Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 02.04.2020, Az.: 6 B 776/20
Bibliographie
- Gericht
- VG Hannover
- Datum
- 02.04.2020
- Aktenzeichen
- 6 B 776/20
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2020, 71511
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Tenor:
Die Anträge werden abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird für das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes auf 5.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
Der Antragsteller hat mit seinen Anträgen,
1. festzustellen, dass der Widerspruch des Antragstellers vom 17.01.2020 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 09.01.2020 zum Betreff „Festsetzung von Erziehung und Ordnungsmaßnahmen nach § 61 NSchG“ insoweit aufschiebende Wirkung hat, als sich die Antragsgegnerin weigert klarzustellen, dass der Antragsteller eine Mitschülerin nicht bewusst unsittlich berührt bzw. ihr nicht bewusst „in den Schritt gefasst“ habe,
2. die Anordnung der sofortigen Vollziehung des Bescheids der Antragsgegnerin vom 09.01.2020 zum Betreff „Festsetzung von Erziehung- und Ordnungsmaßnahmen nach § 61 NSchG“ aufzuheben, soweit sich die Antragsgegnerin weigert klarzustellen, dass der Antragsteller eine Mitschülerin nicht bewusst unsittlich berührt bzw. ihr nicht bewusst „in den Schritt gefasst“ habe,
keinen Erfolg. Der Anträge sind nicht zulässig.
Aufgrund eines Beschlusses der Klassenkonferenz vom 07. Januar 2020, bestätigt in einer Abhilfekonferenz am 06. Februar 2020, überwies die Antragsgegnerin den Antragsteller, der (seinerzeit) die Klasse E. der Antragsgegnerin besuchte, mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 09. Januar 2020 - als Ordnungsmaßnahme nach § 61 Abs. 3 Nr. 2 des Niedersächsischen Schulgesetzes (NSchG) - in eine Parallelklasse; hierzu ordnete sie den Sofortvollzug an. Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt, die Klassenkonferenz sehe es als erwiesen an, dass der Antragsteller einer Mitschülerin im Streit in den Schritt gefasst und auch nach Aufforderung nicht sofort losgelassen habe. Sexuelle Hintergedanken bei dem Antragsteller sehe die Klassenkonferenz nicht. Der Vorfall habe am 13. Dezember 2019 am Ende der großen Pause stattgefunden. Der Antragsteller habe eine Auseinandersetzung mit einer Mitschülerin gehabt. Bei einer Rangelei um ein Erdkundebuch habe der Antragsteller dieser Mitschülerin zunächst an den Knöchel gefasst; er habe ihr Bein festgehalten, sie habe nach ihm getreten. Der Antragsteller sei dann mit seiner Hand höher gerutscht und habe der Mitschülerin dabei in den Schritt gefasst. Trotz deutlicher Aufforderung habe er nicht sofort losgelassen. Die Behauptung des Antragstellers, die betroffene Mitschülerin verhalte sich ihm gegenüber häufig aggressiv, könnten die Lehrkräfte und der Schülervertreter nicht bestätigen. Diese Behauptung werde daher als Schutzbehauptung gewertet. Die Klassenkonferenz habe die Situation des Antragstellers in der Klasse erörtert. Diese stelle sich als äußerst schwierig dar. Der Antragsteller werde von seinen Mitschülern wenig akzeptiert, stelle sich aber auch selbst durch sehr auffällige und teilweise aggressive Verhaltensweisen ins Abseits. Die Bemühungen des Antragstellers und der Klasse, aufeinander zu zugehen, seien nicht erfolgreich. Alle Ordnungsmaßnahmen, insbesondere eine Suspendierung, seien erwogen worden. Die Klassenkonferenz sehe diese als nicht geeignet an, weil eine dauerhafte Verbesserung der Gesamtsituation in der Klasse nicht zu erwarten sei. Um den Klassenfrieden wiederherzustellen, dem Antragsteller einen Neustart und somit eine erfolgreiche weitere Schulzeit zu ermöglichen und die besagte Mitschülerin zu schützen, halte die Klassenkonferenz nach Erörterung die Maßnahme für verhältnismäßig und geboten. Für die Maßnahme habe die Klassenkonferenz den sofortigen Vollzug beschlossen. Dies sei erörtert und als notwendig erachtet worden, weil eine sofortige Trennung des Antragstellers und der betroffenen Mitschülerin im Interesse aller Beteiligten zwingend sei.
In einem „Hinweis“, der nach der Rechtsbehelfsbelehrung in den Bescheid eingefügt ist, heißt es unter Bezugnahme auf § 61 Abs. 4 Satz 3 NSchG, dass Widerspruch und Anfechtungsklage gegen die Anordnung von Ordnungsmaßnahmen keine aufschiebende Wirkung hätten.
