Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 14.12.2009, Az.: 1 ARs 86/09

Entstehung einer Terminsgebühr durch eine Teilnahme des Beistands an Terminen vor dem Amtsgericht in Auslieferungsverfahren

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
14.12.2009
Aktenzeichen
1 ARs 86/09
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2009, 30587
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2009:1214.1ARS86.09.0A

Fundstellen

  • RVG prof 2010, 39
  • StRR 2010, 43 (amtl. Leitsatz)
  • StRR 2010, 160 (Volltext mit amtl. LS u. Anm.)

Amtlicher Leitsatz

In Auslieferungsverfahren entsteht durch die Teilnahme des Beistands an Terminen vor dem Amtsgericht keine Terminsgebühr nachNr. 6101 VV RVG.

In der Auslieferungssache
...
hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle
auf den Antrag des gerichtlich bestellten Beistands, Rechtsanwalt B. aus H., vom 18. November 2009
nach Anhörung des Vertreters der Landeskasse
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht xxxxxxxxx,
den Richter am Oberlandesgericht xxxxxxxxxxxxxxx - zugleich als Einzelrichter zu 1) - und
den Richter am Oberlandesgericht xxxxxxxxxx
am 14. Dezember 2009
beschlossen:

Tenor:

  1. 1.

    Die Sache wird auf den Senat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen.

  2. 2.

    Dem Antragsteller wird für die Tätigkeit als Beistand des Verfolgten einschließlich der nach dem Vergütungsverzeichnis zustehenden gesetzlichen Gebühren nach § 51 Abs. 1 Satz 1 RVG eine Pauschvergütung in Höhe von

    500 EUR

    bewilligt, weil die Strafsache besonders umfangreich und schwierig war.

    Hinzu treten Auslagen und Mehrwertsteuer, die besonders zu erstatten sind.

Gründe

1

I.

Der Antragsteller ist dem Verfolgten am 28. Oktober 2009 als Beistand in einem Auslieferungsverfahren beigeordnet worden. Bereits am Tag zuvor war der Antragsteller bei der Verkündung des Haftbefehls des Senats vom 21. Oktober 2009 sowie der Eröffnung des Europäischen Haftbefehls des Bezirksgerichts in L. vom 20. Juli 2009 vor dem Amtsgericht Hannover anwesend. Mit Antrag vom 18. November 2009 begehrt er die Festsetzung der Verfahrensgebühr nach Nr. 6100 VV RVG und einer Terminsgebühr nach Nr. 6101 VV RVG. Zudem begehrt er die Bewilligung einer Pauschgebühr, da die Angelegenheit besonders umfangreich gewesen sei. Er habe in englischer Sprache mit den zyprischen Behörden korrespondieren müssen, habe zahlreiche Stellungnahmen an die Generalstaatsanwaltschaft und das Oberlandesgericht gefertigt und am 13. November 2009 Verfassungsbeschwerde erhoben. Zudem habe er wegen dringender Absprachen mit dem Verfolgten insgesamt dreimal die Justizvollzugsanstalt in H. aufgesucht.

2

Der Bezirksrevisor schlägt in seiner Stellungnahme vom 7. Dezember 2009 die Gewährung einer Pauschgebühr von 396 EUR zuzüglich der gesetzlichen Gebühren als Pflichtverteidiger in Höhe von 620 EUR vor. Diese hält der Antragsteller für angemessen.

3

II.

Der Einzelrichter hat die Sache nach § 51 Abs. 2 Satz 4 i.V.m. § 42 Abs. 3 Satz 2 RVG auf den Senat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen. Der Senat hat bislang keine Entscheidung über die Bewilligung von Pauschgebühren in Auslieferungssachen getroffen. Zudem fehlt es bislang an einer Entscheidung des Senats, ob in Auslieferungssachen die Terminsgebühr nach Nr. 6101 VV RVG durch Teilnahme des Beistandes bei der Verkündung des Haftbefehls vor dem Amtsgericht nach§ 21 IRG entsteht, was sich auf die Höhe der zu bewilligenden Pauschgebühr auswirken könnte.

