Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 16.12.1981, Az.: 3 U 111/81

Schadensersatzanspruch aufgrund Verstoß gegen die guten Sitten; Anwendung des § 826 BGB ( bürgerliches Gesetzbuch ) im Falle eines Beharrens auf einer formal richtigen aber inhaltlich evident unrichtigen Rechtsstellung; Voraussetzungen der Anwendung des § 826 BGB ( bürgerliches Gesetzbuch) auf rechtskräftige Urteile

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
16.12.1981
Aktenzeichen
3 U 111/81
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1981, 12651
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:1981:1216.3U111.81.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Hannover - 20.03.1981 - AZ: 18 O 31/81

Fundstelle

  • MDR 1982, 408 (Volltext mit amtl. LS)

Verfahrensgegenstand

Schadensersatzes aus unerlaubter Handlung

In dem Rechtsstreit
hat der 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle
auf die mündliche Verhandlung vom 2. Dezember 1981
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht C.
den Richter am Oberlandesgericht Dr. S. und
den Richter am Landgericht Dr. K.
für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 20. März 1981 verkündete Urteil der 18. Zivilkammer des Landgerichts Hannover geändert.

Die Beklagten werden verurteilt, als Gesamtschuldner der Klägerin 5.397,84 DM nebst 10,5 % Zinsen seit dem 25. September 1980 zu zahlen.

Sie tragen die Kosten des Rechtsstreits als Gesamtschuldner.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Wert der Beschwer der Beklagten beträgt 5.397,84 DM.

Entscheidungsgründe

1

Von der Darstellung des Tatbestands wird gemäß § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen.

2

Die Berufung hat Erfolg. Die Klage ist begründet.

3

Gemäß § 826 BGB ist derjenige zum Schadensersatz verpflichtet, der einem anderen in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise vorsätzlich Schaden zufügt. Diese Vorschrift ist immer dann anzuwenden, wenn die an sich berechtigte Ausübung eines Rechtes im Einzelfall gegen das "Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden" (RGZ 48, 114), gegen die "herrschende Rechts- und Sozialmoral" (Larenz) verstößt und sich damit als ein sittenwidriger Mißbrauch der formalen Rechtsstellung darstellt (Palandt/Thomas, BGB 40. Aufl., § 826 Anm. 1). Dem liegt die Erkenntnis zugrunde, daß es in der Natur jedes notwendigerweise formalisierten Rechtssystems liegt, daß ein durch Gesetz oder Vertrag geschaffener Rechtsvorteil nicht immer mit dem übereinstimmen muß, was von der großen Mehrzahl der redlichen Rechtsgenossen noch als "gerecht", als für sie hinnehmbar erachtet wird, auch wenn sie sich in die Position des formal begünstigten anderen hineindenken. § 826 BGB hat in diesen Fällen den Sinn, den nur formal Begünstigten an der Ausübung seines Rechtes zu hindern, wenn und soweit diese Rechtsausübung, d. h. das Beharren auf der nur formalen Rechtsstellung, sich als mißbräuchlich herausstellt.

4

Deshalb hat die Rechtsprechung schon frühzeitig (vgl. EGHZ 13, 71;  25, 391; jeweils mit Nachweisen aus der Rechtsprechung des ehemaligen Reichsgerichts) § 826 BGB auch dann angewendet, wenn die Rechtsposition, um deren mißbräuchliche Ausnutzung es geht, auf ein rechtskräftiges Urteil gegründet ist. Die besondere Problematik liegt dabei darin, daß die Rechtskraft unverzichtbare Grundlage jeder Rechtsprechung im Rechtsstaat ist. Die Rechtssicherheit gebietet, daß jeder Streit der Parteien einmal ein Ende hat. Nur unter genau umschriebenen, engen Voraussetzungen läßt deshalb die Prozeßordnung die Wiederaufnahme eines Verfahrens zu. Die Zulassung der auf § 826 BGB gestützten Schadensersatzklage geht darüber hinaus und setzt sich - prozessual - in Widerspruch dazu. Aus diesem Grunde hat sich die Rechtsprechung bemüht, auch die Anwendung des § 826 BGB auf rechtskräftige Urteile an enge, bestimmbare Voraussetzungen zu binden (Nachweise bei Palandt/Thomas a.a.O. Anm. 8 o). Diese Voraussetzungen beziehen sich indessen in erster Linie auf das sogenannte erschlichene, d. h. durch Täuschung des Gerichts erwirkte Urteil.

