Sozialgericht Aurich
Urt. v. 19.09.2018, Az.: S 13 SO 3/17

Bewilligung von zuschussweisen Leistungen anlässlich eines Umzugs eines Hilfebedürftigen

Bibliographie

Gericht
SG Aurich
Datum
19.09.2018
Aktenzeichen
S 13 SO 3/17
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2018, 51354
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tenor:

Der Bescheid vom 19.04.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.09.2016 wird aufgehoben und der Beklagte verpflichtet, Umzugskosten in Höhe von 1.130,50 Euro anlässlich des Umzuges des Klägers zum April 2016 als Zuschuss anstatt als Darlehen zu gewähren. Der Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um einen Anspruch des Klägers gegen den Beklagten auf Bewilligung von zuschussweisen Leistungen anlässlich eines Umzugs im Jahre 2016.

Der Kläger ist am F. geboren und lebte bis zum 31.03.2016 im örtlichen Zuständigkeitsbereich des Beklagten. Ebenfalls bis zum 31.03.2016 stand er im laufenden Bezug der Leistungen der Grundsicherung im Alter nach dem 4. Kapitel des 12. Buches des Sozialgesetzbuches - Sozialhilfe - (SGB XII) beim Beklagten.

Am 01. März 2016 erkundigte sich der Kläger bezüglich der Kostenübernahme für einen Umzug von G. nach H. für sich selbst und seine Partnerin Frau I ... Danach beantragte er mit Schreiben vom 02.03.2016 unter Bezugnahme auf das Gespräch die Kostenübernahme für den Umzug und teilte mit, dass der Umzug erforderlich sei, weil die jetzige Wohnung wegen Eigenbedarf gekündigt worden sei. Im Großraum G. habe er keine vergleichbare Wohnung gefunden. Dem Antrag fügte er ein Mietvertragsangebot für eine Wohnung in H. zum 01.04.2016 zu einer Gesamtmiete von 550,00 Euro bei, welches am 20.02.2016 vom Vermieter unterzeichnet worden war. Er selbst hatte noch nicht unterzeichnet. Des Weiteren fügte er vier Angebote von Umzugsunternehmen für die Durchführung des gewünschten Umzugs bei (Blatt 129 bis 145 der Verwaltungsakten). Mit Datum vom 21.03.2016 erging ein Bescheid bezüglich der Übernahme von Umzugskosten adressiert an den Kläger und Frau I ... Der Beklagte sicherte die Übernahme der Umzugskosten anteilig von G. bis zur Kreisgrenze des Landkreises G. als Beihilfe zu. Es wurde ausgeführt: "Nach Vorlage von vier Umzugsangeboten, kann der Firma Tolmien der Auftrag zum Umzug erteilt werden." Der Wunsch nach J. zu ziehen falle dem privaten Bereich zu und könne daher nicht finanziert werden.

Am 30.03.2016 erteilte der Beklagte der Spedition gegenüber einen "Gutschein" über den Gesamtbetrag von 2.195,55 Euro laut Kostenvoranschlag der Spedition und bat zugleich, die Rechnung aufzuteilen in die Strecke G. -K. und K. -L ... Der Kläger beauftragte die Firma M. mit der Durchführung des Umzugs, welche daraufhin für den am 31.03.2016 durchgeführten Umzug einen Gesamtbetrag von 2.195,55 Euro gegenüber dem Beklagten abrechnete. Die Rechnung weist einen Betrag für den Transport von G. nach K. in Höhe von 800,00 Euro netto aus und einen Betrag für den Transportpreis K. - J. von 950,00 Euro netto auf sowie Packmaterial pauschal zu 95,00 Euro netto.

Der Beklagte erließ am 19.04.2016 einen weiteren hier streitigen Bescheid über die Gewährung eines Darlehens in Höhe von 1.130,50 Euro für Umzugskosten und am gleichen Tage einen Bescheid über die Gewährung von einmaligen Leistungen in Höhe von 1.065,05 Euro. Er zahlte den vollen Betrag an das Umzugsunternehmen aus.

Den Widerspruch des Klägers vom 09.05.2016 wies der Beklagte mit streitigem Widerspruchsbescheid vom 07.09.2016 zurück. Dieser Widerspruchsbescheid erging alleine gegenüber dem Kläger und nicht mehr gegenüber Frau I ...

