Verwaltungsgericht Oldenburg
Beschl. v. 22.05.2000, Az.: 12 B 1413/00

Unzuverlässigkeit eines Gewerbetreibenden bei wahrheitswidriger Versendung von Werbeschreiben durch einen 0190-Anbieter; Regelungsziel und Begriff der Unzuverlässigkeit im Gewerberecht; Irreführung von Verbrauchern durch Verschweigen der wirtschaftlichen Tätigkeit eines "Medien Erfassungs Service"; Geltungsumfang einer Gewerbeuntersagung bei mehreren selbständigen Betriebsstellen; Bedeutung eines noch anhängigen Strafverfahrens für die Annahme gewerberechtlicher Unzuverlässigkeit

Bibliographie

Gericht
VG Oldenburg
Datum
22.05.2000
Aktenzeichen
12 B 1413/00
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2000, 18250
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGOLDBG:2000:0522.12B1413.00.0A

Fundstellen

  • GewArch 2000, 487-488
  • NJW 2001, 1883-1884 (Volltext mit amtl. LS)
  • NVwZ 2001, 835 (red. Leitsatz)

Verfahrensgegenstand

Gewerbeuntersagung

Prozessführer

der Herr D,

Proz.-Bev.: Rechtsanwalt Höffmann, Bgm.-Heukamp-Straße 23, 49661 Cloppenburg - 00114/00 Hö -

Prozessgegner

die Stadt Cloppenburg ,

der Stadtdirektor, Sevelter Straße 8, 49661 Cloppenburg, - 52 59 09-kr -

In der Rechtssache
hat das Verwaltungsgericht Oldenburg - 12. Kammer -
am 22. Mai 2000
beschlossen:

Tenor:

Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird auf 30.000,00 DM festgesetzt.

GRÜNDE

1

Der auf die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gerichtete Antrag des Antragstellers ist nach § 80 Abs. 5 VwGO zulässig, aber nicht begründet.

2

Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom 14. März 2000 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 10. März 2000 entfällt, da die Antragsgegnerin die sofortige Vollziehung des angefochtenen Bescheides gem. § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO angeordnet hat; diese Anordnung hat er in einer den Anforderungen des § 80 Abs. 3 VwGO genügenden Weise schriftlich begründet.

3

Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs ist nicht begründet, da das Interesse des Antragstellers an der vorläufigen Aussetzung der Vollziehung des belastenden Bescheides das Interesse der Allgemeinheit an seiner sofortigen Durchsetzung nicht überwiegt. Bei der Interessenabwägung sind bei der im vorläufigen Verfahren gebotenen summarischen Prüfung auch die Aussichten des Begehrens im Hauptsacheverfahren zu berücksichtigen. Diese Interessenabwägung geht zuungunsten des Antragstellers aus, da die für sofort vollziehbar erklärte Verfügung offensichtlich rechtmäßig ist.

4

Die rechtliche Grundlage für die Untersagung des vom Antragsteller ausgeübten Gewerbes ergibt sich aus § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO. Danach muss die Ausübung eines Gewerbes untersagt werden, wenn Tatsachen vorliegen, welche die Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden in bezug auf dieses Gewerbe dartun, sofern die Untersagung zum Schutze der Allgemeinheit oder der in dem Betrieb Beschäftigten erforderlich ist.

5

Das Gewerbeuntersagungsverfahren hat folglich neben den Schutz der Arbeitnehmer vornehmlich zum Ziel, unzuverlässige Gewerbetreibende, die eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellen, vom Wirtschaftsverkehr fernzuhalten. Unzuverlässig ist derjenige, der nach dem Gesamteindruck seines Verhaltens nicht die Gewähr dafür bietet, dass er sein Gewerbe künftig ordnungsgemäß betreibt (BVerwG, Urt. v. 2. Februar 1982 - 1 C 146.80 -, BVerwGE 65, 1[BVerwG 02.02.1982 - 1 C 146/80]; NVwZ 1982, S. 503).