4

III.

Dem Antragsteller war eine Pauschgebühr von 500 EUR einschließlich der gesetzlich entstandenen Gebühren für die Tätigkeit als Beistand des Verfolgten nach § 51 Abs. 1 RVG zu bewilligen, weil die gesetzlich bestimmte Gebühr allein wegen des besonderes Umfangs und der besonderen Schwierigkeit der Sache nicht zumutbar ist.

5

Besonders umfangreich ist eine Sache, wenn der hierfür erbrachte zeitliche Aufwand erheblich über dem durchschnittlich erforderlichen Zeitaufwand liegt (vgl. Burhoff, § 51 RVG Rn. 13 m.w.N.). Besonders schwierig ist die Sache, wenn sie aus besonderen rechtlichen oder tatsächlichen Gründen über das Normalmaß hinaus erheblich verwickelt ist (vgl. Burhoff, a.a.O., Rn. 20).

6

Die vom Antragsteller herangeführten Umstände zur Bewilligung einer Pauschgebühr konnten bei der Bewertung nicht vollumfänglich Berücksichtigung finden. Soweit der Antragsteller auf in englischer Sprache geführte Korrespondenz mit den zyprischen Behörden wegen des dort erhobenen Strafvorwurfs verweist, betrifft diese das Auslieferungsverfahren in Deutschland nur am Rande. Die vom Antragsteller zur Begründung seines Pauschantrags vorgelegte Korrespondenz mit den zyprischen Behörden beschränkt sich im Übrigen auf wenige Zeilen. Soweit der Antragsteller zudem die Erhebung einer Verfassungsbeschwerde geltend macht, findet diese im Verfahren über die Festsetzung der Pauschgebühr vor dem Strafsenat keine Berücksichtigung. Insoweit sieht nämlich § 37 Abs. 2 RVG eine eigene Gebühr für die Tätigkeit des Beistandes vor.

