Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 12.01.1982, Az.: 18 UF 189/81

Verspäteter Einspruch gegen ein Versäumnisurteil; Zustellung an den Verlobten; Voraussetzungen für eine ordnungsgemäße Klageerhebung; Berechnung der Einspruchsfrist

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
12.01.1982
Aktenzeichen
18 UF 189/81
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1982, 13397
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:1982:0112.18UF189.81.0A

Verfahrensgang

vorgehend
AG Hameln - 25.05.1976 - AZ: 25 C 59/76
AG Hameln - 22.05.1981 - AZ: 21 C 336/80

Verfahrensgegenstand

Unterhaltsforderung

In dem Rechtsstreit
hat der 18. Zivilsenat - Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Celle
auf die mündliche Verhandlung vom 5. Januar 1981
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ...
den Richter am Oberlandesgericht ... und
den Richter am Landgericht ...
für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 22. Mai 1981 verkündete Urteil des Amtsgerichts Hameln geändert und wie folgt neu gefaßt:

  • Der Einspruch des Beklagten gegen das Versäumnisurteil des Amtsgerichts Hameln, Zweigstelle Bad Pyrmont, vom 25. Mai 1976 - 25 C 59/76 - wird als unzulässig verworfen.
  • Die weiteren Kosten der ersten Instanz und die Kosten des Berufungsverfahrens werden dem Beklagten auferlegt.
  • Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1

Durch Versäumnisurteil vom 25.5.1976 hat das Amtsgericht den Beklagten verurteilt, an die Klägerin, seine geschiedene Ehefrau, ab 1.5.1976 monatlich 300 DM Unterhalt zu zahlen.

2

Dieses Urteil wurde am 23.6.1976 durch den Gerichtsvollzieher der damaligen Verlobten des Beklagten, da dieser in seiner Wohnung nicht angetroffen wurde, zum Zwecke der Zustellung übergeben. Der Beklagte lebte mit seiner Verlobten bereits seit 1974 zusammen. Die Eheschließung erfolgte am 3.9.1976. Am 23.5.1976 wurde ein gemeinsames Kind geboren.

3

Am 10.6.1980 hat der Beklagte beim Amtsgericht gegen das Versäumnisurteil Einspruch eingelegt. Er hat geltend gemacht: Das Versäumnisurteil sei ihm nicht ordnungsgemäß zugestellt worden. Die Verlobte gehöre nicht zu dem Personenkreis, an den eine Ersatzzustellung nach § 181 ZPO wirksam erfolgen könne. Auch sei sein Vorname im Urteil falsch angegeben worden. Zu der Unterhaltszahlung von monatlich 300 DM sei er bereits seit 1976 mangels Leistungsfähigkeit nicht in der Lage gewesen.

4

Die Klägerin ist dem Vortrag des Beklagten entgegengetreten.

5

Durch das Urteil vom 22.5.1981, auf das Bezug genommen wird, hat das Amtsgericht das Versäumnisurteil aufgehoben und die Klage abgewiesen.

6

Dagegen wendet sich die Klägerin mit ihrer form- und fristgerecht eingelegten Berufung. Sie hält den Einspruch des Beklagten gegen das Versäumnisurteil für unzulässig. Im übrigen meint sie, der Beklagte habe ihr für die Zeit ab 1.5.1976 zumindest einen Unterhaltsbetrag von monatlich 100 DM zu zahlen.

7

Die Klägerin beantragt,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils den Einspruch des Beklagten gegen das Versäumnisurteil des Amtsgerichts Hameln vom 25.5.1976 (25 C 59/76) als unzulässig zu verwerfen,

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hilfsweise,

dieses Versäumnisurteil in Höhe eines monatlichen Unterhaltsbetrages in Höhe von 100 DM aufrechtzuerhalten.

9

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

10

Er verteidigt das angefochtene Urteil.

11

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die von ihnen vorgelegten Schriftsätze und Urkunden Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Berufung der Klägerin hat Erfolg.

13

Der Einspruch des Beklagten gegen das Versäumnisurteil ist verspätet eingelegt worden; er war daher nach § 341 I ZPO als unzulässig zu verwerfen.

14

1.

Für die Entscheidung ist es ohne Bedeutung, daß im Termin am 25.5.1976 vom Amtsgericht ein Versäumnisurteil gegen den Beklagten nicht hätte ergehen dürfen, weil die gesetzlichen Voraussetzungen dafür nicht vorlagen. Es fehlte an einer ordnungsgemäßen Klageerhebung. Mit Schriftsatz vom 12.2.1976 war lediglich das Armenrecht beantragt worden. Der Schriftsatz der Klägerin vom 21.5.1976, der zudem dem Beklagten nicht zugestellt wurde, erfüllte nicht die an eine Klageschrift zu stellenden Anforderungen. Die im Termin am 25.5.1976 erfolgte Klageerhebung hätte nicht zu der Versäumnisentscheidung führen dürfen (§ 335 I Nr. 3 ZPO).

