Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 26.07.1995, Az.: III 5/90
Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Pauschalbeträgen bei Kinderbetreuungskosten; Ansetzung von Pauschalbeträgen für Kinderbetreuungskosten, wenn ein Kind gleichzeitig zum Haushalt von zwei Alleinstehenden gehörte; Vergleich der nichtehelichen Lebensgemeinschaft mit der Ehe im Rahmen der Voraussetzungen für die Gewährung der Pauschale für Kinderbetreuungskosten nach § 33c Abs. 4 Einkommenststeuergesetz (EStG)
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 26.07.1995
- Aktenzeichen
- III 5/90
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1995, 19595
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:1995:0726.III5.90.0A
Rechtsgrundlagen
- § 32 Abs. 1 EStG
- § 32 Abs. 2 EStG
- § 33 c Abs. 4 S. 1 EStG
- § 33 c Abs. 4 S. 3 EStG
- § 33 c Abs. 3 S. 3 EStG
- § 33 c Abs. 3 S. 4 EStG
Fundstellen
- BB 1996, 249-250 (Volltext)
- EFG 1996, 140-141 (Volltext mit amtl. LS)
Verfahrensgegenstand
Kinderbetreuungskosten (§ 33 c Abs. 4 EStG)
Einkommensteuer
Redaktioneller Leitsatz
Ein Lediger mit Kind einen Anspruch auf die Mindestpauschale des § 33 c Abs. 4 EStG, auch wenn er Aufwendungen für die Kinderbetreuung nicht nachweist und gegebenenfalls mit dem anderen Elternteil des Kindes zusammenlebt. Der Steuerpflichtige muß weder dem Grunde noch der Höhe nach Kosten nachweisen ( "nachweisfreie Mindestpauschale").
Der III. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts hat
ohne mündliche Verhandlung
in der Sitzung vom 26. Juli 1995,
an der mitgewirkt haben:
Vorsitzender Richter ... am Finanzgericht ...
Richterin am Finanzgericht ...
Richter am Finanzgericht ...
ehrenamtlicher Richter ...
ehrenamtliche Richterin ...
fürRecht erkannt:
Tenor:
Unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 13. Dezember 1989 und Änderung des Einkommensteuerbescheids vom 11. September 1989 in der Fassung vom 3. Januar 1994 wird die Einkommensteuer 1988 von ... DM auf ... DM herabgesetzt.
Das beklagte Finanzamt hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren wird für notwendig erklärt.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Das beklagte Finanzamt kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der an den Kläger zu erstattenden Kosten abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit leistet.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme eines Pauschbetrags für Kinderbetreuungskosten nach § 33 c Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) vorliegen.
Der Kläger lebte im Streitjahr 1988 gemeinsam mit seiner am 18. Januar 1988 geborenen Tochter und deren leiblicher Mutter in nichtehelicher Lebensgemeinschaft in einem Haushalt. Er beantragte mit seiner Einkommensteuererklärung 1988 die Berücksichtigung des Pauschbetrags für Kinderbetreuungskosten. Das beklagte Finanzamt (FA) gewährte den Pauschbetrag nicht, und zwar mit Hinweis darauf, daß im Haushalt des Klägers neben der Tochter auch deren leibliche Mutter wohne.
Nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhebt der Kläger Klage und fordert - wie bereits im Vorverfahren - die Gewährung der Hälfte des Pauschbetrags (= 240 DM). Zur Begründung trägt er vor: Nach den einschlägigen Gesetzes- sowie Verwaltungsvorschriften sei der halbe Pauschbetrag für ein Kind im Haushalt beider Elternteile auch dann zu gewähren, wenn Kosten der Kinderbetreuung nicht nachgewiesen oder glaubhaft gemacht würden. Die Regelung durch einen Pauschbetrag sei immer eine Vereinfachungsregelung. Folge man der Rechtsauffassung des FA wäre die Pauschbetragsregelung überflüssig. Im übrigen habe das FA mit dem Steuerbescheid für das Jahr, das dem Streitjahr folge, den Kinderbetreuungskosten-Pauschbetrag gewährt.
Der Kläger beantragt (sinngemäß),
die Einkommensteuer 1988 unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 13. Dezember 1989 und Änderung des Bescheids vom 11. September 1989 in der Fassung vom 3. Januar 1994 die Einkommensteuer von ... DM auf ... DM herabzusetzen.
Das FA beantragt,
die Klage abzuweisen.
Es tritt dem Vorbringen des Klägers entgegen. Unter Hinweis auf § 33 c Abs. 4 in Verbindung mit Abs. 1 Satz 4 EStG und Verwaltungsvorschriften könnten Kinderbetreuungskosten nur insoweit Berücksichtigung finden, als sie den Umständen nach notwendig seien und einen angemessenen Betrag nichtüberstiegen. Zwar könne im allgemeinen von einer Prüfung der Notwendigkeit und Angemessenheit abgesehen werden. Die Notwendigkeit sei jedoch in der Regel nicht gegeben, wenn der Steuerpflichtige - wie hier - mit dem anderen Elternteil des Kindes zusammenlebe und dieser nicht erwerbstätig sei. Im übrigen erhielten selbst verheiratete Eltern eines Kindes bei vorliegen derselben Verhältnisse auch keinen Pauschbetrag für Kinderbetreuungskosten.