6

Die Feststellung der Unzuverlässigkeit setzt eine Bewertung des Gesamtverhaltens des Gewerbetreibenden voraus. Insofern ist im vorliegenden Fall das tatsächliche Verhalten des Antragstellers deutlich von dem zu unterscheiden, was er nach seinen Äußerungen insbesondere in den versandten Werbeschreiben zu tun vorgibt. Der Antragsteller stellt nicht in Abrede, dass sich seine bislang tatsächlich realisierte gewerbliche Tätigkeit im Rahmen des angemeldeten Gewerbes - "Dienstleistung im Telefonbereich" (Telefonauskünfte) Werbebezeichnung: Doc-Tel" - darauf beschränkte, Werbeschreiben unter dem Titel "Medien Erfassungs Service" und der Überschrift "Einschaltquoten ermitteln und dabei Geld verdienen" zu versenden und die unter der in den Schreiben angegebenen Telefonnummer auflaufenden Telefongespräche entgegenzunehmen. Bei diesen Telefongesprächen entstanden zu Lasten der Anrufer Gebühren in Höhe von 3,63 DM je Minute. Diese Gebühren entstanden infolge der Schaltung einer sog. 0190-Nummer, bei der die Möglichkeit besteht, den Großteil der Gebühr an denjenigen, der sich unter dieser Nummer anrufen lässt, auszubezahlen. Nach dem zu der Hausdurchsuchung am 3. Februar 2000 in den Büroräumen des Antragstellers gefertigten Vermerk wurden dort fünf junge Damen an Telefonen vorgefunden, die Telefongespräche infolge der in den Werbeschriften angegebenen Bitte um Anruf bei der 0190-Nummer führten. Diesen Gesprächen lag ein ausführlicher Fragebogen zugrunde, der bei dem Telefonat abgefragt wurde. Aus den hierzu angefertigten Aufzeichnungen wurde erkennbar, dass Telefongespräche von ein paar Minuten bis zu 30 Minuten geführt wurden. Die Telefongespräche endeten laut einem hierzu in den Verwaltungsvorgängen enthaltenen Exemplar des Fragebogens mit der Bemerkung, dass jetzt alle Fragen ausgewertet würden und sich danach eine Außendienstmitarbeiter melde. Der hieraus ersichtliche regelmäßige Ablauf dieser Telefongespräche wird bestätigt durch die in den Verwaltungsvorgängen enthaltene Beschreibung eines derartigen Gespräches, das von einem Mitarbeiter der Stadt Arnsberg am 23. Februar 2000 geführt wurde.

7

Im Unterschied zu diesen konkreten gewerblichen Aktivitäten, wie sie von der Antragsgegnerin festgestellt und vom Antragsteller auch nicht in Abrede gestellt wurden, lassen sich hinreichend konkrete Anhaltspunkte für Tätigkeiten oder Aktivitäten des Antragstellers im Zusammenhang mit der in den "Werbeschriften" propagierten Fernsehforschung nicht entnehmen. Vielmehr würden die Adressaten dieser Schreiben getäuscht:

8

In den Schreiben wird wahrheitswidrig behauptet, dass der Adressat ("Sie") des Schreibens ermittelt worden sei, er sei "nominiert", also benannt worden. Die Schreibweise des "Sie" belegt, dass der Adressat und nicht eine noch zu ermittelnde Testperson die Zuwendungen (monatliche Zahlungen und Großbildfernseher) erhalten soll. Nur mit diesem wahrheitswidrigen Inhalt der Werbeschreiben bestand für den Antragsteller die Möglichkeit, die Betroffenen dazu zu bewegen, die angegebene Rufnummer zu wählen und im Laufe des Telefongespräches 3,63 DM je Minute zu entrichten. Die Adressaten der "Werbeschriften" sollten mit diesem Inhalt getäuscht werden, um mit den dadurch provozierten Anrufen Gewinn zu erzielen, ohne dass irgendeine Aussicht darauf bestanden hat, die propagierte Medien-Erfassung zu realisieren und die versprochenen Leistungen zu erlangen. Diese Täuschung der Verbraucher lässt sich mit einer ordnungsgemäßen Gewerbeausübung nicht mehr vereinbaren.

