Versionsverlauf

Pflichtfeld

  • ab 06.05.2021 (aktuelle Fassung)

Abschnitt 2 NLöffVZG-DRdErl - Zu § 5

Bibliographie

Titel
Durchführung des NLöffVZG
Redaktionelle Abkürzung
NLöffVZG-DRdErl,NI
Normtyp
Verwaltungsvorschrift
Normgeber
Niedersachsen
Gliederungs-Nr.
81610

2.1 Zu Absatz 1

Die Ausnahmegenehmigung bezieht sich auf den gesamten Ortsbereich und somit auf alle dort gelegenen Verkaufsstellen, und zwar auch dann, wenn sie nicht zu den Antragstellenden gehören.

2.1.1 Ortsbereich

Mit dem Begriff "Ortsbereich" hat der Gesetzgeber bewusst den bisher verwandten Begriff wieder in den Gesetzeswortlaut aufgenommen. So wird klargestellt, dass auch weiterhin keine Ortsteile und Bezirke der Gemeinde i. S. des NKomVG in Bezug genommen werden.

2.1.2 Erforderlichkeit eines Sachgrundes

Bei der Entscheidung über eine Zulassung ist die einschlägige Rechtsprechung, insbesondere das Urteil des BVerfG vom 1. 12. 2009 - 1 BvR 2857/07 und 1 BvR 2858/07 - zum BerlLadÖffG, zu beachten. Im Hinblick auf die grundsätzlich sicherzustellende Arbeitsruhe an Sonn- und Feiertagen dürfen Öffnungen an den nicht nach § 5 Abs. 1 Satz 2 ausgenommenen Sonntagen nur bei nachgewiesenem Vorliegen der Voraussetzungen zugelassen werden

So ist insbesondere darzulegen, ob und wie zumindest einer der in § 5 Abs. 1 Satz 1 genannten Sachgründe eine Ladenöffnung an Sonntagen rechtfertigt. Dazu bedarf es einer nachvollziehbaren und dokumentierten Begründung, denn es muss Klarheit über die Art sowie über das zeitliche und räumliche Ausmaß der Veranstaltung oder des Ereignisses bestehen.

Nur auf dieser Grundlage lässt sich beurteilen, ob der jeweilige Sachgrund so gewichtig ist, eine Ausnahme von der Sonntagsruhe zu rechtfertigen (vgl. Oberverwaltungsgericht [OVG] Münster, Beschl. vom 4. 5. 2018 - 4 B 590/18 - und OVG Lüneburg, Beschl. vom 1. 11. 2019 - 7 ME 56/19 - und 1. 9. 2020 - 7 ME 89/20 -).

Hinzuweisen ist auf die ständige Rechtsprechung zur Feststellung von Sachgründen. So werden wirtschaftliche Interessen an einer sonntäglichen Ladenöffnung wie z. B. Umsatzinteresse des Handels oder Shoppinginteressen der Kundinnen und Kunden nicht als Sachgründe akzeptiert.

2.1.3 Die Sachgründe im Einzelnen

2.1.3.1
Besonderer Anlass

Erforderlich ist im Kern, dass der besondere Anlass den Sonntag prägt und die Geschäftsöffnung sich als bloßer Annex zu dieser Veranstaltung darstellt (vgl. BVerfG, Urteil vom 1. 12. 2009 - 1 BvR 2857/07 und 1 BvR 2858/07 - und OVG Lüneburg, Beschl. vom 5. 5. 2017 - 7 ME 32/17 -, 13. 9. 2017 - 7 ME 77/17 -, 1. 11. 2017 - 7 ME 100/17 -, 5. 10. 2018 - 7 ME 75/18 -, 7. 3. 2019 - 7 ME 9/19 -, 1. 11. 2019 - 7 ME 56/19 - und 1. 9. 2020 - 7 ME 89/20 -).

In einem Flächenland wie Niedersachsen mit den vielfältigen kommunalen Strukturen, Lebens- und Arbeitsbedingungen sowie historisch gewachsenen Traditionen sind beispielhafte Aufzählungen kein adäquates Mittel, um Rechtssicherheit herzustellen.

Die aktuelle Rechtsprechung des OVG Münster (a. a. O.) zeigt, dass trotz der im dortigen Ladenöffnungsgesetz enthaltenen Vermutungswirkung von Anlässen jede einzelne Entscheidung gerichtlich überprüfbar ist.

