Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 28.09.2016, Az.: 4 K 254/15
Anwendung des regulären Einkommensteuertarifs auf die einmalige Kapitalabfindung laufender Ansprüche gegen eine der betrieblichen Altersversorgung dienende Pensionskasse; Unterscheidung der außerordentlichen Einkünfte von den der Regelbesteuerung unterliegenden Einkünften; Erhöhte steuerliche Belastungen durch die Zusammenballung von Einkünften
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 28.09.2016
- Aktenzeichen
- 4 K 254/15
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2016, 36495
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 2 Abs. 1 Nr. 7 EStG
- § 22 Nr. 5 S. 1 EStG
- § 32a Abs. 1 EStG
- § 34 Abs. 1 EStG
- § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG
Fundstelle
- EFG 2017, 1444-1445
Amtlicher Leitsatz
Die einmalige Kapitalabfindung laufender Ansprüche gegen eine der betrieblichen Altersversorgung dienende Pensionskasse unterliegt dem regulären Einkommensteuertarif, wenn das Kapitalwahlrecht schon in der ursprünglichen Versorgungsregelung enthalten war.
Tatbestand
Streitig ist, ob die von einer Pensionskasse geleistete Kapitalauszahlung als Vergütung für eine mehrjährige Tätigkeit i.S.v. § 34 Abs. 2 Nr. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) zu den außerordentlichen Einkünften i.S.v. § 34 Abs. 1 EStG gehört.
Die Klägerin erzielte im Streitjahr 2013 Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit sowie - seit Oktober 2013 - aus dem Bezug einer Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung sonstige Einkünfte. Außerdem floss ihr eine Kapitalzahlung aus einer Versicherung bei der P Pensionskasse AG in Höhe von x € zu. Die Beiträge zu dieser Versicherung waren von ihrem Arbeitgeber getragen worden und nach § 3 Nr. 63 EStG steuerfrei geblieben. Nach den Versicherungsbedingungen hatte die Klägerin ab Vollendung des 62. Lebensjahres die Wahl zwischen einer lebenslangen Rente, einer einmaligen Kapitalauszahlung oder einer Kombination aus beidem.
Durch Einkommensteuerbescheid vom 21. April 2015 erfasste der Beklagte (das Finanzamt - FA -) die Kapitalauszahlung in voller Höhe als sonstige Einkünfte i.S.v. § 22 Nr. 5 Satz 1 EStG und unterwarf sie der Besteuerung nach dem Regeltarif. Mit dem hiergegen eingelegten Einspruch vom 6. Mai 2015 begehrte die Klägerin für diese Leistung die tarifbegünstigte Besteuerung nach § 34 Abs. 1 EStG. Sie vertrat die Ansicht, dass es sich dabei um eine Vergütung für mehrjährige Tätigkeit i.S.v. § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG handele. Nachdem das FA darauf hingewiesen hatte, dass die tarifbegünstigte Besteuerung von der weiteren Voraussetzung abhängig sei, dass der zusammengeballte Zufluss nicht dem vertragsgemäßen und typischen Ablauf entspreche, machte die Klägerin geltend, dass die Steuerfreiheit der Beitragszahlungen nach § 3 Nr. 63 EStG voraussetze, dass die Leistungen aus der Pensionskasse in Form einer laufenden Rente gewährt würden, und sie deshalb erst nach Ablauf der Beitragsphase von ihrem Wahlrecht zugunsten einer Kapitalauszahlung habe Gebrauch machen können. Die Kapitalauszahlung entspreche daher nicht dem typischen Ablauf.
Durch Einspruchsbescheid vom 16. September 2015 wies das FA den Einspruch als unbegründet zurück. Die Leistung der Pensionskasse gehöre nicht zu den außerordentlichen Einkünften i.S.v. § 34 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 4 EStG. Ungeachtet dessen, dass die Klägerin zur Erhaltung der Steuerfreiheit der Beitragszahlungen nach § 3 Nr. 63 EStG erst nach Ablauf der Beitragsphase von ihrem vertraglichen Kapitalwahlrecht habe Gebrauch machen können, entspreche dessen Ausübung dem vertragsmäßigen Ablauf und sei - anders als die Abfindung von der Basisversorgung zuzurechnender Rentenleistungen berufsständischer Versorgungseinrichtungen - bei Leistungen aus der betrieblichen Altersversorgung auch nicht atypisch.
