Oberlandesgericht Oldenburg
Beschl. v. 18.11.2009, Az.: 9 W 39/09
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 18.11.2009
- Aktenzeichen
- 9 W 39/09
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2009, 50622
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Oldenburg - 22.10.2009 - AZ: 1 O 2259/09
- nachfolgend
- BGH - 14.06.2012 - AZ: IX ZB 274/09
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Die Zwangsvollstreckung in Deutschland aus einem in Italien für vorläufig vollstreckbar erklärten Mahnbescheid ("Decreto Ingiuntivo") ist zulässig.
Bei dem italienischen Zahlungsbefehl handelt es sich um eine Entscheidung im Sinne
von Art. 32 EuGVVO, da der Schuldner nach Erlass des Mahnbescheids Gelegenheit hat, seine Rechte bis
zur Anordnung der Vollstreckbarkeit angemessen geltend zu machen.
Der Vollstreckbarkeit des Mahnbescheides steht nicht entgegen, dass das italienische Gericht nach erfolgtem Einspruch zunächst nur die vorläufige Vollstreckbarkeit angeordnet hat. Die entsprechende Regelung in Art. 648 c.p.c. (italienische Zivilprozessordnung) verletzt nicht den ordre public.
Zu den Voraussetzungen einer Aussetzung des Verfahrens nach Art. 46 Abs. 1 EuGVVO.
Tenor:
Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Landgerichts Oldenburg vom 22. Oktober 2009 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Gründe
I.
Auf Antrag der Antragstellerin vom 28. Januar 2009 erließ das Gericht T…, …………………(Italien) am 4. Februar 2009 ohne Anhörung gemäß Art. 642 c.p.c. einen Mahnbescheid („Decreto Ingiuntivo“) über einen binnen 20 Tagen zu zahlenden Betrag von 33.494,32 EUR zuzüglich Verzugszinsen in gesetzlicher Höhe. Die Antragsgegnerin legte dagegen entsprechend Art. 645 c.p.c. fristgemäß Rechtsmittel ein. Das Verfahren ist seitdem in der Rechtsmittelinstanz vor dem Landgericht C…. anhängig. Am 12. Mai 2009 erklärte das Gericht den Mahnbescheid gemäß Art. 648 c.p.c. vorläufig vollstreckbar.
Das Landgericht Oldenburg hat mit dem angegriffenen Beschluss die Zwangsvollstreckung aus dem Titel vom 4. Februar 2009 für zulässig erklärt.
Die Antragsgegnerin wendet maßgeblich ein, der für vollstreckbar erklärte italienische Zahlungsbefehl stelle, da ihr vorab kein rechtliches Gehör gewährt wurde, keine Entscheidung nach dem internationalen Vollstreckungsabkommens im Sinne von Art. 32 EuGVVO dar, zumindest aber verstoße er gegen den inländischen ordre public.
Mit Blick auf das in Italien anhängige Rechtsmittel beantragt die Antragsgegnerin weiter, jedenfalls die Zwangsvollstreckung aus dem Zahlungsbefehl einstweilen auszusetzen.
II.
Die gemäß Art. 43 EuGVVO i. V. m. §§ 1, 11 des Anerkennungs- und Voll-streckungsausführungsgesetzes vom 19. Februar 2001 (AVAG) zulässige Beschwerde sowie der Antrag auf Aussetzung der Zwangsvollstreckung aus dem Titel vom 4. Februar 2009 sind unbegründet.
Die Entscheidung erfolgt durch den Senat in voller Besetzung, denn der gemäß Art. 39 i.V.m. Anhang II EuGVVO i.V.m. § 3 Abs. 3 AVAG zuständige Vorsitzende einer Kammer des Landgerichts ist nicht Einzelrichter aufgrund der §§ 348 ff. ZPO und damit nicht Einzelrichter im Sinne von § 568 ZPO. Dass der Senat nach Gewährung rechtlichen Gehörs ohne mündliche Verhandlung entscheidet, beruht auf Art. 43 Abs. 3 EuGVVO i.V.m. § 13 Abs. 1 AVAG und entspricht im Übrigen allgemeiner Rechtspraxis (vgl. zuletzt Münchener Kommentar-Gottwald, ZPO, 3. Aufl., Anm. zu Art. 43 EuGVVO, Rn. 11). Der Beschwerdeführer hatte hinreichend Gelegenheit, schriftlich das ihm sachdienlich Erscheinende vorzutragen. Sein verfassungsrechtlich garantierter Anspruch auf rechtliches Gehör ist damit gewahrt (BGH, WM 1984, 1064). Soweit danach die Anordnung einer mündlichen Verhandlung allein im Ermessen des Beschwerdegerichts liegt (BGH, a.a.O.), erscheint dies im vorliegenden Fall nicht geboten.