Als Prüfkriterien kommen im Wesentlichen folgende Aspekte in Betracht:

2.1.3.1.1
Besucherströme

Sog. Besucherströme können ein Kriterium sein, aber nicht das einzige und auch nicht das ausschließliche (vgl. OVG Münster, Beschl. vom 5. 5. 2017 - 4 B 520/17 -).

Besucherströme können von der Antragstellerin oder dem Antragsteller prognostiziert werden, die Gemeinde hat aber die Bewertung nachvollziehbar vorzunehmen.

Zwar unterliegt die Prognose der Gemeinde eingeschränkter verwaltungsgerichtlicher Kontrolle, jedoch hat das Gericht dennoch zu prüfen, ob die bei der Entscheidung über die Zulassung vorgenommene Prognose schlüssig und vertretbar ist (vgl. OVG Lüneburg, Beschl. vom 13. 9. 2017 - 7 ME 77/17 - und 7. 3. 2019 - 7 ME 9/19 - Randnummer 26).

2.1.3.1.2
Zeitlicher Umfang

Der zeitliche Umfang des Anlasses muss den der Ladenöffnung begründen (vgl. VG Braunschweig, Beschl. vom 31. 1. 2020 - 1 B 14/20 -).

2.1.3.1.3
Örtlicher Umfang

Die Festlegung des Ortsbereichs stützt das Regel-Ausnahme-Prinzip.

Daher ist insbesondere der Bezug des Ortsbereichs der Ladenöffnung zum Anlass nachvollziehbar darzustellen. Die Ladenöffnung darf auch hier insoweit nur Annex sein.

Es ist zu prüfen und zu begründen, wie weit die Ausstrahlungswirkung des Anlasses örtlich reicht. So werden z. B. bei kleinen Veranstaltungen Entfernungen der Läden von 800 m bis 1 000 m hiervon regelmäßig nicht mehr erfasst (vgl. VG Köln, Beschl. vom 4. 12. 2018 - 1 L 2722/18 -, VG Braunschweig, Beschl. vom 31. 1. 2020 - 1 B 14/20 -).

2.1.3.2
Öffentliches Interesse an der Belebung der Gemeinde oder eines Ortsbereichs oder Sichtbarkeit der Gemeinde

Durch formale kommunale Beschlüsse z. B.

  • zu integrierten Kommunalentwicklungskonzepten unter Aspekten wie demographischer Wandel,

  • zur Quartiersstärkung,

  • zur städtebaulichen Entwicklung der Innenstädte oder

  • zu kommunalen Zielen, die aus dem Landesraumordnungsprogramm abgeleitet werden können,

sollte das öffentliche Interesse belegbar sein, insbesondere

  • als attraktiver und lebenswerter Standort wahrgenommen zu werden; Erhaltung kommunaler Vielfalt,

  • die Schaffung von Möglichkeiten zur Selbstdarstellung und Sichtbarmachung der Gemeinde sowohl für bereits örtlich verwurzelte als auch für sich neu ansiedelnde Einwohnerinnen und Einwohner sowie Unternehmen,

  • die Schaffung von Möglichkeiten, die örtliche demografische Entwicklung positiv zu beeinflussen.

Das öffentliche Interesse kann mit einem anderen Sachgrund verbunden werden, weil es fraglich sein kann, ob es allein im Einzelfall einen eigenständigen hinreichenden Grund für eine Öffnung rechtfertigt (OVG Münster, Beschl. vom 2. 11. 2018 - 4 B 1580/18 -, OVG Lüneburg, Beschl. vom 7. 3. 2019 - 7 ME 9/19 - und 1. 9. 2020 - 7 ME 89/20 -).

2.1.3.3
Sonstiger rechtfertigender Sachgrund

Es handelt sich um einen Auffangtatbestand

2.1.3.4
Wirtschaftliche Interessen

Umsatz- oder Shoppinginteressen stellen keine Sachgründe dar.

2.1.4 Ermessenentscheidung

Die zuständige Behörde hat - auch bei Vorliegen mehrerer Sachgründe - über die Zulassung in dem ihr zustehenden Ermessen zu entscheiden.

2.1.4.1
Güterabwägung

Durch die Zulassung der Ladenöffnung beeinträchtigte Interessen Dritter sind bei der Entscheidung über die Ladenöffnung zu berücksichtigen.