Hiergegen richtet sich die am 12. Oktober 2015 erhobene Klage, mit der die Klägerin ihr Vorbringen aus dem Einspruchsverfahren wiederholt und vertieft. Sie hält unter Berufung auf das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 23. Oktober 2013 X R 3/12 (BStBl. II 2014, 58) an der Auffassung fest, dass die Abfindung der Rentenleistungen durch eine Kapitalzahlung nicht dem typischen Ablauf entspreche und daher zu außerordentlichen Einkünften führe.
Die Klägerin beantragt,
unter Änderung des Einkommensteuerbescheids 2013 vom 21. April 2015 und des dazu ergangenen Einspruchsbescheids vom 16. September 2015 die Einkommensteuer auf den Betrag herabzusetzen, der sich ergibt, wenn die von der P Pensionskasse AG geleistete Kapitalzahlung in Höhe von x € nach § 34 Abs. 1 EStG tarifbegünstigt besteuert wird.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hält an der seinem Einspruchsbescheid zugrunde liegenden Beurteilung fest.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (Schriftsatz der Klägerin vom 11. Februar 2016 - Blatt 23 der Gerichtsakte - und Schriftsatz des FA vom 30. November 2015 - Blatt 20 Rückseite der Gerichtsakte -).
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet. Das FA hat die streitige Kapitalabfindung zu Recht der Regelbesteuerung nach § 32a Abs. 1 EStG unterworfen.
Nach § 22 Nr. 5 Satz 1 EStG gehören zu den sonstigen Einkünften i.S. des § 2 Abs. 1 Nr. 7 EStG auch Leistungen aus Pensionskassen. Leistungen in diesem Sinne sind nicht nur laufende Rentenzahlungen, sondern auch einmalige Kapitalzahlungen, wie sie die Klägerin im Streitjahr bezogen hat. Da die der Leistung der Pensionskasse zugrunde liegenden Beiträge im Streitfall in voller Höhe von dem Arbeitgeber der Klägerin getragen wurden und nach § 3 Nr. 63 EStG von der Einkommensteuer befreit waren, kommt eine Einschränkung des Besteuerungsumfangs nach Maßgabe des § 22 Nr. 5 Satz 2 EStG nicht in Betracht.
Auch die Gewährung der Tarifbegünstigung nach § 34 Abs. 1 EStG ist ausgeschlossen, weil die von der Klägerin bezogene Kapitalzahlung nicht zu den außerordentlichen Einkünften i.S. dieser Vorschrift gehört.
Als außerordentliche Einkünfte kommen nach § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG zwar auch Vergütungen für mehrjährige Tätigkeiten in Betracht. Seit der Ersetzung des Begriffs "Entlohnung" durch den der "Vergütung" gilt die Vorschrift grundsätzlich für alle Einkunftsarten (vgl. R 34.4 Abs. 1 Satz 2 der Einkommensteuer-Richtlinien - EStR - 2012; BFH-Urteil in BStBl. II 2014, 58) unter Einschluss der hier zu beurteilenden Einkünfte i.S. des § 22 Nr. 5 EStG. Darüber hinaus ist im Streitfall auch das Merkmal der mehrjährigen Tätigkeit erfüllt. Denn darunter ist jedes sich über mindestens zwei Veranlagungszeiträume erstreckende, der Erzielung von Einkünften i.S. des § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 7 EStG dienende Verhalten - hier die Zahlung der Beiträge an die Pensionskasse - zu verstehen.
Wie sich aus schon aus dem Einleitungssatz des § 34 Abs. 2 EStG ("kommen nur in Betracht") ergibt, sind die dort aufgeführten Arten von Einkünften jedoch nicht per se als außerordentlich anzusehen. Zur notwendigen Unterscheidung der außerordentlichen Einkünfte des § 34 EStG von den Einkünften, die der Regelbesteuerung unterliegen, setzen vielmehr alle Tatbestände des § 34 Abs. 2 EStG eine atypische Zusammenballung voraus.
