Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 11.02.2010, Az.: 2 A 348/08
Abgrenzung; Auflage; Baugenehmigung; Baustoffe; Brandschutz; Decke; Deckenbekleidung; Industriebaurichtlinie; modifizierende Auflage; Nebenbestimmung; Verwendung
Bibliographie
- Gericht
- VG Lüneburg
- Datum
- 11.02.2010
- Aktenzeichen
- 2 A 348/08
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2010, 48050
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 75 BauO ND
- § 51 Abs 1 BauO ND
- § 20 Abs 1 BauO ND
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Eine brandschutzrechtliche Regelung in einer Baugenehmigung, durch die entgegen
dem Bauantrag die Verwendung bestimmter Baustoffe ausgeschlossen wird, stellt eine
sog. modifizierende Auflage dar, die nicht isoliert angefochten werden kann.
2. Dasselbe gilt für die in einer Bauänderungsgenehmigung geregelte Anordnung zur nachträglichen Entfernung von Baustoffen aus einem bestehenden Bauwerk, soweit sich diese Beseitigungsanordnung auf Teile des Gebäudes bezieht, die von der beantragten Änderung der baulichen Anlage betroffen und daher Gegenstand der neuen Baugenehmigung sind.
3. Entspricht ein Bauvorhaben den brandschutzrechtlichen Anforderungen der Industriebaurichtlinie, so bedarf es zumindest eines sachlich rechtfertigenden Grundes, wenn die Bauaufsichtsbehörde von dieser Verwaltungsvorschrift abweicht und nach § 51 Abs. 1 NBauO strengere brandschutzrechtliche Anforderungen an das Vorhaben anordnet.
4. Unter die Begriffe "Unterdecken" und "Deckenbekleidungen" in Ziffer 6.1.3 der Industriebaurichtlinie
fallen nur Unterkonstruktionen, die unterhalb des tragenden Teils der Decke befestigt
sind.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über brandschutzrechtliche Auflagen zu einer Baugenehmigung.
Der Kläger ist Eigentümer des gewerblich genutzten Grundstücks G. H. 12 (Flur 127, Flurstücke 46/2, 46/4) im Stadtgebiet der Beklagten. Die auf dem Grundstück befindliche Halle wurde ursprünglich gewerblich für eine Tischlerei genutzt. Auf Antrag erteilte die Beklagte dem Kläger unter dem 26. November 2003 eine Baugenehmigung für eine Nutzungsänderung des ehemaligen Tischlereibetriebes als Lager- und Büroräume für den Online-Versandhandel von Kfz-Ersatzteilen sowie für die Schaffung einer Wohnung für den Betriebsinhaber.
Mit dem am 26. November 2004 bei der Beklagten eingegangenen Antrag begehrte der Kläger eine weitere Baugenehmigung für eine Sanierung des Daches sowie für die Schaffung von drei zusätzlichen Büroarbeitsplätzen, welche durch räumliche Abtrennung eines Teiles der Lager- und Versandflächen geschaffen werden sollte.
Mit Bescheid vom 19. Mai 2005 erteilte die Beklagte die begehrte Baugenehmigung, versah diese jedoch u.a. mit folgenden Zusatzbestimmungen, die aufgrund der Stellungnahme des Brandschutzprüfers des Landkreises Celle in die Baugenehmigung aufgenommen wurden:
„7.4 Zur Verhinderung eines seitlichen Feuerüberschlages ist die feuerbeständige Wand zwischen Lagerhalle und Aufenthaltsraum/Garage mindestens für 2,50 m-Bereich in gleicher Qualität über den Anbaubereich Aufenthaltsraum/Garage fortzuführen.
7.10 Die Bedienungsstation für die eingeplanten RWA-Anlagen (hier: Oberlichter) sind an gut zugänglicher Stelle in unmittelbarer Nähe des Hauptzuganges anzubringen. An den Bedienstellen muss die jeweilige Stellung „offen“ oder „geschlossen“ und welche Gruppe betätigt wird, erkennbar sein.
7.12 Im Bereich der Dachsanierung sind oberhalb der Trapezbleche sämtliche Brandlasten (hier: alte Dachdämmung und -dichtung mit Hartschaum und Bitumenbahn) zu entfernen.“
Am 23. Juni 2005 legte der Kläger Widerspruch gegen diese drei Zusätze der Baugenehmigung ein und trug vor, dass für eine brandschutztechnische Trennung des Aufenthaltsraumes vom Lagerbereich keine gesetzliche Grundlage vorhanden sei. Die Hallenfenster in ihrer Funktion als Rauchabzug seien bereits mit der Baugenehmigung vom 26. November 2003 genehmigt worden und die jetzt erstmalig geforderte zentrale Bedienung sei technisch nicht durchführbar. Die vorhandene Dämmung im Dachbereich sei Teil des Wärmeschutzes und diene zudem nach der Teilsanierung des Daches als Dampfsperre; eine Abtragung und Entsorgung sei wirtschaftlich untragbar.
Mit Widerspruchsbescheid vom 10. April 2008 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Alle drei Bestimmungen der Baugenehmigung seien rechtmäßig. Die in Punkt 7.4 der Baugenehmigung verfügte brandschutztechnische Abtrennung von Garage und Aufenthaltsraum von der Lagerhalle sei bauordnungsrechtlich erforderlich, weil nach der NBauO Nutzungen unterschiedlicher Art brandschutztechnisch voneinander zu trennen seien. Auch Punkt 7.10 der Baugenehmigung sei rechtens. Es treffe entgegen des Vortrags des Klägers nicht zu, dass die Hallenfenster in ihrer Funktion als Rauchabzug bereits in der Baugenehmigung vom 26. November 2003 genehmigt worden seien; diese Baugenehmigung regle zur Thematik der Entrauchung nichts. Die Auflage sei erforderlich, da Ziffer 5.6.1 der auf das Vorhaben des Klägers anzuwendenden Industriebaurichtlinie vorschreibe, dass Produktions- oder Lagerräume für einen ausreichenden Rauchabzug Öffnungen erhalten müssen, deren Größe mindestens 2 % der Fläche des Raumes beträgt. Auch Punkt 7.12 der Baugenehmigung sei rechtens. Grundlage der Verpflichtung, die Dämmung und Abdichtung des bisherigen Daches der Lagerhalle zu entfernen, seien die Punkte 6.1.2 und 6.1.3 der Industriebaurichtlinie. Danach müssten tragende und aussteifende Bauteile von Dächern aus nicht brennbaren Stoffen bestehen und zudem müssten Unterdecken einschließlich ihrer Aufhängungen sowie Deckenbekleidungen einschließlich ihrer Dämmtorstoffe und Unterkonstruktionen ebenfalls aus nicht brennbaren Baustoffen bestehen. Bei der beantragten Dachsanierung werde das bisherige Dach mit Hilfe einer Stahlkonstruktion komplett überbaut; es entstehe ein Hohlraum, so dass das bisherige Flachdach zur Zwischendecke werde. Diese Zwischendecke bestehe u.a. aus brennbarer Bitumenbahn sowie aus einer Styropordämmung, die maximal als schwer entflammbar, aber keinesfalls als nicht brennbar anzusehen sei. Die Decke widerspreche damit Ziffer 6.1.3 der Industriebaurichtlinie.
Mit der am 15. Mai 2008 erhobenen Klage hat der Kläger zunächst sinngemäß beantragt, die Beklagte zu verpflichten, ihm eine Baugenehmigung ohne die drei im Widerspruchsverfahren angegriffenen Zusatzbestimmungen zu erteilen. Hinsichtlich der Ziffern 7.4 und 7.10 der Baugenehmigung haben die Beteiligten das Verfahren im Verhandlungstermin in der Hauptsache für erledigt erklärt.
Bezüglich Ziffer 7.12 der Baugenehmigung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter und bezieht sich zur Begründung im Wesentlichen auf ein von ihm eingeholtes Privatgutachten des TÜV Nord. Dieses Privatgutachten kommt zu dem Ergebnis, dass Ziffer 6.1.3 der Industriebaurichtlinie, auf welche die Beklagte die Auflage 7.12 der Baugenehmigung stützt, nicht anwendbar sei. Ziffer 6.1.3 der Industriebaurichtlinie gelte nur für Unterdecken und Deckenbekleidungen. Das bisherige Flachdach der Lagerhalle, das aufgrund der Baugenehmigung mit einer neuen Dachkonstruktion überbaut worden sei, falle nicht unter diese Begriffe. Vielmehr sei die alte Bedachung nach wie vor Teil der Dachkonstruktion. Brandschutzrechtlich bestünden auch keine Bedenken gegen die gesamte Dachkonstruktion. Die neue Dachkonstruktion liege auf der bisherigen Bedachung zwar nicht unmittelbar auf, wodurch die Brandbekämpfung eines Schwelbrandes im Vergleich zu einer Bedachung mit einer oberen Dachschale, die unmittelbar auf der Wärmedämmung aufliegt, erschwert werde. Die Luftschicht zwischen dem bisherigen Dach und der neuen oberen Dachschale habe aber trotzdem keinen nennenswerten Einfluss auf das Brandverhalten der Styroporplatten der alten Wärmedämmung, weil die für einen Brand erforderliche Luftzufuhr durch die alte Dachabdichtung (Bitumenbahnen) und die neue nicht brennbare Wärmedämmung aus Steinwolle stark behindert werde und sich zudem in dem Zwischenraum zwischen der alten und der neuen Dachkonstruktion keine Zündquellen wie z.B. Elektroinstallationen befänden.
Der Kläger beantragt,
den Beklagten zu verpflichten, ihm unter Aufhebung der Baugenehmigung vom 19. Mai 2005 die beantragte Baugenehmigung für die Sanierung des Daches sowie für die Schaffung von drei zusätzlichen Büroarbeitsplätzen ohne die Auflage Ziffer 7.12 zu erteilen und den Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 10. April 2008 insoweit aufzuheben, als er diese Auflage aufrechterhält.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie verteidigt Ziffer 7.12 der Baugenehmigung wie folgt:
Entgegen der in dem Privatgutachten des TÜV Nord geäußerten Rechtsauffassung komme es nicht darauf an, ob es sich um eine Unterdecke oder einen sonstigen Deckenbestandteil handele; entscheidend sei nach den Ziffern 6.1.2 und 6.1.3 der Industriebaurichtlinie, dass die gesamte Decke aus nicht brennbaren Baustoffen zu bestehen habe. Diese Voraussetzungen seien nicht erfüllt, da es sich bei den Bitumenbahnen um brennbare bzw. leicht entflammbare Baustoffe und bei der Styropordämmung um maximal schwer entflammbare Baustoffe handele.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen. Sie waren Gegenstand der Entscheidungsfindung.
Entscheidungsgründe
Soweit die Beteiligten den Rechtsstreit übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, ist das Verfahren in entsprechender Anwendung von § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen.
Im Übrigen hat die zulässige Klage in der Sache Erfolg.
Die Klage ist zulässig. Der vom Kläger in der mündlichen Verhandlung gestellte Verpflichtungsklageantrag auf Erteilung einer Baugenehmigung ohne die Auflage Ziffer 7.12 ist statthaft, weil eine isolierte Anfechtung dieser Auflage rechtlich ausgeschlossen ist. Hinsichtlich der isolierten Anfechtbarkeit bauordnungsrechtlicher Auflagen muss unterschieden werden zwischen echten Auflagen einerseits, bei denen es sich um Nebenbestimmungen im Sinne des § 36 VwVfG handelt, und sog. modifizierenden Auflagen andererseits. Eine modifizierende Auflage zeichnet sich gegenüber der echten Auflage dadurch aus, dass sie untrennbarer Teil der Hauptregelung des beantragten Verwaltungsaktes ist. Modifizierend ist sie insoweit, als der Betroffene eine andere Regelung erhält als er beantragt hat. Eine derartige Modifizierung ist, anders als eine Auflage im Sinne des § 36 VwVfG, nicht isoliert aufhebbar, sondern der Bauantragsteller kann nur im Wege einer Verpflichtungsklage die beantragte Genehmigung ohne Einschränkung erstreiten (Große-Suchsdorf/Lindorf/Schmaltz/Wiechert, NBauO, 8. Aufl., § 75 Rdnr. 60 m.w.N.). Wird für eine Dach- bzw. Deckenkonstruktion in der Baugenehmigung die Verwendung bestimmter Dämm- und Abdichtungsmaterialien ausgeschlossen, die der Bauherr gemäß seinem Bauantrag verwenden will, so handelt es sich um eine derartige modifizierende Auflage, da der Bauantragsteller insoweit eine andere Baugenehmigung erhält als von ihm gewünscht worden ist.
