Landgericht Stade
Beschl. v. 24.06.2003, Az.: 12 KLs 141 Js 5145/94
Ausschließlichkeitsverhältnis; gerichtlich angeordneter Verfall; pfändungsfreie Zusatzversorgungsbezüge; pfändungsfreier Rentenanteil; Pfändungsfreigrenzen; Pfändungsgrenzen; Pfändungsgrenzenbeschränkung; Staatsanwaltschaft als Vollstreckungsbehörde; Strafverfahren wegen Bestechlichkeit; unpfändbarer Betrag; Verfall; Verfall im Strafverfahren; Verfallsvollstreckung; Vollstreckung durch Staatsanwaltschaft
Bibliographie
- Gericht
- LG Stade
- Datum
- 24.06.2003
- Aktenzeichen
- 12 KLs 141 Js 5145/94
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2003, 48630
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 459 StPO
- § 459g Abs 2 StPO
- § 6 Abs 2 JBeitrO
- § 54 Abs 4 SGB 1
- § 850f Abs 2 ZPO
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Die Pfändungsfreigrenzen des § 850c ZPO können im Rahmen der Verfallsvollstreckung auch dann analog § 850f Absatz 2 ZPO unterschritten werden, wenn gegen den Verurteilten kein Anspruch aus unerlaubter Handlung besteht.
Tenor:
Der Pfändungs- und Überweisungsbeschluss des Rechtspflegers der Staatsanwaltschaft ... vom 02.04.2003 wird bestätigt.
Gründe
...
Das Rechtsmittel ist auf Antrag als gerichtliche Entscheidung nach § 459 h StPO auszulegen und als solcher zulässig. Der Antragsteller wehrt sich gegen eine Entscheidung der Staatsanwaltschaft als Vollstreckungsbehörde, wobei innerhalb der Staatsanwaltschaft die Entscheidung des Rechtspflegers staatsanwaltlich bestätigt wurde (vgl. OLG Celle vom 03.05.1977, 3 Ws 142/77, Meyer-Goßner, StPO, 46. Auflage, § 459 h, Rn. 1).
Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist jedoch unbegründet.
Zutreffend hat die Staatsanwaltschaft ... im Beschluss vom 02.04.2003 den pfändungsfreien Anteil der Renten- und Zusatzversorgungsbezüge des Antragstellers auf € ... festgesetzt. Rechtsgrundlage hierfür ist die Regelung des § 850 f Absatz 2 ZPO, die gemäß §§ 459 g Absatz 2, 459 StPO, 6 Absatz 2 Justizbeitreibungsordnung (JBeitrO) und 54 Absatz 4 SGB I auf die Pfändung von Renten im Wege der Verfallsvollstreckung entsprechend anzuwenden ist.
Danach kann das Vollstreckungsgericht bei einer Zwangsvollstreckung wegen einer Forderung aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung den pfändbaren Anteil des Arbeitseinkommens ohne die Beschränkung durch die Pfändungsgrenzen des § 850 c ZPO bestimmen.
Die Entscheidung durch die Staatsanwaltschaft ... war formal korrekt:
Zuständig für eine entsprechende Bestimmung im Rahmen des Verfallsvollstreckung ist gemäß §§ 459 g, 459 StPO die Staatsanwaltschaft als Vollstreckungsbehörde. Die Befugnis zum Erlass von Pfändungsbeschlüssen gemäß § 6 Absatz 2 Satz 2 JBeitrO umfasst auch die Befugnis zur Entscheidung nach § 850 f Absatz 2 ZPO (vgl. für den Fall der Vollstreckung durch eine Finanzbehörde: BFH vom 24.10.1996, NJW 1997, 1725 [BFH 24.10.1996 - VII R 113/94]).
Die Voraussetzungen des § 850 f Absatz 2 ZPO liegen auch vor:
Bei dem Anspruch aus einem gerichtlich angeordneten Verfall im Rahmen eines Strafverfahrens wegen Bestechlichkeit handelt es sich um einen Anspruch aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung im Sinne dieser Norm.
Mit dem BFH (Urteil vom 24.10.1996, a.a.O.) ist davon auszugehen, dass es sich bei der Verweisung in § 6 Absatz 1 Ziffer 1 und 2 JBeitrO um eine Rechtsgrundverweisung handelt, so dass trotz der sinngemäßen Bezugnahme in § 6 JBeitrO das Vorliegen der Voraussetzungen des § 850 f Absatz 2 ZPO zu prüfen ist.
Abweichend von dem vorgenannten Urteil ist allerdings für den vorliegenden Fall der Verfallsvollstreckung aufgrund der gesetzgeberischen Zielsetzung nicht erforderlich, dass es sich bei der der Verurteilung zu Grunde liegenden Norm um eine drittschützende Norm im Sinne des § 823 Absatz 2 BGB handelt, auf der eine unerlaubte Handlung beruhen könnte.
Sinn und Zweck des Verfalls ist es nämlich, dem Staat einen Anspruch gegen den Straftäter gerade für den Fall zu verschaffen, dass zivilrechtliche Ansprüche nicht vorliegen (Tröndle/Fischer, StGB, 51. Auflage, § 73, Rn. 2). Somit soll der Verfall im Strafverfahren auch und gerade einen fehlenden Anspruch aus unerlaubter Handlung ersetzen. Dies ergibt sich insbesondere aus der Subsidiaritätsklausel des § 73 Absatz 1 Satz 2 StGB, wonach ein Verfall dann nicht in Betracht kommt, wenn dem Verletzten aus der Tat ein Anspruch - z.B. aus unerlaubter Handlung - erwachsen ist, der dem Täter der Wert des Erlangten entziehen würde. Nach überwiegender Auffassung steht dem Dienstherrn bei Bestechlichkeit kein Anspruch gegen seinen Bediensteten zu. Die §§ 331 f. StGB schützen nicht das Vermögensinteresse der Anstellungskörperschaft, sondern ausschließlich das Vertrauen der Allgemeinheit in die Lauterkeit des öffentlichen Dienstes (BGH vom 22.02.1981, NJW 1981, 1457 f. [BGH 20.02.1981 - 2 StR 644/80]).
Wegen dieses Ausschließlichkeitsverhältnisses ist es jedoch angezeigt, den Anspruch aus Verfall im Rahmen der sinngemäßen Anwendung des § 850 f Absatz 2 ZPO einem Anspruch aus unerlaubter Handlung gleichzusetzen. Andernfalls würde das gesetzgeberische Anliegen des Verfalls, dem Straftäter das illegitim erlangte Vermögen auch bei Fehlen eines Anspruchs aus unerlaubter Handlung in gleichem Maße wieder abzunehmen, nicht beachtet. Dieser entsprechenden Anwendung des § 850 f Absatz 2 ZPO auf den Verfall steht das Analogieverbot nicht entgegen, da dieses im Strafvollstreckungsverfahren nicht gilt.
Die Höhe des festgesetzten Pfändungsfreibetrages von ... ist ebenfalls nicht zu beanstanden (wird ausgeführt).