Auf der Grundlage der von der Antragstellerin vorgelegten, amtlich beglaubigten Nachweise hat das Landgericht die Vollstreckungsklausel zu Recht erteilt.
1. Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin handelt es sich bei dem in Rede stehenden Zahlungsbefehl („Decreto Ingiuntivo“) um eine Entscheidung im Sinne von Art. 32 EuGVVO (vgl. EuGH Urteil vom 14. Oktober 2004 - C 39/02 -; OLG Düsseldorf, 3 W 429/00, Beschluss vom 21. Februar 2001; OLG Köln, 16 W 7/03, Beschluss 2. Januar 2006; OLG Düsseldorf, 3 W 118/06, Beschluss vom 8. August 2006, jeweils zit. in juris). Soweit danach lediglich vorausgesetzt wird, dass einer Anerkennungs- bzw. Vollstreckbarkeitserklärung im Urteilsstaat ein kontradiktorisches Verfahren vorausgegangen ist oder aber hätte vorausgehen können, reicht es aus, dass nach Ende eines nicht kontradiktorischen Verfahrensabschnitts die Sache Gegenstand einer kontradiktorischen Erörterung sein konnte, dass also die Wirksamkeit erst dann eintritt, wenn der Schuldner Gelegenheit hatte, seine Rechte geltend zu machen (vgl. auch EuGH, Urteil vom 13. Juli 1995 - C 474/93 -; OLG Köln, 16 W 31/04, Beschluss vom 17. November 2004, jeweils zit. in juris). Diese Voraussetzungen sind bei dem vorliegend gemäß Art. 642, 645 der italienischen Zivilprozessordnung (c.p.c.) ergangenen Mahnbescheid erfüllt, denn ungeachtet des zunächst der Schuldnerin nicht gewährten rechtlichen Gehörs wurde eine Vollstreckbarkeit erst nach Ablauf einer 20-tägigen Einspruchsfrist angeordnet. Die Antragsgegnerin hatte dadurch die Möglichkeit, über den ihr nach Art. 645 c.p.c. eröffneten Widerspruch das Mahnverfahren in ein kontradiktatorisches Zivilverfahren überzuleiten und damit ihre Einwendungen vorzubringen. Erst nach der Gewährung rechtlichen Gehör ist dann gemäß Art. 648 c.p.c. die vorläufige Vollstreckbarkeit des Mahnbescheids angeordnet werden. Mangels entgegenstehender Anhaltspunkte ist auch vorliegend davon auszugehen, dass sich das italienische Gericht vor der Bewilligung der vorläufigen Vollstreckung aus dem Zahlungsbefehl am 12. Mai 2005 mit den Einwendungen der Antragsgegnerin auseinandergesetzt hat.
Ein Anerkennungs- und Vollstreckungshindernis erwächst der Antragsgegnerin auch nicht allein daraus, dass sie fristgemäß Einspruch gegen den Mahnbescheid eingelegt hat. Nach Art. 33 Abs. 1 EuGVVO werden die in einem anderen Mitgliedstaat ergangenen Entscheidungen anerkannt und können dementsprechend gemäß Art. 38 Abs. 1 EuGVVO im Inland vollstreckt werden. Dabei soll im Sinne der durch die EuGVVO maßgeblich intendierten Verbesserung der Effektivität des grenzüberschreitenden Rechtsschutzes auch lediglich vorläufigen Entscheidungen grundsätzlich die Möglichkeit der Anerkennung und Vollstreckung im Ausland eröffnet werden (vgl. OLG Stuttgart NJW-RR 1998, 280 [OLG Stuttgart 15.05.1997 - 5 W 4/97]). Es genügt daher, dass die Entscheidung, wie hier, überhaupt einen vollstreckbaren Inhalt hat (OLG Celle, NJW-RR 2007, 718 [OLG Celle 03.01.2007 - 8 W 86/06]).