Der Kläger ist der Auffassung, dass in dem Betrag für den Transport von K. nach J. Möbelmontagekosten enthalten seien, die jedenfalls angefallen wären, auch wenn ein Umzug isoliert im Kreisgebiet des Beklagten stattgefunden hätte. Des Weiteren weist er daraufhin, dass das Grundrecht der Freizügigkeit durch die Bewilligungspraxis des Beklagten eingeschränkt werde. Er habe sich auch bemüht, im örtlichen Bereich des Beklagten eine Wohnung zu erlangen, dies sei aus verschiedenen Gründen nicht möglich gewesen. Von daher stehen ihm die gesamten Umzugskosten als Zuschuss zu.

Der Kläger beantragt schriftlich sinngemäß,

den Beklagten zu verurteilen, den Bescheid vom 19.04.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.09.2016 aufzuheben und Umzugskosten in Höhe von weiteren 1.130,50 Euro als Zuschuss zu gewähren.

Der Beklagte beantragt schriftlich sinngemäß,

die Klage abzuweisen.

Er vertritt die Auffassung, dass keine sozialhilferechtliche Notwendigkeit bestanden habe, in die Wohnung außerhalb des Zuständigkeitsbereiches des Beklagten umzuziehen. Innerhalb seines Zuständigkeitsbereiches seien mehrere Wohnungen verfügbar gewesen. Der Umzug über diese weite Strecke sei mit sozialhilferechtlich unverhältnismäßigen Mehrkosten verbunden, die nicht übernommen werden könnten.

Gegenstand der Entscheidungsfindung der Kammer war die Gerichtsakte sowie der vom Beklagten überreichte Verwaltungsvorgang.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig und begründet.

Die Beteiligten haben sich schriftlich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung im Sinne des § 124 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) einverstanden erklärt. Daher konnte das Gericht seine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung treffen.

Verfahrensbeteiligt ist hier nur der Kläger. Zwar ist der Umzug im Jahre 2016 durch den Kläger gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin durchgeführt worden und der angegriffene Bescheid zunächst gegenüber dem Kläger und seiner Lebensgefährtin ergangen, aber ausweislich der Akten sind der Lebensgefährtin keinerlei Umzugskosten entstanden, so dass Anspruchsteller alleine der Kläger ist und auch nur sein kann. Im Übrigen ist der streitige Widerspruchsbescheid ebenfalls alleine an den Kläger adressiert, so dass insoweit von einer Änderung der Regelung ausgegangen werden kann.

Die zulässige Klage ist begründet. Der Bescheid des Beklagten vom 19.04.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.09.2016 ist rechtswidrig ergangen und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Der Kläger kann vom Beklagten Leistungen für die Umzugskosten anlässlich des Umzuges zu April 2016 in Höhe von 1.130,50 Euro als Zuschuss beanspruchen.

Diese Bewertung ergibt sich daraus, dass der Kläger gem. § 35 Abs. 2 SGB XII im vorliegenden Fall unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls einen Anspruch auf Erteilung der Zustimmung zur Durchführung des Umzuges gegen den Beklagten hatte, der sich in einen Kostenerstattungsanspruch gewandelt hat.

Die gesetzliche Regelung des § 35 Abs. 2 SGB XII besagt diesbezüglich: Wohnungsbeschaffungskosten, Mietkautionen und Umzugskosten können bei vorheriger Zustimmung übernommen werden; Mietkautionen sollen als Darlehen erbracht werden. Eine Zustimmung soll erteilt werden, wenn der Umzug durch den Träger der Sozialhilfe veranlasst wird oder aus anderen Gründen notwendig ist und wenn ohne die Zustimmung eine Unterkunft in einem angemessenen Zeitraum nicht gefunden werden kann.

Zunächst ist festzustellen, dass der Kläger den Umzug aufgrund des Zeitablaufes bereits durchgeführt hat und Aufwendungen hierfür getätigt hat, bzw. ein Umzugsunternehmen für seinen Umzug genutzt hat, was Kosten verursacht hat. Er hatte aber dem Erfordernis einer vorherigen Beantragung der Zusicherung entsprochen.