Deshalb liegen außerordentliche Einkünfte grundsätzlich nur dann vor, wenn die zu begünstigenden Einkünfte in einem einzigen Veranlagungszeitraum zu erfassen sind und durch die Zusammenballung von Einkünften erhöhte steuerliche Belastungen entstehen können (ständige Rechtsprechung des BFH: siehe zuletzt Urteile vom 29. Mai 2008 IX R 55/05, BFH/NV 2008, 1666, und vom 21. April 2009 VIII R 65/06, BFH/NV 2009, 1973, jeweils mit weiteren Nachweisen). Auch diese Voraussetzung ist im vorliegenden Fall erfüllt, weil die der Klägerin gegen die Pensionskasse zustehenden Ansprüche durch die im Streitjahr ausgezahlte Kapitalleistung in voller Höhe erfüllt wurden und die damit - im Vergleich zu einer laufenden Rentenzahlung - verbundene Zusammenballung von Einkünften geeignet war, zu einer höheren steuerlichen Belastung zu führen.
Indes fehlt es im Streitfall an der für die Annahme außerordentlicher Einkünfte i.S.v. § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG erforderlichen weiteren Voraussetzung, dass die Zusammenballung der Einkünfte nicht dem vertragsgemäßen oder typischen Ablauf der jeweiligen Einkünfteerzielung entsprach (vgl. R 34.4 Abs. 1 Satz 3 EStR 2012; BFH-Urteil in BStBl. II 2014, 58).
Die für die Tarifbegünstigung erforderliche Atypizität wird zwar nicht schon dadurch ausgeschlossen, dass der mit der Pensionskasse geschlossene Vertrag für die Klägerin ein Wahlrecht zwischen einmaligen und laufenden Leistungen oder einer Kombination beider Leistungsformen vorsah. Bei der Abfindung von Leistungen aus der Basisversorgung i.S.v. § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchstabe a Doppelbuchstabe aa EStG hat der BFH eine atypische Zusammenballung auch für den Fall angenommen, dass die Auszahlung des Versorgungskapitals in der Satzung des Versorgungswerks ausdrücklich vorgesehen war (BFH-Urteil in BStBl. II 2014, 58). Maßgeblich dafür war jedoch der Umstand, dass im Fall der Basisversorgung Kapitalleistungen nach dem Inkrafttreten des Alterseinkünftegesetzes vom 5. Juli 2004 (BGBl. I 2004, 1427) nur noch insoweit zulässig sind, als sie auf vor dem Jahr 2005 eingezahlten Beiträgen beruhen.
Für die hier zu beurteilenden Leistungen aus Pensionskassen sieht das Gesetz keine vergleichbare Einschränkung vor. Wenn die Beiträge zu der Pensionskasse von dem Arbeitgeber getragen werden, hängt deren Steuerbefreiung nach § 3 Nr. 63 EStG zwar davon ab, dass die Auszahlung der zugesagten Alters-, Invaliditäts- oder Hinterbliebenenversorgungsleistungen in Form einer Rente oder eines Auszahlungsplans i.S.v. § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 des Altersvorsorgeverträge-Zertifizierungsgesetzes vorgesehen ist. Dieses Erfordernis gilt aber nur für die Dauer der Beitragszahlung. Eine erst danach erfolgende Kapitalisierung der Ansprüche ist unschädlich. Darin kommt die Wertung des Gesetzgebers zum Ausdruck, dass Leistungen aus der betrieblichen Altersversorgung anders als Leistungen aus der Basisversorgung typischerweise nicht der Sicherstellung des notwendigen Lebensunterhalts, sondern der Befriedigung darüber hinausgehender Bedürfnisse dienen und es daher der Entscheidung des Berechtigten überlassen bleiben kann, ob er unter Berücksichtigung seines individuellen Versorgungsbedarfs, seines Gesundheitszustands und seiner familiären Verhältnisse einer Kapitalzahlung oder einer Rentenzahlung den Vorzug gibt. Diese dem Berechtigten bewusst eingeräumte Entscheidungsfreiheit schließt es aus, die Wahl der Kapitalleistung als atypische Form der Einkünfteerzielung zu qualifizieren.
Die Klage ist daher abzuweisen. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 135 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Die Zulassung der Revision beruht auf § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO.