Oberlandesgericht Oldenburg
Beschl. v. 25.02.1998, Az.: 1 Ws 86/98

Wirksamkeit einer Verweisung an ein höheres Gericht nach Beginn der Hauptverhandlung

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
25.02.1998
Aktenzeichen
1 Ws 86/98
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 1998, 28965
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGOL:1998:0225.1WS86.98.0A

Amtlicher Leitsatz

Die Verweisung an ein höheres Gericht nach Beginn der Hauptverhandlung ist nur bei offenkundigen Fehlern unwirksam.

Gründe

1

Das Jugendschöffengericht ist in der Hauptverhandlung vom 3.12.1997 zu der Auffassung gelangt, es komme auch eine Bestrafung wegen eines Verbrechens nach §§ 212, 22 StGB in Betracht. Aus der Sicht des Jugendschöffengericht war deshalb eine Verweisung an die Jugendkammer geboten (vgl. §§ 41 JGG, 74 GVG). Gemäß § 270 StPO ist das Landgericht an den nach Beginn der Hauptverhandlung getroffenen Verweisungsbeschluss des Jugendschöffengerichts gebunden (vgl. BGHSt 27, 99, 103) [BGH 12.01.1977 - 2 StR 662/76]. Die Bindungswirkung von Verweisungsbeschlüssen entfällt nur bei Entscheidungen, die mit den Grundprinzipien der rechtsstaatlichen Ordnung in Widerspruch stehen, wenn der Mangel für einen verständigen Beurteiler offenkundig ist. Demgemäß entfällt die Bindungswirkung eines Verweisungsbeschlusses, wenn dieser auf Willkür des verweisenden Gerichts beruht. Diese Voraussetzungen liegen nicht schon bei Verweisungen vor, die fehlerhaft oder im Ergebnis unzutreffend sind. Auch solche richterlichen Entscheidungen sind grundsätzlich beachtlich. Deshalb muss ein Gericht eine Verweisung, selbst wenn diese fehlerhaft ist, hinnehmen, es sei denn, dass sie "bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist" (BVerfGE 29, 45, 49) [BVerfG 30.06.1970 - 2 BvR 48/70]. Dies ist hier nicht der Fall. Das Landgericht hat zwar zutreffend die Auffassung vertreten, der vom Jugendschöffengericht ermittelte Sachverhalt lasse nicht erwarten, dass die Angeklagten wegen versuchten Totschlags verurteilt werden. Demgemäß hätte das Schöffengericht von einer Verweisung an das Landgericht absehen müssen; denn die Verweisung nach § 270 StPO setzt voraus, dass die Angeklagten der Straftat, derentwegen verwiesen wird, mindestens hinreichend verdächtig sind. Darin unterscheidet sich der Sachverhalt von dem durch den Senat in seinem Urteil vom 26.2.1996 - Ss 486/95 - entschiedenen Fall, in dem der Tatbestand einer versuchten Tötung "konkret" in Betracht kam.

2

Dieser Fehler führt jedoch nicht zur Unwirksamkeit des Verweisungsbeschlusses. Das Jugendschöffengericht hat nämlich in seinem Beschluss Anhaltspunkte aufgeführt, welche die rechtliche Prüfung der Frage des Vorliegens eines Tötungsdelikts nahe legten. Die Auffassung des Jugendschöffengerichts, die von ihm angeführten Umstände reichten für eine Verweisung nach § 270 StPO aus, beruht somit nicht auf Willkür. Die Jugendkammer hat demgemäß ihre Zuständigkeit zu Unrecht verneint. Sie ist wegen des für sie bindenden Verweisungsbeschlusses des Jugendschöffengerichts Lingen der gesetzliche Richter (§ 270 StPO). Auf die Vorlage des Jugendschöffengerichts war somit die zuständige Jugendkammer des Landgerichts Osnabrück für sachlich zuständig zu erklären.