Landgericht Stade
Beschl. v. 03.09.2003, Az.: 12 Qs 3/01
Antragsauslegung; Beschlagnahme; Verzeichnis über Fotokopien von Originalurkunen; Verzeichnis über sichergestellte Unterlagen
Bibliographie
- Gericht
- LG Stade
- Datum
- 03.09.2003
- Aktenzeichen
- 12 Qs 3/01
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2003, 48244
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 300 StPO
- § 107 S 2 StPO
- § 98 Abs 2 S 2 StPO
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Ein an das Amtsgericht gerichteter Antrag des Beschuldigten, über die Herausgabe der bei einer Durchsuchung beschlagnahmten Unterlagen zu entscheiden, kann in entsprechender Anwendung des hinter § 300 StPO stehenden Rechtsgedankens dahingehend auszulegen sein, dass zunächst entsprechend § 98 Abs. 2 StPO eine richterliche Entscheidung über die Verpflichtung des Finanzamts zur Übergabe eines Verzeichnisses der beschlagnahmten Unterlagen begehrt wird.
Das Finanzamt ist nach erfolgter Durchsuchung verpflichtet, ein Verzeichnis i.S.v. § 107 Satz 2 StPO auch im Hinblick auf angefertigte Fotokopien zu erstellen. Bei der in Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes von der Originalurkunde gefertigten Fotokopie handelt es sich um einen sichergestellten Gegenstand i.S.v. § 107 StPO.
Tenor:
Auf die Beschwerde der Betroffenen vom 21.07.2001 wird der Beschluss des Amtsgerichts Soltau vom 27.06.2001 aufgehoben.
Das Finanzamt für Fahndung und Strafsachen Lüneburg wird angewiesen, der Betroffenen ein Verzeichnis derjenigen Gegenstände zu geben, die in oder bei Gelegenheit der Ausführung des Durchsuchungsbeschlusses des Amtsgerichts Soltau vom 10.06.1998 bei der Betroffenen sichergestellt worden sind.
Die Landeskasse trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens sowie die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen der Betroffenen.
Gründe
Das Finanzamt für Fahndung und Strafsachen L ermittelt seit dem 16.06.1998 gegen namentlich noch nicht bekannte Kunden und Mitarbeiter der Betroffenen u.a. wegen des Verdachts der Einkommen-, Umsatz-, Gewerbe- und Vermögensteuerhinterziehung ab 1992 bzw. der Beihilfe dazu.
Auf Antrag des Finanzamts vom 17.06.1998 erließ das Amtsgericht am 19.06.1998 einen umfangreichen Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschluss, in dem die Durchsuchung von Räumlichkeiten der Betroffenen und die Beschlagnahme von in ihrem Gewahrsam befindlichen bestimmten Unterlagen angeordnet wurde.
Die Durchsuchung begann am 27.07.1998. Ausweislich der Durchsuchungsniederschrift wurden dabei keine Gegenstände sichergestellt. Nach einer zwischen der Betroffenen und dem Finanzamt für Fahndung und Strafsachen L getroffenen Vereinbarung vom 29.07.1998 verpflichtete sich die Betroffene, aufgrund des Beschlagnahmebeschlusses weiterhin auf Anfrage der Steuerfahndung für diese Belege und Ausdrucke zu erstellen und ihr zu übergeben.
Inwieweit diese Vereinbarung zum Tragen gekommen ist, ist unklar.
Mit dem an das Amtsgericht gerichteten Antrag vom 07.02.2000 beantragte die Betroffene über die seitens des Finanzamts erfolgte Beschlagnahme derjenigen Unterlagen zu entscheiden, die keinen direkten Bezug zum Schuldvorwurf haben. Eine solche Beschlagnahme ergebe sich aus der ihr am 27.07.1998 übergebenen Aufstellung "Anzufordernde Unterlagen Volksbank ..." und entsprechenden Angaben von Bankmitarbeitern und -kunden..
Mit Schreiben vom 28.04.2000 stellte die Betroffene klar, dass sie die in ihrem Antrag gemeinten Unterlagen erst nach einer entsprechenden Auflistung durch das Finanzamt für Fahndung und Strafsachen L bezeichnen könne.
