, denn der Sachverständige KK hat darauf aufmerksam gemacht, dass bei der Klägerin seit der Geburt eine Muskelhypotonie vorliege; dies begünstige Verletzungen der Nerven, weil es an der natürlichen Muskelspannung, die einer etwaigen Zugbelastung während des Geburtsvorgangs entgegen wirken würde, fehle bzw. die Muskeln jedenfalls nur verminderten Widerstand leisten könnten. Der geburtskundliche Sachverständige Prof. Dr. FF hat in diesem Zusammenhang die außergewöhnlich schnelle Austreibungsphase innerhalb der Geburt der Klägerin in Kombination mit der Muskelhypotonie für einen weiteren denkbaren Pathomechanismus gehalten, der neben einer etwaigen Dystokie die Erbsche Lähmung bei der Klägerin unter der Geburt hervorgerufen haben könnte. Eine weitergehende Aufklärung dieser Frage durch Vernehmung der von den Parteien benannten Zeugen zum Geburtsvorgang, deren Bekundungen möglicherweise Hinweise auf das Vorliegen einer Dystokie bzw. eines Stocken des Geburtsvorgangs und mechanische Einwirkungen auf die Klägerin unter der Geburt geben könnten, ist indessen entbehrlich, da wie ausgeführt ein etwaiger Anspruch insoweit verjährt wäre.



Der Schmerzensgeldanspruch der Klägerin ist gemäß § 852 BGB a.F. i.V.m. Art 229 EGBGB § 6 Abs.3 spätestens am 29.06.2003 und der Anspruch auf Ersatz des materiellen Schadens gemäß Art 229 EGBGB§ 6 Abs.4 S.1, § 195 BGB n.F. am 31.12.2005 verjährt. Dass die Ansprüche unterschiedlich verjähren, erklärt sich daraus, dass die Klägerin ihren vertraglichen Schadensersatzanspruch nicht auf § 253 Abs.2 BGB stützen kann, weil die Norm erst Jahre nach ihrer Geburt zum 01.08.2002 in Kraft getreten ist, so dass die Klägerin hinsichtlich ihres immateriellen Schadens auf ausschließlich deliktische Ansprüche verwiesen ist. Diese verjährten seinerzeit gemäß § 852 BGB in drei Jahren ab Kenntnis vom Schaden und der Person des Schädigers, wobei schon unter der Geltung des alten Rechts zudem erforderlich war, dass der Geschädigte zudem Kenntnis von jenen Tatsachen haben musste, die ein Abweichen vom ärztlichen Standard begründet haben (BGH Urteil vom 24.04.1991, Az VI ZR 161/90 – Juris Rn.10). Dies wird man spätestens für den 23.06.2000 anzunehmen haben, jenen Zeitpunkt, zu dem die Klägerin, vertreten durch ihre Eltern, diese anwaltlich vertreten durch Rechtsanwalt LL das Schlichtungsverfahren eingeleitet haben. Legt man diesen Zeitpunkt zugrunde, hat gemäß § 852 BGB a.F. die Verjährung am 23.06.2000 begonnen und zum 23.06.2003 geendet. Da die materiellen Schadensersatzansprüche der Klägerin neben § 823 Abs.1 auch auf eine PFV des Behandlungsvertrages gestützt werden können, verjährten diese unter Geltung des alten Rechts in 30 Jahren, so dass gemäß Art 229 § 6 Abs.4 S.1 EGBGB insoweit mit dem Stichtag 01.01.2002 das neue Verjährungsrecht zu gelten hat mit der Folge, dass die dreijährige Regelverjährung des § 195 BGB n.F. gemäß § 199 Abs.1 Nr.1 BGB zum 31.12.2002 begonnen und zum 31.12.2005 spätestens geendet hat. Anhaltspunkte dafür, dass die Plexusparese vorsätzlich herbeigeführt worden wäre, was nach § 197 Abs.1 Ziff.1 BGB zu einer 30-jährigen Verjährungsfrist führte, bestehen nicht. Derartiges ist von der Klägerin nicht behauptet worden, obgleich der Senat wiederholt darauf hingewiesen hat, dass er die Ansprüche wegen Behandlungsfehlers für verjährt erachtet. Verjährungsbegründende Kenntnis im Sinne des alten und des neuen Verjährungsrechts hatte die Klägerin mit Blick auf den Vorwurf, dass die Plexusparese durch Ziehen am Kopf bei Dystokie entstanden sei, spätestens mit Einleitung des Schlichtungsverfahrens.

