Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 26.04.1988, Az.: 3 Ws 103/88

Verfolgung von Straftaten im Wege der Privatklage; Vorwurf der unterlassenen Hilfeleistung ; Übergang des Antragsrechts nach dem Tode des ursprünglich Antragsberechtigten

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
26.04.1988
Aktenzeichen
3 Ws 103/88
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 1988, 16939
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:1988:0426.3WS103.88.0A

Verfahrensgang

vorgehend
AZ: Zs 100/88

Verfahrensgegenstand

Körperverletzung

Unterlassene Hilfeleistung und Mord

Prozessgegner

1. Ärztin Dr. med. ...,

2. Arzt Dr. med. ...

3. Arzt Dr. med. ...

4. Arzt Dr. med. ...

5. Arzt Professor Dr. med. ...

6. Arzt Professor Dr. med. ...

7. Ärztin Dr. med. ...

8. Ärztin Dr. med. ...

9. Ärztin Dr. med. ...

10. Ärztin Dr. med. ...

11. Arzt Dr. med. ...

12. Arzt Dr. med. ...

13. Arzt Dr. med. ...

14. Arzt ...

15. Arzt ...

16. Bereitschaftsarzt des Krankenhauses ... oder Dr. med. ...

17. Arzt Dr. med. ...

18. Oberarzt ...

19. Arzt ...

20. Arzt ...

21. Arzt Dr. med. ...

Sonstige Beteiligte

... und ..., beide wohnhaft: ...

Rechtsanwältin ... aus ...

Der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle hat
auf den Antrag auf gerichtliche Entscheidung gegenüber dem Bescheid des Generalstaatsanwalts in ... vom 15. Februar 1988
nach dessen Anhörung am 26. April 1988
durch
die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht ... sowie
die Richter am Oberlandesgericht ... und ...
beschlossen:

Tenor:

Der Antrag wird als unzulässig verworfen.

Gründe

1

1.

Der Antrag gegen die Beschuldigten zu 1) - ... -, zu 2) - ... - und zu 13) - ... ist nach § 172 Abs. 2 Satz 2 StPO unzulässig, weil es sich bei den diesen Personen allein zur Last gelegten Körperverletzungen nach § 223 StGB um Straftaten handelt, die vom Verletzten bzw. einem an seiner Stelle Berechtigten im Wege der Privatklage verfolgt werden können, § 374 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 StPO.

2

2.

Im Hinblick auf die Beschuldigten zu 3) - ... -, zu 4) - ... -, zu 11) - ... -, zu 15) - ... - und zu 16) - Bereitschaftsarzt des Krankenhauses ... oder ... - steht den Antragstellern das Antragsrecht nach § 172 Abs. 1 und 2 StPO nicht zu. Sie sind im Hinblick auf den erhobenen Vorwurf der unterlassenen Hilfeleistung nach § 323 c StGB weder selbst Verletzte i.S. von § 172 StPO, noch ist ein etwa ihrer Mutter zustehendes Antragsrecht mit dem Tode der Mutter auf die Antragsteller übergegangen.