Eine andere Beurteilung ist im vorliegenden Fall auch nicht deshalb geboten, weil die Beklagte in der in Streit stehenden Regelung der Baugenehmigung die nachträgliche Entfernung der Dämmung und Abdichtung des bisherigen Gebäudedaches angeordnet hat, welches bereits vor Jahren aufgrund einer früheren Baugenehmigung errichtet worden ist. Hierdurch erhält Ziffer 7.12 der Baugenehmigung nicht den Charakter eines eigenständigen Verwaltungsaktes, mit dem die Bauaufsicht auf Grundlage von § 89 Abs. 1 Nr. 4 NBauO die teilweise Beseitigung einer baulichen Anlage angeordnet hat. Wird im Rahmen einer Bauänderungsgenehmigung die Beseitigung von Teilen der baulichen Anlage oder von früher verwendeten Baustoffen verfügt, so handelt es sich jedenfalls dann insoweit nicht um einen eigenständigen Verwaltungsakt, sondern um einen integralen Bestandteil der Baugenehmigung, wenn sich die Beseitigungsanordnung auf Teile des Gebäudes bezieht, die von der beantragten Änderung der baulichen Anlage betroffen sind. Dies ergibt sich indirekt aus § 99 Abs. 3 NBauO, der für vor dem 1. Januar 1974 errichtete Bauvorhaben regelt, dass die Bauaufsichtsbehörde auch die Anpassung von Teilen der baulichen Anlage verlangen darf, die von der vom Bauherrn beantragten Änderung nicht betroffen sind. Hieraus ergibt sich im Umkehrschluss, dass die Anordnung einer Anpassung von Gebäudeteilen, die von der beantragten Änderung betroffen sind, stets Bestandteil der auf der Grundlage von § 75 NBauO erteilten Baugenehmigung ist und daher auch keiner eigenständigen Ermächtigungsgrundlage bedarf. Das bisherige Dach der Lagerhalle stellt einen derartigen vom Bauänderungsantrag des Klägers betroffenen Gebäudeteil dar. Das ergibt sich zum einen daraus, dass die neue Dachschale aus Aluminium-Stehfalzprofilblech, dem Bauantrag des Klägers entsprechend, mit einer Stützkonstruktion aus Stahlprofilen im bisherigen Dach verankert worden ist; der Bauantrag sah somit Eingriffe in die Substanz der alten Dachkonstruktion vor. Zum anderen ist das alte Dach der Lagerhalle auch deshalb zwingend Gegenstand der neuen Baugenehmigung, weil die Bauaufsicht aufgrund des Bauantrages auch zu prüfen hatte, ob das bisherige Dach aufgrund der beantragten Überbauung mit einer neuen Dachkonstruktion nicht mehr als Dach, sondern als nunmehr Decke einzuordnen sei, womit sich die bauordnungsrechtlichen Anforderungen an diesen Gebäudeteil verschieben (näher dazu unten).
Die Klage hat auch in der Sache Erfolg. Der Kläger hat einen Anspruch auf Erteilung der begehrten Baugenehmigung. Die in Ziffer 7.12 der erteilten Baugenehmigung getroffene Regelung ist rechtswidrig, der Kläger wird hierdurch in seinen Rechten verletzt und die Sache ist auch spruchreif (vgl. § 113 Abs. 5 VwGO).