Aus dem Zeitablauf ergibt sich nachvollziehbar, dass er seinen Bedarf bereits gedeckt hat und eine Zusicherung durch den Leistungsträger aufgrund dieses Ablaufes überholt ist. Jedoch gilt nach inzwischen ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), dass vergleichbar zu einem Sachleistungsanspruch, der bereits selbst befriedigt wurde, der Anspruch auf die Zusicherung sich in einem Kostenerstattungsanspruch umwandelt (vgl. BSG, Urteil vom 06.08.2014 - B 4 AS 37/13 R zitiert nach juris zur parallelen Regelung in § 22 SGB II). Streitgegenständlich ist im vorliegenden Verfahren der Bescheid vom 19.04.2016, mit den Umzugskosten als Darlehen in Höhe von 1.130,50 Euro gewährt werden. Bereits zuvor am 21.03.2016 hatte der Beklagte ein als Bescheid bezeichnetes Schreiben übersandt, worin er darauf hinwies, dass Umzugskosten für Wohnungen in außerhalb des Kreisgebietes nur bei Vorliegen eines besonderen Umzugsgrundes übernommen werden könnten. Ein solcher Grund aber nicht vorhanden sei. Dieser Bescheid ist zwar bestandskräftig geworden, trifft aber keine konkrete Regelung zur darlehensweisen Übernahme von Umzugskosten anlässlich des Umzugs des Klägers und seiner Lebensgefährtin zum 01.04.2016. Von daher ist die Klage nicht bereits deswegen als erfolgslos anzusehen, weil dieser Bescheid bereits eine vollumfängliche Regelung getroffen hätte. Eine erste konkrete Regelung bezüglich der darlehensweisen Übernahme der Umzugskosten ist mit dem streitigen Bescheid vom 19.04.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.09.2016 getroffen worden.

Das Gericht erkennt des Weiteren, dass die oben genannten Bescheide streitgegenständlich sind entgegen der Formulierung im schriftlich angekündigten Antrag mit Schreiben vom 07.02.2017. Aus der Begründung des Schreibens ist eindeutig zu erkennen, dass die dort fehlerhaft aufgenommenen Daten der angegriffenen Bescheide einfache Schreibfehler darstellen, die das Gericht zugunsten des Klägers auslegen kann.

Im vorliegenden Fall bestätigt nicht die Konstellation, dass die Zusicherung bezüglich der Umzugskosten entbehrlich gewesen wäre. Die Zusicherung ist vom Beklagten erteilt worden, wenn auch im anderen Umfange als vom Kläger begehrt. Das Kostenerstattungsbegehren wegen der Umzugskosten kann nur dann zum Erfolg führen, wenn der Beklagte die Erteilung der vorherigen - vollumfänglichen - Zusicherung auf einen vor der Durchführung des Umzuges gestellten Antrag rechtswidrig abgelehnt hat (BSG a.a.O.). Zwischen den Beteiligten besteht ausweislich der streitigen Bescheide Einigkeit darüber, dass der Umzug des Klägers aus seiner zunächst im Bereich des Beklagten bewohnten Wohnung notwendig war. Dieser Bewertung der Beteiligten wird vom Gericht geteilt, da das Mietverhältnis des Klägers bezüglich dieser Wohnung gekündigt war. Ein weiterer Verbleib in der Wohnung hätte sich als rechtswidrig dargestellt. Von daher bestand ein anderer Grund zum Verlassen der Wohnung.

Das weitere Kriterium des § 35 Abs. 2 Satz 6 SGB XII, dass ohne die Zustimmung eine Unterkunft in einem angemessenen Zeitraum nicht gefunden werden darf, stellt sich bei den hier im Streit stehenden Umzugskosten als sachwidrig dar. Umzugskosten sind qua Definition von der Verfügbarkeit von Wohnraum unabhängig. Anders formuliert: auch wenn Wohnraum verfügbar ist, fallen die Umzugskosten im gleichen Rahmen an, wie bei schwieriger Verfügbarkeit von Wohnraum (Berlit in LPK-SGB XII 11. Aufl. 2018 § 35 Rn 101 m.w.N.). Ausweislich der Akten und dem Vorbringen der Beteiligten ist auch das weitere Erfordernis der Kostenangemessenheit der neuen Wohnung gegeben. Der dortige Leistungsträger hat dies schriftlich gegenüber dem Beklagten versichert, so dass keine Zweifel bestehen.