Die Klägerin hat durch ihre Eltern bereits im Jahre 2000 mit dem gleichlautenden Vorwurf ein Schlichtungsverfahren eingeleitet.

Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 29.6.2000 haben sich die Eltern der Klägerin an die Schlichtungsstelle für Arzthaftpflichtfragen der norddeutschen Ärztekammern gewandt. Dort heißt es: „Die Geburt des 3. Kindes, des Mädchens AA, erfolgte jedoch sehr problematisch. Das Kind blieb in der Geburt stecken. Das Kind ist dann per Hand weitergezogen worden. Dieses erfolgte, als das Kind bereits blau angelaufen gewesen sei. Diese Informationen hat Frau (…) von der Hebamme erhalten. Bedauerlicherweise ist dann ein Schaden zurückgeblieben. Der rechte Arm des Kindes ist steif geblieben.“ Im damaligen Einlassungsschreiben des Beklagten zu 2 für die Beklagte zu 1 heißt es: „Laut Partogramm und Aussage von Frau Dr. MM wurden nach Geburt des Köpfchens prophylaktisch die Beine überstreckt und angebeugt. Dieses geburtshilfliche Manöver ist geeignet, in den meisten Fällen eine eventuell festhängende Schulter hinter dem Schambein zu lösen. Die Entwicklung der Schultern erfolgte jedoch dann ohne Anhalt für eine Schulterdystokie….Entgegen den aufgestellten Behauptungen ist nicht am Köpfchen gezogen worden… Meiner Information nach hat sich keine Hebamme des Hauses dazu geäußert, dass sie am Köpfchen gezogen hat. Dies würde eine geburtshilfliche Fehlleistung darstellen und ist entschieden zurückzuweisen. Das Kind ist lediglich über Heben und Senken entwickelt worden, dies regelrechte geburtshilflichen Entwicklungsmanöver.“ Im Bescheid der Schlichtungsstelle heißt es: „Zusammenfassend wird vom Gutachter eingeschätzt, dass mit dem Vorliegen einer fetalen Makrosomie und der Multiparität nur sehr schwache Faktoren hinsichtlich der Risikoabschätzung einer Schulterdystokie bzw. Plexusschädigung bestanden hätten. In den Krankenblattunterlagen finden sich keine Hinweise auf eine Schulterdystokie bzw. eine erschwerte Schulterentwicklung. Somit sei ein Zusammenhang mit der entstandenen Parese zu verneinen. Die prophylaktische Anwendung des Macroberts-Manöver sei richtig und geeignet gewesen, eine Schulterdystokie zu vermeiden.“