9

Die Einlassungen des Antragstellers hierzu reduzieren sich auf Absichtserklärungen, die Vorlage von fünf Belegen für die Zahlung von jeweils 225,00 DM an verschiedene Empfänger von einem Auftraggeber "MES-Hamburg" unter dem Verwendungszweck "Quotenermittlung" sowie einer Gewerbeanmeldung bei dem Bezirksamt Hamburg-Mitte der Freien und Hansestadt Hamburg für die Betriebsstätte eines Unternehmens namens "MES" unter dem Betriebsinhaber Rudolf Wilhelm Kuper. Aus den ergänzenden Angaben des Antragstellers ergibt sich zwar eine enge wirtschaftliche Verflechtung des von ihm in Cloppenburg angemeldeten und betriebenen Gewerbes mit dem von Herrn Kuper in Hamburg angemeldeten Gewerbe. Der Antragsteller äußert hierzu, dass das in Hamburg gemeldete Gewerbe wirtschaftlich von dem in Cloppenburg betriebenen Gewerbe abhänge. Des weiteren macht er mit der Bemerkung, dass es dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprochen hätte, ihm statt der Gewerbeuntersagung die Versendung der Schreiben - unter dem Titel "Medien Erfassungs Service" - zu untersagen, deutlich, dass er insofern die geschäftliche Gestaltungsmacht für sich reklamiert. Weder aus den vorgelegten Unterlagen noch aus den Angaben des Antragstellers wird allerdings ersichtlich, welche wirtschaftliche Tätigkeit inhaltlich mit der Medienerfassung betrieben oder bezweckt wird und welches Geschäftskonzept einer derartigen Tätigkeit zugrunde liegen soll. So ist etwa in keiner Weise ersichtlich, wie, mit welchen Vertragspartnern und auf welcher Grundlage die erfassten Daten wirtschaftlich verwertet werden sollen. Dem Antragsteller war nach seinen eigenen Angaben nicht einmal bekannt, wie die von ihm propagierte Ermittlung von TV-Einschaltquoten zur Zeit konkret ausgestaltet ist. Insbesondere auch aus dieser Unkenntnis kann zur Überzeugung der Kammer nur der Schluss gezogen werden, dass entsprechende wirtschaftliche Aktivitäten des Antragstellers auf dem Gebiet der Ermittlung von TV-Einschaltquoten tatsächlich weder vorbereitet noch beabsichtigt waren. Vielmehr diente diese Thematik offensichtlich nur dazu, die von ihm auch tatsächlich in konkrete wirtschaftliche Tätigkeit umgesetzten Telefongespräche auszulösen. Nur noch bestätigt wird diese Schlussfolgerung durch die Angaben des Antragstellers zu den Gründen, warum die in den Werbeschriften erwähnten Großbildfernseher und die Boxen noch nicht ausgeliefert worden seien. Der Antragsteller gibt hierzu an, dass die Großbildfernseher bei einer Firma geleast werden sollten und er bezüglich der Boxen mit einer anderen Firma in Verbindung gestanden habe. Diese Absicht bzw. diese Verbindung sei dann infolge der Aktivitäten der Antragsgegnerin nicht realisiert worden. Der Antragsteller räumt damit aber selbst ein, dass er hinsichtlich der Großbildfernseher und der Boxen bis zu den Aktivitäten der Antragsgegnerin Ende Januar 2000 noch nicht einmal konkrete Verträge abgeschlossen hatte. Darüber hinaus hatte er nach seinen weiteren Angaben auch keine Kenntnis davon, dass die Boxen zur Ermittlung von Einschaltquoten derzeit aufgrund entsprechender vertraglicher Regelungen mit den Programmbetreibern ausschließlich von der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) eingesetzt werden. Gleichwohl sollte nach den Angaben in den Werbeschreiben bereits am 1. Februar 2000 mit der Erfassung der Einschaltquoten begonnen werden. Dass diese Ankündigung offensichtlich falsch war, räumt der Antragsteller zwar jetzt auch ein und gibt stattdessen an, dass die versandten Schreiben nur dazu dienen sollten, festzustellen, ob Interesse an der Teilnahme am Einschaltquoten-Ermittlungsverfahren seitens der Empfänger bestehe. Diese erst im Verlauf des gerichtlichen Verfahren geäußerte Absicht lässt sich jedoch in keiner Weise mit dem täuschenden Inhalt der versandten Werbeschreiben in Einklang bringen.

10

Entgegen der Ansicht des Antragstellers spielt es hinsichtlich der Bewertung seines Geschäftsgebarens als offensichtlich gewerberechtlich unzuverlässig keine Rolle, dass ein wegen des Verdachts des Betruges eingeleitetes strafrechtliches Verfahren noch nicht zum Abschluss gekommen ist. Denn auf die strafrechtliche Erheblichkeit des Verhaltens eines Gewerbetreibenden kommt es für die Bewertung der gewerberechtlichen Unzuverlässigkeit nicht an (vgl. BVerwG, Urt. v. 2. Februar 1982 - 1 C 14/78 -, NVwZ 1982, S. 557).