7

Gleichwohl lagen die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 RVG vorliegend vor. Bei dem Verfolgten handelt es sich um einen deutschen Staatsangehörigen, dessen Auslieferung nur unter besonderen Bedingungen zulässig war, die der Antragsteller - wenn auch erfolglos - in umfangreichen Schriftsätzen versucht hat, als nicht gegeben darzustellen. Das Engagement des Antragstellers lag auch insgesamt deutlich über dem Durchschnitt vergleichbarer Auslieferungsverfahren vor dem Senat. Zudem hat der Antragsteller am 27. Oktober 2009 am Termin vor dem Amtsgericht Hannover zur Verkündung des Haftbefehls des Senats teilgenommen, ohne dass sich dies gebührenrechtlich auswirken würde, wenn der Antragsteller nur die gesetzlich vorgesehenen Gebühren erhalten würde. Denn danach steht ihm allein die Verfahrensgebühr aus Nr. 6100 VV RVG in Höhe von 264 EUR, nicht aber die zugleich geltend gemachte Termingebühr aus Nr. 6101 VV RVG in Höhe von 356 EUR zu. Der Senat schließt sich damit der Auffassung der überwiegenden Rechtsprechung anderer Oberlandesgerichte an, wonach die Termingebühr nur durch Verhandlungen vor dem Oberlandesgericht ausgelöst wird (vgl. OLG Hamm, StraFo 2006, 259 [OLG Hamm 30.03.2006 - 2 (s) Sbd/ IX 43/06]; OLG Köln, NJW-RR 2007, 71 ; ähnlich OLG Bremen, Beschluss vom 28.06.2005, Ausl 8/2004; OLG Hamburg, AGS 2006, 290; OLG Dresden, Beschluss vom 6. Februar 2007, 33 Ausl 84/06; siehe auch GS-Madert, VV 6101 RVG, Rn. 7). Die gegenteilige Auffassung, dass die Termingebühr auch bei anderen gerichtlichen Terminen im Auslieferungsverfahren entstehen kann (vgl. OLG Jena, JurBüro 2008, 82 zumindest für § 28 IRG; Hartmann, Kostengesetze, RVG VV 6100, 6101 Rn. 7; Burhoff-Volpert, RVG Nr. 6101 VV Rn. 2), teilt der Senat nicht. Vielmehr spricht die Auslegung der heranzuziehenden Norm für eine restriktive Anwendung. Zwar ist der Wortlaut insoweit nicht eindeutig, da die amtliche Vorbemerkung 6 Abs. 3 Satz 1 VV RVG die Terminsgebühr für die "Teilnahme an gerichtlichen Terminen" vorsieht, ohne dass hierbei zwischen verschiedenen Arten von gerichtlichen Terminen differenziert wird, gleichzeitig aberNr. 6101 VV RVG Terminsgebühren "je Verhandlungstag" bestimmt, was dafür spricht, dass nur "Verhandlungen" - etwa die mündliche Verhandlung vor dem Oberlandesgericht nach § 30 Abs. 3 IRG - die Gebühr auslösen würden. Auch die Systematik des VV RVG kann als Argument für beide Auffassungen herangezogen werden. Mit der Gebühr Nr. 4102 Ziff. 3 sieht das Gesetz in Strafverfahren eine eigenständige Terminsgebühr für die Durchführung von gerichtlichen Terminen außerhalb der Hauptverhandlung vor. Eine entsprechende Regelung ist in Verfahren nach dem IRG nicht vorgesehen. Hieraus lässt sich sowohl der Schluss ziehen, dass entsprechende Termine gebührenrechtlich nicht gesondert honoriert werden sollen, als auch die gegenteilige Folgerung, dass es für Termine nach §§ 21, 22, 28 IRG keiner besonderen Gebühr bedurfte, weil diese bereits von Nr. 6101 erfasst werden sollen. Auch dass die Durchführung von Terminen vor dem Amtsgericht im Auslieferungsverfahren nach dem IRG weniger wertig ist, als Termine, in denen über die Anordnung oder Fortdauer von Untersuchungshaft verhandelt werden soll, weshalb nur letztere eine entsprechende Gebühr auslösen könnten, ist nicht zwingend. Gerade weil in Auslieferungsverfahren vor dem Oberlandesgericht regelmäßig keine mündliche Verhandlung stattfindet, sind die Termine vor dem Amtsgericht für den Verfolgten die einzigen Gelegenheiten, seine Ansichten und Einwendungen mündlich vorzutragen. Wegen der weitreichenden Wirkungen der Erklärungen des Verfolgten ist dabei gerade die Mitwirkung eines Beistandes wünschenswert (vgl. OLG Jena a. a. O). Entscheidend aber für die Auffassung des Senats ist der hier deutlich zu Tage tretende Wille des Gesetzgebers (vgl. BT-Drs. 15/1971, S. 231), der bei der Gestaltung des 6. Teils des VV RVG die bis dahin geltende Regelung der §§ 106, 107 BRAGO inhaltlich übernehmen wollte, die für die Beistandsleistung bei einer mündlichen Verhandlung in Auslieferungsverfahren die der Teilnahme an einer Hauptverhandlung entsprechende Gebühr vorsah. Zudem sollte nach dem Willen des Gesetzgebers lediglich eine Anpassung der Gebührenstruktur in Strafsachen vorgenommen werden, weshalb sich die Art und Höhe der gesetzlichen Gebühren in Auslieferungsverfahren vor dem Oberlandesgericht auch mit den Gebühren der Nrn. 4118 und 4120 (Hauptverhandlung u.a. vor dem Oberlandesgericht) decken. Der durch die Teilnahme eines Beistandes an gerichtlichen Terminen vor dem Amtsgericht erforderliche Aufwand ist daher regelmäßig durch die Verfahrensgebühr der Nr. 6100 VV RVG mit abgegolten und kann allenfalls bei der Entscheidung über die Bewilligung einer Pauschgebühr berücksichtigt werden.

8

Unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Umstände ist vorliegend eine Pauschgebühr von 500 EUR, allerdings einschließlich der gesetzlichen Verfahrensgebühr, gerechtfertigt.