Gesellschaftsrelevante Rechtsgüter betroffener Dritter können insbesondere sein:

  • Schutz der Sonntagsruhe (Kirchen),

  • Schutz der sonntäglichen Arbeitsruhe (Beschäftigte),

  • Koalitionsfreiheit (Gewerkschaften).

Es besteht die Möglichkeit, dass die Tatbestandsmerkmale des § 5 Abs. 1 erfüllt sind, im Rahmen der Güterabwägung jedoch zugunsten der Sonntagsruhe entschieden wird und somit eine Versagung der Zulassung erfolgt.

2.1.4.2
Begrenzung der Ladenöffnung

Wird nach der Güterabwägung zugunsten der Ladenöffnung entschieden, kann gleichwohl, um das Regel-Ausnahme-Prinzip einzuhalten, die Zulassung der Ladenöffnung begrenzt werden und zwar insbesondere

2.1.4.2.1
in zeitlichem Umfang:

Das gesetzlich mögliche Maximum von fünf Stunden muss nicht ausgeschöpft werden; und/oder

2.1.4.2.2
in räumlichem Umfang:

Auf die Rechtsprechung des VG Köln wird hingewiesen (vgl. Nummer 2.1.3.1.3).

2.1.5 Zulässige Anzahl von Sonntagsöffnungen je Kalenderjahr

2.1.5.1
Sechs Sonntage je politischer Gemeinde

Wenn in mehreren Ortsbereichen an ein und demselben Sonntag ein für den jeweiligen Ortsbereich rechtfertigender Sachgrund vorliegt, kann die Zulassung für diese Ortsbereiche bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen erfolgen. Damit ist einer der möglichen sechs Sonntage verbraucht.

2.1.5.2
Vier Sonntage je Ortsbereich

Damit dem Sonntagsschutz und der damit verbundenen Arbeitsruhe sowie dem Schutz der Beschäftigten Rechnung getragen wird, ist die Anzahl der zulässigen Sonntagsöffnungen auf maximal vier je Ortsbereich festgeschrieben worden.

2.1.5.3
Regelungen für Ausflugsorte

Ist eine Gemeinde als Ausflugsort durch das MW anerkannt, so erhöht sich die maximale Anzahl auf acht Sonntage.

Ist nicht die gesamte Gemeinde, sondern ist ein Ortsbereich oder sind mehrere Ortsbereiche als Ausflugsort anerkannt, so erhöht sich ausschließlich für diesen Ortsbereich oder diese Ortsbereiche die maximale Anzahl der Sonntage von vier auf acht. Für die gesamte politische Gemeinde gilt dann die Höchstzahl von acht Sonntagen, um eine Gleichbehandlung der Gemeinden i. S. des § 5 Abs. 1 Sätze 4 und 5 zu gewährleisten.

2.2 Zu Absatz 3

Mit der gesetzlich eingeräumten Möglichkeit, nicht aber der Verpflichtung, einer Jahresplanung und Bekanntgabe einer Terminsetzung zur Antragstellung wird ein kommunales Steuerungsinstrument für ein geordnetes Antragsverfahren beschrieben.

§ 28 VwVfG ist anzuwenden, sodass die örtlich gesellschaftsrelevanten Gruppen und Verbände wie z. B. die örtlichen Kirchengemeinden, die örtlichen Einzelhandelsverbände, die örtlich betroffenen Gewerkschaften, die örtlich zuständige Industrie- und Handelskammer sowie die Handwerkskammer anzuhören sind. Die Form der Anhörung steht im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde. Es gelten die Regelungen des Verwaltungsrechts.

Durch diese Beteiligungen und durch die gesetzliche Pflicht zur ortsüblichen Bekanntgabe der betroffenen Sonntage, der Sachgründe und der betroffenen Gebiete entsteht ein transparentes Zulassungsverfahren.

2.3 Zu Absatz 4

Ein herausragender Anlass für eine Verkaufsstelle ist z. B. ein 25-, 50- oder 75-jähriges Geschäftsjubiläum; auch andere Anlässe sind denkbar.

Die Anhörung nach § 28 VwVfG der örtlich gesellschaftsrelevanten Gruppen und Verbände, wie z. B. der örtlichen Kirchengemeinden, der örtlichen Einzelhandelsverbände, der örtlich betroffenen Gewerkschaften, der örtlich zuständigen Industrie- und Handelskammer sowie der Handwerkskammer, ist durchzuführen.

Diese Zulassungen unterliegen nicht den speziellen verfahrensrechtlichen Vorgaben des § 5 Abs. 3.