Mit Schreiben vom 18.09.2000 erklärte das Finanzamt für Fahndung und Strafsachen L, dass keine Originalunterlagen aus den Geschäftsräumen der Betroffenen mitgenommen worden wären. Die in Frage kommenden Beweise wären durch Fertigung von Fotokopien sichergestellt worden. Dementsprechend wäre keine Nachweisung über die Mitnahme von Originalunterlagen gefertigt worden.
Das Amtsgericht hat den Antrag der Betroffenen mit Beschluss vom 27.06.2001 zurückgewiesen. Die Entscheidung wird u.a. damit begründet, eine genau Bezeichnung der Unterlagen, deren Beschlagnahme gerügt werde, liege nicht vor. Nach dem gegenwärtigen Stand der Ermittlungen könne nicht festgestellt werden, dass die Steuerfahndung Unterlagen mitgenommen habe, die nicht durch die gerichtliche Beschlagnahmeanordnung gedeckt seien oder es handele sich um Zufallsfunde, welche ebenfalls strafrechtlich verwendet werden dürften.
Gegen diesen Beschluss wendet sich die Betroffene mit ihrer gem. § 304 Abs. 1 StPO zulässigen Beschwerde vom 21.07.2001, mit der sie auch die Aussetzung der Vollziehung der angefochtenen Entscheidung beantragt.
Die Beschwerde ist begründet.
1. Das Amtsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass zum gegenwärtigen Zeitpunkt unklar ist, auf welche Unterlagen sich der Antrag der Betroffenen bezieht.
Nachdem jedoch die Betroffene ergänzend vorgetragen hatte, dass sie die von ihr gemeinten Unterlagen erst nach einer Auflistung der sichergestellten Urkunden durch das Finanzamt für Fahndung und Strafsachen L bezeichnen könne, eine solche Auflistung aber vom Finanzamt verweigert wurde, war klar, dass die Betroffene den erstrebten Erfolg erst dann erreichen konnte, nachdem das Finanzamt dieses Verzeichnis erstellt und die Betroffene das ihr bekannt gemachte Verzeichnis entsprechend ausgewertet hatte.
I.ü. bestand für eine Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Beschlagnahme auch keine ausreichende Tatsachengrundlage, da sich anhand der Akten allenfalls vermuten lässt, welche Unterlagen durch das Finanzamt sichergestellt worden sein könnten.
2. Angesichts der Weigerung des Finanzamtes, der Betroffenen ein Verzeichnis von sichergestellten Unterlagen zu überlassen, war - in Anwendung des hinter § 300 StPO stehenden Rechtsgedankens - der ursprüngliche Antrag der Betroffenen dahin auszulegen, dass sie zunächst entsprechend § 98 Abs. 2 StPO eine richterliche Entscheidung über die Verpflichtung des Finanzamts zur Übergabe eines solchen Verzeichnisses begehrt (s. dazu KK-Nack, StPO, 4. Aufl., § 107 Rdnr. 5).
Dieser Antrag ist begründet. Die insoweit erforderliche Entscheidung war gem. § 309 Abs. 2 StPO von der Kammer zu treffen.
Die Betroffene hat auf die Übergabe eines solchen Verzeichnisses einen Anspruch aus § 107 Satz 2 StPO: Die Durchsuchung bei der Betroffenen, zu der die Durchsicht der aufgefundenen Unterlagen gehört, ist vollzogen, wie dem Schreiben des Finanzamts für Fahndung und Strafsachen Lüneburg vom 18.09.2000 und der Stellungnahme im Beschwerdeverfahren vom 27.08.2001 zu entnehmen ist. Eine nach 3 Jahren noch andauernde Durchsuchung wäre auch unverhältnismäßig und nicht mehr von dem ursprünglichen Durchsuchungsbeschluss gedeckt.
Die Weigerung des Finanzamts, ein Verzeichnis i.S.v. § 107 Satz 2 StPO zu übergeben, ist unbegründet: Bei der in Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes von der Originalurkunde gefertigten Fotokopie handelt es sich um den i.S.v. § 107 StPO sichergestellten Gegenstand (s. zum Ersatz der Originalurkunde durch die Fotokopie, KK-Nack, aaO., § 94 Rdnr. 13).
Das Amtsgericht wird ggf. nach Bezeichnung der Urkunden durch die Betroffene erneut über deren ursprünglichen Antrag zu entscheiden haben.
Die Kostenentscheidung folgt aus entspr. Anwendung von § 467 Abs. 1 StPO.