Damit hatte die Klägerin bereits damals, vertreten durch ihre Eltern (§§ 166 Abs. 1 2. Var. 1629 Abs. 1 S. 1 BGB) die erforderliche Kenntnis von dem etwaigen Behandlungsfehler.
Zwar war der erhobene Vorwurf nicht durch weitergehende medizinische Sachkunde untermauert, wie etwa durch ein Privatgutachten. Anders als dies im anwaltlichen Schrifttum mitunter postuliert wird (z.B. Ziegler/Oynar NJW 2017, 2438 ff), ist indessen nicht regelmäßig für die den Verjährungsbeginn vermittelnde Kenntnis erforderlich, dass der Patient seinen Verdacht durch eine sachverständige Feststellung bestätigt sieht (vgl. nur Martis/Winkhart, Arzthaftungsrecht, 5.Aufl., V 54 ff). Der Verjährungsbeginn setzt nicht voraus, dass der Geschädigte bereits hinreichend sichere Beweismittel in der Hand hat, um einen Rechtsstreit im Wesentlichen risikolos zu führen (vgl. nur BGH NJW 2017, 949 [BGH 08.11.2016 - VI ZR 594/15]). Nach Ansicht des Senats ist insoweit vielmehr eine differenzierte Beurteilung des Einzelfalls erforderlich, bei der zum einen die Interessen des nicht sachkundigen Patienten am Schutz vor Rechtsverlust, aber auch das Interesse der Behandler an Rechtssicherheit und Rechtsklarheit zu berücksichtigen sind. Danach hat hier die notwendige Kenntnis vorgelegen. Die Klägerin (vertreten durch ihre Eltern) war ohne weitergehende sachverständige Beratung in der Lage jenen Vorwurf zu formulieren, den sie auch heutigentags unverändert gegen die Beklagten erhebt und der auch nach sachverständiger Beratung keine weitere relevante Differenzierung erfahren hat. In diesem Zusammenhang würde ein bestätigendes Privatgutachten der Klägerin seinerzeit keine weitergehende Kenntnis, sondern nur allenfalls eine bessere Beweisposition vermittelt haben. Die Beklagten haben bereits damals nicht in Zweifel gezogen, dass es ein Fehler im Sinne einer Unterschreitung des geschuldeten fachärztlichen Standards gewesen wäre, am Kopf des Kindes im Falle einer Dystokie zu ziehen; sie haben rein tatsächlich bestritten, dass es sich so zugetragen habe (vgl. die eingangs zitierte Stellungnahme des Beklagten zu 2.). So betreffen dann auch alle im vorliegenden Verfahren vorgelegten Privatgutachten, soweit sie den Geburtsvorgang (und nicht die Frage der Aufklärung) betreffen, nicht etwa die Frage, ob eine Standardunterschreitung im Ziehen am Kopf zu sehen wäre, sondern ob aus Indizien, etwa der periorbitalen Blutung oder dem Umstand, dass ein Nervenriss ohne sonstige Verkümmerungen vorliegt, auf eine damalige Dystokie geschlossen werden kann. Sie dienen insoweit ausschließlich dazu, die Beweisposition der Klägerin zu verbessern. Darauf kommt es indessen nicht an, wenn dem Geschädigten die Standardunterschreitung, wie hier, bekannt war.

Wie bereits in der mündlichen Verhandlung mit dem Vertreter der Klägerin erörtert, ist der Senat in diesem Zusammenhang schließlich nicht der Ansicht, dass der deutlich später erhobene Vorwurf des unzureichenden Geburtsmanagements (s.o.) geeignet ist, die bereits begonnene Verjährung etwaiger Ansprüche wegen des Vorwurfs, am Kopf des Kindes gezogen zu haben, zu hemmen oder zu verlängern. Der Klägerin ist zuzugestehen, dass die von ihr in diesem Zusammenhang angeführte Entscheidung des Bundesgerichtshofs zur einheitlichen Verjährung von Schadensersatzansprüchen bei Behandlungsfehlern in einem solchen Sinne grundsätzlich verstanden werden könnte. Indessen kann dies nach Ansicht des Senats keinesfalls für Vorwürfe gelten, die erwiesenermaßen, wie hier, entkräftet sind. Andernfalls hätte es die Patientenseite in der Hand durch später erhobene haltlose Vorwürfe, die wegen zuvor bereits erhobener Vorwürfe begonnene Verjährung manipulativ zu beeinflussen. Jedenfalls für jene Konstellation, in welcher sich der später erhobene Vorwurf als nicht tragfähig erweist, muss dieser Vorwurf ohne Einfluss auf die Verjährung von Ansprüchen sein, die sich auf zeitlich davor erhobene Vorwürfe stützt, bei denen isoliert betrachtet, die für den Verjährungsbeginn erforderliche Kenntnis anzunehmen ist und bei denen Verjährung andernfalls anzunehmen wäre. Im Gegenteil spricht nach Ansicht des Senats alles dafür, aus der Entscheidung des Bundesgerichtshofs die umgekehrte Konsequenz zu ziehen, dass nämlich mit verjährungsbegründender Kenntnis wegen eines Vorwurfs die Frist für alle etwaigen Vorwürfe wegen sonstiger Fehler im Zusammenhang mit dem gleichen Eingriff zu laufen beginnt. Die Patientenseite erleidet insoweit keinen weitergehenden Rechtsverlust, weil anerkanntermaßen mit der Klage wegen eines Behandlungsfehlers der gesamte Eingriff als solcher zum Streitgegenstand des Prozesses wird, so dass die Verjährung wegen sonstiger Behandlungsfehler mit Erhebung der Klage gehemmt ist. Da dem Patienten im Arzthaftungsprozess zudem nach dem Grundsatz der Waffengleichheit eine substantiiertere Darlegung der Vorwürfe nicht abverlangt wird, macht er in dieser Weise unter dem Gesichtspunkt des Behandlungsfehlers den gesamten Lebenssachverhalt ( = Eingriff) zum Gegenstand des Prozesses, ohne dass dies mit weitergehenden Risiken, z.B. wegen der Kosten verbunden wäre.Nach diesen Grundsätzen wären damit etwaige weitergehende Schadensersatzansprüche wegen des Vorwurfs anderer Behandlungsfehler (die erwiesenermaßen hier nicht vorliegen) auch verjährt.