5

Darum geht es vorliegend nicht. Das zwischen den Parteien ergangene Urteil des Landgerichts Bückeburg vom 10. Juni 1980 ist ein Teil-Anerkenntnisurteil. Es beruhte darauf, daß die jetzigen Beklagten bei der Aufstellung ihrer Klageforderung die Scheckzahlung der jetzigen Klägerin (Scheck vom 16. Juli 1979 über 5.397,48 DM - Ablichtung Bl. 40 d.A.) nicht abgesetzt hatten. Die Klägerin behauptet nicht, daß die Beklagten das in der Absicht taten, sie und das Gericht zu täuschen. Bei ihrer Rechtsverteidigung trug die jetzige Klägerin diese Scheckzahlung ebenfalls nicht vor. Über die Frage der Erfüllung der Rechnung vom 25. Juni 1979 in Höhe von 5.397,84 DM, auf die der Scheck gezahlt wurde, ist nicht gestritten worden. Anlaß des Streites war vielmehr, daß die jetzige Klägerin in Erfahrung gebracht hatte, daß Zweifel daran bestanden, ob und inwieweit die jetzigen Beklagten und die Gesellschaften ihrer Ehemänner, mit denen ebenfalls Verträge über die gewerbsmäßige Überlassung von Arbeitnehmern abgeschlossen waren, die dazu erforderlichen behördlichen Genehmigungen besaßen. Der Senat nimmt an, daß die jetzige Klägerin deshalb damals in Sorge war, gemäß den gesetzlichen Bestimmungen für Löhne, Steuern und Sozialabgaben der "geliehenen" Arbeitnehmer haften zu müssen. Das folgt aus dem Schreiben der Klägerin vom 6. Juni 1979 an die Firma M. & Partner GmbH (Ablichtung Bl. 64 BA). Das Anerkenntnis der jetzigen Klägerin beruhte dann offensichtlich darauf, daß sie in der mündlichen Verhandlung erkannte, diese Einwendung gegen die damaligen Klägerinnen und jetzigen Beklagten nicht erheben zu können, weil diese in der fraglichen Zeit die behördliche Genehmigung zur gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung besaßen.

6

Der Senat ist der Auffassung, daß die aus dem Rechtsinstitut der Rechtskraft herzuleitenden Bedenken gegen die Anwendung das § 826 BGB gegen rechtskräftige Urteile umso weniger Gewicht haben, wenn sicher feststeht, daß das rechtskräftige Urteil unrichtig ist, und wie es dazu kam. Denn dann streiten die Parteien nicht mehr darüber, wer von ihnen "in der Sache" Recht hat, sondern nur noch darum, wie es zu bewerten ist, daß einer von ihnen auf der Rechtskraft des objektiv als unrichtig erkannten Urteils beharrt und/oder sich subjektiv bewußt der Erkenntnis verschließt, daß das Urteil unrichtig ist. In dieser Situation wird der alte Streit der Parteien nicht noch einmal geführt, sondern ein ganz anderer, neuer Streit. Die Lage ist nicht anders als bei der Antwort auf die Frage, ob eine unstreitig gegebene vertragliche Rechtsposition mißbräuchlich ausgenutzt wird.