3

Verletzt i.S. des § 172 Abs. 1 StPO ist nur derjenige, der durch die behauptete Tat, ihre tatsächliche Begehung unterstellt, unmittelbar in einem Rechtsgut verletzt ist, wobei hierunter die gesamten rechtlichen Interessen des Verletzten zu verstehen sind (OLG Koblenz, NJW 1985, 1409 [OLG Koblenz 05.04.1984 - 1 Ws 224/84]; OLG Hamm, NStE, Nr. 4 zu § 172 StPO; OLG Düsseldorf, NStE, Nr. 6 zu § 172 StPO; LR-Rieß, StPO, 24. Aufl., S. 172 Rn. 86). Zwar ist unterlassene Hilfeleistung in den 27. Abschnitt des StGB aufgenommen, der gemeingefährliche Straftaten zum Gegenstand hat. Die Vorschrift verfolgt auch den Zweck, durch die Statuierung einer Hilfeleistungspflicht solche Rechtsgutverletzungen zu verhindern, deren Eintritt in Unglücksfällen oder allgemeiner Gefahr oder Not droht (BGHSt 14, 215 f [BGH 08.04.1960 - 4 StR 2/60]; OLG Karlsruhe, NJU 1979, 2360; Lackner, StGB, 17. Aufl., § 323 c Anm. 1). Das bedeutet aber noch nicht, daß bei Verwirklichung des Tatbestandes jedermann als Mitglied der Rechtsgemeinschaft auch als Verletzter i.S. von § 172 Abs. 1 StPO anzusehen wäre. Er ist es selbst dann noch nicht, wenn er vorträgt, ein besonderes persönliches Interesse an der Einhaltung des verletzten Rechtsgutes zu haben. Voraussetzung für die Zuerkennung der Verletzteneigenschaft ist vielmehr die Einbeziehung in den Schutzzweck der jeweiligen Verbotsnorm, wobei es ausreicht, daß die nach der Behauptung des Antragstellers verletzte Strafrechtsnorm ein ihn betreffendes individuelles Rechtsgut nur nachrangig oder als Nebenzweck schützt (vgl. LR-Rieß, a.a.O., Rn. 55 und 56; KK-Müller, StPO, 2. Aufl., § 172 Rn. 28; Frisch, JZ 1974, 7, 11). Schutzgut des § 323 c StGB ist nicht die humanitäre Solidarität oder die öffentliche Sicherheit, sondern das durch einen Unglücksfall gefährdete Individualrechtsgut des in Not Geratenen (SK-Rudolphi, § 323 c Rn. 1; Lackner, a.a.O., Schönke/Schröder/Stree, StGB, 23. Aufl., § 323 c Rn. 1; LK-Mösl, StGB, 9. Aufl., § 330 c a.F. Rn. 10), d.h., derjenige ist Verletzter i.S. des § 172 Abs. 1 StPO, dessen Leben, Gesundheit, Freiheit, Eigentum etc. durch die Verwirklichung des Tatbestandes des § 323 c StGB gefährdet ist.

4

Nach dem Vortrag der Antragsteller ist durch die behaupteten Taten der Beschuldigten die Gesundheit ihrer Mutter gefährdet worden; allein dieser und nicht den Antragstellern hätte danach als Verletzter ein Antragsrecht nach § 172 StPO zugestanden.

5

Das der Mutter etwa erwachsene Antragsrecht ist durch ihren Tod nicht auf die Antragsteller als Erben übergegangen. Die Befugnis, die § 172 Abs. 2 Satz 1 StPO dem Verletzten gewährt, ist ein rein persönliches Rechtsgut, das mit dem Tode des Verletzten erlischt (OLG Hamm, a.a.O.; OLG Stuttgart, NStE Nr. 2 zu § 172 StPO; OLG Koblenz, a.a.O.). Soweit bei Tötungsdelikten auch nahen Angehörigen wegen § 395 Abs. 2 Nr. 1 StPO ein Antragsrecht zuerkannt ist, handelt es sich um einen Ausnahmefall, der auf andere Straftaten nicht übertragen werden kann (OLG Hamm, a.a.O.). Eine Verletzung des höchstpersönlichen Rechtsguts der verstorbenen Mutter der Antragsteller auf Hilfeleistung in Notfällen berechtigt die Antragsteller daher nicht zur Antragstellung nach § 172 Abs. 2 Satz 1 StPO.

6

3.

Den Beschuldigten zu 5) - ... -, zu 6) - Professor Dr. ... -, zu 7) - Dr. ... -, zu 8) - Dr. ... -, zu 9) - Dr. ... -, zu 10) - Dr. ... -, zu 11) - Dr. ... - und zu 14) - ... - wird von den Antragstellern Körperverletzung in Tateinheit mit unterlassener Hilfeleistung zur Last gelegt. Insoweit ist der Antrag aus den unter 1. und 2. genannten Gründen ebenfalls unzulässig.

7

4.

Soweit die Antragsteller schließlich den Beschuldigten zu 17) - Dr. ... -, zu 18) - ... -, zu 19) - ... -, zu 20) - ... - und zu 21) - Dr. ... - einen gemeinschaftlich begangenen Mord zur Last legen, ist ihr Antrag unzulässig, weil er nicht den an seinen Inhalt zu stellenden Anforderungen genügt.