Der Umstand, dass trotz des von der Antragsgegnerin eingelegten Rechtsmittels der Mahnbescheid am 12. Mai 2009 für vorläufig vollstreckbar erklärt worden ist, bedeutet auch in sonstiger Hinsicht keinen Verstoß gegen den ordre public entsprechend Art. 34 Ziff. 1 EuGVVO. Die italienische Zivilprozessordnung sieht, wie bereits dargelegt, spätestens über Art. 648 c.p.c. eine Auseinandersetzung des Gerichts mit den Einwendungen des Schuldners vor und stellt damit keine offensichtliche, nicht hinnehmbare Verletzung wesentlicher Grundsätze der deutschen Rechtsordnung dar. Der Umstand, dass der Mahnbescheid trotz des von der Antragsgegnerin eingelegten Widerspruchs für vorläufig vollstreckbar erklärt wurde, bedeutet gerade nicht, dass das italienische Gericht ihr Verteidigungsvorbringen unter Verletzung der Verfahrensgarantie des rechtlichen Gehörs nicht beachtet hätte. Ungeachtet dessen kann die Entscheidung durch den italienischen Richter im weiter betriebenen Instanzverfahren jederzeit wieder zurückgenommen werden. Die betreffenden Regelungen des italienischen Zivilprozessrechts sind daher gemäß Art. 46 Abs. 2 EuGVVO zu akzeptieren.
2. Ebenfalls liegen die Voraussetzungen für eine von der Antragsgegnerin hilfsweise begehrte Aussetzung des Verfahrens gemäß Art. 46 Abs. 1 EuGVVO nicht vor.
Wegen des Verbots der Nachprüfung der ausländischen Entscheidung in der Sache kann ein Aussetzungsantrag von vornherein nur auf solche Gründe gestützt werden, die der Schuldner vor Erlass der zu vollstreckenden Entscheidung im Urteilsstaat noch nicht geltend machen konnte (BGH NJW 1994, 2156 [BGH 21.04.1994 - IX ZB 8/94]; OLG Köln, NJW-RR 2005, 932 [OLG Köln 15.09.2004 - 16 W 27/04]). Anhaltspunkte dafür sind hier weder dargetan noch anderweitig ersichtlich. Die Antragsgegnerin hat nicht einmal ihre Einwendungen gegen die italienische Entscheidung durch Einreichung einer Abschrift der Rechtsmittelschrift dargelegt (zu einer diesbezüglichen Obliegenheit vgl. OLG Hamm, 29 W 29/03, Beschluss vom 19. August 2003, zit. in juris). Unbeschadet dessen müsste die Entscheidung des Urteilsstaats erkennbar fehlerhaft erscheinen und deshalb mit ihrer Aufhebung im erststaatlichen Rechtsmittelverfahren zu rechnen sein (vgl. Musielak-Lackmann, ZPO, 7. Aufl., Anm. zu Art. 46 EuGVVO, Rn. 3 mwN). Davon ist nach dem Beschwerdevorbringen der Antragsgegnerin nicht ansatzweise auszugehen. Im Gegenteil spricht gegen eine hinreichende Erfolgsaussicht der Antragsgegnerin im Hauptsacheverfahren die Tatsache, dass das italienische Gericht nach Prüfung der im Rahmen des Widerspruches erhobenen Einwendungen der Antragsgegnerin gemäß Art. 648 c.p.c. die Vollstreckbarkeit der Entscheidung angeordnet hat (zur Indizwirkung insoweit auch OLG Frankfurt, 20 W 485/04, Beschluss vom 30. Juni 2005, zit. in juris).
Aus diesen Gründen kommt mangels hinreichenden Sicherungsbedürfnisses der Antragsgegnerin schließlich auch nicht die - nach Auslegung der Beschwerdeschrift inzidenter beantragte - Anordnung einer Sicherheitsleistung gemäß Art. 46 Abs. 3 EuGVVO in Betracht. Ebenso wie im Rahmen des Art. 46 Abs. 1 EuGVVO ist nämlich auch insoweit maßgeblich auf die Erfolgsaussichten des erststaatlichen Rechtsbehelfs abzustellen. Weder dazu ist vorgetragen worden noch zu einer möglicherweise drohenden Zahlungsunfähigkeit der Gläubigerin und damit gesteigerten Schutzbedürftigkeit der Schuldnerin. Es sind auch sonst keine Hindernisse dargetan oder ersichtlich, die für den Fall des Obsiegens einer effektiven Durchsetzung von Schadensersatz- beziehungsweise Rückforderungsansprüchen der Schuldnerin im Weg stehen könnten. Der bloße Umstand, dass die Vollstreckbarkeit der verfahrensgegenständlichen italienischen Titels ohne Anordnung einer Sicherheitsleistung erklärt worden ist, vermag einen Antrag nach Art. 46 Abs. 3 EuGVVO noch nicht zu stützen (so auch OLG Frankfurt, a.a.O.).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Einer Wertfestsetzung hinsichtlich der Gerichtskosten bedarf es nicht, weil für das Rechtsmittelverfahren betreffend die Vollsteckbarerklärung ausländischer Titel gemäß Nr. 1520 KV-GKG eine Festgebühr bestimmt ist.