Die Rechtsfolge der Zusicherung besteht darin, dass die angemessenen Kosten zu übernehmen sind. In diesem Rahmen gilt grundsätzlich, dass der Hilfebedürftige grundsätzlich gehalten ist, die Kosten eines Umzuges im Wege der Selbsthilfe zu minimieren (BSG, Urteil vom 06.05.2010 - B 14 AS 7/09 R zitiert nach juris). Diesbezüglich besteht zunächst zwischen den Beteiligten - ebenfalls durch das Gericht geteilt - die Bewertung, dass der Kläger und seine Lebensgefährtin den Umzug nicht ohne Inanspruchnahme eines Umzugsunternehmens bewältigen konnten. Ebenso stellen sich die vom Umzugsunternehmen angeforderten Kosten, die der Kläger mit Kostenvoranschlag nachgewiesen hatte, im Grundsatz als kostenangemessen dar, da kein übertrieben teures Unternehmen in Anspruch genommen wurde.

Die Auffassung des Beklagten, dass der Umzug an den Zielort in einem anderen Landkreis mit unverhältnismäßigen Mehrkosten im Sinne des § 9 Abs. 2 Satz 3 SGB XII verbunden wäre, teilt das Gericht jedoch nicht. Bei Annahme der Notwendigkeit des Umzuges, die zwischen den Beteiligten unstreitig ist, ist eine zuschussweise Übernahme der angemessenen Umzugskosten erforderlich.

Die Argumentation des Klägers, dass die Beschränkung der Umzugskostenübernahme ein unzumutbarer Eingriff in die Regelung des Artikel 11 des Grundgesetzes (GG) der individuellen Freizügigkeit darstelle, überzeugt das Gericht. Die Übernahme von Umzugskosten als Zuschuss nur für einen Umzug innerhalb des Kreisgebietes stellte einen unmittelbaren Eingriff in dieses Grundrecht des Klägers dar. Der Kläger könnte bei durchgreifender Argumentation des Beklagten ohne unmittelbar staatlich angeordnete Hindernisse nicht außerhalb des einmal bewohnten Kreisgebietes umziehen. Dies stellte eine unzumutbare Benachteiligung eines Leistungsbeziehers dar. Insbesondere stellt die vom Beklagten angeführte Norm des § 9 Abs. 2 Satz 3 SGB XII keine einfach gesetzliche Rechtfertigung eines solchen Grundrechtseingriffes dar. Diese Regelung ist nicht vor dem Hintergrund des beschränkten Gesetzesvorbehalts des Art. 11 Abs. 2 GG ergangen. Die vom Beklagten zitierte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 26.03.1999 - 5 B 65.98 zitiert nach juris) kann der Bewertung des Gerichts daher nicht entgegengehalten werden, da sie zu einer abweichenden Rechtslage im Bereich des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) ergangen ist.

Der angegriffene Bescheid bezüglich der darlehensweisen Gewährung von Umzugskosten ist hinzu unter weiterem Verstoß gegen die Regelung des § 35 Abs. 2 SGB XII ergangen. In dieser gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage ist im Bereich der Umzugskosten ausdrücklich keine darlehensweise Leistung vorgesehen. Alleine bezüglich einer Mietkaution ist in § 35 Abs. 2 Satz 5 SGB XII geregelt, dass diese als Darlehen erbracht werden sollen. Diese Regelung gilt nicht für Umzugskosten. Auch in anderen Regelungen findet sich für die hier in Streit stehenden Umzugskosten keine Ermächtigungsgrundlage zur darlehensweisen Bewilligung. Insbesondere sind weder § 37 SGB XII noch § 91 SGB XII anwendbar.

Somit bedurfte es keiner weiteren Erwägungen zur Frage der Verfügbarkeit von Wohnraum im Gebiet des Beklagten sowie zur genauen Aufteilung der Umzugskosten (Montagekosten als sowieso anfallende Kosten).

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG. Der gem. § 183 SGG privilegierte Kläger ist mit seinem Begehren durchgedrungen.