Die Beteiligten haben übereinstimmend auf mündliche Verhandlung verzichtet. Der Kläger hat den Bescheid vom 3. Januar 1994 mit den erweiterten Vorläufigkeitsvermerken wegen möglicher Verfassungswidrigkeiten zum Gegenstand des Verfahrens gemacht.
Entscheidungsgründe
Die Klage hat Erfolg.
Der eingeforderte Pauschbetrag für Kinderbetreuungskosten in Höhe von 240 DM ist gemäß § 33 c Abs. 4 Sätze 1 und 3 in Verbindung mit Abs. 3 Sätze 3 und 4 EStG zu gewähren.
Nach § 33 c Abs. 4 Satz 1 EStG wird bei einem Alleinstehenden mit einem zu seinem Haushalt gehörenden Kind, das nach § 32 Abs. 1 und 2 EStG zu berücksichtigen ist und zu Beginn des Kalenderjahres das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, für Aufwendungen im Sinne des § 33 c Abs. 1 EStG (Kinderbetreuungskosten) ein Pauschbetrag von 480 DM im Kalenderjahr abgezogen. Für jeden vollen Kalendermonat, in dem die Voraussetzungen des§ 33 c Abs. 1 EStG nicht vorgelegen haben, ermäßigt sich der für das Kind in Betracht kommende Abzugsbetrag um ein Zwölftel (vgl. § 33 c Abs. 4 Satz 3 in Verbindung mit Abs. 3 Satz 3 EStG). Gehörte das Kind gleichzeitig zum Haushalt von zwei Alleinstehenden, so ist bei Jedem von ihnen der Pauschbetrag zur Hälfte anzusetzen (vgl. § 33 c Abs. 4 Satz 3 in Verbindung mit Abs. 3 Satz 4 EStG).
Die Gesetzesmaterialien bezeichnen diese Regelung als "nachweisfreie Mindestpauschale" (Bundestags-Drucksache 10/2370, 12). Nach dem Wortlaut des § 33 c Abs. 4 EStG und dem damitübereinstimmenden Willen des Gesetzgebers hat ein Lediger mit Kind einen Anspruch auf die Mindestpauschale des § 33 c Abs. 4 EStG, obwohl er Aufwendungen für Kinderbetreuung nicht nachweist und zudem mit dem anderen Elternteil des Kindes zusammenlebt. Genau wie bei anderen Pauschbeträgen (etwa § 9 a EStG) muß der Steuerpflichtige weder dem Grunde noch der Höhe nach Kosten nachweisen (vgl. auch ARNDT, in: KIRCHHOF/SÖHN, Kommentar zum EStG, Loseblatt, Oktober 1988:§ 33 c Rdnr. E 1, E 15; HERRMANN/HEUER/RAUPACH, Kommentar zum EStG und KStG, Loseblatt, Juni 1986: § 33 c EStG Anm. 125; OEPEN, in: BLUMICH, Kommentar zum EStG, Loseblatt, September 1989: § 33 c Anm. 75; BORGGREVE, in: LITTMANN/BITZ/HELLWIG, Kommentar zum EStG, Loseblatt, Januar 1988: § 33 c Anm. 51; KUBESCH, DStZ 1992, 336, 337).
Der Kläger erfüllt sämtliche Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Kinderbetreuungskosten-Pauschale in Höhe von 240 DM. Denn es geht hier um ein im Januar 1988 geborenes Kind, das beim Kläger nach § 32 Abs. 1 EStG zu berücksichtigen ist, bis auf wenige Tage das ganze Jahr über im Kläger-Haushalt Lebte und die Altersgrenze (16 Jahre) nichtüberschritten hat.
Die dagegen gerichteten Einwände des FA überzeugen nicht.
Die Rechtsauffassung des FA, wonach der Kläger für die Inanspruchnahme des Pauschbetrags Kinderbetreuungskosten nachzuweisen habe, widerspricht insbesondere den Gesetzesmaterialien. Ob hingegen Verwaltungsvorschriften Anhaltspunkte für die Meinung des FA bieten, kann hier dahinstehen, da der Senat hieran nicht gebunden ist. Selbst wenn man - wie das FA (wohl ähnlich SCHMIDT/GLANEGGER, Kommentar zum EStG, 14. Auflage 1995, § 33 c Rz. 25) - den möglichen Wortsinn des § 33 c Abs. 4 in Verbindung mit Abs. 1 Satz 4 EStG so weit auffaßt, daß der Steuerpflichtige auch bei der Beantragung des Mindestbetrags die (grundsätzliche) Notwendigkeit der Aufwendungen nachzuweisen oder glaubhaft zu machen hat, darf der Vereinfachungszweck der Pauschalregelung des § 33 c Abs. 4 EStG (= "nachweisfreie Mindestpauschale" Laut Gesetzesmaterialien, Bundestags-Drucksache 10/2370, 12) nicht hinweggedacht werden (vgl. dazu statt vieler HERRMANN/HEUER/RAUPACH, Kommentar zum EStG und KStG, Loseblatt, Juni 1986, § 33 c EStG Anm. 79 am Ende). Geht, wie hier vom FA angenommen, der Gesetzestext über den Gesetzeszweck hinaus, hat der Gesetzesinterpret den Text an den Zweck anzupassen (durch restriktive Auslegung oder teleologische Reduktion, vgl. dazu TIPKE/LANG, Steuerrecht, 14. Auflage 1994, § 5 Rz. 48 ff., 64, 75).