Nach § 75 Abs. 1 Satz 1 NBauO ist die Baugenehmigung zu erteilen, wenn die Baumaßnahme, soweit sie genehmigungsbedürftig ist und soweit die Prüfung nicht entfällt, dem öffentlichen Baurecht entspricht. Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 NBauO müssen bauliche Anlagen so angeordnet, beschaffen und für ihre Benutzung geeignet sein, dass die öffentliche Sicherheit nicht gefährdet wird. § 20 Abs. 1 Satz 1 NBauO regelt insoweit, dass bauliche Anlagen so angeordnet, beschaffen und für ihre Benutzung geeignet sein müssen, dass der Entstehung eines Brandes und der Ausbreitung von Feuer und Rauch vorgebeugt wird und bei einem Brand die Rettung von Menschen und Tieren sowie wirksame Löscharbeiten möglich sind. Die brandschutzrechtlichen Anforderungen, die an Gebäudedächer bzw. -decken zu stellen sind, werden in den §§ 31 Abs. 4, 32 Abs. 1 NBauO sowie den §§ 10, 11 DVNBauO konkretisiert.
Im Hinblick auf diese rechtlichen Vorgaben kann dahinstehen, ob die Dämmung und Abdichtung der alten Dachkonstruktion, deren Beseitigung die Beklagte verfügt hat, nach der Überbauung mit einer neuen Dachschale bauordnungsrechtlich nach wie vor als Teil des Daches oder nunmehr als Decke einzuordnen ist, weil die Regelung in Ziffer 7.12 der Baugenehmigung weder von den zitierten Vorschriften über Dächer noch von denen über Decken getragen wird. Für Dächer ordnet § 32 Abs. 1 NBauO in Übereinstimmung mit § 11 Abs. 1 DVNBauO an, dass die Dachhaut gegen Flugfeuer und strahlende Wärme widerstandsfähig sein muss, soweit nicht der Brandschutz auf andere Weise gesichert ist. Das Tragwerk der Dächer einschließlich des Trägers der Dachhaut muss, soweit es der Brandschutz erfordert, widerstandsfähig gegen Feuer sein (§ 32 Abs. 1 Satz 3 NBauO). Die aus Styropor bestehende Dämmung des alten Daches sowie die Abdichtung aus Bitumenbahnen gehören ersichtlich nicht zum Tragwerk des Daches und aufgrund der Aufstützung einer neuen Dachschale kann die alte Dachabdichtung auch nicht mehr als Dachhaut eingeordnet werden. Selbst wenn man letzteres bejahen will, so enthalten die Verwaltungsvorgänge der Beklagten jedenfalls keine Hinweise, die die Einschätzung tragen, dass die durch eine frühere Baugenehmigung legalisierte alte Dachabdichtung nicht gegen Flugfeuer und strahlende Wärme widerstandsfähig ist.
Geht man hingegen davon aus, dass das alte Dach der Lagerhalle aufgrund der Überbauung mit einer neuen Dachschale nunmehr als Decke zu qualifizieren ist, so gilt zunächst § 31 Abs. 4 NBauO, der anordnet, dass Decken nach ihrer Bauart und in ihren Baustoffen widerstandsfähig gegen Feuer sein müssen, soweit es der Brandschutz unter Berücksichtigung ihrer Beschaffenheit, Anordnung und Funktion erfordert. Dies gilt auch für Verkleidungen und Dämmschichten. Diese Anforderungen werden in § 10 DVNBauO konkretisiert. Absatz 1 der Regelung schreibt grundsätzlich vor, dass Decken feuerbeständig sein müssen. Abweichend davon brauchen u.a. oberste Decken, über denen - wie über der alten Dachkonstruktion der Lagerhalle des Klägers - keine Aufenthaltsräume liegen, nur feuerhemmend zu sein (§ 10 Abs. 2 Nr. 3 DVNBauO). Weder die NBauO noch die DVNBauO definieren, was unter einem feuerhemmenden Gebäudeteil zu verstehen ist. Gemäß Bekanntmachung des Niedersächsischen Ministeriums des Innern vom 20. Februar 2001 (Nds. MBl. 292) entspricht der Begriff „feuerhemmend“ der Feuerwiderstandsklasse F 30 - B. Nach der technischen Norm DIN 4102 Teil 2 hat die Feuerwiderstandsklasse F 30 eine Feuerwiderstandsdauer von mindestens 30 bis zu 59 Minuten (vgl. Große-Suchsdorf u. a., aaO, § 20 Rdnr. 5). Der angefügte Buchstabe B kennzeichnet die Verwendung brennbarer Baustoffe. Die Kammer geht davon aus, dass das alte Dach der Lagerhalle diesen Anforderungen genügt, weil die brennbare Dachdämmung und -abdichtung auf der Unterseite durch eine tragende Dachschale aus Stahlprofilblech versiegelt ist und entsprechend dem Bauantrag des Klägers auf der Oberseite eine etwa 14 cm dicke, nicht brennbare Wärmedämmung aus Steinwolledämmfilz verlegt worden ist; die Verwaltungsvorgänge der Beklagten enthalten auch keine Hinweise auf gegenteilige Erkenntnisse.