8

Nach § 172 Abs. 3 Satz 1 StPO sind in dem Antrag die Tatsachen, die die Erhebung der öffentlichen Klage begründen sollen und die Beweismittel anzugeben. Zweck der Vorschrift ist es, daß das Gericht in den Stand gesetzt wird, ohne Studium der Akten, allein aufgrund der Antragsschrift, zu entscheiden, ob, Richtigkeit des Antragvorbringens unterstellt, hinreichender Tatverdacht besteht und dem Antrag stattzugeben wäre (OLG Celle, MOR 1962, 693; OLG Koblenz, OLGSt n.F., Nr. 15 zu § 172 StPO; LR-Rieß, a.a.O. Rn. 143). Es muß eine "Schlüssigkeitsprüfung" vorgenommen werden können (OLG Düsseldorf, StV 1983, 498; OLG Koblenz, NJW 1977, 1461 [OLG Koblenz 02.06.1977 - 1 Ws 123/77]). Das ist nur möglich, wenn der Antrag eine aus sich heraus verständliche Schilderung des Sachverhalts enthält und auch aus ihm hervorgeht, was für seine Richtigkeit spricht, und womit er in einer Hauptverhandlung bewiesen werden soll. Es sind daher die Beweismittel in der Weise anzugeben, daß erkennbar ist, daß für alle zum notwendigen Inhalt des Antrags gehörenden Tatsachen Beweismittel vorhanden sind (LR-Rieß, a.a.O. Rdnr. 149; Beling, ZStW 38, 619). Die Beweismittel müssen danach den aufgestellten Behauptungen so zugeordnet werden, daß eindeutig zu erkennen ist, welcher einzelne Umstand mit welchem Beweismittel nach Auffassung des Antragstellers zu beweisen ist; denn anders ist das Gericht nicht in der Lage zu prüfen, ob und für welche Umstände Beweismittel vorliegen und damit die für den Tatverdacht erforderlichen Voraussetzungen bewiesen werden können.

9

Jedenfalls daran fehlt es hier. Der Antrag, der 21 Ärzte beschuldigt, in der Zeit vom 8. Februar 1985 bis zum 17. November 1985 zumindest 22 Straftaten begangen zu haben, enthält zwar nach einer gedrängten Darstellung der Vorwürfe in der Form des in Anklageschriften gebräuchlichen "indem-Satzes", der sich über 9 Seiten erstreckt, eine 3 Seiten umfassende Liste von Beweismitteln. Das reicht indessen nicht aus. Die Liste nennt neben der "Einlassung der Angeschuldigten, soweit sie ausgesagt haben" 15 Einzelpersonen und fünf vage umschriebene Personengruppen wie "die über die Vorgänge in der Hautklinik informierten Schwestern und Pfleger der Hautklinik ...", "sämtliche beteiligten Schwestern, die zum damaligen Zeitpunkt im ... mit Frau ... befaßt waren" oder "die ebenfalls zu ermittelnden vier bis fünf im ... krankenhaus anwesenden und zu seinem Personal gehörenden Personen", sodann "noch zu erstellende Sachverständigengutachten" und unter "Urkunden", in zehn Positionen zusammengefaßt, eine nicht erkennbare Anzahl von Urkunden, die ganz überwiegend nicht näher gekennzeichnet sind, aber auch völlig unbestimmte Angaben wie "diverse Krankenblätter". Danach ist nicht erkennbar, ob und gegebenenfalls welche Beweismittel für welchen Umstand zur Verfügung stehen, was - im Hinblick auf die verschiedenen Tatvorwürfe und die Vielzahl der Beschuldigten - welcher Zeuge bekunden können soll, welcher Umstand mit welcher Urkunde oder durch welches Gutachten bewiesen werden soll etc.. Aus dem Antrag selbst und auch aus der dem Antrag beigefügten Begründung, die aus in die Antragsschrift einfotokopierten umfangreichen Schilderungen der Antragsteller besteht, welche durch den Verfahrensablauf beschreibende Verbindungssätze der Rechtsanwältin verknüpft sind, läßt sich insoweit nichts entnehmen.

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Weil der Antrag aus formellen Gründen scheitert, sind den Antragstellern gemäß § 177 StPO Kosten nicht aufzuerlegen (OLG Koblenz, NJW 1985, 1409 [OLG Koblenz 05.04.1984 - 1 Ws 224/84]).