15

Das trotzdem gegen den Beklagten erlassene Versäumnisurteil muß allerdings als wirksam behandelt werden. Es ist nicht nichtig, wäre vielmehr nur innerhalb der gesetzlich geregelten Fristen mit dein Einspruch oder der Berufung anfechtbar gewesen.

16

2.

Der erst am 10.6.1980 eingelegte Einspruch des Beklagten ist unzulässig. Nach § 339 I ZPO beträgt die Einspruchsfrist zwei Wochen seit der Zustellung des Versäumnisurteils. Die Zustellung ist am 23.6.1976 erfolgt. Daher ist die Einspruchsfrist bereits im Juli 1976 abgelaufen. Das Versäumnisurteil ist somit rechtskräftig.

17

Entgegen der Ansicht des Beklagten, der das Amtsgericht gefolgt ist, konnte eine Zustellung in der Wohnung des Beklagten zu Händen der mit ihm zusammenlebenden Verlobten wirksam erfolgen. Die Verlobte war als "als zur Familie gehörender erwachsener Hausgenosse" im Sinne von § 181 ZPO anzusehen. Dazu gehören nicht nur Personen/die mit dem Zustellungsempfänger durch Verwandtschaft oder Schwägerschaft verbunden sind, vielmehr genügt eine tatsächliche Aufnahme in den Familienverband (vgl. Zöller/Stephan, § 181 ZPO, Anm. 1 b; Stein/Jonas, § 181 ZPO, Anm. III 1 b; Baumbach/Lauterbach/Hartmann, § 181 ZPO, Anm. 1 Ba; Thomas/Putzo, § 181 ZPO, Anm. 2 c). Danach wird sowohl ein Pflegekind (vgl. Baumbach/Lauterbach/Hartmann sowie Thomas/Putzo, jeweils a.a.O.) als auch ein Besuch, der für eine gewisse Zeit tatsächlich in die Familiengemeinschaft aufgenommen wird (vgl. Zöller/Stephan, a.a.O.), dazu gerechnet. Diese Auslegung des Begriffs des "zur Familie gehörenden Hausgenossen" erscheint zutreffend. Es kann nicht auf eine familienrechtliche Beziehung zwischen dem Zustellungsempfänger und der Person, an die die Zustellung erfolgt, abgestellt werden.

18

Thomas/Putzo (a.a.O.) meinen allerdings, unverheiratet zusammenlebende Personen bildeten keine Familie, so daß § 181 I ZPO nicht anwendbar sei. Dem kann jedoch nicht gefolgt werden. § 181 ZPO dient dem Zweck, in Fällen, in denen erfahrungsgemäß mit einer Weiterleitung der Zustellungssendung an den Adressaten gerechnet werden kann, auch bei dessen Abwesenheit eine Zustellung zu ermöglichen. Unter diesem Gesichtspunkt kommt es für die Frage, ob jemand zur "Familie" gehört, nicht auf eine familienrechtliche Beziehung, sondern auf die tatsächliche Zugehörigkeit zum "Familienverband" an. Bei einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft ist diese Voraussetzung zu bejahen, und zwar unabhängig davon, ob die Lebensgemeinschaft nur aus den beiden Partnern besteht oder ob ein neuer Lebenspartner in einen bereits bestehenden Familienverband aufgenommen worden ist. Im Rahmen von § 181 ZPO erscheint es z.B. nicht gerechtfertigt, ein Pflegekind als zur Familie gehörend anzusehen, das Kind eines nichtehelichen Lebenspartners dagegen nicht. Für den Zustellungsbeamten würde sich daraus eine nicht zu vertretende Rechtsunsicherheit ergeben. Erst recht wäre es aber nicht verständlich, wenn eine Zustellung an ein Kind des nichtehelichen Lebenspartners zugelassen würde, eine Zustellung an den Lebenspartner selbst dagegen nicht. Diese Beispiele zeigen, daß die von Thomas/Putzo befürwortete Unterscheidung nicht durchführbar ist und daß dabei der Begriff der "Familie" i.S. von § 181 ZPO zu eng gesehen wird.

19

Im vorliegenden Fall kommt hinzu, daß der Beklagte zum Zeitpunkt der Zustellung mit seiner damaligen Verlobten bereits seit etwa 2 Jahren zusammenlebte, daß eine Eheschließung bevorstand und daß beide seit etwa einem Monat ein gemeinsames Kind hatten. Die Voraussetzungen einer Ersatzzustellung nach § 181 I ZPO sind daher zu bejahen.

20

3.

Unschädlich ist es schließlich, daß in dem zugestellten Versäumnisurteil der Vorname des Beklagten mit ... angegeben war, während der Beklagte tatsächlich ... heißt. Zweifel hinsichtlich der Identität des Zustellungsempfängers haben sich hieraus nicht ergeben.

21

4.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 708 Nr. 8 und 10 ZPO.