Genügt das alte Dach des Gebäudes somit den allgemeinen brandschutzrechtlichen Anforderungen, die das Bauordnungsrecht an Dächer und an Decken stellt, so kann Ziffer 7.12 der Baugenehmigung nur noch auf § 51 Abs. 1 Satz 1 NBauO gestützt werden, nach dem an bauliche Anlagen besonderer Art oder Nutzung im Einzelfall besondere Anforderungen gestellt werden können, soweit die Vorschriften der §§ 5 bis 49 NBauO und die zu ihrer näheren Bestimmung erlassenen Verordnungen nicht ausreichen. Zu den baulichen Anlagen besonderer Art gehören nach Abs. 2 Nr. 10 der Regelung auch bauliche Anlagen und Räume, die - wie das Gebäude des Klägers - für gewerbliche Zwecke bestimmt sind. § 51 Abs. 1 NBauO eröffnet der Bauaufsicht einen gerichtlich nur beschränkt kontrollierbaren Ermessensspielraum für den Erlass besonderer Anforderungen an bauliche Anlagen. Dieser Ermessensspielraum wird jedoch für den vorliegenden Fall gesteuert und beschränkt durch die Richtlinie über den baulichen Brandschutz im Industriebau (Industriebaurichtlinie - IndBauRL - Nds. MBl. 2004, 29). Die Industriebaurichtlinie kann als technisches Regelwerk der Bestimmung der erforderlichen brandschutztechnischen Maßnahmen zugrunde gelegt werden (Nds. OVG, Beschl. v. 22.5.2008 - 12 MS 16/07 - veröffentlicht unter www.dbovg.niedersachsen.de). Die Industriebaurichtlinie stellt zwar eine gewöhnliche Verwaltungsvorschrift und keine nach § 96 Abs. 2 Satz 1 NBauO verbindliche technische Baubestimmung dar, wie sich aus der Präambel der Industriebaurichtlinie ergibt, die anders als technische Baubestimmungen nicht auf § 96 NBauO als Rechtsgrundlage Bezug nimmt. Als Verwaltungsvorschrift bindet die Industriebaurichtlinie die Ermessensausübung der Bauaufsicht aber mittelbar über den allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG. Verwaltungsvorschriften begründen als verwaltungsinterne Weisungen eine ständige Verwaltungspraxis, von der zur Vermeidung willkürlicher Benachteiligungen einzelner Bürger nicht ohne sachlichen Grund abgewichen werden darf.
Bei Anwendung dieses Maßstabes kann die in Ziffer 7.12 der Baugenehmigung verfügte Beseitigung der alten Dachdämmung und -abdichtung nicht auf § 51 Abs. 1 NBauO gestützt werden, weil die Beklagte die rechtlichen Grenzen des Ermessens überschritten hat, die sich aus der Industriebaurichtlinie in Verbindung mit dem allgemeinen Gleichheitssatz ergeben. Die Industriebaurichtlinie enthält keine Regelung, welche die in Streit stehende Regelung, die die Beklagte in der Baugenehmigung getroffen hat, stützt. Die angegriffene Baugenehmigung vom 19. Mai 2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 10. April 2008 enthält auch keine weitergehenden Ermessenserwägungen, die es rechtfertigen, an das Bauvorhaben des Klägers strengere Anforderungen zu stellen, als sie in der Industriebaurichtlinie formuliert werden.