Auch der Hinweis des FA, verheiratete Eltern eines Kindes könnten bei vorliegen derselben Verhältnisse einen Pauschbetrag für Kinderbetreuungskosten nicht geltend machen, geht im Ergebnis fehl. Zwar ermöglicht § 33 c Abs. 5 EStG für Ehegatten den Abzug einer Kinderbetreuungskosten-Pauschale - im Vergleich zu nichtverheirateten Eltern - nur unter erschwerten Bedingungen. Bei dieser - sich von § 33 c Abs. 4 EStG lösenden Argumentation - wird indes übersehen, daß Ehegatten, bei denen nur ein Partner erwerbstätig ist, im Vergleich zu gleichermaßen strukturierten eheähnlichen Lebensgemeinschaften in der Regel schon deshalb einkommensteuerlich viel weniger belastet werden, weil sie trotz synergistischer Auswirkungen des gemeinsamen Haushaltens den günstigen Splittingtarif ohne Rücksicht auf die Haushaltsersparnis ungeschmälert erhalten (zum Subventionscharakter des vollen Ehegattensplittings: BALKE, FR 1982, 449). Im übrigen hat der Gesetzgeber das mögliche Spannungsverhältnis der verheirateten zu nichtverheirateten Elternteile bei der Schaffung der hier im Streit befindlichen "nachweisfreien Mindestpauschale" (Bundestags-Drucksache 10/2370, 12) hinreichend bedacht; dies kann folgenden Ausführungen entnommen werden: "Entsprechend einem Antrag der Koalitionsfraktionen sollen ohne Nachweis jetzt 480 DM je Kind absetzbar sein. Während die Oppositionsfraktionen diesen Betrag für unzureichend halten, gab es innerhalb der Koalitionsfraktionen unterschiedliche Standpunkte dazu, ob es über die aus haushaltspolitischen Gründen gezogene Grenze hinaus zugleich wegen der verfassungsrechtlich gebotenen Rücksicht auf die Besteuerung intakter Ehen geboten sei, sich in diesen engen primär als Vereinfachungsmaßnahme zu sehenden Grenzen zu halten" (Bundestags-Drucksache 10/2370, 8).
Die "nachweisfreie Mindestpauschale" (Bundestags-Drucksache 10/2370, 12) ist nicht um die "zumutbare Belastung" nach § 33 Abs. 3 EStG zu kürzen. Denn auch dies würde dem Vereinfachungszweck einer Pauschbetragsregelung widersprechen (dazu Gesetzesbegründung in Bundestags-Drucksache 10/2370, 6, 8; vgl. auch ARNDT, in: KIRCHHOF/SÖHN, Kommentar zum EStG, Loseblatt, Oktober 1988:§ 33 c Rdnrn. E 2, E 15; OEPEN, in: BLUMICH, Kommentar zum EStG, Loseblatt, September 1989: § 33 c Anm. 75). Zwischen den Beteiligten ist dieser Punkt im übrigen unstreitig (vgl. auch BMF, Amtliches Einkommensteuer-Handbuch 1994, 713 zu § 33 c H 195; KUBESCH, DStZ 1992, 336, 337). Da es hier auf die noch ausstehende verfassungsrechtliche Klärung der Frage, ob die zumutbare Belastung nach § 33 Abs. 3 EStG in allen über den Pauschbetrag hinausgehenden Abzugsfällen von Kinderbetreuungskosten zu berücksichtigen ist (dazu Vorlagebeschluß des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 9. Juli 1985 VII 624/84, EFG 1985, 565; BFH-Urteil vom 10. April 1992 III R 184/90, BStBl. II 1992, 814, BFHE 167, 436; BMF vom 25. September 1992, BStBl. 1992, 545), nicht ankommt, ist eine Aussetzung des Verfahrens in entsprechender Anwendung des § 74 der Finanzgerichtsordnung (FGO) nicht erforderlich (zur Aussetzungsproblematik: BFH-Urteil vom 8. Juli 1994 III R 93/93, BStBl. II 1994, 758, BFHE 174, 404).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
Die Entscheidung über die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren folgt aus § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit wegen der Kosten ergibt sich aus § 151 Abs. 1 und 3 FGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozeßordnung.
Die Revision ist nicht zugelassen worden.