7

So liegt es hier,

8

Das Anerkenntnisurteil des Landgerichts Bückeburg vom 11. Juli 1980 (2 O 61/80) ist evident unrichtig. Das Bestreiten der Klägerinnen, den Scheck vom 16. Juli 1979 über 5.397,84 DM erhalten zu haben, ist unsubstantiiert und wahrheitswidrig. Es ist in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat auch nicht mehr aufrechterhalten worden, nachdem die Ablichtung der Durchschrift der Rechnung über 5.397,84 DM vom 25. Juni 1979 erörtert worden ist, die sich in der Beiakte 2 O 61/80 LG Bückeburg befindet (Bl. 48 BA). Denn auf dieser befindet sich der Vermerk "bez. 16.7.79 M + P SSK". Das bedeutet, aus den eigenen Unterlagen der Beklagten ergibt sich, daß der Scheck zum Einzug auf das Konto der Firma M. & Partner GmbH bei der Stadtsparkasse H. gegeben worden ist. Nichts anderes folgt aus der Auskunft der Stadtsparkasse H., die die Klägerin mit der Berufungsbegründung eingereicht hat. Es schadet nichts, daß der Vermerk auf der Rechnungsdurchschrift später einmal durchgestrichen und darunter "kein Eingang" gesetzt wurde, denn dahinter steht ein großes Fragezeichen.

9

Im übrigen hat die Klägerin die Belastungsbuchung wegen des Schecks mit der Endnummer 69 über den Betrag von 5.397,84 DM am 20. Juli 1979 in erster Instanz einwandfrei urkundlich dargelegt. Schließlich können sich die Beklagten nicht darauf berufen, daß der Scheck auf das Konto der Firma M. & Partner GmbH zum Einzug gegeben wurde. Offensichtlich handelt es sich bei diesem Unternehmen um eine Firma der Ehemänner der Beklagten, die auch für die Gesellschaft bürgerlichen Rechts der Beklagten die Geschäfte führten, und zwar deshalb, weil allein diese in der fraglichen Zeit (noch) im Besitze einer Genehmigung für die gewerbsmäßige Arbeitnehmerüberlassung war. In der mündlichen Verhandlung ist erörtert worden, daß sich aus den im Verfahren vor dem Landgericht Bückeburg von den jetzigen Beklagten selbst überreichten Unterlagen ergibt, daß Buchungen auf das Konto der GmbH anstatt auf das Konto der Gesellschaft bürgerlichen Rechts häufiger vorgekommen sind und offensichtlich von den Ehemännern der Beklagten veranlaßt worden waren. Daran müssen sich die Beklagten festhalten lassen. Damit steht die Unrichtigkeit des Anerkenntnisurteils vom 11. Juli 1980 urkundlich fest.

10

Sämtliche Urkunden und Belege, aus denen sich die Unrichtigkeit des Anerkenntnisses der Klägerin im Vorprozeß ergab, lagen bereits bei Abgabe des Anerkenntnisses vor. Sie sind von der Klägerin versehentlich übersehen worden, und für die Beklagten ist zu deren Gunsten zu unterstellen, daß es sich auf ihrer Seite ebenfalls nur um ein Versehen handelte. Unter Kaufleuten und Gewerbetreibenden entspricht es den guten Sitten im Geschäftsleben, daß Buchungsdifferenzen, die auf dem beiderseitigen Übersehen eines unstreitig echten Belegs beruhen, grundsätzlich ausgeglichen werden. Ausnahmen, die z. B. für das (echte) kaufmännische Kontokorrent, für Bagatellbeträge und für längeren Zeitablauf zu machen sind, brauchen hier nicht diskutiert zu werden. Zwischen dem Anerkenntnis der Klägerin im Vorprozeß im Juni 1980 und der Aufdeckung des Fehlers vergingen nur 3 Monate. In dieser Situation verlangen Anstand und Redlichkeit im Geschäftsleben, daß der andere Teil einen nicht unerheblichen Betrag nicht einfach - gleichsam als Lotteriegewinn - zu Lasten des anderen einstreicht, zumal dann, wenn auf seiner Seite der gleiche Buchungsfehler vorgekommen und mitursächlich für den Irrtum des anderen war. Mithin fügen die Beklagten der Klägerin vorsätzlich sittenwidrig Schaden zu, wenn sie auf der formalen Rechtsposition des Anerkenntnisurteils vom 10. Juni 1980 beharren.

11

Die Zinsforderung ist unstreitig.

12

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 100, 708 Nr. 10, 711, 713, 546 Abs. 2 ZPO. Die Revision ist nicht zugelassen worden, weil die gesetzlichen Voraussetzungen dafür nicht vorliegen.