Das Vorhaben des Klägers für den teilweisen Umbau seines Gewerbebetriebes fällt zwar in den Geltungsbereich der Industriebaurichtlinie, welche nach den Ziffern 2 und 3.1 auf Gebäude oder Gebäudeteile im Bereich der Industrie und des Gewerbes Anwendung findet, die der Produktion oder der Lagerung von Produkten oder Gütern dienen. Die Industriebaurichtlinie enthält aber keine Regelung, die eine Entfernung der alten Dachabdichtung und -dämmung gebietet. Namentlich ist den Ziffern 6.1.2 und 6.1.3 der Industriebaurichtlinie eine derartige Vorgabe für das Bauvorhaben des Klägers nicht zu entnehmen. Nach Ziffer 6.1.2 der Industriebaurichtlinie sind die tragenden und aussteifenden Bauteile sowie das Haupttragwerk des Daches in der Feuerwiderstandsklasse nach Tabelle 1 herzustellen und müssen aus nicht brennbaren Baustoffen bestehen. Dahinstehen kann auch hier, ob das alte Dach der Lagerhalle aufgrund des Bauänderungsantrages des Klägers nunmehr nicht mehr als Dach, sondern als Decke zu qualifizieren ist. Geht man davon aus, dass die alte Dachkonstruktion nach wie vor Teil des Daches ist, so gehört die auf einer tragenden Schale aus Stahlprofilblech aufliegende Wärmdämmung aus Styroporplatten und die darauf aufliegende Abdichtung aus Bitumenbahnen jedenfalls ersichtlich nicht zu den tragenden und aussteifenden Bauteilen oder zum Haupttragwerk des Daches, welche nach Ziffer 6.1.2 aus nicht brennbaren Baustoffen bestehen müssen. Geht man hingegen davon aus, dass die alte Dachkonstruktion nunmehr aufgrund der Überbauung mit einer neuen Dachschale als Decke zu qualifizieren ist, so kann die in Rede stehende Auflage auch nicht auf Ziffer 6.1.3 der Industriebaurichtlinie gestützt werden. Nach dieser Regelung müssen Unterdecken einschließlich ihrer Aufhängungen sowie Deckenbekleidungen einschließlich ihrer Dämmstoffe und Unterkonstruktionen aus nicht brennbaren Baustoffen bestehen. Die Dämmung und Abdichtung des alten Daches der Lagerhalle ist jedoch weder als Unterdecke noch als Deckenbekleidung zu qualifizieren. Die Begriffe „Deckenbekleidung“ und „Unterdecke“ werden in der technischen Norm DIN 18168 Teil 1 - Leichte Deckenbekleidungen und Unterdecken - näher beschrieben, welche in Niedersachsen als technische Baubestimmung im Sinne des § 96 NBauO gilt (Nds. MBl. 1982, 1267). Sowohl Deckenbekleidungen als auch Unterdecken zeichnen sich dadurch aus, dass sie als Unterkonstruktionen unter dem tragenden Bauteil der Decke befestigt sind. Insoweit unterscheiden sich Deckenbekleidungen von Unterdecken nur durch die Art der Verbindung zum tragenden Bauteil. Die Unterkonstruktion wird bei Deckenbekleidungen unmittelbar am tragenden Bauteil befestigt, während Unterdecken über Abhänger mit dem tragenden Bauteil verbunden sind (Rupp, Technologie für Stuckateure und Trockenbauer, 4. Aufl. 2007, Ziffer 8.1, unter ausdrücklichem Hinweis auf DIN 18168 - abrufbar unter www.springerlink.com/content/w35117506k777585/fulltext.pdf?page=1). Demnach stellen die Dämmung aus Styroporplatten und die Abdichtung aus Bitumenbahnen weder eine Deckenbekleidung noch eine Unterdecke dar, weil sie nicht als Unterkonstruktion unter dem tragenden Bauteil der Decke befestigt sind, sondern auf der tragenden alten Dachschale aus Stahlprofilblech aufliegen.