11

Aus der nicht ordnungsgemäßen Gewerbeausübung des Antragsstellers ergibt sich hier auch eine Gefahr für die Allgemeinheit, der mit der im angefochtenen Bescheid ausgesprochenen Gewerbeuntersagung begegnet werden muss. Die ordnungsrechtliche Vorschrift für Gewerbeuntersagungen wegen der Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden ist zwar keine Schutznorm für einzelne Vertragsparteien eines Gewerbetreibenden oder andere Dritte, sondern dient allein dem Schutz der Arbeitnehmer und der Allgemeinheit. In den Schutzbereich der Vorschrift sind über den Begriff der Allgemeinheit aber auch zukünftige Vertragspartner eines unzuverlässigen Gewerbetreibenden einbezogen, denen bei einer Weiterführung des Gewerbes Schäden drohen (vgl. Hess. VGH, Beschl. v. 28. September 1990 - 8 TH 2071/90 -, GewArch 1991, S. 28; OVG Lüneburg, Urt. v. 11. Dezember 1984 - 9 OVG A 274/82 -, GewArch 1985, S. 95). Aus den Verwaltungsvorgängen wird hier deutlich, dass der Antragsteller die Werbeschriften, mit denen die gewinnbringenden Anrufe provoziert werden sollten, weiträumig in die Bundesrepublik Deutschland versandt hat. Dadurch besteht die Gefahr, dass weitere Bevölkerungskreise vom Antragsteller auf unlautere Weise in erheblichem Umfang wirtschaftlich geschädigt werden. Der Antragsteller nutzt dabei offensichtlich die Unerfahrenheit insbesondere älterer Bürger gezielt aus, indem er sie mit den Werbeschreiben zu für ihn gewinnbringenden Telefongesprächen verleitet, ohne dass die Betroffenen hieraus in irgendeiner Weise einen Nutzen ziehen können.

12

Die Voraussetzungen für eine zwingende Untersagung des vom Antragsteller ausgeübten Gewerbes "Dienstleistungen im Telefonbereich (Telefonauskünfte), Werbebezeichnung: Doc-Tel" gem. § 35 Abs. 1 Satz 1 GewO lagen somit vor. Außer Frage steht auch die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme, da nur dadurch die an den Tag gekommenen unlauteren Geschäftspraktiken des Antragstellers effektiv beendet und die entsprechende Gefahrensituation für die Allgemeinheit beseitigt werden kann. Rechtliche Bedenken bestehen auch nicht hinsichtlich der in Anknüpfung an diese konkrete Gewerbeuntersagung erfolgte Erweiterung gem. § 35 Abs. 1 Satz 2 GewO auf jede andere selbständige gewerbliche Tätigkeit, auch als Vertretungsberechtigter eines Gewerbetreibenden oder als eine mit der Leitung eines Gewerbebetriebs beauftragte Person in allen Bereichen der Telekommunikation. Nach § 35 Abs. 1 Satz 2 GewO kann die Gewerbeuntersagung auch auf die Tätigkeit als Vertretungsberechtigter eines Gewerbetreibenden oder als mit der Leitung eines Gewerbebetriebes beauftragte Person sowie auf einzelne andere oder auf alle Gewerbe erstreckt werden, soweit die festgestellten Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Gewerbetreibende auch für diese Tätigkeiten oder Gewerbe unzuverlässig ist. Die Antragsgegnerin hat das ihr mit dieser Vorschrift eröffnete Ermessen dahingehend ausgeübt, dass keine Erstreckung der Gewerbeuntersagung auf alle Gewerbe erfolgen soll, sondern nur auf den Bereich der Telekommunikation. Insofern sind Ermessensfehler nicht ersichtlich, da sich der Antragsteller gerade in diesem Bereich als offensichtlich unzuverlässig erwiesen hat und somit die Gefahr nicht von der Hand zu weisen ist, dass eine Fortsetzung der unzuverlässigen Gewerbeausübung in anderen konkreten Gewerbetätigkeiten im Bereich der Telekommunikation erfolgt.

13

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

14

Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 20, 13 GKG und orientiert sich am sog. Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NVwZ 1996, 563 ff., Stichwort: Gewerberecht). Dabei wird die Untersagung des konkret ausgeübten Gewerbes mit 20.000,00 DM und deren Erweiterung mit 10.000,00 DM bemessen.

Kalmer
Riemann
Meyer