Der Antragsteller hat in seiner am 20. Januar 2020 bei Gericht eingegangenen Antragsschrift zunächst mit den Anträgen gefochten, die aufschiebende Wirkung seines (am 17. Januar 2020 eingelegten) Widerspruchs gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 09. Januar 2020 anzuordnen (1.) und die Anordnung der sofortigen Vollziehung des besagten Bescheides aufzuheben (2.). Hinsichtlich des seinerzeitigen Antrages zu 1. bezieht sich der Antragsteller auf den besagten, nach der Rechtsbehelfsbelehrung in den Bescheid eingefügten „Hinweis“.
1. Der - nunmehr gestellte - Antrag zu 1. ist unzulässig, weil er nicht statthaft ist. Ein Feststellungsantrag nach § 80 Abs. 5 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) analog (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 23. Aufl., Rn. 130 zu § 80) ist/wäre lediglich dann statthaft, wenn zwischen den Beteiligten streitig ist/wäre, ob der Widerspruch aufschiebende Wirkung entfaltet. Dies ist jedoch hier nicht der Fall. Die Antragsgegnerin ordnete die sofortige Vollziehung der von ihr auf der Grundlage von § 61 Abs. 3 Nr. 2 NSchG getroffenen Ordnungsmaßnahme ausdrücklich an. Auch im Verlauf des vorliegenden Verfahrens des vorläufigen Rechtschutzes hat sie keinen Zweifel daran gelassen, dass sie dem Widerspruch des Antragstellers keine aufschiebende Wirkung beimisst, und hat die Überweisung des Antragstellers in eine Parallelklasse tatsächlich vorgenommen. Auch der Antragsteller hat mit seinen zunächst gestellten Anträgen deutlich gemacht, dass er nicht davon ausgeht, dass sein Widerspruch aufschiebende Wirkung entfaltet.
Im Übrigen ist der besagte „Hinweis“, auf den der Antrag zu 1. offenbar abzielt, augenscheinlich versehentlich in den streitgegenständlichen Bescheid geraten. Wäre die Antragsgegnerin tatsächlich der Auffassung gewesen, eine Ordnungsmaßnahme nach § 61 Abs. 3 Nrn. 3-6 NSchG zu treffen - gegen die ein Widerspruch keine aufschiebende Wirkung hat/hätte (§ 61 Abs. 4 S. 3 HS 2 NSchG, i.V.m. § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 VwGO) - hätte sie nicht die sofortige Vollziehung anzuordnen brauchen.
2. Der Antrag zu 2. (in der aktuellen Fassung) ist unzulässig, weil damit nicht die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen einen Verwaltungsakt, sondern (lediglich) hinsichtlich (der Formulierung) eines Begründungselementes des streitgegenständlichen Überweisungsbescheides begehrt wird. Nach § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO haben Widerspruch und Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung. § 80 VwGO dient dem vorläufigen Rechtsschutz des Bürgers in allen Fällen, in denen in den entsprechenden Hauptsacheverfahren für den Rechtsschutz die Anfechtungsklage gegeben ist. Die Anfechtungsklage ist auf die (Teil-)Aufhebung eines belastenden Verwaltungsaktes gerichtet. Gemäß § 35 Satz 1 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) ist ein Verwaltungsakt jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalls auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist.
Hier hat die Antragsgegnerin in dem Bescheid vom 09. Januar 2020 rechtsgestaltend entschieden - mithin geregelt -, dass der Antragsteller ab sofort in eine Parallelklasse überwiesen wird. (Nur) Hieran ist der Antragsteller gebunden. Nicht Teil dieser Regelung ist die Begründung, die die Antragsgegnerin in dem streitgegenständlichen Bescheid zu dieser Entscheidung gegeben hat. Eine einzelne zur Begründung des Verwaltungsaktes herangezogene Tatsachenfeststellung kann nicht an der Bindungswirkung des Verwaltungsaktes teilhaben (vgl. BVerwG, Urt. v. 05.11.2009 - 4 C 1/09 -, juris Rn. 23) und damit auch nicht Gegenstand einer Anfechtungsklage bzw. eines Antrages nach § 80 Abs. 5 VwGO sein.
An diesem Ergebnis ändert der Umstand, dass die in dem Bescheid für die Überweisung des Antragstellers in eine Parallelklasse gegebene Begründung Gegenstand der Prüfung wäre, ob die Schule ihr pädagogisches Ermessen fehlerfrei ausgeübt hat, nichts.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung erfolgt gemäß § 52 Abs. 2, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG und orientiert sich an Nr. 1.5 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (NordÖR 2014, S. 11).