Schließlich verhilft auch der erstmals im Berufungsrechtszug vor der zweiten mündlichen Verhandlung vor dem Senat erhobene Vorwurf der Berufung nicht zum Erfolg, dass nämlich das postpartale Management insoweit behandlungsfehlerhaft gewesen sei, als eine MRT Untersuchung und eine Elektromyografie mit Blick auf die Erbsche Lähmung der Klägerin unterblieben sei.Nach Ansicht des Senats steht dem entsprechenden Angriff bereits § 533 ZPO entgegen, weil sich die entsprechende Klagerweiterung auf einen Vorwurf stützt, dessen Tatsachengrundlage nicht durch das erstinstanzliche Gericht im Sinne des § 529 ZPO festgestellt worden ist. Allerdings hat der Senat vorsorglich den Sachverständigen KK im Zuge der Anhörung zu diesen Fragen mitangehört. Danach ist festzustellen, dass zudem in der Sache den Beklagten insoweit ein Vorwurf nicht gemacht werden kann. Dabei stellt der Senat die weitere Frage zurück, ob nämlich etwaige Untersuchungspflichten angesichts der Überweisung der Klägerin am 4. Tage nach der Entbindung in die Kinderklinik nicht ohnehin nur die Kinderklinik und nicht die Beklagten treffen würden. Der Sachverständige KK hat überzeugend ausgeführt, dass die von der Klägerin reklamierte Befunderhebung völlig an der klinischen Realität vorbeigehe und keineswegs dem Facharztstandard entspräche. Eine MRT Untersuchung sei bei Säuglingen ohnehin nur in Narkose durchzuführen; eine Elektromyografie sei ebenfalls bei Kleinstkindern sehr schwierig, da sie dazu still liegen müssten; die Maßnahmen seien daher mit einem großen Aufwand verbunden, der nicht betrieben werde. Beide hätten was die Erbsche Lähmung angeht, keinen therapeutischen Nutzen. Deswegen entspreche es dem Standard, dass mit Blick auf die Lähmung infolge einer Plexusschädigung lediglich Krankengymnastik verordnet und die Entwicklung der Lähmung beobachtet werde, damit zu einem späteren Zeitpunkt entschieden werden könne, ob – für den Fall, dass die Lähmung sich nicht von selbst zurückbildet, was in 90 % der Fälle so sei – die Entscheidung getroffen werden könne, ob operativ interveniert werden solle. Nur in diesem Zusammenhang sei - zu einem späteren Zeitpunkt – ein MRT sinnvoll. Vor dem Hintergrund der Befunderhebung sei die postpartale Betreuung durch die Beklagte in den 4 Tagen nach der Geburt beanstandungsfrei.

Gegen diese Feststellungen des Sachverständigen hat die Klägerin weiteres nicht vorgebracht.

Die Beklagten haften der Klägerin auch nicht wegen etwaiger Aufklärungsversäumnisse, weil sie sie nicht explizit auf das Risiko einer Schulterdystokie im Falle einer vaginalen Entbindung hingewiesen haben, denn eine solche Verpflichtung bestand nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. FF nicht.
Rechtlich dürfte es sich insoweit um den Vorwurf einer unterbliebenen Sicherungsaufklärung im Verhältnis zur Mutter der Klägerin mit Schutzwirkung zu ihren Gunsten handeln.

In der Sache erweist sich der Vorwurf als unbegründet.

Der Sachverständige hat die verschiedenen Risikofaktoren, die eine erhöhte Gefahr einer Schulterdystokie begründen können, nämlich eine Diabetes, eine vorher bereits aufgetretene Schulterdystokie und eine Makrosomie nachvollziehbar benannt und ihr Vorliegen für den konkreten Fall der Klägerin verneint. Der Senat folgt den überzeugenden Ausführungen des ihm seit Jahren bekannten forensisch erfahrenen Sachverständigen.