Die Industriebaurichtlinie schränkt den von § 51 Abs. 1 NBauO eröffneten Ermessensspielraum zwar nicht derartig ein, dass die Bauaufsicht zusätzliche Anforderungen an bauliche Anlagen nur dann stellen darf, wenn der Tatbestand einer Regelung der Industriebaurichtlinie verwirklicht ist. Die Präambel der Industriebaurichtlinie weist ausdrücklich darauf hin, dass die Anwendung des § 51 NBauO im Übrigen unberührt bleibt. Allerdings besagt die Präambel auch, dass zusätzliche Anforderungen zum Brandschutz in der Regel nicht erforderlich sind, wenn der Industriebau der Richtlinie vollständig entspricht. Damit bedarf es zumindest eines sachlich rechtfertigenden Grundes, wenn die Bauaufsichtsbehörde von der Industriebaurichtlinie abweichen und strengere brandschutzrechtliche Anforderungen anordnen will, als sie in dieser Verwaltungsvorschrift geregelt sind. Derartige sachliche Gründe sind jedoch weder der Baugenehmigung vom 19. Mai 2005 noch dem Widerspruchsbescheid vom 10. April 2008 zu entnehmen. Im Text der Baugenehmigung wird die Anordnung in Ziffer 7.12 mit keinem Wort begründet. Die Begründung des Widerspruchsbescheides stellt ausschließlich darauf ab, dass der Tatbestand von Ziffer 6.1.3 der Industriebaurichtlinie verwirklicht sei und enthält keinerlei weitergehende Ermessenserwägungen, welche die Auflage zusätzlich rechtfertigen könnten.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 155 Abs. 1 Satz 1, 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO. Bei der Kostenverteilung geht die Kammer zunächst im Wege der freien Schätzung davon aus, dass der Teil des Rechtsstreits, den die Beteiligten nicht übereinstimmend für erledigt erklärt haben, bei wirtschaftlicher Betrachtung für den Kläger von weit größerer Bedeutung war als die anderen beiden Brandschutzauflagen. Die Beklagte hat daher allein aufgrund des Obsiegens des Klägers hinsichtlich des nicht erledigten Teils des Rechtsstreits 80 % der Kosten zu tragen. 10 % der Kosten hat der Kläger nach billigem Ermessen zu tragen, weil er die in Ziffer 7.4 der Baugenehmigung verfügte Brandschutzauflage zwischenzeitlich baulich ausgeführt hat und sich damit für diesen Teil seines Klagebegehrens faktisch in die Position des im Prozess unterlegenen Teils begeben hat; er ist daher hinsichtlich der Kosten wie bei einer Klagerücknahme zu behandeln. Die restlichen 10 % der Kosten verteilt die Kammer nach billigem Ermessen hälftig auf beide Beteiligten. Bei rechtlich und tatsächlich schwierigen Streitfällen ist es nicht Aufgabe der im Falle der Erledigung zu treffenden Kostenentscheidung nach § 161 Abs. 2 VwGO, eine abschließende Prüfung der aufgetretenen Zweifelsfragen herbeizuführen. Der Grundsatz der Prozesswirtschaftlichkeit befreit das Gericht nach Erledigung des Rechtsstreites in der Hauptsache von dem Gebot, anhand eingehender Erwägungen abschließend über den Streitstoff zu entscheiden. Es entspricht dann billigem Ermessen, die Kosten des Verfahrens hälftig aufzuteilen oder gegeneinander aufzuheben (BVerwG, Beschl. v. 3.2.1971 - VI C 27.66 - Buchholz 310 § 161 Abs. 2 VwGO Nr. 33). Entsprechend ist hier zu verfahren, weil die Klage, soweit sie sich auch gegen die Auflage in Ziffer 7.10 der Baugenehmigung gerichtet hat, weder offenkundig begründet noch offenkundig unbegründet war; die Kammer vermag ohne weitere rechtliche und tatsächliche Klärungen nicht zu entscheiden, ob die Beklagte aufgrund des Bauänderungsantrages des Klägers befugt war, die entsprechende Auflage zu erlassen.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO.
Gründe für die Zulassung der Berufung liegen nicht vor (§ 124 a Abs. 1 iVm § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder 4 VwGO).