Die dagegen gerichteten Angriffe der Klägerin verfangen im Ergebnis nicht. Die Klägerin meint, eine Hinweispflicht folge daraus, dass man im vorliegenden Fall präoperativ von einer Makrosomie habe ausgehen müssen. Dies ist unzutreffend. Als makrosom werden Kinder bezeichnet, deren Geburtsgewicht 4000 g oder höher beträgt bzw. die hinsichtlich des Gewichts über der 95. Perzentile liegen. Das geschätzte Geburtsgewicht der Klägerin lag unterhalb der 4000-Gramm-Grenze, auf der Perzentile habe das Gewicht auf der 88. gelegen; mithin war nicht von einem makrosomen Kind, sondern nur von einem „großen Kind“ auszugehen. Soweit die Klägerin meint, der durch Schätzung ermittelte Wert sei um 10 % zu erhöhen, weil die praepartale Schätzung mit einer Ungenauigkeit von etwa 10 % nach unten und nach oben verbunden sei, erweist sich dieser Einwand als unbehelflich. Der Sachverständige Prof. Dr. FF hat ausgeführt, dass für die Einschätzung des Dystokierisikos ausschließlich das geschätzte Gewicht ohne Zu- oder Abschläge verwendet werde. Dies entspreche der klinischen Praxis bundesweit. Für den Senat völlig nachvollziehbar hat er in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass es auch keine logische Berechtigung gäbe, ausgerechnet die Ungenauigkeit nach oben mit einem Zuschlag von 10 % zu versehen und in diesem Zusammenhang die Ungenauigkeit der Schätzung nach unten zu vernachlässigen. Die Klägerin übersieht bei ihrer abweichenden Argumentation, dass selbstverständlich auch jedem Kaiserschnitt ein bestimmtes Risiko innewohnt und die von ihr angesonnene Berechnungsmethode zu einer statistischen Verschiebung führte; weil nur die statistische Ungenauigkeit nach oben berücksichtigt würde, würden nach der klägerischen Methode deutlich mehr Kinder dem Risiko eines Kaiserschnitt ausgesetzt, obwohl das Körpergewicht mit Blick auf ein entsprechendes Dystokierisiko einen solchen Eingriff gar nicht forderte. Soweit die Klägerin weiter in diesem Zusammenhang als Risikofaktoren ein etwaiges Übergewicht anführt, hat der Sachverständige nachvollziehbar errechnet das sich die Mutter der Klägerin im Grenzbereich befunden hat und gerade noch nicht einen Body-Maß-Index hatte, der sie mit Blick auf eine Dystokie zu einer Risikogebärenden machte. Schließlich folgt auch aus dem Verhältnis des Kopf – zum Bauchumfang des Fetus nichts anderes. Abweichend von den Ausführungen des Privatgutachters der Klägerin wird nämlich im vorliegenden Fall der Grenzwert von 140 mm nicht erreicht. Nach dem Köpfchen-Abdomen-Index sei nämlich erst ab einem Wert von 1,4 cm von einem Risiko für das Auftreten einer Schulterdystokie auszugehen. Wie der Sachverständige Prof. Dr. FF anhand der Behandlungsunterlagen im Termin erläutert hat, hat der Abdomenumfang der Klägerin wenige Tage vor der Geburt 10,9 cm betragen, der Kopfumfang 10,0. Die Differenz beträgt mithin lediglich 90 mm und bleibt damit deutlich unter dem Grenzwert von 140 mm. Sonstige Umstände, die im vorliegenden Fall die Beklagten hätten veranlassen müssen, ein besonderes Risiko der Dystokie in Erwägung zu ziehen, sind nicht ersichtlich. Wie Prof. Dr. FF nach Auswertung der Behandlungsunterlagen ausgeführt hat, gilt dies insbesondere auch mit Blick auf eine Gestationsdiabetes. Die Mutterschaftsrichtlinien in der damaligen Zeit sahen eine Untersuchung auf eine Gestationsdiabetes insbesondere durch einen oralen Glukosetoleranztest nicht vor. Anhaltspunkte dafür, dass bei der Mutter der Klägerin eine Gestationsdiabetes vorgelegen hätte, bestanden nicht.

Anlass, die Revision zuzulassen, bestand nicht.

Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus § 97 Abs. 1, §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.